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ALLHAT-Studie: Hohes Einsparpotenzial bei Hypertonie-Therapie

BERLIN (ks). In Zeiten steigender Arzneimittelausgaben freut die gesetzlichen Krankenkassen und die Bundesgesundheitsministerin jede Studie, die erhebliche Einsparpotenziale im Arzneimittelbereich aufspürt. So geschehen nun im Fall der Versorgung von Hypertonie-Patienten: Nach Einschätzung des Vorstandsvorsitzenden der Barmer Ersatzkasse Eckart Fiedler könnten die gesetzlichen Kassen hier ohne Qualitätseinbußen rund 720 Mio. Euro jährlich sparen. Denn neue und teure Medikamente seien nicht immer die bessere Alternative Ų zu diesem Ergebnis kommt jedenfalls die amerikanische ALLHAT-Studie zur Behandlung von Bluthochdruck: In dieser erwies sich das Diuretikum Chlorthalidon gegenüber dem Calcium-Antagonisten Amlodipin und dem ACE-Hemmer Lisinopril nicht nur als preiswerter, sondern auch als risikoärmer.

An der ALLHAT-Studie (Antihypertensive and Lipid-Lowering Treatment to Prevent Heart Attack Trial) nahmen 33 357 Personen mit Bluthochdruck und mindestens einem weiteren Risikofaktor über einen Zeitraum von vier bis sechs Jahren teil.

Die Ergebnisse wurden im Dezember 2002 veröffentlicht. Es zeigte sich, dass das kostengünstigste Diuretikum gleich gut oder besser ist als der eingesetzte Calcium-Antagonist oder ACE-Hemmer. Unter der Therapie mit Amlodipin trat ein um 38 Prozent höheres Risiko für Herzversagen auf als bei der Therapie mit Chlorthalidon. Für mit Lisinopril behandelte Patienten erhöhte sich gegenüber mit Chlorthalidon Behandelten das Risiko für kombinierte Ereignisse von Herz- und Gefäßkrankheiten um 10 Prozent, das für Herzversagen um 19 Prozent und das für einen Schlaganfall um 15 Prozent.

Lauterbach studiert Barmer-Daten

Diese Ergebnisse nahm die Barmer zum Anlass, die Versorgungswirklichkeit der bei ihr versicherten Hypertonie-Patienten untersuchen zu lassen. Ein Expertenteam um den Kölner Gesundheitsökonomen Karl Lauterbach wertete daraufhin über 9 Mio. Verordnungen von 1,63 Mio. Barmer-Versicherten aus, die Bluthochdruckmedikamente erhalten. Über 45-jährige Versicherte erhielten hiernach zu 45,4 Prozent Beta-Blocker, zu 34,4 Prozent ACE-Hemmer, zu 29,4 Prozent Calcium-Antagonisten, zu 9 Prozent AT1-Blocker und zu 9,9 Prozent Diuretika verordnet.

Wie sich wie viel sparen ließe

Lauterbach rechnete und stellte seine Zahlenkünste am 23. April gemeinsam mit Fiedler und Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt in Berlin vor: Wenn nur die jeweils teuersten ACE-Hemmer und Calcium-Antagonisten (Tageskosten etwa 0,60 Euro) durch kostengünstigere Präparate der gleichen Wirkstoffgruppe (z. B. Captopril AL mit Tageskosten von 0,18 Euro bzw. Nitrendipin AL für 0,10 Euro am Tag) ersetzt werden, so könne allein die Barmer bereits über 30,4 Mio. Euro im Jahr sparen. Fiedlers Hochrechnung zufolge sind dies 270 Mio. weniger für die gesamte GKV.

Noch mehr könnte die Barmer Lauterbach zufolge mit folgenden Strategien sparen: Einen Einspareffekt von 70,5 Mio. Euro hätte es, würden 70 Prozent der Tagesdosen von ACE-Hemmern und Calcium-Antagonisten sowie 90 Prozent der Tagesdosen von AT1-Blockern und Kombinationspräparaten aus ACE-Hemmern plus Calcium-Antagonisten durch Diuretika ersetzt.

Weitere knapp 10,3 Mio. Euro kämen hinzu, würden zudem 30 Prozent der teueren ACE-Hemmer und Calcium-Antagonisten durch preiswertere Präparate ersetzt (Fälle, in denen die Medikamente nicht primär zur Senkung des Bluthochdrucks verschrieben werden).

Dieses Einsparpotenzial von über 80 Mio. Euro würde allerdings weitgehend aufgezehrt, wenn die bislang unterversorgten Hypertonie-Patienten künftig ebenfalls angemessen behandelt würden, räumte Lauterbach ein. Dennoch: es könnten dann beachtliche Folgekosten gespart werden, weil die Anzahl der Schlaganfälle und Herzinfarkte zurückginge.

Unterstützung für Schmidts "Qualitätsreform"

Lauterbach und Fiedler sehen die Verantwortung für die bislang sehr teure Versorgung von Bluthochdruckpatienten bei den Ärzten liegen. Nicht die Vertriebsschiene sei hier entscheidend, sagte Fiedler, sondern allein das ärztliche Verordnungsverhalten.

Verbesserungen verspricht sich der Kassen-Chef von der Einführung der Disease-Management-Programme (DMP). Er fordert, Hypertonie möglichst bald als vierte Indikation in die DMPs aufzunehmen. Zudem zählt er auf das Zentrum für Qualität in der Medizin: Hier sollen nach dem Willen der rot-grünen Regierung künftig Kosten-Nutzen-Bewertungen für Arzneimittel vorgenommen und Behandlungsleitlinien für DMP erstellt werden.

Nicht zuletzt sollten auch die Patienten selbst mehr Verantwortung für ihre Gesundheit übernehmen, meint Fiedler: Gerade die Hypertonie ist eine Krankheit, bei der eine Vielzahl präventiver Maßnahmen ergriffen werden kann.

Arzneimittelbereich weiterhin im Fokus der Ministerin

Die Bundesgesundheitsministerin begrüßte die Studie. Sie sei "dankbar dafür" – denn die Studie bestätige viele ihrer Reformvorhaben. Wie Fiedler verspricht sie sich viel von den strukturierten Behandlungsprogrammen für chronisch Kranke und der Einführung einer Kosten-Nutzen-Bewertung für Arzneimittel. Auch die Positivliste soll Ärzten künftig behilflich sein, Arzneimittel qualitätsgesichert zu verordnen.

Schmidt betonte erneut, der Arzneimittelbereich spiele eine zentrale Rolle bei der anstehenden Gesundheitsreform. Denn trotz aller Rabatte des Beitragssatzsicherungsgesetzes stiegen die Ausgaben für Arzneimittel weiter. "Das kann so nicht weiter gehen", meint die Ministerin.

Sie kritisierte zudem die Praxis der Naturalrabatte in Apotheken. Diese führe dazu, das Apotheker auch im Rahmen von Aut-idem häufig nicht das preiswerteste Mittel abgäben. Schmidt wiederholte ihre Absicht, den Anreiz teure Präparate abzugeben, mit einer geänderten Arzneimittel-Preisspannenverordnung einzudämmen: Dafür sorgen sollen Fixzuschläge pro verkauftem Medikament.

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) sieht die Ärzte von Lauterbach und Fiedler zu Unrecht angeschuldigt: Die ALLHAT-Studie sei ein "wertvoller Beitrag, um Einsparungen im Arzneimittelbereich zu erzielen", sagte KBV-Sprecher Roland Stahl. Doch die Ergebnisse seien erst letzten Dezember veröffentlicht worden, sodass viele Ärzte noch nicht informiert seien.

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