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- DAZ 40/2001
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Berichte
Rund um Oberstdorf
Die Gemeinde Tiefenbach, Ausgangspunkt unserer Exkursion, gehört seit 1972 zu Oberstdorf und liegt am westlichen Rand des Oberstdorfer Talkessels, am Südhang des 1179 Meter hohen Ochsenberges. Schon im Mittelalter war Tiefenbach für seine Schwefelquellen berühmt, deren heilende Wirkung bei einer Vielzahl von Gebrechen zum Einsatz kam. Umgeben von dem einzigartigen Bergpanorama grenzt der Ort an die Breitachklamm, die als eines der schönsten Naturwunder der deutschen Alpen gilt. Die abwechslungsreichen Landschaftsformen, die von flachmoorigen Nasswiesen bis zu hochalpinen Gebirgslagen reichen, bieten ideale Bedingungen für eine vielfältige, artenreiche Flora mit zahlreichen pharmazeutisch relevanten Pflanzen.
Gewinnung und Anwendung von Latschenkiefernöl
Am ersten Exkursionstag besichtigten wir die Latschenkiefer-Brennerei der Firma Allga-Pharma in Sonthofen. Die Gewinnung des Latschenkiefernöls erfolgt dort in einer der größten und modernsten Wasserdampfdestillationsanlagen Europas, die in einem geschlossenen Energiekreislauf arbeitet. Das bei der Destillation übrig gebliebene Pflanzenmaterial wird in einem Bioflammprozess vergast und heizt die Destillationsanlage, sodass auf die Verbrennung fossiler Energieträger komplett verzichtet werden kann. Die Asche dient als guter Dünger für die heranwachsenden jungen Latschenkiefern. Vor der Destillation werden die frischen Nadeln, jüngeren Äste und Zweigspitzen der Latschenkiefer (Pinus mugo, Pinaceae) zerkleinert. In der Destillationsblase wird das Material von oben nach unten vom Wasserdampf durchströmt, wobei das ätherische Öl einer wesentlich geringeren thermischen Belastung ausgesetzt ist als bei der herkömmlichen aufsteigenden Destillationsmethode. Als Resultat erhält man ein qualitativ sehr hochwertiges Latschenkiefernöl, das in seiner Zusammensetzung nahezu dem nativen ätherischen Öl der Pflanze entspricht. Es besteht zu 70% aus Monoterpen-Kohlenwasserstoffen; die restlichen Bestandteile sind Sesquiterpen-Kohlenwasserstoffe, oxidierte Mono- und Sesquiterpene, Phenylpropane und einfache aliphatische Kohlenwasserstoffe. Die Hauptsubstanzen sind •-/≠- Pinen, Ę3-Caren, ≠-Phellandren und Limonen. Arzneilich findet Pini pumilionis aetheroleum Anwendung zur Inhalation bei chronischer Bronchitis und unspezifischen Affektionen der Luftwege sowie als durchblutungsfördernde Einreibung bei rheumatischen und neuralgischen Beschwerden. Auch in vielen kosmetischen Körperpflegemitteln sind Latschenkiefernöle enthalten. Unter der Leitung von Apothekerin Vollmann und Frau Böhme machten wir uns nach der informativen Firmenbesichtigung auf den Weg zu der ca. 1000 Meter hochgelegenen firmeneigenen Latschenkiefernplantage auf dem Rottachberg. Durch die Kultivierung der in Deutschland unter Naturschutz stehenden Latschenkiefer sichert sich die Firma die Versorgung mit dem Material. Auch Allgäuer Landwirte kultivieren die Latschenkiefer auf einer Fläche von ca. 200 ha im Vertragsanbau unter strengen ökologischen Gesichtspunkten. Abgesehen vom Naturschutz liegt ein Vorteil des Anbaus in der Auswahl des Zuchtmaterials, sodass eine gleichbleibende Wirkstoffqualität gewährleistet werden kann.
Alpenpflanzen in der Volksmedizin
In der Umgebung der Latschenkiefernplantage erhielten wir einen ersten Eindruck von der alpinen Pflanzenwelt. Auf einer dem Rottachberg vorgelagerten Feuchtwiese wuchsen Exemplare des Zottigen Klappertopfes (Rhinanthus alectorolophus, Scrophulariaceae), der Kuckuckslichtnelke (Lychnis flos-cuculi, Caryophyllaceae) und der Bach-Nelkenwurz (Geum rivale, Rosaceae). Der Wiesen- und Wegesrand wurde gesäumt von Eisenhutblättrigem Hahnenfuß (Ranunculus aconitifolius, Ranunculaceae), Ähriger Teufelskralle (Phyteuma spicatum, Campanulaceae), Hornklee (Lotus corniculatus, Fabaceae) und Acker-Witwenblume (Knautia arvensis, Dipsacaceae). Bei vielen Pflanzen erklärte uns Professor Reichling deren traditionelle und heutige Verwendung. So dozierte er über das Kleinblütige Weidenröschen (Epilobium parviforum, Oenotheraceae), volksmedizinisch verwendet bei benigner Prostatahyperplasie, den Spitzwegerich (Plantago lanceolata, Plantaginaceae), der aufgrund seines Schleim-, Gerbstoff- und Aucubin-Gehalts zur Reizlinderung bei Katarrhen der oberen Luftwege angewendet wird, den Quell-Ehrenpreis (Veronica beccabunga, Scrophulariaceae), der ebenfalls Aucubin, Bitter- und Gerbstoffe enthält, den Gemeinen Frauenmantel (Alchemilla vulgaris, Rosaceae) und das Aufrechte Fingerkraut (Potentilla erecta, Rosaceae), die als Gerbstoffdrogen Alchemillae herba bzw. Tormentillae rhizoma u.a. aufgrund ihrer adstringierenden Wirkung bei Schleimhautentzündungen im Mund- und Rachenraum und innerlich als Antidiarrhoikum eingesetzt werden. Direkt neben Potentilla erecta wuchs Polygonum bistorta (Polygonaceae), die Schlangenwurz, deren etwas hellere Rhizome als Verfälschung von Tormentillae rhizoma auftreten können. In einem wunderschön bunt blühenden Halbtrockenrasen dominierten der weiß bis rosa blühende Schlangenknöterich und intensiv gelb gefärbte Hahnenfuß-Arten. Darin eingestreut standen zwei Orchideenarten: Geflecktes Knabenkraut (Dactylorhiza maculata) und die Zweiblättrige Waldhyazinthe (Platanthera bifolia), die besonders stark bei Nacht duftet und dadurch Nachtschmetterlinge zur Bestäubung anlockt. Zudem fanden sich Exemplare des Gold-Pippaus (Crepis aurea, Asteraceae) und der Kugeligen Teufelskralle (Phyteuma orbiculare). Nach dem Abstieg ins Tal gingen wir zu einer Schwingmoor-Wiese mit einem üppigen Bestand des Dreiblättrigen Fieberklees (Menyanthes trifoliata, Menyanthaceae), dessen Standorte mittlerweile seltener geworden sind. Durch seinen hohen Gehalt an Bitterstoffen in der Wurzel und den Blättern wird bzw. wurde die Pflanze als appetitanregendes Stomachikum eingesetzt. Am Morgen des zweiten Exkursionstages gingen wir zum 1407 Meter hoch gelegenen Riedbergpass und von dort in Richtung Riedberger Horn (1787 m). Die vor uns liegenden Hänge leuchteten in einer gelb-weißen Blütenpracht, die bei näherer Betrachtung von zwei Hahnenfußgewächsen bestimmt wurde: von der Sumpfdotterblume (Caltha palustris) und dem Eisenhutblättrigen Hahnenfuß (Ranunculus aconitifolius). Auf einer Feuchtwiese entdeckten wir das winzige Sumpfstiefmütterchen (Viola palustris, Violaceae) und den Kriechenden Günsel (Ajuga reptans, Lamiaceae). Neben Ranunculus montanus fielen die an vielen Stellen wachsenden großen Blätter der Pestwurz (Petasites hybridus, Asteraceae) ins Auge, deren Name an die frühere Verwendung als Pestheilmittel erinnert. Heute werden Extrakte Pyrrolizidinalkaloid-freier Züchtungen erfolgreich in der Migräne-Therapie eingesetzt. Mit zunehmenden Höhenmetern wandelte sich die Flora. Nun fanden wir erste Enzian-Arten (Gentianaceae): Während Gentiana clusii und G. vernalis leuchtend blau blühen, ist die Krone von G. punctata blassgelb gefärbt und mit mehr oder weniger deutlichen braun-violetten Punkten versehen. Anhand der wechselständigen Blattstellung konnten wir den Weißen Germer (Veratrum album, Liliaceae) auch im nicht erblühten Zustand sicher von dem arzneilich und als Genussmittel verwendeten Gelben Enzian (Gentiana lutea; auf den Etiketten von Enzianschnäpsen erscheinen jedoch die dekorativeren blau blühenden Enziane) mit seinen gegenständigen Blättern unterscheiden. Veratrum album wird volkstümlich auch als Nieswurz bezeichnet; da Helleborus niger, Ranunculaceae, ebenfalls unter diesem Namen bekannt ist, kann es schnell zu Verwechslungen zwischen diesen beiden "Giftpflanzen" kommen. Charakteristisch für beide Arten ist die geringe therapeutische Breite ihrer hochwirksamen Inhaltsstoffe, der herzwirksamen Glykoside in Helleborus und der Steroidalkaloide in Veratrum. In großes Verzücken geriet Professor Reichling bei dem Fund der letzten noch blühenden Troddelblumen (Soldanella alpina, Primulaceae), die auch als Echte Alpenglöckchen bezeichnet werden. Sie entfalten ihre zarten blau-violetten Blüten schon zu Beginn des Bergfrühlings am Rande der schmelzenden Schneedecke und sind oft bereits bis Ende Juni verblüht. Auch die Mehlprimel (Primula farinosa, Primulaceae), den Alpenhelm (Bartsia alpina, Scrophulariaceae) und das insektivore Fettkraut (Pinguicula vulgaris, Lentibulariaceae) fanden wir unterhalb des Riedberger Horns. In einer Feuchtwiese dominierte optisch Scheuchzers Wollgras (Eriophorum scheuchzeri, Cyperaceae) mit seinen wolligen Haarbüscheln. Inmitten von zahlreichen, üppig blühenden Knabenkräutern bildeten die niederliegenden Pflänzchen des Rundblättrigen Sonnentaus (Drosera rotundifolia, Droseraceae) das "Highlight" des Tages. Mit dem klebrigen Sekret der Drüsenhaare auf seinen Blättern lockt der Sonnentau kleine Insekten an, die dort kleben bleiben und durch eine pepsinähnliche Substanz verdaut werden. Sonnentaukraut kommt in Hustenpräparaten zur Anwendung.
Eine ökologische Käserei
Nach diesen zwei herrlichen sonnigen Tagen, die geprägt waren vom intensiven Botanisieren in der phantastischen Bergwelt der Alpen, aber auch von der netten Atmosphäre und besten Versorgung in unserer Unterbringung, fiel allen am Morgen des dritten Tages der Abschied schwer. Zum Ausklang unserer Exkursion fuhren wir zu einer kleinen Käserei in Tiefenbach bei Sonthofen. Der Bauernhof mit ehemals konventionell betriebener Milchviehwirtschaft wurde vor nicht allzu langer Zeit in einen unter ökologischen Gesichtspunkten arbeitenden Bioland-Betrieb umgewandelt. Wir bekamen einen ausführlichen Einblick in die Milchverarbeitung und Käseherstellung, ein traditionelles Handwerk, das schon immer auf biotechnologischen Prozessen beruhte. Mit eigenem Gaumen durften wir uns von der Unterschiedlichkeit der einzelnen Käsesorten überzeugen. Beladen mit vielen neuen botanischen Eindrücken, wunderschönen Naturerlebnissen, unzähligen Fotos und nicht zuletzt dem leckeren Käse traten wir nach drei ausgefüllten Exkursionstagen die Heimreise nach Heidelberg an. An dieser Stelle möchten wir Frau Vollmann und der Firma Allga-Pharma noch einmal ganz herzlich für die exzellente Unterbringung in den Appartements eines Vier-Sterne-Sporthotels und Herrn Prof. Reichling für die Führung danken.
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