Kommentar

Sieg der Unvernunft

Am 23. Juni hat der Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestages mit den Stimmen der Grünen und der SPD einer Novellierung des Arzneimittelgesetzes zugestimmt, die uns sehr nachdenklich stimmen sollte. Einen Tag später hat auch der Bundestag diese Regelung passieren lassen.

Mifegyne, das jetzt auch in Deutschland vor der Zulassung stehende und unter dem Namen von RU 486 bekannt gewordene Präparat zum Schwangerschaftsabbruch, soll ausschließlich direkt vertrieben werden - unter Umgehung des pharmazeutischen Großhandels, ohne Einschaltung der Apotheke. Dies solle eine Ausnahme bleiben, kein Vorbild für andere Arzneimittel, so haben sozialdemokratische Abgeordnete und auch die Gesundheitsministerin mehrfach versichert. Ob diese Äußerungen die Druckerschwärze, durch die sie dokumentiert sind, auch wert sind, ist zu bezweifeln - in unterschiedlichem Maße freilich. Besondere Skepsis ist gegenüber den Grünen-Wortführerinnen angebracht - Andrea Fischer und besonders Christa Nickels, ihre Staatssekretärin, allen voran. Die Hartnäckigkeit des Weghörens, die Resistenz auch gegenüber Argumenten, denen sie nichts, aber auch gar nichts entgegenzusetzen hatten, ist nur mit einer ideologischen Verbohrtheit zu erklären, die Angst macht.

Ein Sieg der Unvernunft - und das auf der ganzen Linie. Aus "Sicherheitsgründen", so Christa Nickels vor dem Gesundheitsausschuss, halten die Grünen an einem Konzept fest, über dessen Sicherheit sie mangels konkreter Erfahrungen bestenfalls nichts wissen können - ganz im Gegenteil zum erprobten und gegenüber allen möglichen Herausforderungen bewährten Vertriebsweg über den Großhandel und die Apotheken. Dass dieser Vertriebsweg sicher ist, eine schier uneinnehmbare Bastion, hat er in vielen Jahrzehnten zum Beispiel bei den Betäubungsmitteln millionenfach unter Beweis gestellt. Gegenüber diesem mehrstufigen Vertrieb bis zum Arzt bzw. Patienten - über Handelsstufen, die jeweils klaren Vorschriften und strengen Kontrollen unterworfen sind - kann der Direktvertrieb zwischen Partnern, für die vergleichbare Vorschriften und Kontrollen gar nicht existieren, die auch gar nicht über entsprechende Erfahrungen verfügen, nur deutlich unsicherer sein. Excelgyn, der Hersteller von Mifegyne, ist zudem - wie er gegenüber der DAZ erklärte - gar nicht in der Lage, selbst den Versand vorzunehmen. Er wird einen "Distributeur", einen Versender einschalten. Für diesen sind vergleichbare Vorschriften und Kontrollen wie im deutschen Pharmagroßhandel unbekannt.

Man kann verstehen, dass die meisten SPD-Abgeordneten im Gesundheitsausschuss und im entsprechenden Arbeitskreis der Fraktion nach der Anhörung zum Vertriebsweg von Mifegyne, die am 2. Juni in Bonn stattfand, Bauchschmerzen bekommen haben, ob der gemeinsam mit den Grünen eingebrachte Gesetzentwurf das Gelbe vom Ei ist. Selbst die von der SPD eingeladene Expertin, eine französische Gynäkologin, hatte sich ja - für die SPD offensichtlich völlig unerwartet - für den Vertriebsweg über die Apotheke in Anlehnung an die Verfahren mit Betäubungsmitteln stark gemacht (AZ Nr. 23, DAZ Nr. 23, Seite 25). Dass die Sozialdemokraten dennoch nicht den Mut hatten, den Grünen trotz inzwischen besseren Wissens die rote Karte zu zeigen, ist höchst bedauerlich und ein Zeichen von Schwäche. Man wollte wohl deshalb keinen weiteren Koalitionskrach risikieren.

Sehr nachdenklich muss in Zusammenhang mit der Diskussion um den Vertriebsweg von Mifegyne auch das Verhalten der pharmazeutischen Industrie stimmen. Die Industrieverbände haben nur marginale Änderungswünsche zu den rot-grünen Direktvertriebsplänen geäußert, das Prinzip aber nicht in Frage gestellt. Das ist mit Verlaub eine Unverschämtheit, die tief blicken lässt.

Klaus G. Brauer

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