Ernährung

Edith LaresVerhungern im Schlaraffenland – Man

Immer mehr Studien belegen, dass in Deutschland die Zahl der mangelernährten Menschen ansteigt. Mangelernährung ist eine der häufigsten, aber leider am wenigsten beachteten Krankheiten in Krankenhäusern, Pflegeheimen und auch im häuslichen Bereich. Etwa 80% der älteren Menschen in Kliniken und Pflegeheimen sind mangelernährt. Sie sind aufgrund der Unterernährung häufiger krank, entwickeln Dekubitus, sind abwehrgeschwächt und sterben früher. Doch Mangelernährung muss bei älteren Menschen nicht sein. Abgestimmt auf Erkrankungen und Bedürfnisse ist es heute möglich, ausreichende Mengen aller Nährstoffe zur Verfügung zu stellen.

Es gibt viele Faktoren, die bei Senioren dazu führen, dass sie weniger Nahrung aufnehmen, wie zum Beispiel nachlassender Appetit, altersbedingte Schwierigkeiten beim Kauen, Schlucken und Verdauen, schlechter Zahnstatus und schlecht sitzende "dritte Zähne". Aber auch Krankheiten, Nebenwirkungen von Medikamenten und die soziale Isolation vieler älterer Menschen wirken sich nachteilig auf Appetit und Verdauung aus. Ebenso können psychische Probleme die Ursache sein. Diese so genannte Altersdepression entsteht beispielsweise durch den Verlust des Lebenspartners, chronische Krankheiten, das Gefühl der Abhängigkeit und die Situation in Pflegeeinrichtungen. Die Folge ist eine zu geringe Energie- und Nährstoffaufnahme, die auf Dauer zu einer Mangelernährung und Untergewicht führt. Die Häufigkeit von Risikofaktoren für Mangelernährung bei geriatrischen Patienten zeigt Tabelle 1.

Wenn das Schlucken zum Problem wird

Von Schluckstörung und Schluckbeschwerden (Dysphagie) sind Menschen jeden Alters betroffen, vor allem jedoch Senioren. Nach neuesten Untersuchungen leiden 30 bis 40% der in Pflegeheimen lebenden Menschen und mehr als 50% der Patienten, die einen Schlaganfall erlitten haben, unter Dysphagie. Da Schluckstörungen oft nicht erkannt werden, kann es zu gefährlichen Komplikationen wie Aspiration und Lungenentzündung kommen. So ergab eine Studie, dass Lungenentzündungen infolge von Aspiration in 20% der Fälle für den Tod von Schlaganfallpatienten im ersten Jahr nach dem Schlaganfall verantwortlich sind. Weitere 10 bis 15% erliegen in den Folgejahren dieser Infektion. Noch häufiger führen Schluckstörung jedoch zu Mangelernährung, Austrocknung und natürlich zu Angstzuständen bei Betroffenen und Angehörigen.

Folgende Kriterien lassen auf eine Dysphagie schließen:

  • häufiges Husten, Räuspern und Würgen während dem Essen
  • häufiges Verschlucken
  • Nahrungsreste verbleiben im Mundraum
  • gurgelnde Geräusche beim Schlucken
  • Nahrung/Speichel läuft aus dem Mund
  • belegte, raue, heisere Stimme
  • Appetitlosigkeit, Nahrungsverweigerung und Gewichtsabnahme, insbesondere bei Senioren

Energiebedarf sinkt - Nährstoffbedarf steigt

Im Alter nimmt zwar der Energiebedarf ab, der Bedarf an Vitaminen, Mineralstoffen, Flüssigkeit, Eiweiß, Ballaststoffen und Kohlenhydraten bleibt jedoch gleich oder steigt sogar an. Der Energiebedarf ist im Alter aus zwei Gründen verringert. Zum einen läuft der Stoffwechsel im Alter nicht mehr so auf Hochtouren wie in der Jugend, zum anderen wird die Muskelmasse zwischen dem 20. und 80. Lebensjahr um etwa 50% abgebaut - und Muskulatur benötigt viel Energie.

Den Energiebedarf von Senioren beziffert das Deutsche Institut für Ernährungsmedizin und Diätetik mit durchschnittlich 1900 bis 2400 Kilokalorien für Männer und 1700 und 2100 Kilokalorien für Frauen. Der Bedarf an Eiweiß, Vitaminen und Mineralstoffen bleibt jedoch gleich oder erhöht sich im Krankheitsfall sogar. Um Mangelzuständen vorzubeugen, ist also eine hochwertige Seniorenernährung erforderlich. Die zugeführte Nahrung sollte eine höhere Nährstoffdichte aufweisen als in jüngeren Jahren.

Eiweiß.

Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfiehlt für über 65-Jährige eine tägliche Eiweißzufuhr von 0,8 g pro kg Körpergewicht. Nach neueren Untersuchungen benötigen Senioren sogar 1,0 bis 1,25 g Eiweiß pro kg Körpergewicht. Das würde für einen 70-Jährigen mit einem Körpergewicht von 60 kg bedeuten, dass er - entsprechend den Empfehlungen der DGE - 48 g Eiweiß pro Tag zu sich nimmt, nach den neuesten Ergebnissen sogar 60 bis 75 g täglich.

Zu den eiweißreichen Lebensmitteln gehören Milch und Milchprodukte, Fleisch, Wurst, Geflügel, Fisch, Eier und Hülsenfrüchte. Das sind Lebensmittel, die von älteren Menschen oft nicht mehr bevorzugt verzehrt werden. Milch und Milchprodukte werden häufig aufgrund ihres Milchzuckeranteils schlecht vertragen, Fleisch ist in der Regel nicht mehr gut zu kauen und Hülsenfrüchte sind schwer verdaulich. Als leicht verdauliche Eiweißquellen bleiben dann nur Fisch und Eier übrig. In Tabelle 2 sind die Eiweißmengen verschiedener Lebensmittel aufgelistet. Sie macht deutlich, wie schwierig es für Senioren ist, eine ausreichende Menge an Eiweiß über die Nahrung aufzunehmen.

Vitamine und Mineralstoffe.

Ein weiteres Problem in der Ernährung von Senioren ist die ausreichende Aufnahme von Vitaminen und Mineralstoffen mit der Nahrung. Die von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung empfohlenen fünf Portionen Obst und Gemüse pro Tag sind für ältere Menschen kaum umsetzbar. Viele bevorzugen Kompott, Pudding, Weißbrot und weich gekochtes Gemüse, da es für sie leichter bekömmlich und essbar ist als Frischobst, Salat und Rohkost.

Zahlreiche Studien mit Senioren zeigten, dass viele Vitamine und Mineralstoffe dadurch nur in unzureichenden Mengen in der täglichen Kost enthalten sind. Vor allem Betacarotin, Vitamin D, Vitamin C, Folsäure, verschiedene B-Vitamine, das für den Knochenaufbau notwendige Calcium und das für die Wundheilung wichtige Zink kommen oftmals zu kurz.

Flüssigkeit.

Senioren sollten täglich 1,5 bis 2 Liter Flüssigkeit aufnehmen, um den Körper vor Austrocknung zu bewahren. Fast die Hälfte der über 75-Jährigen leidet laut der Bethanien-Ernährungsstudie unter Austrocknung (Exsikkose). Senioren empfinden das Gefühl "Durst" seltener und schwächer als junge Menschen. Da etwa 43% der über 75-jährigen Patienten inkontinent sind, trinken sie auch aufgrund des unfreiwilligen Urinverlusts zu wenig. Ernährungsbedingt nehmen viele Senioren zudem so wenig Salz auf, dass sie kaum Durst verspüren. Senioren sollten daher auf eine ausreichende Salzzufuhr mit der Nahrung achten. Oft reichen schon ein oder zwei Prisen Salz mehr, um das Durstgefühl wieder anzuregen. Senioren, die täglich ein oder zwei Prisen fluoridiertes Jodsalz auf Gemüse wie Tomaten geben, versorgen ihren Körper gleichzeitig mit dem Schilddrüsenmineral Jod und dem Knochen- und Zahnmineral Fluorid, und mehr Gemüse bringt Ballaststoffe, Flüssigkeit, sekundäre Pflanzenstoffe sowie Vitamine und Mineralstoffe.

Auch das Immunsystem leidet

Eine mangelhafte Nährstoff-, Vitamin- und Mineralstoffzufuhr wirkt sich auch auf das Immunsystem aus. Die Abwehrkräfte lassen nach und der ältere Mensch ist von Infektionen bedroht. Wird zu wenig Eiweiß zugeführt, kann sich das Immunsystem schlechter gegen Infektionen wehren. Aber auch Vitamine und Mineralstoffe sind für ein funktionierendes Immunsystem notwendig. An vorderster Stelle stehen hier die Vitamine A, C und E und der Mineralstoff Zink. Ältere Menschen können durch eine unzureichende Nahrungsaufnahme schnell in einen "Teufelskreis" geraten (Abb. 1).

Serumalbumin gibt Hinweis auf Mangelernährung

Bei 37% der geriatrischen Patienten kann man einen Albuminmangel im Serum nachweisen. Albumin ist ein von der Leber aufgebauter Eiweißbestandteil des Blutes. Anhand des Serumalbumins kann man Rückschlüsse auf die Eiweißspeicher des Körpers und auf das Ausmaß einer Mangelernährung ziehen. Durch Nahrungsprotein wird die Albuminproduktion stimuliert, und umgekehrt führt eine Eiweißmangelernährung zu einer Absenkung der Albuminkonzentration.

Aber auch durch akute oder chronische Krankheiten, Bettlägerigkeit, Entzündungen, Infektionen, Nieren- und Lebererkrankungen, Ödeme oder offene Wunden kann es zu einem niedrigen Serumalbuminwert kommen. Albumin ist aufgrund der großen Speichervorkommen im Körper und der langen Halbwertszeit (14 bis 21 Tage) ein besserer Marker für chronische Verluste als für akute. Der Albuminspiegel besitzt bei älteren Menschen einen prognostischen Wert für die zu erwartende Morbidität und Mortalität. Niedrige Serumalbuminspiegel werden mit mehr Krankheitskomplikationen, längerer Krankheitsdauer sowie Mortalitätssteigerung während und nach einem Krankenhausaufenthalt assoziiert. Der Normalwert des Albumins liegt bei 35 bis 45 g pro Liter. Werte unter 30 g pro Liter sind Zeichen einer Mangelernährung.

Mangelernährung mit einem ausgewogenen Speiseplan vermeiden

Um eine bedarfsgerechte Ernährung bei älteren Menschen zu gewährleisten, ist ein ausgewogener Speiseplan notwendig. Auf diesen gehören jeden Tag mindestens 750 g Obst und Gemüse, 250 g Vollkornprodukte, 200 ml Milch und Milchprodukte. Fleisch, Fisch, Eier, Fette und Öle sollten hingegen nur in Maßen verzehrt werden.

Täglich sollten 30 bis 35 Kilokalorien pro kg Körpergewicht zugeführt werden. Bei einem Körpergewicht von 70 kg entspricht dies einer Energiezufuhr von 2100 bis 2450 Kilokalorien täglich.

Pürierte Kost bei Kau- und Schluckstörungen

Wenn Kau- und Schluckstörungen die Nahrungsaufnahme erschweren, sind angedickte oder breiartige Speisen und Getränke wichtig. Faserreiche Gemüsesorten und Fleisch bereiten den Betroffenen größte Schwierigkeiten. Sie sind aufgrund ihrer faserigen Bestandteile nur schwer zu einer homogenen, gut schluckfähigen Masse zu verarbeiten. Eine Alternative bieten hier industriell gefertigte Instant- oder Fertigprodukte.

Flüssiges ist beim Schlucken nur schwer zu kontrollieren und kann daher leicht verschluckt werden. Aus diesem Grund sollten Getränke mit einem geschmacksneutralen, diätetischen Dickungsmittel angedickt werden. Daneben ist der Einsatz von speziellen diätetischen Lebensmitteln sinnvoll, da sie neben der an die Bedürfnisse angepassten Konsistenz zusätzlich Eiweiß, Vitamine und Mineralstoffe liefern.

Bilanzierte Trink- und Zusatznahrung

Ist eine ausreichende Ernährung durch normale Mahlzeiten nicht mehr möglich, sollte mit bilanzierter Trink- und Zusatznahrung ergänzt werden. Mittlerweile stehen eine Vielzahl von bedarfsdeckenden bilanzierten Nahrungen zur Verfügung, die je nach Krankheitsbild oder zusätzlichem Nährstoffbedarf eingesetzt werden können. So kann beispielsweise mit einer Portion (200 ml) einer eiweißreichen Trinknahrung 20 g leicht verdauliches Eiweiß zugeführt werden. Hinzu kommen Vitamine und Mineralstoffe, die einem herkömmlichen Pudding oder Milchshake fehlen. Diese Nahrungen kann der Arzt verordnen.

Gerade bei Erkrankungen, bei denen täglich eine hohe Menge an Eiweiß zugeführt werden muss, hat sich der Einsatz der Zusatznahrungen bezahlt gemacht. Das beste Beispiel dafür ist der Dekubitus, bei dem die Wundheilung mit einer eiweißreichen Ernährung unterstützt werden kann. Bei den meisten Dekubituspatienten liegt sowohl ein Mangel an Eiweiß als auch an Energie vor. Man spricht von einer Protein-Energie-Mangelernährung, die bei etwa der Hälfte aller Menschen in Pflegeeinrichtungen zu beobachten ist. Studien belegen, dass die Dekubitus-Oberfläche unter einer eiweißreichen Ernährung (24% der Gesamtenergiezufuhr) doppelt so schnell abheilt wie bei einer Standardernährung (14% der Gesamtenergiezufuhr).

Sondennahrung: ergänzend oder ausschließlich

Ist die Nahrungsaufnahme auf normalem Weg nicht mehr oder nicht in ausreichender Menge möglich (beispielsweise bei Patienten mit massiven Schluckstörungen mit Aspirationsgefahr, gastrointestinalen Tumorerkrankungen, nach Schlaganfall), muss mithilfe von Sondennahrung eine ausreichende Nährstoffzufuhr sichergestellt werden. Für die Kurzzeiternährung (weniger als vier Wochen) stehen transnasale Sonden zur Verfügung. Bei einer langfristig angelegten Ernährung mit einer Sonde sollte eine perkutane Sonde (PEG = Perkutane endoskopisch kontrollierte Gastrostomie) bevorzugt werden.

Die enterale Ernährung darf nur mit industriell gefertigter, bedarfsdeckender, bilanzierter Sondennahrung erfolgen. Die selbst hergestellte Sondenkost ist nach den Richtlinien der Diätverordnung nicht zulässig. Bei ihr ist - neben hygienischen Mängeln - nicht gewährleistet, dass alle Nährstoffe in ausreichenden Mengen zugeführt werden. Bei der industriell hergestellten Sondenkost kann die Zusammensetzung auf die entsprechenden Bedürfnisse abgestimmt werden.

So gibt es ballaststoffhaltige/-freie Nahrungen, für Diabetiker geeignete Nahrungen, mit Protein angereicherte Nahrungen oder auch aus unterschiedlichen Nährstoffquellen (z. B. Milcheiweiß, Sojaeiweiß, glutenfreies Eiweiß) gefertigte Nahrungen. Weitere Vorteile der industriell hergestellten Nahrung sind eine garantierte Sondengängigkeit und eine der Körperosmolarität angepasste Osmolarität.

Kastentext: Forderungen des Deutschen Instituts für Ernährungsmedizin und Diätetik an eine optimale Ernährung für Senioren im dritten Jahrtausend: "Ernährung ist Leben - daher:"

1. Regelmäßige, abwechslungsreiche und bedarfsgerechte Ernährung mit 4 bis 6 appetitlichen Mahlzeiten mit reichlich Getränken - täglich 3 bis 4 Scheiben Brot (entspricht 150 bis 200 g) oder 2 bis 3 Brötchen - täglich 2 Teile Obst - täglich 1 großer frischer Salat - täglich 1 große Portion Gemüse - täglich 1 große Portion Kartoffeln, Reis oder Nudeln - täglich Milchprodukte (mindestens 2 Scheiben Käse und 1 Becher Joghurt oder Milch) - täglich 1 Esslöffel Salatöl (beispielsweise Oliven- oder Rapsöl) - täglich 1 Esslöffel Zubereitungsöl (beispielsweise Sonnenblumen- oder Maiskeimöl) - täglich 1 Esslöffel Butter und 1 Esslöffel Diät- oder Reformmargarine - 2-mal wöchentlich Seefisch - 2- bis 3-mal wöchentlich ein gut durchgegartes Hühnerei - 2- bis 4-mal wöchentlich Fleisch oder Geflügel und 2 bis 3 Scheiben Wurst wöchentlich - wenig Süßigkeiten - kein bis moderater Alkoholkonsum - täglich 4 Tassen Tee, 1 Glas Gemüsesaft, 1 Glas Obstsaft und 4 Gläser Mineralwasser 2. Bedarfsgerechte Energiezufuhr von 1700 bis 2400 Kilokalorien pro Tag und täglich 1 bis 2 g Eiweiß pro kg Körpergewicht. 3. Falls eine normale Ernährung nicht oder nur unzureichend möglich ist, muss sofort eine künstliche Ernährung mit Zusatz-, Trink- und Sondennahrung eingeleitet werden. 4. Überwachung des Ernährungsstatus. 5. Hilfe beim Essen, wenn erforderlich.

Quelle: Deutsches Institut für Ernährungsmedizin und Diätetik (D.I.E.T.)

Immer mehr Studien belegen, dass in Deutschland die Zahl der mangelernährten Menschen ansteigt. Mangelernährung ist eine der häufigsten, aber leider am wenigsten beachteten Krankheiten in Krankenhäusern, Pflegeheimen und auch im häuslichen Bereich. Etwa 80% der älteren Menschen in Kliniken und Pflegeheimen sind mangelernährt. Sie sind aufgrund der Unterernährung häufiger krank, entwickeln Dekubitus, sind abwehrgeschwächt und sterben früher. Dies muss nicht sein. Abgestimmt auf Erkrankungen und Bedürfnisse ist es heute möglich, ausreichende Mengen aller Nährstoffe zur Verfügung zu stellen.

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