Arzneimittel und Therapie

Akute Koronarsyndrome: Abciximab bei Patienten ohne frühe Koronarintervention n

Patienten mit akutem Koronarsyndrom profitieren davon, wenn sie zusätzlich zur Basistherapie parenteral mit einem Glykoprotein-IIb/IIIa-Hemmer behandelt werden. Diesen Schluss zog man aus mehreren großen klinischen Studien. Praktisch das Gegenteil ergab die kürzlich veröffentlichte GUSTO-IV-ACS-Studie: Hier war Abciximab bei Patienten mit akutem Koronarsyndrom ohne frühe Koronarintervention nicht wirksamer als Plazebo.

Bei der Entstehung akuter Koronarsyndrome spielen nach heutigem Kenntnisstand Plättchenaggregation und Thrombose eine wichtige Rolle. In der Behandlung werden zusätzlich zu Acetylsalicylsäure und Heparin inzwischen Substanzen aus der Klasse der Glykoprotein(GP)-IIb/IIIa-Hemmer eingesetzt, die die gemeinsame Endstrecke der Thrombozytenaggregation hemmen.

GP-IIb/IIIa-Hemmer zeigten in mehreren großen Studien an Patienten mit akuten Koronarsyndromen günstige Effekte: Sie reduzierten die Komplikationsrate perkutaner Koronarinterventionen und verringerten das Risiko von Herzinfarkten und Todesfällen. Den größten Nutzen hatten GP-IIb/IIIa-Hemmer bei Patienten, die sich einer frühen perkutanen Koronarintervention unterzogen.

Wirkung bei akutem Koronarsyndrom

In der GUSTO-IV-ACS-Studie wurde die Wirkung des GP-IIb/IIIa-Hemmers Abciximab (ReoPro) bei Patienten mit einem akuten Koronarsyndrom und ohne frühe Revaskularisation untersucht. Als akutes Koronarsyndrom galt eine Ruheangina von mindestens 5 Minuten Dauer. Zusätzlich musste eine ST-Streckensenkung von mindestens 0,5 mm und/oder ein positiver Troponin-T- oder -I-Test vorliegen.

Die Studie erfasste 7800 Patienten an 458 Kliniken in 24 Ländern. Die Patienten bekamen randomisiert:

  • Plazebo als Bolus und 48-stündige Infusion (n = 2598)
  • Abciximab als Bolus und 24-stündige Infusion, gefolgt von einer 24-stündigen Plazebo-Infusion (n = 2590)
  • Abciximab als Bolus und 48-stündige Infusion (n = 2612)

Alle bekamen zusätzlich Acetylsalicylsäure und Heparin - die meisten unfraktioniertes und nur die Teilnehmer einer Substudie niedermolekulares Heparin. Als Begleitmedikation wurden Betablocker empfohlen. Über weitere Herzmedikamente entschied der behandelnde Arzt. Primärer Endpunkt waren sämtliche Todesfälle und Herzinfarkte innerhalb von 30 Tagen nach der Randomisierung. Die Daten wurden in einer Intention-to-treat-Analyse ausgewertet.

Die meisten Patienten nahmen in West- (47%) und Osteuropa (31%) teil. Das Durchschnittsalter lag bei 65 Jahren. Der Anteil der Frauen betrug 38%. Die Mehrheit litt bereits an einer koronaren Herzkrankheit. 31% der Patienten hatten zuvor einen Herzinfarkt erlitten und 16% hatten sich schon einmal einer Revaskularisation unterzogen.

Frühe Revaskularisation konnte vermieden werden

Wie geplant, konnte eine frühe Revaskularisation während der Gabe der Studienmedikamente weitgehend vermieden werden: Eine perkutane Koronarintervention fand nur bei 1,6% der Patienten und eine Bypassoperation bei 0,3% der Patienten statt. Die meisten Patienten der Plazebo-Gruppe, bei denen eine frühe perkutane Koronarintervention notwendig wurde, erhielten dann Abciximab.

Innerhalb von 30 Tagen erlitten in allen drei Behandlungsgruppen etwa genauso viele Patienten einen Herzinfarkt oder starben:

  • 209 (8,0%) mit Plazebo,
  • 212 (8,2%) mit 24-stündiger Abciximab-Infusion,
  • 238 (9,1%) mit 48-stündiger Abciximab-Infusion.

Der kombinierte Endpunkt aus Herzinfarkt oder Tod war auch nach 48 Stunden und nach sieben Tagen in allen drei Gruppen gleich häufig. Revaskularisationen wurden in allen drei Gruppen gleich häufig durchgeführt.

Besonders häufig waren Herzinfarkte und Todesfälle in folgenden Risikogruppen:

  • ältere Patienten,
  • Patienten mit ST-Streckensenkung,
  • Patienten mit erhöhter kardialer Troponin-Konzentration,
  • Diabetiker.

Keine dieser Subgruppen zog einen signifikanten Nutzen aus der Abciximab-Behandlung.

Die Blutungsraten waren insgesamt niedrig. Mit Abciximab, besonders mit der 48-stündigen Infusion, waren sie erhöht, und zwar unabhängig davon, ob fraktioniertes oder niedermolekulares Heparin verwendet wurde. Eine Thrombopenie trat bei 1,5% der Patienten unter Abciximab auf.

Enttäuschendes Ergebnis

Die GUSTO-IV-ACS-Ergebnisse besagen, dass Abciximab als Ersttherapie bei akutem Koronarsyndrom keinen Nutzen hat. Die Ergebnisse überraschen, weil andere große randomisierte Studien den Nutzen für Abciximab bei Koronarinterventionen und für andere GP-IIb/IIIa-Hemmer bei akutem Koronarsyndrom eindeutig nachgewiesen haben.

Folgende Besonderheiten dieser Studie könnten zu ihrem enttäuschenden Ergebnis geführt haben:

  • Die Ereignisrate war mit 8% insgesamt niedriger als erwartet (11%). Dies kann unter anderem mit dem relativen hohen Frauenanteil dieser Studie zusammenhängen.
  • Möglicherweise wurde die angestrebte über 80%ige Hemmung der Plättchenaggregation nicht bei allen Patienten über die gesamte Infusionsdauer erreicht. Von der Langzeitbehandlung mit oralen GP-IIb/IIIa-Hemmern ist sogar ein erhöhtes Risiko von Herzinfarkten und Todesfällen bekannt. Wahrscheinlich kommt es bei unvollständiger Blockade der Thrombozytenrezeptoren paradoxerweise zu einer Thrombozytenaktivierung.

Insgesamt sprechen die Studien zur parenteralen Gabe von Glykoprotein-IIb/IIIa-Inhibitoren nach wie vor für eine Anwendung bei akutem Koronarsyndrom, besonders wenn Koronarinterventionen erwogen werden.

Kastentext: Dosierung von Abciximab

Bolus von 0,25 mg/kg Körpergewicht, gefolgt von einer 24- oder 48-stündigen Infusion von 0,125 µg/kg Körpergewicht pro Minute mit einem Maximum von 10 µg pro Minute

Literatur [1] The GUSTO-IV-ACS Investigators: Effect of glycoprotein IIb/IIIa receptor blocker abciximab on outcome in patients with acute coronary syndromes without early coronary revascularisation: the GUSTO IV-ACS randomised trial. Lancet 357, 1915 - 1924 (2001). [2] Cohen, M.: Glycoprotein IIb/IIIa receptor blockers in acute coronary syndromes: Gusto-IV-ACS. Lancet 357, 1899 - 1900 (2001).

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