BVA-Info

Vom Koalitionsverbot zum Tarifgesetz

Mit vereinten Kräften sind wir stärker - das ist keine Erkenntnis der Neuzeit. Doch Solidarpakte von Arbeitnehmern waren (nicht nur in feudalen Zeiten) den Mächtigen in Politik und Wirtschaft oft ein Dorn im Auge.

Die Koalitionsverbote aus dem 18. Jahrhundert, wie sie z.B. das Preußische Allgemeine Landrecht von 1784 vorsieht, richteten sich ursprünglich gegen wandernde Handwerksgesellen. Mit der zunehmenden Industrialisierung und der damit einhergehenden Verelendung der Arbeiterschicht - tägliche Arbeitszeiten von 13 und mehr Stunden und Sonntagsarbeit bei jämmerlichen Löhnen waren die Regel - suchten auch Arbeiter zunehmend ihren Vorteil in der Bildung von Kampf- und Solidargemeinschaften. So gründeten z.B. die Leipziger Buchdrucker im Jahr 1843 ein Komitee und forderten zwei Jahre später Verhandlungen über einen Tarifvertrag von den Arbeitgebern. Die Politiker reagierten rasch auf den Widerstand von "unten": Alle Mitgliedstaaten des Deutschen Bundes wurden verpflichtet, das Verbot von Arbeiterkoalitionen strikt durchzusetzen. Das Koalitions- und Streikverbot wurde daraufhin im gleichen Jahr in die Allgemeine Preußische Gewerbeordnung übernommen und ausdrücklich auf Industriearbeiter ausgedehnt. Für die Durchführung von Streiks war eine Gefängnisstrafe bis zu einem Jahr vorgesehen.

Aufschwung durch die Märzrevolution

Mit der Märzrevolution von 1848 werden die Koalitionsbeschränkungen faktisch aufgehoben. Es entstehen viele Arbeitervereine, die sich zur sogenannten "Arbeiterverbrüderung" zusammenschließen: 1849 hat sie etwa 15000 Mitglieder. Doch nach dem Scheitern der Revolution werden diese Organisationen verboten und die Koalitionsverbote wieder hergestellt. Das Preußische Vereinsgesetz von 1850 untersagt Frauen, Schülern und Lehrlingen, Mitglieder von Vereinen zu werden. Auch dürfen Vereine keine Verbindung zu anderen gleicher Art unterhalten. In den 60er- und 70er-Jahren des 19. Jahrhunderts bekommt die Industrialisierung neuen Schwung. Neue Vereine und Verbände entstehen. Spontane Streiks finden vorwiegend unter behördlicher Duldung statt. Allein von 1871 bis 1873 kommt es zu siebenhundert Streikaktionen.

Das Sozialistengesetz

Sozialistische Strömungen in der Gewerkschaftsbewegung nutzt Bismarck aus, um 1878 das "Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie" zu erlassen. Daraufhin werden viele Verbände und Vereine wegen angeblich sozialdemokratischer Tendenzen aufgelöst. Glücklicherweise kann der Deutsche Apotheker-Verein diesem Schicksal entgehen. Seine "Stellungnahme zu Personalfragen" von 1882 führt dazu, dass sich die Arbeitsbedingungen und die wirtschaftliche Lage der Apothekenmitarbeiter deutlich verbessert.

Erst 1890 fällt das "Sozialistengesetz". Die Mitgliederzahlen der Gewerkschaften wachsen daraufhin rasch. Große Zentralverbände werden gebildet. Die Gewerkschaftslandschaft weist zu dieser Zeit eine Dreiteilung auf: die sozialistisch geprägten Freien Gewerkschaften, die liberalen Hirsch-Dunckerschen Gewerkvereine und die christlichen Gewerkschaften. Daneben gibt es eine Vielzahl von Verbänden, die sehr stark fach- bzw. berufsbezogen sind - z.B. für Kindergärtnerinnen, Dentisten oder Fleischbeschauer. Zu diesen kann auch der 1904 gegründete Verband "Konditionierender Apotheker" gerechnet werden, dem nur angestellte Apotheker angehören durften. Für Frauen ist die politische und damit auch die gewerkschaftliche Tätigkeit endlich auch ab 1908 durch das Reichsvereinsgesetz erlaubt.

Burgfrieden: Gewerkschaften im 1. Weltkrieg

1913 sind in Deutschland über 2,5 Millionen Arbeitnehmer gewerkschaftlich organisiert. Für rund 218000 überwiegend kleine und mittlere Betriebe sind fast 13500 Tarifverträge abgeschlossen. Trotzdem ist die Koalitionsfreiheit noch nicht vollständig erreicht: Das Verteilen von Flugblättern sowie Streikpostenstehen werden immer noch strafrechtlich verfolgt. Dazu der Sozialreformer Lujo Brentano: "Die Arbeiter haben das Koalitionsrecht. Doch wenn sie davon Gebrauch machen, werden sie bestraft."

Mit dem Ausbruch des 1. Weltkriegs verändert sich schlagartig die Position der Gewerkschaften. Um die Kriegswirtschaft aufrechtzuerhalten, schließen die Arbeitgeber mit ihnen ein Stillhalteabkommen, den sogenannten Burgfrieden. Als Zugeständnisse an die Arbeitnehmer werden Arbeiter- und Angestelltenausschüsse sowie Schlichtungsausschüsse eingesetzt.

Weimarer Republik: Gewerkschaften als gleichberechtigte Tarifpartner

Die Novemberrevolution 1918 bringt weitere Durchbrüche für die Gewerkschaften. Sie werden in der Weimarer Verfassung als gleichberechtigte Tarifpartner anerkannt. Außerdem wird der Acht-Stunden-Tag eingeführt. Die Tarifvertragsverordnung vom Dezember 1918 sieht in § 1 vor, dass von tariflich festgelegten Bedingungen nur zugunsten des Arbeitnehmers abgewichen werden darf. 1919 schließt der "Verband deutscher Apotheker" den ersten Tarifvertrag mit dem "Deutschen Apotheker-Verein".

Bis Anfang der 20er-Jahre kommt es zu einem hohen Mitgliederzuwachs in den Gewerkschaften. Doch die Inflation von 1923 und die Weltwirtschaftskrise von 1929 schwächen die Gewerkschaftsbewegung stark. So kann 1930 die Brüningsche Notverordnung, die gravierende Einbußen bei Löhnen und Gehältern vorsieht, ohne Arbeitskämpfe durchgesetzt werden. Auch der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten wird wenig Widerstand entgegengesetzt.

Zeit des Nationalsozialismus: Auflösung und Widerstand

Am 2. Mai 1933 werden die Gewerkschaftshäuser von der SA besetzt. Das Gewerkschaftsvermögen wird aufgelöst, viele Funktionäre verhaftet. Gewerkschaften, die sich noch nicht selbst aufgelöst haben, werden in die "Deutsche Arbeitsfront" überführt, der auch die Arbeitgeber angehören. Andere Organisationen sind nicht erlaubt. Aus der Arbeiterbewegung beteiligen sich viele am Widerstand, nehmen Freiheitsstrafen auf sich oder werden sogar ermordet.

Wiederaufbau nach dem Krieg

Noch vor Kriegsende werden in den von den Alliierten befreiten Gebieten erste Gewerkschaften neu gegründet. Doch der Wiederaufbau ist schwierig, u.a. wegen der desolaten wirtschaftlichen Lage. Aber auch die Besatzungsmächte verzögern den Aufbau aus Angst vor "kommunistischen Bestrebungen". In der sowjetischen Besatzungszone organisiert sich eine einheitliche "freie Gewerkschaft" mit Fachgruppen - der FDGB. In den drei westlichen Zonen werden dagegen Industriegewerkschaften nach dem Prinzip "Ein Betrieb - eine Gewerkschaft" gebildet. Eine einheitliche Arbeitnehmervertretung scheitert an Differenzen zwischen dem DGB und der DAG. Das Grundgesetz von 1949 garantiert die Koalitionsfreiheit, die zwischen 1946 und 1949 erlassenen Länderverfassungen auch das Streikrecht. Am 9. April 1949 tritt das Tarifvertragsgesetz (TVG) in der heutigen Form in Kraft. Es gilt aber zunächst nur in der amerikanischen und der britischen Zone. Erst vier Jahr später gibt es ein einheitliches Tarifrecht für Westdeutschland, das die Grundlagen des Tarifsystems regelt. Die 50er- und 60er-Jahre sind geprägt vom Kampf für die 40-Stunden-Woche und die 5-Tage-Woche: 1956 läuft zum Beispiel die erste DGB-Kampagne "Samstags gehört Vati mir".

BVA: Tarifpartner der Apothekenleiter

1949 wird die "Tarifgemeinschaft angestellter deutscher Apotheker" als gewerkschaftliche Kraft im Apothekenbereich gegründet. Später werden hier auch Assistenten und Helfer als Mitglieder aufgenommen. 1954 tritt der "Bundesverband der Angestellten in Apotheken" die Nachfolge der Tarifgemeinschaft an. Trotz der Bezeichnung "Bundesverband" werden bis 1963 die Geschäfte dezentral in den einzelnen Landesgruppen geführt, die in Anlehnung an die Bezirke der Apothekerkammern eingerichtet wurden.

1964 Zentralisierung in Hamburg

Erst 1964, zehn Jahre nach der Gründung des BVA, wird die BVA-Hauptgeschäftsstelle in Hamburg eröffnet. Von dort aus wird nun die Verwaltung zentral geführt. Die Mitglieder werden durch den Informationsbrief "Der Mitarbeiter" informiert - einen Vorläufer des jetzigen "BVA-Spektrum". Die "Mitarbeiterversammlungen" finden in den 60er-Jahren auf den Apothekertagen statt.

Die Tarifgemeinschaft der Apothekenleiter, der damalige Tarifpartner des BVA, stellt anlässlich des zehnjährigen BVA-Bestehens fest: "Die Chronik der Tarifverträge beweist, mit welchem Einsatz sich der Vorstand des BVA für die Belange der Mitarbeiter in echtem akademischen Geist verwendet hat. Der Bundesvorstand hat seine Aufgabe stets erfüllt und ist damit zu einem Pfeiler der Standespolitik geworden." Soviel Lob von Arbeitgeberseite deutet schon darauf hin, dass die Abschlüsse in den 60er-Jahren alles andere als üppig ausfallen: 1969 sieht der Tarifvertrag für Approbierte im ersten Berufsjahr ein Gehalt von 1320 DM vor. Helfer bekommen 400 DM monatlich.

Gehälter: Apotheken hinken anderen Branchen hinterher

In den 70er-Jahren wird erstmals eine Apothekenhelferin in den Bundesvorstand des BVA gewählt, Ende der Siebziger wird die erste PTA Vorstandsmitglied. Jede Berufsgruppe hat dort nun mindestens eine VertreterIn. Von 1974 bis 1986 leitet Irmgard Engelke als Vorsitzende die Geschicke des BVA.

Mindestens seit den 70er-Jahren gilt: Die Gehälter von Helferinnen liegen deutlich unter denen im Einzelhandel. Auch Approbierte verdienen weniger als vergleichbare andere Akademiker. Ein Problem, das bis heute nicht befriedigend gelöst werden konnte: Auch jetzt noch wird im Apothekenbereich schlechter bezahlt als in vergleichbaren Branchen.

In den 80er-Jahren verbessern sich allmählich die tariflichen Bedingungen im Apothekenbereich: Die Arbeitszeit wird zunächst auf 39, dann auf 38 Stunden verkürzt. Im Rahmen seines berufspolitischen Engagements beteiligen sich Vertreterinnen des BVA an der Änderung der Approbationsordnung und der Neuordnung des Berufsbildes der Apothekenhelferin.

Neue Herausforderungen durch die Wiedervereinigung

Mit der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten steigt 1990 die Mitgliederzahl im BVA erheblich an. Neue Berufsgruppen - z.B. die Pharmazie-Ingenieure (PI) - kommen dazu. In den neuen Bundesländern werden Landesgruppen des BVA gebildet, um den Mitgliedern Service und Beratung vor Ort zu geben. Das Tarifniveau liegt zunächst bei 60 Prozent der Westgehälter. Erst ab 1998 gelten in West und Ost - mit Ausnahme der PI - die gleichen Tarifbedingungen.

Der Service und die berufs- sowie gesundheitspolitischen Aktivitäten des BVA nehmen in den 90er-Jahren deutlich zu. Das ist nicht zuletzt das Verdienst von Magdalene Linz, die von 1989 bis März 2000 den Vorsitz des BVA mit viel Engagement innehat. Ein Beispiel: Der BVA wird im Frühjahr 2000 als Sachverständiger in den Gesundheitsausschuss des Bundestages berufen. Die jetzige BVA-Vorsitzende Monika Oppenkowski geht den Kurs ihrer Vorgängerin weiter. Denn der BVA sieht seine Rolle nicht allein als starker Tarifpartner für die Apothekenleiter, sondern auch in der Mitgestaltung einer Gesundheitspolitik, die dem Wohl des Patienten dient.

Quellen: Wolfgang Abendroth, Die deutschen Gewerkschaften. Franz Lepinski, Die Gewerkschaftsbewegung in Deutschland, 1959. BVA-Spektrum III und IV/1999 und Archiv. DGB, Broschüre "Bewegte Zeiten"

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