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Praxis
T. Müller-Bohn:Qualitätsstandard – was ist d
Für Bundesapothekerkammerpräsident Dr. Hartmut Schmall liegt die eigentliche Brisanz bei der Einführung von Qualitätsmanagementsystemen (QMS) in diesen Qualitätsstandards, wie er im Rahmen eines APV-Workshops am 3. Dezember 1999 in Halle ausführte. Diese Standards sollen Regeln darstellen, die den formalen Rahmen von QMS mit Inhalten füllen. Zentrales Element der QMS-Handbücher von Apotheken bilden, unabhängig von dem jeweils verfolgten QMS-Konzept, die Prozesse oder Verfahrensanweisungen. Darin werden grundlegende Arbeitsabläufe der Apotheke allgemein beschrieben.
Bisher sind die Apotheken in der Gestaltung dieser Prozesse weitgehend frei. Die Satzungen der apothekenspezifischen Systeme einzelner Apothekerkammern schreiben im Einklang mit der bundesweiten Mustersatzung Mindestinhalte vor (siehe DAZ 50/99, S. 63ff.). Doch die konkrete inhaltliche Regelung der meisten Arbeitsabläufe bleibt den Apotheken selbst überlassen, sofern der Prozess den angestrebten Zweck erfüllt.
Freiheit erfordert Verantwortung
Diese erhebliche Freiheit wird von vielen QMS-Pionieren unter den Apothekern als sehr vorteilhaft empfunden, hat aber zwei Nachteile: Einerseits ist der verantwortungsvolle Umgang mit dieser Freiheit eine mühsame Arbeit, da das Apothekenteam viele inhaltliche Fragen weitgehend allein entscheiden muss. Andererseits kann nicht konsequent garantiert werden, dass alle Apotheken mit ihren Prozessen einen inhaltlichen Stand erreichen, der den Qualitätsvorstellungen der Fachöffentlichkeit oder speziell der Kammern entspricht.
Leitlinien geben Orientierungshilfe
Eine Lösung aus diesem Dilemma bilden Leitlinien anerkannter Fachgesellschaften. Wissenschaftliche Institutionen beschreiben damit den "state of the art" ihrer Wissenschaft. Typische Beispiele aus einem anderen Anwendungsgebiet sind die vielfältigen Therapieleitlinien der medizinischen Fachgesellschaften. Im pharmazeutischen Bereich stellt die Leitlinie der Gesellschaft für Dermopharmazie zur Herstellung dermatologischer Zubereitungen in Rezeptur und Defektur (siehe DAZ 14/99, S. 30 ff.) ein wichtiges Beispiel dar.
Solche Leitlinien haben keine Gesetzeskraft, aber sie können allgemeine Floskeln wie "die anerkannten pharmazeutischen Regeln" mit Inhalt füllen. Bei konkurrierenden Leitlinien bleibt es dem Diskurs in der Fachöffentlichkeit überlassen, einen Kompromiss zu entwickeln. Wer derartige Leitlinien in einem QMS vollständig ignoriert, wird sich den Vorwurf gefallen lassen müssen, seine Qualitätsziele nicht am Stand der Wissenschaft zu orientieren, und damit in Erklärungsnot geraten. Doch lassen Leitlinien, wenn sie angemessen formuliert sind, einigen individuellen Freiraum.
Qualitätsstandards machen inhaltliche Vorgaben
Diesen Ansatz der Leitlinien greift die Arbeitsgemeinschaft deutscher Apothekerkammern (Bundesapothekerkammer) mit den zu entwickelnden Qualitätsstandards auf. Doch im Gegensatz zu Leitlinien werden diese Standards ausdrücklich geschaffen, um inhaltliche Vorgaben für QMS in Apotheken zu machen. Die Bundesapothekerkammer hat verschiedene Institutionen, wie beispielsweise das ZL, beauftragt, Entwürfe für solche Standards zu entwickeln.
Inhaltlich sollen sich die ersten Standards beispielsweise mit der Arzneimittelherstellung in Rezeptur und Defektur sowie mit der Prüfung von Ausgangsstoffen und Fertigarzneimitteln befassen. Weitere Standards werden Anforderungen an die Beratung bei der Selbstmedikation und im Rahmen der Abgabe verordneter Arzneimittel beschreiben.
Standards sind notwendig
Die praktischen Erfahrungen haben gezeigt, dass viele Apotheken nach der Einführung eines QMS auf solche Vorgaben besonders im Beratungsbereich warten. Denn gerade für diese zentralen Prozesse bestehen verhältnismäßig wenige allgemein anwendbare Vorgaben. Ohne Qualitätsstandards könnten daher gerade die besonders wichtigen Themen in vielen Apotheken nur sehr grob geregelt werden, sodass eine große Chance der QMS vertan würde. Dabei kann ein allgemeiner Beratungsstandard nur die Elemente eines Beratungsgespräches darstellen und eine sinnvolle Reihenfolge und Struktur angeben. Inhaltliche Regelungen zu einzelnen Beratungsthemen sind damit noch nicht verbunden. Hier wäre jede einzelne Apotheke gefragt, geeignete Beratungsliteratur auszuwählen oder auch eigene Inhalte zu gestalten.
Diskussion bisher im engen Kreis
Die Diskussion über die Entwürfe für solche Standards findet in erster Linie zwischen den beauftragten Institutionen, den einzelnen Apothekerkammern und der ABDA statt. Erste Qualitätsstandards sollen in ihren Grundzügen im November 1999 beschlossen worden sein. Die Beschlussfassung über weitere Standards soll auf die Tagesordnung für die Mitgliederversammlung der Bundesapothekerkammer im Mai 2000 kommen. Eine Diskussion der Entwürfe in der Fachöffentlichkeit steht dagegen bisher aus. Doch dürften die Meinungen weit auseinander gehen, wie detailliert die Regelungen in solchen Standards sein sollten. So mag eine verbindliche Strukturierung der Arbeitsschritte einer Rezeptur zumeist als Hilfestellung empfunden werden. Doch könnten über die Standards auch neue inhaltlichen Anforderungen entstehen, die in keinem Gesetz und keiner zertifizierte Apotheken verbindlich werden. So könnte sich an der Formulierung der Qualitätsstandards die ganze Zukunft des apothekenspezifischen QMS entscheiden. Zu vage Vorgaben würden die angekündigte inhaltliche Qualitätsorientierung ad absurdum führen. Zu strenge Regelungen dürften dagegen keine Akzeptanz finden und die Apothekerschaft zu branchenfremden Systemen ohne inhaltliche Aussage führen oder ganz vom QMS abhalten. Den richtigen Mittelweg zu definieren, dürfte erheblichen Diskussionsbedarf auslösen.
Entscheidung ist Ländersache
Diese Diskussion dürfte durch die angestrebte Koordination der Länder erschwert werden. Denn formal sind die Länderkammern zuständig, Qualitätsstandards für ihre Länder zu beschließen. Ein entsprechender Hinweis findet sich auch in der QMS-Satzung der AK Westfalen-Lippe. Diese sc hreibt in § 2 vor, dass der Kammervorstand über die gültigen Qualitätsstandards entscheidet (siehe DAZ 50/99, S. 67). Doch strebt die Bundesapothekerkammer eine gemeinsame Beschlussfassung über die Standards an, die dann als Empfehlungen für die Länder gelten. So sollen einheitliche Inhalte für die Qualitätsstandards in allen Ländern gewährleistet werden.
Kommt das Einheits-QMS?
Dies erscheint prinzipiell sinnvoll, um Widersprüche zu vermeiden. Doch sinkt damit der Spielraum der Länder für die Festlegung eigener Minimalbedingungen. Wenn die bundeseinheitlichen Anforderungen erheblichen Umfang annehmen und sehr detailliert sein sollten, bliebe kaum noch Raum für darüber hinausgehende Regelungen der Länder. Die Folge könnte mittelfristig ein Einheits-QMS werden. Dies stünde im Widerspruch zum Konsens, der auf dem Deutschen Apothekertag 1999 in Leipzig gefunden wurde und der ein gemeinsames Dach für durchaus unterschiedliche Konzepte der Länder vorsieht.
Doch andererseits binden die Erfordernisse der Länder auch die Arbeit der Bundesapothekerkammer. So werden ab März 2001 in Niedersachsen die ersten Rezertifizierungen für Offizin-Apotheken fällig. Als verschärfte Bedingungen für die Rezertifizierung wurden inhaltliche Anforderungen an die Beratung bereits angekündigt (siehe DAZ 8/99, S. 24). Die Apothekerkammer Niedersachsen wird daher einen Qualitätsstandard für diesbezügliche Prozesse veröffentlichen müssen. Denn die dort zertifizierten Apotheken benötigen diese Vorgabe zur Erfüllung der gesetzten Bedingungen. Der Zeitrahmen für diese Standards liegt damit fest.
Pflicht-QMS durch die Hintertür?
Die Beschlussfassung über die Qualitätsstandards durch eine so hochrangige Institution wie die Bundesapothekerkammer und die einheitliche Handhabung in ganz Deutschland könnte – gewollt oder ungewollt – eine weitere äußerst problematische Folge auslösen. Denn so müssten die Qualitätsstandards möglicherweise als dokumentierter Stand der wissenschaftlichen Entwicklung in der Pharmazie angesehen werden.
Da sich aber kein Apotheker dem Stand der Wissenschaft verweigern kann, würden sie in letzter Konsequenz zu einem fachlichen Maßstab für alle Apotheken. Zudem sind alle Apotheken gemäß Sozialgesetzbuch zur Qualitätssicherung verpflichtet. Dies ist kein Zwang zur Einführung eines QMS, aber zur Beachtung von Qualitätsstandards, wenn sie denn existieren. Da die geplanten Standards aber praktisch nur mit Hilfe eines QMS umzusetzen wären, entstünde so indirekt ein Zwang zur Einführung eines QMS. Zudem bestünde kein Raum mehr für konkurrierende Leitlinien von Fachgesellschaften. Der Beschluss der Bundesapothekerkammer würde damit letztlich den wissenschaftlichen Diskurs ersetzen.
Formale Erfordernisse
Neben diesen berufspolitischen Konsequenzen werden bei der Formulierung von Qualitätsstandards auch besondere formale Aspekte zu beachten sein. Da sie speziell für den Einbau in QMS entwickelt werden, sollten sie selbst eine prozedurale Struktur aufweisen – wie die Prozesse, deren Inhalte sie prägen sollen. Es kann daher nicht ausreichen, Pflichtinhalte aufzulisten. Vielmehr sind Strukturen nötig, aus denen eine sinnvolle Bearbeitungsreihenfolge und die Beziehung zu anderen Prozessen hervorgeht. Anderenfalls wären die Standards Fremdkörper in den Prozess-orientierten QMS.
Fazit
Apothekenspezifische QMS werden ohne bestimmte Qualitätsstandards langfristig nicht alle in sie gesetzten Erwartungen erfüllen können, aber gerade aufgrund ihrer zentralen Bedeutung bilden die Standards auch eine Gefahrenquelle für mögliche Fehlentwicklungen. Daher sollten sie Gegenstand der standespolitischen Diskussion werden. Hier dürften die einzelnen Apothekerkammern gefordert sein.
Seit das Qualitätsmanagement zu einem Thema für Apotheken wurde, geistert der Begriff "Qualitätsstandard " durch die Diskussion, ohne dass die meisten Apotheker mit dem Begriff etwas Konkretes verbinden können. Doch die Bundesapothekerkammer arbeitet schon an Entwürfen für solche Standards, die den Apotheken möglicherweise ein Pflicht-QMS durch die Hintertür bringen.
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