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Tatort-Drehtag in der Apotheke: Wenn das Labor zum Tagescafe wird
Kurz nach drei Uhr nachmittags ist es soweit: Mit etwa 20 Fahrzeugen besetzt der Wagentross des Südwestrundfunks die schon Tage zuvor weiträumig abgesperrten Parkplätze rund um die Apotheke. Eine kaum überschaubare Menschenmenge drängt sich in die Apotheke, insgesamt mehr als 30 Personen verteilen sich in fast allen Räumen, legen überall Taschen, Kamerateile, Schminkutensilien oder Requisiten ab. Wo man auch hinschaut, lauter unbekannte, phantasievoll gekleidete Männer und Frauen.
Auch die Verpflegung ist wichtig: Der "Catering-Chef" trägt ein riesiges Tablett vor sich her, gefüllt mit Mars-, Snickers- oder sonstigen Riegeln. Das Labor verwandelt sich in ein Tagescafé, die Crew braut sich mit der mitgebrachten fernseheigenen Kaffeemaschine aufmunternde Getränke und trinkt aus eigenen Bechern und Tassen. Der Pharmazierat möge die nicht in der Apothekenbetriebsordnung vorgesehene Labornutzung verzeihen, es war einfach kein anderer Platz denkbar.
Draußen am Eugensplatz, grau im schmuddeligen November-Design, wird das Kamerateam erst einmal nass geregnet. Die erste Szene wird abgedreht: Eine junge blonde Frau, eine Komparsin, soll aus der Apotheke herauskommen. Sieben Mal muss die Szene wiederholt werden, ein Vorgeschmack auf die Dauer der Dreharbeiten im Inneren der Apotheke.
Inzwischen hat sich "Kommissar Bienzle", Dietz Werner Steck, in der Apotheke umgesehen. "Wir haben noch nie eine Tatortszene in einer Apotheke gedreht, das ist das erste Mal", bemerkt er und scheint sich bei uns wohl zu fühlen. Vor dem Regal, in dem die Weleda-Dilutionen aufbewahrt werden, bleibt er nachdenklich stehen. "Wenn ich die Fläschchen alle auf einmal austrinke, dann bin ich tot", stellt er fest. Ich kläre ihn auf: "Tot nicht, aber besoffen." Darauf kommt der Schauspieler aus ihm heraus: Er fängt an zu torkeln und sucht bei mir festen Halt, klammert sich an mir fest. Diese Szene wird allerdings im "Tatort" nicht zu sehen sein.
Schweres Gerät wird in die Apotheke getragen, der Wagen für die Aufnahmekamera wiegt über 130 Kilo, erfahren wir. In der Offizin wird es gleißend hell, das Licht kommt von einem Scheinwerfer, der von außen durch das Schaufenster hereinstrahlt. Wann kommt endlich die "Kollegin"? Ihr Arbeitsmantel hängt schon auf einem Bügel, kräftiger Baumwollköper, zwei große Taschen zum Hände-hinein-Stecken, eine Brusttasche, Größe 38. Praktisch, aber nicht der letzte Schick.
Unsere "Kollegin", sie kommt. Schlank, dunkelhaarig, gepflegt. Sonja Brandstätter heißt sie im Film, gespielt von der Schauspielerin Ursula Maria Schmitz. Der weiße Kittel passt ihr gut und sieht gar nicht einmal schlecht aus.
Vorne in der Offizin wird gefilmt werden. Bienzle wird die Kollegin als Zeugin verhören wollen, sie möchte aber in der Apotheke nicht aussagen und wichtige Arbeiten vorschieben, die sie noch erledigen muss. Jetzt ist unser Rat gefragt, wir dürfen vorschlagen, wie wichtige Arbeiten aussehen könnten. Schließlich erhält Kollegin Sonja ein kleines Tablett mit einem Stoß von Rezepten darauf. Sie geht mit dem Tablett zu den Schubladen und "stellt die Medikamente auf die Rezepte". Dabei nimmt sie einfach irgendeine Packung wahllos aus der Schublade, wir sind ja im Film und nicht im Leben. Wir zeigen ihr den Platz, wo sie das gefüllte Tablett ablegen soll, damit es nicht von eventuellen Kunden eingesehen werden kann, es soll ja alles echt wirken.
Die Szene wird besprochen, der Regisseur erklärt seine Vorstellungen. Zusammen mit vielen Fernsehleuten, die gerade nichts zu tun haben, stehen wir im Nachbarraum, spicken um die Ecke. Wir werden ermahnt: "Wenn der Regisseur spricht, ist absolutes Redeverbot." Plötzlich große Unruhe, es steht alles auf der Kippe. Inzwischen ist es halb fünf Uhr und schon fast dunkel.
Die Szene soll aber bei Tageslicht spielen. Der Regisseur möchte am liebsten am nächsten Tag weiterdrehen, doch davon sind wir natürlich nicht sehr begeistert. Ein Versuch wird gemacht: Eifrige Helfer hängen weiße Folien von außen an unsere Schaufenster und erzeugen mit mächtigen Scheinwerfern künstlichen Tag. Der Regisseur ist zum Glück zufrieden, es geht weiter.
Jetzt wird gedreht. Kollegin Sonja zeigt sich von Bienzles Fragen nach ihrem Privatleben sichtlich genervt, strahlt nicht gerade große Freundlichkeit aus. Bienzle macht sich während des Gesprächs an unserer Freiwahl zu schaffen, nimmt Zahnpastatuben in die Hand und stellt sie wieder zurück. Sonja zieht ungehalten Schubladen auf und tut sehr geschäftig: "Können wir das nicht nach Feierabend besprechen, Sie sehen doch, ich habe zu tun. Ich muss noch bis 18 Uhr die ganzen Bestellungen fertig machen." Sie einigen sich auf 19 Uhr auf dem Präsidium. Die Wiederholung der Wiederholung der Wiederholung heißt im "Filmlatein": 33 Strich 2 die zweite ... 39 Strich 3 die erste ... Ton ab, läuft ..., immer wieder. Endlich ist der Regisseur zufrieden und Bienzle darf in der danach folgenden Szene die Apotheke verlassen. Als letzte Aktion werden Geräusche aufgenommen ("nur Ton"): die vorbeifahrende Straßenbahn, Aufziehen von Schubladen. Alle müssen mucksmäuschenstill sein - aber das kennen wir ja schon.
Gegen 19 Uhr sind die Dreharbeiten beendet, Menschen eilen durch die Apotheke, packen zahllose Taschen, verstauen Kameras, nehmen auch die Kaffeemaschine wieder mit. Drei Schirme bleiben im Schirmständer stehen, ich trage sie hinaus zu einem der Aufnahmefahrzeuge.
Ein ganzer Sonntagnachmittag für ein oder zwei Minuten Sendezeit (der Sendetermin ist der 25. August 2002), was für ein Aufwand. Da arbeiten wir in unseren Apotheken doch unter anderen Vorgaben.
Kastentext: Für Apotheker und Tatort-Fans
Schon jetzt vormerken: "Bienzle und das tote Kind" (Arbeitstitel), Krimi in der Tatort-Reihe, Ausstrahlung voraussichtlich Sonntag, 25. August 2002, 20.15 Uhr im Ersten.
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