Fortbildung

Adipositas – alte und neue Mittel gegen den Killer Nr. 1

Dünne Menschen leben länger. Darüber hinaus möchten viele Menschen wegen des vorherrschenden Schönheitsideals abnehmen. Warum dies so schwierig ist, lässt sich mittlerweile zumindest ansatzweise wissenschaftlich erklären. Auch auf dem Weg zu einer kausalen Therapie der Adipositas haben die Forscher wichtige Erkenntnisse gewonnen. Doch bisher stehen nur indirekt wirksame Arzneimittel zur Verfügung. Wie diese wirken, wie neue Therapieprinzipien funktionieren könnten und wie die Nahrungsaufnahme physiologisch reguliert wird, wurde beim Frühjahrskongress der Apothekerkammer Schleswig-Holstein am 12. und 13. April in Timmendorfer Stand erläutert.

Etwa 150 Interessierte verfolgten das umfangreiche Programm, das von Priv.-Doz. Dr. Walter Raasch, Lübeck, moderiert und zusammengestellt wurde. Die meisten Referenten arbeiten an der Universität Lübeck, die einen Forschungsschwerpunkt im Bereich der Nahrungsaufnahme hat. Daher bot die Veranstaltung auch Einblicke in die neueste Forschung.

Beginn einer "Epidemie"

Prof. Dr. Horst Lorenz Fehm, Lübeck, machte die enorme epidemiologische Bedeutung der Adipositas deutlich. Die Fettleibigkeit sei als der große Killer der Zukunft zu betrachten. Die Anzahl übergewichtiger Menschen nimmt weltweit immer mehr zu, nicht nur in den Industriestaaten, sondern auch in den Schwellenländern.

Innerhalb Europas bestehen beträchtliche Unterschiede. In Frankreich sind nur 5 bis 8% und in Italien etwa 10% der Bevölkerung adipös. Deutschland hat mit etwa 17 bis 19% innerhalb der EU den höchsten Anteil von Einwohnern mit einem BMI über 30. Die erwachsene Bevölkerung in Deutschland ist im Mittel übergewichtig, d. h. der durchschnittliche BMI beträgt zwischen 25 und 30 (Tab. 1).

Diese Entwicklung ist nach Einschätzung von Fehm als Beginn einer "Epidemie" zu bewerten. Dies hätte katastrophale Folgen, weil die Adipositas den Hauptrisikofaktor für das metabolische Syndrom bildet. Dies setzt sich aus Diabetes, Hypertonie, Dyslipidämie und Gerinnungsstörungen zusammen. Bereits im BMI-Bereich zwischen 20 und 30 steigt das Diabetes-Risiko mit zunehmendem BMI beträchtlich an. Außerdem wächst das Risiko für Hypertonie, KHK und Schlaganfall.

So gefährlich wie das Rauchen

Dies ist mit einer erheblich verminderten Lebenserwartung verbunden, wie in vielen epidemiologischen Studien gezeigt wurde. Insbesondere die Wahrscheinlichkeit für kardiovaskulär bedingte Todesfälle, aber auch für Tod durch Krebserkrankungen und die Gesamtmortalität steigen bei hohem BMI erheblich. Ideal wäre nach einer großen 1999 veröffentlichten Studie ein BMI von etwa 23,5 bis unter 25 für Männer und etwas weniger für Frauen.

Kürzlich wurde in einer neuen Auswertung der Framingham-Studie ermittelt, dass 40-jährige männliche Raucher, die adipös sind, 13,7 Lebensjahre verlieren. Ohne Adipositas gehen nur 7 bis 8 Jahre verloren. Die Adipositas wirkt damit ebenso gefährlich wie das Rauchen.

Epidemiologische Studien zeigen deutlich, dass dünnere Menschen länger leben. Bisher konnte jedoch noch keine Studie belegen, dass dicke Menschen, die nachhaltig abnehmen, ihre Lebenserwartung wieder verlängern können. Dauerhafte Gewichtsverminderung gelingt allerdings viel zu selten, um in Studien ausgewertet werden zu können.

Was ist schuld – Gene oder Umwelt?

Doch warum werden Menschen adipös? Liegt dies an der genetischen Veranlagung oder am Verhalten? Die Körpergewichte getrennt aufgewachsener eineiiger Zwillinge korrelieren zu etwa 70%, bei zweieiigen Zwillingen dagegen zu maximal etwa 27%. Demnach ist ein großer Anteil des Gewichts genetisch bedingt. Es gibt offenbar gute und schlechte "Futterverwerter".

Selbstverständlich wirken sich auch Ernährung und Bewegung aus. In Notzeiten mit Nahrungsmangel gibt es praktisch keine Adipösen. Durch gesunde Ernährung allein ließe sich das Gewicht nur um wenige Kilogramm reduzieren, aber nicht um 5 bis 10 kg. Wirksamer als Sport dürften die alltäglichen Bewegungen sein, doch die sind zu einem großen Teil genetisch bedingt.

Erstaunlicherweise stellt sich das Körpergewicht nach Diäten oder krankheitsbedingtem Abnehmen langfristig fast genau wieder auf den ursprünglichen Wert ein. Der Körper scheint über einen recht präzisen "Adipostaten" zu verfügen, der einen Sollwert einhält. Dieser Sollwert lässt sich durch Gewöhnung an reichliche Ernährung leicht zu höheren Werten verschieben, kann aber praktisch nicht wieder nach unten verstellt werden.

Steuerung durch Leptin, ...

Der Adipostat ist ein theoretisches Konzept, das bisher nicht als definierter biochemischer Mechanismus beschrieben werden konnte. Doch sind zahlreiche biochemische Zusammenhänge der Regulation der Nahrungsaufnahme bekannt. Als erster großer Durchbruch im Rahmen dieser Forschung gilt die Beschreibung des Leptins im Jahr 1994.

Leptin wird in Fettzellen gebildet und meldet dem Gehirn, wie viel Fett der Körper enthält. Erhöhte Leptinwerte aktivieren den Körper zu mehr Bewegung, woraufhin Fett abgebaut wird. Therapeutisch lässt sich dies jedoch nur bei der verschwindend geringen Zahl von Patienten mit einer Leptinbildungsstörung ausnutzen. Das Problem der Praxis ist dagegen, dass Leptin bei Übergewichtigen nicht mehr wirkt. Die Substitution ist daher nutzlos.

... den Hypothalamus ...

Das Körpergewicht ergibt sich aus Energiezufuhr und Energieverbrauch, wobei der Verbrauch sich in Grund- und Arbeitsumsatz teilt. Verbrauch und Nahrungsaufnahme werden durch zahlreiche biochemische Abläufe gesteuert, die ihrerseits genetisch determiniert sind. Dr. Olaf Jöhren, Lübeck, stellte die wichtigsten Mechanismen vor.

Schon seit etwa 50 Jahren sind der laterale und der ventro-mediale Hypothalamus als Orte bekannt, an denen die Nahrungsaufnahme reguliert wird. Läsionen in diesen Hirnregionen verändern das Essverhalten von Versuchstieren drastisch.

Neben diesen langfristigen Mechanismen steuern die gastrointestinalen Peptide und die neuronale Rückkopplung aufgrund der Dehnung des Magens das kurzfristige Essverhalten, z. B. das Ende einer Mahlzeit. Die gesamte Nahrungsmenge ist so aber nicht zu beeinflussen, da kürzere Mahlzeiten durch häufigeres Essen kompensiert werden.

... und die Hypophyse

Die Nahrungsaufnahme wird durch zahlreiche Hypophysenhormone gesteuert.

  • Als orexigen, d. h. appetitsteigernd wirken beispielsweise Neuropeptid Y (NPY), das Agouti-related Protein (AGRP) und Orexin.
  • Anorexigen wirken das alpha-Melanozyten-stimulierende Hormon (alpha-MSH), Proopiomelanocortin (POMC), das Cocain- und Amphetamin-regulierte Transkript (CART) und der Corticotropin Releasing Factor (CRF).

Diese Proteine können den verschiedenen Hypothalamuskernen zugeordnet werden, was die früheren Erkenntnisse zur anatomischen Lokalisation der Esssteuerung bestätigt.

Pharmakologische Ziele der Zukunft

Für NPY sind sechs G-Protein-gekoppelte Rezeptoren bekannt. Y5 steuert wahrscheinlich die Nahrungsaufnahme im Gehirn, Y1 wirkt vasokonstriktorisch in der Peripherie.

POMC und α-MSH wirken auf die ebenfalls G-Protein-gekoppelten Melanocortin(MC)-Rezeptoren, von denen fünf Subtypen bekannt sind. MC-1 vermittelt die Pigmentierung der Haut, MC-3 und MC-4 regulieren die Nahrungsaufnahme.

Diese und weitere Rezeptoren könnten als pharmakologische Angriffspunkte dienen. Y1- und Y5-Rezeptor-Antagonisten sollen präklinisch kontroverse Ergebnisse geliefert haben. Jöhren sieht die besten Aussichten derzeit für MC-4-Rezeptor-Agonisten. Doch bieten sich noch weitere Ansatzpunkte an. Offenbar wird die Nahrungsaufnahme nicht nur durch einen großen, sondern durch viele kleine Regelkreise gesteuert.

Konventionelle und intensive Diabetes-Therapie

Dr. Bernd Schultes, Lübeck, stellte Zusammenhänge zwischen der Regulation des Glucosestoffwechsels und des Körpergewichts vor. Demnach wirkt eine kurzzeitige Unterzuckerung auch noch nach Stunden als Hungersignal.

Erstaunliche Ergebnisse zur Therapie von Typ-2-Diabetikern bietet die 1999 veröffentlichte UKPDS-Studie, in der 5000 Patienten über 15 Jahre beobachtet wurden. Dabei führte die intensive Behandlung mit Insulin, Chlorpropamid oder Glibenclamid zu einer stärkeren Gewichtszunahme als die konventionelle Behandlung mit Diät allein.

Die Mortalität war bei intensiver Behandlung im Unterschied zur Diät unverändert. Ob das zusätzliche Übergewicht oder andere Effekte die Vorteile der besseren Blutzuckereinstellung kompensieren, bleibt dabei offen.

Eine Ausnahme bildet die Behandlung mit Metformin. Dies verbessert die Blutzuckereinstellung und scheint gleichzeitig die Nahrungsaufnahme zu begrenzen. Die Metformin-behandelten Patienten entwickelten kein zusätzliches Übergewicht und überlebten im Durchschnitt länger als die anderen Patienten. Allerdings wird der Einsatz von Metformin durch zahlreiche Kontraindikationen begrenzt.

Neuere Arzneimittel, wie die Glitazone, die die Insulinresistenz erhöhen, konnten in der über 15 Jahre angelegten Studie naturgemäß noch nicht getestet werden.

Wenn nur die Mortalität als Endpunkt betrachtet wird, bleibt die Lebensqualität unberücksichtigt. In der Diskussion wurde klargestellt, das die intensivere Therapie Amputationen, Erblindungen und Nierenschädigungen verhindern dürfte, auch wenn sie nicht lebensverlängernd wirkt.

Adipositas-Therapie ...

Priv.-Doz. Dr. Johannes Schulze, Frankfurt, leitete zur Therapie der Adipositas über und beschrieb die beiden derzeit wichtigsten Arzneistoffe für diese Indikation: Orlistat und Sibutramin. Die Anwendung dieser Substanzen bei einem BMI unter 30 wäre als Missbrauch anzusehen.

Beide Substanzen wirken nur im Zusammenhang mit einer Diät, denn nur durch verminderte Nahrungszufuhr oder vermehrten Energieverbrauch lässt sich das Körpergewicht verändern. So wirken auch die Arzneistoffe: Orlistat begrenzt die Nährstoffzufuhr, während Sibutramin den Grundumsatz erhöht.

... mit Orlistat ...

Orlistat vermindert im Darm die Spaltung der Triglyceride in leicht resorbierbare Fragmente. Es bindet kovalent und damit irreversibel an den Serinrest im katalytischen Zentrum der gastrischen und pankreatischen Lipase. In der empfohlenen Dosis werden 30% der vorhandenen Enzymmenge gehemmt, eine stärkere Blockade erhöht die Wirkung nicht wesentlich. Ohne begleitende Diät würden die Patienten die verminderte Fettaufnahme durch mehr Essen kompensieren.

Es wurden keine Effekte von Orlistat auf die Gallenblasenmotilität, die Magenentleerungszeit, die Kolonzellproliferation, die Lipaseaktivität im Serum, die Elektrolytversorgung und die Menge der Plasmazelltriglyceride festgestellt. Überdosierungen dürften unproblematisch sein und sich über die einfache Transitzeit hinaus nicht auswirken. Die systemische Absorptionsrate liegt bei etwa einem Prozent. Das resorbierte Orlistat wird überwiegend zu inaktiven Ringöffnungsprodukten metabolisiert und nach spätestens fünf Tagen vollständig ausgeschieden.

Alle nennenswerten unerwünschten Wirkungen sind naheliegende Folgen der Hauptwirkung. Durch Retention von Triglyceriden entstehen Fettstühle, verstärkt nach fettreichen Mahlzeiten. Im Verlauf der Therapie wird dies subjektiv als weniger störend empfunden. Weiterhin können Stuhldrang, weicher Stuhl, Blähungen, Stuhlinkontinenz und Fettbeimengungen im Stuhl auftreten.

Orlistat vermindert die Resorption fettlöslicher Vitamine, die bei längerer Behandlung ergänzt werden sollten. Außerdem könnte eine verminderte Versorgung mit essenziellen Fettsäuren erwartet werden, weil diese nur aus der Nahrung aufgenommen werden. Über die Anwendung bei Schwangeren, Stillenden, Kindern und geriatrischen Patienten liegen keine Erfahrungen vor.

... oder Sibutramin

Sibutramin wirkt als Noradrenalin-, Serotonin- und Dopamin-Wiederaufnahme-Hemmer. Effekte auf andere Neurotransmitter seien noch nicht bekannt. Der Sympathikus wird präsynaptisch gehemmt und postsynaptisch angeregt, es resultiert eine anregende Wirkung. Sibutramin ändert den Schlaf-Wach-Rhythmus und vermindert den Appetit. In der Folge senkt Sibutramin Triglycerid-Spiegel, Nüchtern-Glucose-Spiegel, HbA1c-Wert, den postprandialen Anstieg des Glucose-Spiegels und die Harnsäurekonzentration im Serum.

Daneben wirkt es positiv inotrop, chronotrop, dromotrop und bathmotrop, diuretisch, bronchodilatatorisch und eher desaktivierend auf den Magen-Darm-Trakt.

Der diastolische Blutdruck steigt um etwa 3 bis 5 mm Hg, was durchaus klinisch relevant sein kann. Die Herzfrequenz steigt um 2 bis 4 Schläge pro Minute. Beide Effekte können durch periphere Betablocker wie Atenolol gehemmt werden, ohne dass die zentral vermittelte Hauptwirkung beeinträchtigt wird.

Als einzelne unerwünschte Wirkungen wurden Arrhythmien gemeldet. Außerdem können Mundtrockenheit, Obstipation und Unruhe auftreten. Unbehandelte Hypertonie, Depression und ganz besonders Manie sind Kontraindikationen.

Als zentral wirksame Substanz wird Sibutramin zu 90% resorbiert und ist gut gewebegängig. Es wird zu 90% in der Leber metabolisiert und anschließend renal ausgeschieden.

Orlistat und Sibutramin im Vergleich

Orlistat und Sibutramin sind demnach grundverschiedene Substanzen mit sehr unterschiedlichen Angriffspunkten. Beide reduzieren in Verbindung mit einer Diät das Körpergewicht um 5 bis 10% mehr als eine Diät allein. Das alte Gewicht wird wieder erreicht, wenn die Arzneimittel abgesetzt werden. Die Therapie muss daher langfristig, möglicherweise sogar lebenslang gegeben werden, womit die Verträglichkeit große Bedeutung erlangt.

Angesichts der sehr unterschiedlichen Nebenwirkungsprofile und der vergleichbaren Hauptwirkung der beiden Arzneistoffe sieht Schulze den Sicherheitsvorteil bei Orlistat. Dies gelte insbesondere für den Anwenderkreis, der vom metabolischen Syndrom bedroht ist und daher eine besonders kritische Würdigung möglicher kardiovaskulärer Folgen erfordert. Doch würden die Patienten die Nebenwirkungen teilweise subjektiv anders beurteilen, da sie beispielsweise Fettstuhl als unangenehm erleben.

Obwohl Sibutramin und Orlistat so unterschiedliche Angriffspunkte nutzen, verstärkt eine Kombination die Wirkung meist nicht. Allerdings sollen einige bisher noch nicht definierte Subpopulationen von der Kombination profitieren.

Kausale Therapie in der Zukunft

Weder Orlistat noch Sibutramin bietet eine kausale Therapie der Adipositas, doch existiert bisher keine Alternative. Über Forschungen, die künftig zu solchen Alternativen führen könnten, berichtete Priv.-Doz. Dr. Werner Kern, Lübeck. Dabei könnte Insulin als Arzneistoff eine ganz neue Bedeutung erhalten.

In der Regulation der Nahrungsaufnahme wirken Leptin und Insulin in ähnlicher Weise. Sie senken die Konzentration von NPY und anderer orexigener Peptide und erhöhen die Konzentration anorexigener Peptide, insbesondere POMC. So kommt NPY, das über den Y5-Rezeptor die Nahrungsaufnahme erhöht und den Grundumsatz vermindert, weniger zur Wirkung. Dagegen bewirkt POMC über den MC-4-Rezeptor verminderte Nahrungsaufnahme und erhöhten Grundumsatz.

Nach einem akuten Insulinanstieg in der Peripherie ist Insulin auch im Liquor zu finden. Insulin überwindet die Blut-Hirn-Schranke durch einen aktiven Transportmechanismus. Rezeptoren für Insulin konnten im Gehirn ebenfalls nachgewiesen werden. Wird euglykämischen Probanden zusätzlich Insulin gegeben, entwickeln sie später als sonst Hunger, bei Hypoglykämie wird der Hunger vermindert.

Um pharmakologisch wirksame Stoffe möglichst einfach und unter Umgehung des Blutes in das Gehirn zu transportieren, bietet sich die Applikation über die Nase an. Bei der Verabreichung von Nasensprays mit α-MSH oder Insulin wurden diese Stoffe schon nach wenigen Minuten im Liquor, aber praktisch nicht im Blut gefunden.

Frühere Versuche zur Insulinsubstitution über die Nase hatten gezeigt, dass Insulin nur mithilfe von Absorptionsverstärkern über die Nase ins Blut gelangt.

Neue Indikation für Insulin?

Nach einer sechswöchigen intranasalen Anwendung von α-MSH war das Körpergewicht gesunder Probanden gegenüber Plazebo signifikant verringert. Dabei wurde insbesondere das Körperfett vermindert. Die Leptin- und Insulinspiegel sanken, was als Ausdruck vermehrter Insulinsensitivität gewertet wird.

Nach einer achtwöchigen nasalen Anwendung von 4-mal täglich 40 I.E. Insulin zeigten sich dagegen nur bei Männern die gewünschten Ergebnisse. Sie nahmen ab der dritten Woche kontinuierlich ab und wogen nach acht Wochen zwei Kilogramm weniger als die Kontrollprobanden. Auch hier wurde hauptsächlich der Fettanteil vermindert.

Außerdem soll Insulin sich günstig auf die kognitive Leistungsfähigkeit ausgewirkt haben. Zehn Wochen nach dem Testende war das ursprüngliche Gewicht wieder erreicht.

Diese Ergebnisse stehen nicht im Widerspruch zu der Erfahrung, dass Übergewichtige und Typ-2-Diabetiker hohe periphere Insulinspiegel aufweisen. Erstaunlicherweise nimmt der Anteil des Insulins im Gehirn mit zunehmendem BMI ab. Übergewichtige haben daher im Gehirn einen relativen Insulinmangel.

Demnach könnte eine nasale Insulintherapie zur Gewichtsabnahme führen. Allerdings wurden die Versuche an Normalgewichtigen und nicht an Adipösen durchgeführt. Möglicherweise kann Insulin aber helfen, nach einer Gewichtsabnahme das Gewicht dauerhaft zu halten.

Physiologie des Hungerns

Nach diesen Zukunftsvisionen erläuterten die beiden weiteren Referenten die vergleichsweise dürftigen klassischen Behandlungsmöglichkeiten für die Adipositas. Dr. Michael Lohmann, Kiel, gab einen Überblick über diverse Diätkonzepte und die dazugehörigen Formuladiäten und beschrieb die physiologischen Abläufe beim Essen und beim Hungern oder bei reduzierter Nahrungsaufnahme.

Nach dem Essen werden etwa drei Stunden lang aus dem Intestinum Nährstoffe aufgenommen und Biosynthesen ausgeführt.

In der anschließenden postabsorptiven Phase, die etwa sechs Stunden dauert, werden Fettsäuren aus dem Fettgewebe freigesetzt und in der Leber zu Ketonkörpern abgebaut. Die Glucose zur Energieversorgung der Zellen wird durch Eiweißabbau bereitgestellt. Damit wird auch Wasser frei, was hauptsächlich die kurzfristige Gewichtsabnahme bei Diäten erklärt. Bei jeder Diät geht so zunächst wertvolles Eiweiß, aber nicht Fett verloren, was der Zielsetzung widerspricht.

Wenn über 24 Stunden nicht gegessen wird, entstehen durch Fettabbau viele Ketonkörper. Damit droht eine Azidose, wenn nicht genug getrunken wird. Beim Hungern oder bei reduzierter Nahrung muss daher unbedingt reichlich Flüssigkeit zugeführt werden.

In dieser Phase stellt sich der Stoffwechsel so um, dass er auch Ketonkörper nutzen kann. Es folgt die Phase des adaptierten Hungerns mit der Stabilisierung aller Stoffwechselprozesse auf niedrigem Niveau. Diese kann fünf bis zehn Tage andauern.

Der begrenzende Faktor des Hungerns ist der Proteinpool, der etwa 6 bis 12 kg umfasst und zu maximal 50% abbaubar ist. Bei einem Proteinverlust von 80 g pro Tag würden spätestens nach sechs Wochen Fasten die lebensnotwendigen Strukturproteine angegriffen.

Formuladiäten – langfristiger Erfolg nicht belegt

Zur Unterstützung des Abnehmens werden zahlreiche energiereduzierte Diäten anboten. Die Produkte auf dem riesigen Markt der very low calorie diet (VLCD) mit maximal 700 kcal pro Tag seien inhaltlich sehr ähnlich und würden sich hauptsächlich durch die angebotenen Betreuungskonzepte unterscheiden.

Im Bereich von 800 bis 1200 kcal pro Tag schließen sich die Formuladiäten an. Sie sollen die Versorgung mit den wichtigsten Vitaminen und Spurenelementen sicherstellen, doch würden deren Mengen für längere Diäten meist nicht ausreichen.

Da der Proteinabbau das größte Problem bei vermindertem Nahrungsangebot darstellt, seien Diäten mit vergleichsweise höherem Proteinangebot vorteilhaft. Dies ist das Konzept beim "modifizierten Fasten", beispielsweise mit Optifast®. Gegenüber der verminderten Energiezufuhr allein wird der Proteinverlust verringert und bevorzugt Fett abgebaut.

Dieser Gedanke wird bei der Markert-Diät in Verbindung mit Almased® noch weitergeführt. Hier soll der vergleichsweise hohe Eiweißanteil der Diätkost zur postprandialen Thermogenese führen, d. h., das relative Eiweißüberangebot soll den Grundumsatz erhöhen. Dies könne aber nur wirken, wenn andere Nährstoffe dementsprechend reduziert werden, da sonst zuviel Nahrung zugeführt wird.

Auch mit anderen Formuladiäten lässt sich kurzfristig das Gewicht etwas reduzieren, doch sind langfristige Effekte über mehr als ein Jahr bisher nicht dokumentiert. Daher müsse befürchtet werden, dass nach einiger Zeit stets wieder das Ursprungsgewicht erreicht wird.

Formuladiäten sind nicht für Normalgewichtige, Kinder, Schwangere, Stillende oder geriatrische Patienten konzipiert. Sie sollten keinesfalls bei Essstörungen oder bei schlecht kontrollierten Begleiterkrankungen, z. B. Diabetes oder Hypertonus, eingesetzt werden. Mögliche Nebenwirkungen sind Störungen in der Stickstoffbilanz, Gichtanfälle und der Verlust von Elektrolyten, insbesondere Kalium, Calcium und Magnesium.

Trennkost – wissenschaftlich unhaltbar

Die Thesen, die den Einsatz von Trennkost begründen sollen, sind nach Einschätzung von Lohmann wissenschaftlich nicht haltbar. Denn der Körper kann pH-Wert-Schwankungen gut kompensieren. Zudem wird im Dünndarm ohnehin jede Nahrung alkalisch.

Der Vorteil der Trennkost liege damit eher in der bewussten Ernährung und dem Verzehr von wenig Fett und viel Gemüse. Allerdings könne das Weglassen bestimmter Nahrungsmittel zur Unterversorgung mit den enthaltenen Nährstoffen führen. Die dogmatische Trennung der Nahrungsmittel sei nicht zu begründen.

Homöopathika – fragwürdig oder sogar gefährlich

Dr. Christian Mignat, Höxter, machte eine kritische Bestandsaufnahme der weiteren, bisher noch nicht erwähnten "Schlankmacher aus der Apotheke". Zum Teil unverständlich seien die behaupteten Konzepte für Homöopathika.

So verfüge Helianthus tuberosus mit dem Kohlenhydrat Inulin über ein allopathisches Prinzip, ein homöopathischer Effekt sei demnach ein Widerspruch in sich. In vielen Arzneimitteln werden Fucus vesiculosus oder andere iodhaltige Ausgangsmaterialien homöopathisch deklariert. Das enthaltene Iod kann allopathisch auf autonome Schilddrüsenareale wirken, die sich der hormonellen Regulation entziehen. Doch wäre dieser Wirkungsmechanismus ungünstig zu bewerten, weil beispielsweise der Herzmuskel geschädigt werden könnte.

Für Thyreoidinum C 30 sei in einer Studie kein vorteilhafter Effekt nachgewiesen worden. In weit überdosierten allopathischen Mengen komme Schilddrüsenextrakt mitunter in missbräuchlich konzipierten Rezepturen vor, die lebensbedrohlich sein können.

Physik statt Chemie

Um die möglichen Wirkungen von Quellstoffen beurteilen zu können, beschrieb Mignat einen Versuch, bei dem ein flüssigkeitsgefüllter Ballon mit 400 ml Volumen in den Magen eingebracht wurde. Dies führte in Einzelfällen zur Gewichtsabnahme, erbrachte aber keine signifikanten Vorteile für den Durchschnitt der Probanden. Das Konzept wurde daraufhin verlassen.

Gängige Quellstoffpräparate führen dagegen in den empfohlenen Dosierungen zu einem Quellvolumen von einigen zehn Millilitern, sodass ein deutlicher Effekt kaum zu erwarten sei. In Studien würden meist enorme Streuungen der Ergebnisse gefunden.

Aus dem Wirkprinzip der Quellstoffe ergibt sich auch ihr Nebenwirkungspotenzial. Sie müssen alle mit reichlich Flüssigkeit eingenommen werden, damit sie nicht erst nach einem möglichen Steckenbleiben in der Speiseröhre aufquellen. Zubereitungen aus der besonders stabilen quervernetzten Cellulose sind sogar verschreibungspflichtig, da sie in Einzelfällen zum Darmverschluss führen können. Vergleichsweise unproblematisch seien pulverisierte Quellstoffe, die nicht verklumpen können.

Chitosan verfügt wie Cellulose über beta-glykosidische Bindungen, wird aber nicht als Quellstoff, sondern als Fettbinder propagiert. Es verfügt über freie Aminogruppen, an denen Fettsäure-Anionen gebunden werden sollen. In einer Vergleichsstudie mit Orlistat, Chitosan und Plazebo habe Orlistat etwa 20% des aufgenommenen Fettes gebunden, dagegen sei bei Chitosan und Plazebo etwa gleich viel Fett mit den Faeces ausgeschieden worden.

Andere "Schlankmacher" – bestenfalls harmlos

Von den zahlreichen sympathomimetisch wirkenden Appetitzüglern sind nur noch Ephedrin, Phenylpropanolamin und Synephrin verblieben. Synephrin gelangt kaum in das ZNS und könne daher keine nennenswerte zentrale Wirkung auslösen. Die beiden anderen Substanzen können die Wirkung einer Diät verstärken, müssten für eine nennenswerte Wirkung aber wahrscheinlich langfristig eingesetzt werden.

Dies sei allerdings angesichts der Nebenwirkungen kritisch zu betrachten. Denn die Sympathomimetika erhöhen den Blutdruck und haben in einer Fall-Kontroll-Studie das Schlaganfallrisiko um das 16fache gesteigert.

Hydroxycitronensäure, die beispielsweise in Garcinia cambogia enthalten ist, hemmt die Citratlyase, die Citrat zu Acetyl-CoA abbaut. Damit sollte der Grundbaustein der Fettsynthese vermindert gebildet werden. Dennoch hat eine Studie über 12 Wochen keinen signifikanten Vorteil gegenüber einer Diät gezeigt.

Für den Abbau von Fetten ist Carnitin erforderlich, um Acetyl-CoA in den Citratzyklus einzuschleusen. Doch offenbar ist die Carnitinversorgung hierbei meist nicht begrenzend. Allein das vermehrte Carnitin-Angebot würde den Körper nicht veranlassen, diesen Stoffwechselweg verstärkt zu nutzen. Denn in einer Studie sei kein Effekt festgestellt worden.

Nach Einschätzung von Mignat sollte das Nutzen-Risiko-Profil bei der Auswahl von "Schlankmachern" entscheiden. Während einige Substanzen wegen ihrer Nebenwirkungen problematisch sind, fehlt anderen Stoffen die überzeugende Wirkung. Doch könnten die harmlosen Produkte eine wirksame Therapie, die aus Diät und Bewegung besteht, durchaus psychologisch unterstützen. Die Auswahl müsse sich dabei an der Verträglichkeit orientieren.

Die Adipositas ist ein großer Risikofaktor für die Entstehung vieler Krankheiten und gilt bei Experten als "so gefährlich wie das Rauchen". In Deutschland sind bereits 18 Prozent der Bevölkerung adipös, und Epidemiologen befürchten, dass der Anteil weiter steigen wird. Trotz intensiver Forschungen gibt es bisher nur geringe Fortschritte bei der kausalen Therapie des krankhaften Übergewichts, zugleich aber wegen der großen Nachfrage eine Fülle von fragwürdigen Präparaten und Fastenkuren. Adipositas war das Thema des Frühjahrskongresses der Apothekerkammer Schleswig-Holstein.

Definition des Body Mass Index (BMI) BMI = Körpergewicht [kg] / Körpergröße2 [m2] Physikalisch korrekt müssten BMI-Angaben mit der Einheit kg/m2 versehen werden, in der Literatur wird der BMI aber üblicherweise als benennungsloser Index gebraucht.

Adipositas und ihre Behandlung – das Wichtigste in Kürze

  • Adipositas ist der Hauptrisikofaktor für das metabolische Syndrom und wird voraussichtlich künftig weltweit zur häufigsten Todesursache.
  • Übergewicht ist zu einem großen Teil genetisch bedingt.
  • Der Körper stellt sein individuelles Sollgewicht nach einer Diät langfristig fast immer wieder ein. Der Sollwert kann nach oben, aber praktisch nicht nach unten verschoben werden.
  • Die Nahrungsaufnahme wird langfristig durch zahlreiche orexigene und anorexigene Hormone kontrolliert, die zwei Zentren im Hypothalamus ansteuern.
  • Agonisten und Antagonisten für diese Hormone sind potenzielle Arzneistoffe gegen Adipositas.
  • Das Verhältnis von Nahrungsaufnahme und Energieverbrauch ist entscheidend für das Körpergewicht.
  • Mit Orlistat oder Sibutramin in Verbindung mit einer Diät lässt sich das Körpergewicht in vergleichbarem Maße reduzieren.
  • Die Nebenwirkungen von Orlistat sind potenziell weniger bedrohlich als die von Sibutramin, was bei dauerhafter Anwendung bedeutend sein kann.
  • Durch nasale Gabe von •-MSH oder Insulin, die zentral wirken, können Normalgewichtige abnehmen. Für Übergewichtige könnte dies künftig eine Möglichkeit bieten, nach einer Diät das Gewicht zu halten.
  • Der Proteinpool ist der begrenzende Faktor für die Verminderung der Nahrungsaufnahme.
  • Erhöhte Proteinzufuhr kann das Ergebnis einer Diät verbessern.
  • Formuladiäten sind kurzfristig meist wirksam, aber der Erfolg über mehr als ein Jahr ist nicht dokumentiert.
  • Andere "Schlankmacher aus der Apotheke" sollten anhand ihrer Verträglichkeit ausgewählt werden.

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