DAZ aktuell

Weihrauch – der lange Weg vom Harzextrakt zum zugelassenen Arzneimittel (D

TÜBINGEN (diz). Gerade jetzt in der Vorweihnachtszeit greift die Laienpresse gerne wieder Meldungen und Hinweise über Weihrauch auf, die darauf hin deuten, dass Extrakte aus dem Harz von Boswellia serrata erstaunliche Wirkungen entfalten können z. B. gegen Rheuma, bestimmte Darmerkrankungen, Asthma und sogar Gehirntumoren. Ein Arzneimittel, das Weihrauchextrakt enthält, ist in Deutschland bisher noch nicht zugelassen. Wir sprachen mit Professor Ammon, dem Pionier in der Weihrauchforschung, welchen Fakten mittlerweile über Weihrauch bekannt sind und ob man mit einem Weihrauchpräparat in Deutschland rechnen kann.

?

Wird auf Symposien und Tagungen über den Stand klinischer Untersuchungen bei Phytopharmaka berichtet, taucht Weihrauch in aller Regel nicht auf. Gibt es hier noch zu wenige Untersuchungen?

Ammon:

Nun, Präparate, die Inhaltsstoffe des Weihrauchs enthalten, sind bei uns bisher nicht zugelassen und die Forschung über ihre klinische Anwendbarkeit ist meines Erachtens erst am Anfang.

?

Wie lange gehen Ihre wissenschaftlichen Arbeiten zu diesem Thema zurück?

Ammon:

Die erste Publikation darüber, dass ein Weihrauchextrakt in die Bildung von Entzündungsmediatoren eingreift, erschien im Jahre 1991. Im Jahre 1992 konnten wir dann bereits zeigen, dass Boswelliasäuren als wichtige Inhaltsstoffe des Weihrauchs in nicht kompetitiver und in nicht reduzierender Weise die Bildung von Leukotrienen hemmen, jedoch auf die Bildung von Prostaglandinen in denselben Konzentrationen kaum einen Einfluss hatten. Dies führte uns dazu, darüber nachzudenken, bei welchen Erkrankungen denn Leukotriene eine wichtige Rolle spielen, und welche Erkrankungen somit als Anwendungsgebiete in Frage kämen. Dabei zeigte es sich, dass es sich im Wesentlichen um Erkrankungen handelt, bei denen man auch eine Autoimmunkomponente als Ursache annimmt.

?

Welche Krankheiten wären dies?

Ammon:

Dazu gehören u. a. die chronische Polyarthritis, der Morbus Crohn, die Colitis ulcerosa, das Asthma bronchiale, Psoriasis, Multiple Sklerose und auch gewisse Gehirntumoren.

?

Im Vergleich zu denjenigen Krankheiten, die wir heute üblicherweise mit Phytopharmaka behandeln, sind diese Krankheiten ja richtig schwerwiegende Krankheiten?

Ammon:

Dies ist in der Tat so. Wenn man etwas genauer hinsieht, dann sind es Erkrankungen, bei denen man heute als ultima ratio Glucocorticoide einsetzt.

?

Wenn Ihre Vermutung richtig ist: welche klinischen Anhaltspunkte haben Sie denn?

Ammon:

Aufgrund unserer Überlegungen haben wir bereits sehr frühzeitig veranlassen wollen, dass ein einigermaßen definiertes Weihrauchprodukt aus Indien bei einigen der genannten Erkrankungen ausprobiert wird.

?

Und was war das Ergebnis?

Ammon:

Es ist natürlich schwierig, in Deutschland Kollegen zu gewinnen mit der Bitte, einen Weihrauchextrakt dahin gehend zu untersuchen, ob er auch dort wirksam ist, wo man normalerweise Glucocorticoide benötigt. Und ich muss sagen, ich habe für eine solche Haltung durchaus Verständnis. Wer würde schon schwerkranken Patienten die notwendige effektive Therapie vorenthalten, nur um ein vielleicht "mysteriöses Produkt" - und dies wäre in diesem Fall ausgerechnet Weihrauch - auszuprobieren. Ich hätte es vielleicht anstelle meiner Kollegen in der Klinik auch nicht getan.

?

Haben Sie denn mittlerweile einige Anhaltspunkte, die auch wissenschaftlich überprüfbar sind, dass wenigstens bei einigen dieser Erkrankungen ein Weihrauchextrakt wirksam sein könnte?

Ammon:

Wir haben zunächst eine Pilotstudie in Indien veranlasst, bei der ein Weihrauchextrakt mit definiertem Boswelliasäuregehalt bei Colitis ulcerosa gegen Sulfasalazin getestet wurde.

?

Was kam dabei heraus?

Ammon:

Es hat sich gezeigt, dass der Weihrauchextrakt genau so effektiv war wie Sulfasalazin, was die klinischen Symptome sowie histologische und Blutparameter der Patienten betraf. Bei einem Schweregrad der Erkrankung auf einer Skala bis 4 wurden bei Patienten mit Schweregrad 2 und 3 in etwa 80% Remissionen beobachtet.

?

Wie viele Patienten waren dies?

Ammon:

Es waren 34 Patienten die einen Weihrauchextrakt erhielten.

?

Ist das nicht eine relativ kleine Anzahl?

Ammon:

Es kam uns ja auch nur darauf an, ob unsere Hypothese einer Wirksamkeit bei Colitis ulcerosa überhaupt Gültigkeit haben könnte. Die Befunde, die auch veröffentlicht sind, legen dies allerdings sehr deutlich nahe.

?

Haben sie weitere klinische, wenn auch pilotartige Studien?

Ammon:

Ja, wir haben - wiederum in Indien - einen Weihrauchextrakt bei Patienten mit Asthma bronchiale eingesetzt und kamen auch hier zu sehr positiven Ergebnissen, die ebenfalls publiziert wurden.

?

Könnte das nicht reichen, um hier Behörden zu überzeugen.

Ammon:

Dies reicht natürlich nicht, weil man dieses Phytopharmakon als unbekannten Stoff ansieht, und für eine Zulassung all die Daten vorgelegt werden müssen, wie sie auch bei einer neuen chemischen Substanz erforderlich sind.

?

Man hört immer wieder, dass offensichtlich auch andere schwerwiegende Erkrankungen auf ein Weihrauchprodukt ansprechen.

Ammon:

Dies ist in der Tat der Fall. So weit mir bekannt ist, wurden bisher am Universitätsklinikum in Mannheim ca. 3000 Patienten mit verschiedenen chronisch entzündlichen Erkrankungen mit einem Weihrauchprodukt aus Indien behandelt.

?

Um welche Erkrankungen handelte es sich dabei?

Ammon:

Über 1000 Patienten litten an Morbus Crohn, etwa 500 an Colitis ulcerosa, die gleiche Zahl an Asthma bronchiale und Polyarthritis.

?

Das wäre doch schon etwas.

Ammon:

Man muss hier sagen, dass es sich um Einzelfallkasuistiken handelt, die nicht nach dem Standard einer klinischen Prüfung, so wie sie dem heutigen wissenschaftlichen Stand entsprechen, durchgeführt wurden. Ich sehe solche Einzelfälle nur als vielleicht positive Hinweise, die näher überprüft werden müssten.

?

Kürzlich wurde kolportiert, dass in Mannheim eine saubere klinische Studie bei Patienten mit Morbus Crohn durchgeführt wurde. Ist dies richtig?

Ammon:

Dies ist richtig.

?

Und was ist dabei heraus gekommen?

Ammon:

Soweit mir aus persönlichen Mitteilungen des durchführenden Kollegen Dr. Gerhardt bekannt wurde, war das Weihrauchprodukt wenigstens genau so wirksam wie das Referenzpräparat Mesalazin.

?

Wie steht es denn mit den Nebenwirkungen?

Ammon:

Gravierende Nebenwirkungen sind bisher nicht bekannt geworden. Dies schließt natürlich nicht aus, dass sich bei längerfristiger Anwendung, insbesondere bei einem größeren Kollektiv, doch die eine oder andere Nebenwirkung einstellen könnte. Sie scheinen jedoch, wenn überhaupt, bei weitem nicht so eklatant zu sein wie bei einer chronischen Therapie mit Glucocorticoiden. Meines Wissens konnte bei der Behandlung einschlägiger Patienten in Mannheim, die vorher auf Glucocorticoide eingestellt waren, deren Dosis erheblich reduziert bzw. abgesetzt werden.

?

Um nochmals auf klinische Studien zurück zu kommen: Nach dem, was anlässlich der Jahrestagung der DPhG vorgetragen wurde, werden zumindest bei einigen Phytopharmaka permanent neue Studien entworfen und durchgeführt. Warum nicht auch bei Weihrauchextrakten?

Ammon:

Bei den derzeit den Markt beherrschenden Phytopharmaka ist es schon immer schwer gewesen, Wirksamkeiten zweifelsfrei nachzuweisen. Dies insbesondere auch deswegen, weil die Anwendungsgebiete doch mehr in Richtung leichtere Erkrankungen - zumindest wenn wir dies vergleichen, was bisher über Weihrauch gesagt wurde - gehen. Hier ist es natürlich sehr viel schwieriger, deutliche Effekte heraus zu arbeiten und häufig stehen nur indirekte Parameter zur Verfügung und weniger harte Daten an Patienten.

?

Sie haben Ihre bisherigen Pilotstudien so konzipiert, dass Sie weniger indirekte Parameter als tatsächliche Parameter beobachtet haben, die beim Patienten zweifelsfrei zu Besserungen geführt haben. Warum sind noch keine den hiesigen Erfordernissen entsprechenden Studien vorhanden?

Ammon:

Wissen Sie, wir haben folgende Probleme: Erstens scheint es für Weihrauchpräparate eine ganze Reihe unterschiedlicher Indikationen und nicht nur eine zu geben, wie z. B. beim Crataegus oder beim Hypericum oder bei Ginkgo oder bei pflanzlichen Spasmolytika, um nur einige zu nennen. Wenn man dies bedenkt, und wenn man die immensen Kosten bedenkt, die aufgewendet werden müssen, damit für jede einzelne Indikation genügend Material vorliegt, so kann man sich vorstellen, was das im Fall Weihrauchpräparate kostet. Das ist unter Zulassungsbedingungen praktisch nicht mehr bezahlbar.

?

Wie steht es denn mit der Toxikologie?

Ammon:

Soweit mir bekannt ist, wurde sowohl in Indien als auch in Deutschland die chronische Toxizität bei verschiedenen Tierarten geprüft. Die Ergebnisse sind nicht veröffentlicht. Es ist dabei offensichtlich nichts Beunruhigendes herausgekommen.

?

Kann man denn jedes x-beliebige Weihrauchpräparat verwenden?

Ammon:

Davor würde ich dringend warnen.

?

Wo liegen die Gründe?

Ammon:

Es scheint doch sehr davon abzuhängen, dass solche Präparate auf einen bestimmten Wirkstoffgehalt eingestellt sind. Bei zu niedriger Dosierung kann es u. U. sogar zur Verschlechterung des Krankheitsbildes kommen. Und bei den von mir genannten möglichen Anwendungsgebieten handelt es sich ja nicht um einfachen Schnupfen oder vorübergehende Kopfschmerzen, sondern tatsächlich um ernsthafte Erkrankungen, bei denen man nicht leichtfertig irgend ein nicht standardisiertes oder ein von nicht gesicherter pharmazeutischer Qualität entsprechendes Weihrauchprodukt verwenden kann.

?

Was halten Sie denn davon, die von Ihnen schon charakterisierten Wirkstoffe zu isolieren und einzeln weiter zu bearbeiten, sowohl pharmakologisch als auch klinisch?

Ammon:

Ich bin da im Moment eher skeptisch. Wir haben beim Weihrauchextrakt eine ganze Reihe unterschiedlicher Boswelliasäuren vorliegen, die alle in irgend einer Weise letztlich zur klinischen Wirkung beitragen. Ich bin mir nicht sicher, ob wir dies auch erreichen können, wenn wir die eine oder andere Boswelliasäure herausholen und sie isoliert weiter betrachten. Allerdings ist es auch nicht ausgeschlossen.

!

Herr Professor Ammon, Sie beschäftigen sich mit Ihren Mitarbeitern bereits seit zehn Jahren mit diesem Thema. Es ist bisher eine Menge Hoffnungsvolles dabei heraus gekommen. Man kann gespannt sein, ob diese Forschungen, insbesondere auch im klinischen Bereich, weiter gehen. Wir wünschen Ihnen weiterhin viel Erfolg und danken Ihnen für das Gespräch!

Gerade jetzt in der Vorweihnachtszeit greift die Laienpresse gerne wieder Meldungen und Hinweise über Weihrauch auf, die darauf hin deuten, dass Extrakte aus dem Harz von Boswellia serrata erstaunliche Wirkungen entfalten können z. B. gegen Rheuma, bestimmte Darmerkrankungen, Asthma und sogar Gehirntumoren. Ein Arzneimittel, das Weihrauchextrakt enthält, ist in Deutschland bisher noch nicht zugelassen. Wir sprachen mit Professor Ammon, dem Pionier in der Weihrauchforschung, welche Fakten mittlerweile über Weihrauch bekannt sind und ob man mit einem Weihrauchpräparat in Deutschland rechnen kann.

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.