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Arzneimittel und Therapie
Chronische Hepatitis B: Adefovir-Dipivoxil bei Lamivudin-resistenter Hepatitis
Etwa 5% der Weltbevölkerung sind chronisch mit dem Hepatitis-B-Virus (HBV) infiziert, darunter auch viele HIV-Positive. HBV/HIV-1-Koinfizierte haben eine besonders schlechte Prognose: HIV-1 erhöht das Risiko für eine durch das Hepatitis-B-Virus verursachte Leberzirrhose. Andererseits verkürzt die HBV-Infektion die Lebenserwartung der HIV-Infizierten.
Lamivudin-resistente HBV-Stämme
Sowohl HIV-Infektion als auch HBV-Infektion können mit Lamivudin (Epivir, Zeffix) behandelt werden. Das Nucleosidanalogon hemmt die Vermehrung der Hepatitis-B-Viren zunächst bei über 80% der Infizierten, und zwar unabhängig davon, ob zusätzlich eine HIV-Infektion vorliegt. Allerdings kommt es im Verlauf der Behandlung durch eine Mutation im HBV-DNA-Polymerase-Gen zunehmend zu Lamivudin-resistenten Hepatitis-B-Viren. Für Lamivudin-resistente HBV-Stämme fehlt bislang eine wirksame Behandlung. Das Nucleotidanalogon Adefovir-Dipivoxil kann diese Lücke möglicherweise füllen. Es ist wirksam gegen ein breites Virenspektrum, darunter Hepadnaviren sowie HIV-1 und HIV-2. In vitro und in vivo wirkt es sowohl gegen Wildtyp- als auch gegen Lamivudin-resistente HBV.
Anhaltende antivirale Wirksamkeit gegen Lamivudin-resistente HBV-Stämme
In einer offenen Pilotstudie an einer Pariser Klinik wurde eine Lamivudin-resistente HBV-Infektion bei HIV-1-Infizierten mit einmal täglich 10 mg oralem Adefovir-Dipivoxil 48 Wochen lang behandelt. Alle vier Wochen wurden die Patienten auf Wirksamkeit und Sicherheit der Behandlung untersucht. Bei allen Patienten war seit mindestens einem halben Jahr vor Studienbeginn trotz Lamivudin-Therapie HBV-DNA im Serum nachweisbar. Alle nahmen im Rahmen ihrer HIV-Behandlung weiterhin zweimal täglich 150 mg Lamivudin ein. 34 Männer und eine Frau nahmen teil. Sie waren durchschnittlich 41 Jahre alt. Vier Teilnehmer brachen die Behandlung vorzeitig ab, davon zwei wegen Nebenwirkungen. Die übrigen 31 nahmen Adefovir-Dipivoxil im Mittel 48 Wochen lang ein.
Unter der Behandlung sank die HBV-DNA-Serumkonzentration bei allen Teilnehmern, und zwar von durchschnittlich 8,64 log Genomkopien pro ml zu Beginn um 3,4 log Genomkopien pro ml nach 24 Wochen und um 4,01 log Genomkopien pro ml nach 48 Wochen. Bei Therapieunterbrechung (ein Patient) oder Therapieabbruch (vier Patienten) stieg die HBV-DNA-Serumkonzentration erneut. Zwei Patienten mit anhaltend niedriger HBV-DNA-Serumkonzentration hatten eine Serokonversion von HBeAg zu Anti-HBe, der eine in der 32. und der andere in der 36. Behandlungswoche.
Gute Verträglichkeit von Adefovir-Dipivoxil
Adefovir-Dipivoxil wurde gut vertragen. Kein Patient erlitt eine dekompensierte Lebererkrankung. Bei 15 Patienten war die Alaninaminotransferase-Serumkonzentration vorübergehend auf mehr als das Doppelte des Ausgangswertes erhöht. Die Erhöhungen gingen in keinem Fall mit klinischen Symptomen oder signifikanten Veränderungen anderer Leberfunktionsparameter einher. Die Werte normalisierten sich nach vier bis zwölf Wochen. Bei zwei Patienten stieg die Kreatinin-Serumkonzentration um mehr als 44 µmol/l über den Ausgangswert.
In der niedrigen Tagesdosis von 10 mg scheint Adefovir-Dipivoxil gut vertragen zu werden. In früheren Studien wirkte die langfristige Einnahme von täglich 30, 60 oder 120 mg Adefovir-Dipivoxil leicht nephrotoxisch. In dieser Studie kam es nur bei einzelnen Patienten mit zusätzlichen potenziell nephrotoxischen Medikamenten (Indinavir, Aciclovir) zu einer erhöhten Kreatinin-Serumkonzentration. In der niedrigen Dosierung hatte Adefovir-Dipivoxil keinen Einfluss auf die HIV-Replikation oder die Entwicklung von HIV-Mutationen. Möglicherweise ist für eine vollständige, anhaltende Hemmung der Virusvermehrung und für eine HBeAg-Serokonversion eine noch längere Behandlung erforderlich.
Kastentext: Adefovir-Dipivoxil: ein Nukleotidanalogon
Adefovir-Dipivoxil (bis-POM PMEA), die oral applizierbare Vorstufe von Adefovir (PMEA), ist ein azyklisches Nukleotidanalogon, das zur Klasse der antiretroviralen Substanzen gehört, die als nukleotidanaloge Reverse-Transkriptase-Hemmer (NTRTI) bezeichnet werden. Diese Substanzen hemmen die viruseigene Reverse Transkriptase, eine RNA-abhängige DNA-Polymerase. Die zur Replikation von Retroviren erforderliche Umschreibung der genetischen Information von RNA in DNA wird dadurch blockiert, wodurch es zu einem Kettenabbruch kommt.
Im Gegensatz zu Nukleosidanaloga sind Nukleotidanaloga bereits mit einer Phosphatgruppe ausgestattet, müssen also nur noch zweimal statt dreimal intrazellulär phosphoryliert werden. In Zellkultur und in klinischen Studien zeigte Adefovir-Dipivoxil Wirksamkeit nicht nur gegen HIV, sondern auch gegen das Zytomegalie- (CMV) und das Hepatitis-B-Virus (HBV). Adefovir-Dipivoxil besitzt eine lange intrazelluläre Halbwertszeit, die eine einmal tägliche Dosierung möglich macht. Neben renalen können auch gastrointestinale Symptome als Nebenwirkungen der Therapie auftreten.
Literatur Benhamou, Y., et al.: Safety and efficacy of adefovir dipivoxil in patients co-infected with HIV-1 and lamivudine resistant hepatitis B Virus. Lancet 358, 718 - 723 (2001).
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