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DAZ aktuell
Arzneimittelfestbeträge: Kassen befürchten Verstaatlichung
Bundesgesundheitsministerin Andrea Fischer denkt daran, Festbeträge künftig per Verordnung durch das Ministerium (BMG) festlegen zu lassen. Diese Lösung führe zu mehr Bürokratie, erhöhe die Kosten, höhle das Prinzip der Selbstverwaltung aus und mache die Festbeträge anfällig für Lobbyeinflüsse der Industrie, warnten die Repräsentanten der GKV zusammen mit der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV).
Zuvor hatten die Vertreter von Orts-, Betriebs-, Innungs- und Ersatzkassen bei Abgeordneten in Berlin und im Bundesgesundheitsministerium (BMG) für ihr Modell geworben. Demnach würde der Bundesausschuss als juristische Person staatlich legitimiert und erhielte als Körperschaft öffentlichen Rechts Normsetzungsbefugnis, das BMG als Vertreter der Regierung hätte einen Genehmigungsvorbehalt. Das Modell untermauerten die Rechtsexperten Professor Jürgen Kruse von der evangelischen Fachhochschule Nürnberg, sowie Professor Ingwer Ebsen von der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main.
Das ist die Lösung, für die sich auch die niedergelassenen Mediziner erwärmen können. Dr. Rainer Hess von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung teilte die Sorge der Kassen vor der Staatslösung. Auch er mahnte die Lösung des Problems an, denn die unter Budgetdruck stehenden Ärzte würden etwa von abgesenkten Festbeträgen profitieren, so seine Aussage.
Beide Gruppierungen sehen in der auf diese Weise möglichen Stärkung der gemeinsamen Selbstverwaltung die beste Variante. Sie vertreten die Meinung, das Gremium habe seine Aufgabe bisher nicht schlecht gemacht. Keinesfalls dürfe die Selbstverwaltung von Ärzten und Kassen geschwächt werden.
AOK: Politisches Handeln nötig
Dr. Hans Jürgen Ahrens vom AOK-Bundesverband sieht durch die Verordnungslösung eine gefährliche Weichenstellung, die auf andere Bereiche wie zum Beispiel die Arzneimittelrichtlinien abfärben werde. "Eine staatliche Lösung würde Schaden anrichten", so Ahrens am 5. April vor Journalisten in Berlin. Er hielt sie zudem für undurchführbar. Jeweils vor Landtags- und Bundestagswahlen würden vermutlich keine neuen Festbeträge festgesetzt, aber: "Wahlen haben wir ständig". Ahrens forderte die Ministerin zum politischen Handeln auf, der Rückzug auf noch unklare juristische Fragen sei nicht angebracht.
Apothekerbeteiligung?
Gefragt, ob sich die Kassen die stärkere Beteiligung etwa von Apothekern und pharmazeutischer Industrie vorstellen können, sagte Wolfgang Schmeinck vom Bundesverband der Betriebskrankenkassen, die Arbeitsfähigkeit des Bundesausschusses dürfe nicht darunter leiden. Es sei fraglich, ob bei größeren Beteiligungen - über das bisherige schriftliche Anhörungsrecht dieser Gruppen hinaus - Entschlüsse zustande kämen. Allerdings konnte sich der BKK-Chef das Einräumen von mehr Transparenz bei der Festsetzung mit nachvollziehbaren Kriterien vorstellen.
System recht liberal
Herbert Rebscher von den Ersatzkassenverbänden warnte vor negativen Auswirkungen auf das "relativ liberale System", das Deutschland verglichen mit seinen europäischen Nachbarn habe. Seiner Auffassung nach ermöglichten auch die Festbeträge Wettbewerb und zeigen mehr Marktnähe als die staatlichen Lösungen anderer Länder. Mit ihren Klagen hätten die pharmazeutischen Unternehmen lediglich erreicht, dass womöglich mehr Bürokratie und mehr staatliche Regulierung drohten, für Rebscher ein "Pyrrhussieg".
Insgesamt hatten die Kassenrepräsentanten den Eindruck, die Politik wolle - falls rechtlich möglich - die Selbstverwaltung von Ärzten und Krankenkassen stärken, so Rolf Stuppardt vom Bundesverband der Innungskrankenkassen.
Festbeträge: BPI will Mitsprache
Der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) lehnte in einer ersten Reaktion sowohl die staatliche Festsetzung als auch Preisverhandlungen als Lösung für das unter Beschuss geratene Festbetragssystem ab. BPI-Hauptgeschäftsführer Dr. Hans Sendler forderte eine beratungsberechtigte Bank der pharmazeutischen Industrie überall da, wo Entscheidungen konstitutiv in die Interessen der Unternehmen eingriffen. Eine Selbstverwaltungslösung bei den Festbeträgen, wie jetzt von Kassen und Ärzten vorgeschlagen, werde zwar begrüßt, allerdings müssten die Hersteller stärker daran beteiligt werden, so Sendler, ansonsten sei dies nicht rechtssicher zu gestalten.
BPI und Ersatzkassen hatten vor wenigen Wochen gemeinsam gegen die drohende staatliche Festsetzung gewarnt. Auch nach Ansicht des BPI würde der Vorschlag des Bundesgesundheitsministeriums, Festbeträge per Verordnung festzulegen, mehr Bürokratie und höhere Kosten nach sich ziehen.
Festbeträge wurden 1989 mit dem Gesundheitsreformgesetz (GRG) eingeführt. Zurzeit gibt es nach Angaben der Krankenkassen für rund 16,8 Milliarden Mark Marktvolumen Erstattungshöchstgrenzen. Das entspricht rund der Hälfte der Arzneimittelumsätze mit der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Nach dem GKV-Solidaritätsstärkungsgesetz ("Vorschaltgesetz") von Ende 1998 sollen die Festbeträge auf das untere Preisdrittel einer Gruppe abgesenkt werden. Das ist bis heute nicht umgesetzt worden. Die Krankenkassen erwarten durch diese Vorschrift Einsparungen von jährlich 500 Millionen Mark.
Vor der drohenden staatlichen Lösung bei den Arzneimittelfestbeträgen haben die gesetzlichen Krankenkassen gewarnt. Gemeinsam mit den niedergelassenen Ärzten plädieren sie statt dessen dafür, den bisher zuständigen Bundesausschuss Ärzte/Krankenkassen dafür zu legitimieren.
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