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Arzneimittel und Therapie
Hormonersatztherapie: Nur noch kurz und niedrig dosiert
Die britische "Million Women Study" bestätigt die Ergebnisse der amerikanischen "Women's Health Initiative", wonach die kombinierte Hormonbehandlung nach der Menopause das Brustkrebsrisiko steigert. Erkrankungs- und Sterberisiko waren hier sogar noch höher.
Die "Women's Health Initiative", eine randomisierte, plazebokontrollierte Studie, hatte im Juli letzten Jahres gezeigt, dass die Kombinationsbehandlung mit Estrogen plus Gestagen, wie sie bislang für die meisten Frauen empfohlen worden war, das Risiko für Brustkrebs um relativ 24 Prozent erhöht.
In der britischen Studie sollte der Einfluss verschiedener Formen von (post-)menopausaler Hormontherapie auf die Entstehung von Brustkrebs erfasst werden. Dazu wurden Daten aus standardisierten Fragebögen sowie zentral erfasste Brustkrebserkrankungen und Brustkrebstodesfälle von über 1 Million Frauen im Alter von 50 bis 64 Jahren ausgewertet. Somit wurde ein Viertel der britischen Frauen in dieser Altersgruppe erfasst.
Zusätzliche Brustkrebsfälle
In industrialisierten Ländern haben etwa 32 von 1000 Frauen, die keine Hormonersatztherapie durchführen, zwischen ihrem 50. und 65. Lebensjahr eine Brustkrebsdiagnose zu erwarten. Die Anwendung von reinen Estrogenpräparaten über 5 Jahre führt bei 1000 Frauen zu etwa 1,5 zusätzlichen Brustkrebsfällen. Bei 10-jähriger Anwendung solcher Estrogen-Monopräparate treten etwa fünf zusätzliche Brustkrebsfälle auf.
Bei einer Hormonsubstitution mit Kombinationspräparaten aus Estrogenen und Gestagenen sind die entsprechenden Zahlen für zusätzliche Brustkrebsfälle etwa viermal so hoch (6 beziehungsweise 19). Diese erhöhten Risiken sind schon nach etwa einem Jahr erkennbar.
Die Studie zeigt außerdem, dass Frauen, die Arzneimittel zur Hormonersatztherapie anwenden, auch ein höheres Risiko haben, an Brustkrebs zu sterben, als Nicht-Anwenderinnen und dass das Brustkrebsrisiko schon innerhalb des ersten Behandlungsjahres einer Hormonsubstitution mit kombinierten Arzneimitteln erhöht ist. Das Brustkrebsrisiko geht nach Absetzen einer Hormonersatztherapie innerhalb weniger Jahre wieder auf das altersentsprechende Grundrisiko zurück.
Erhöhtes Brustkrebsrisiko
Frauen, die zum Zeitpunkt des Einschlusses in die Studie eine Hormontherapie durchführten, hatten während der mittleren Nachbeobachtungszeit von 2,6 Jahren ein erhöhtes Brustkrebsrisiko. Gegenwärtige Anwenderinnen haben ein um 66 Prozent erhöhtes Risiko für einen Brustkrebs und eine um 22 Prozent erhöhte Brustkrebssterblichkeit. Ehemalige Anwenderinnen hatten kein erhöhtes Erkrankungs- oder Sterberisiko.
Gegenwärtige Anwenderinnen von Estrogen-Monopräparaten (nur bei hysterektomierten Frauen indiziert) hatten ein erhöhtes Erkrankungrisiko (1,30). Gegenwärtige Anwenderinnen von Estrogen-Gestagen-Kombinationen hatten sogar ein zweifach erhöhtes Erkrankungsrisiko.
Welches Estrogen oder welches Gestagen verwendet wurde, hatte ebenso wenig einen Einfluss auf das Ergebnis wie die Hormondosis oder die zeitliche Abfolge (kontinuierliche oder sequenzielle Therapie). Das Risiko war für alle Applikationen erhöht, Hormonpflaster sind jedoch etwas weniger riskant (1,24) als Tabletten (1,32) oder Implantate (1,65).
Frauen, die eine Hormontherapie durchgeführt, diese aber beendet hatten, hatten kein erhöhtes Risiko (Inzidenz) für Brustkrebs.
Ergebnisse sind nach Deutschland übertragbar
Schätzungsweise hat die Hormontherapie in den letzten zehn Jahren in Großbritannien in der Altersgruppe der 50- bis 64-Jährigen zu 20 000 zusätzlichen Brustkrebserkrankungen geführt. Drei Viertel, nämlich 15 000, gingen auf das Konto der kombinierten Präparate aus Estrogen und Gestagen.
Die in Großbritannien und Deutschland verwendeten Präparate und ihr Anwendungsspektrum sind vergleichbar. Somit ist eine Übertragung der Ergebnisse auf Deutschland gut möglich.
Reaktionen auf die Studie: Hormone absetzen?
Trotz dieser Ergebnisse hält das britische Committee on Safety of Medicines es nicht für notwendig, dass Frauen die Hormonbehandlung abbrechen. Bei der kurzfristigen Behandlung von klimakterischen Beschwerden sei der Nutzen bei vielen Frauen größer als die Risiken.
Nach den Konsensus-Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) ist die Hormonersatztherapie nach wie vor die wirksamste medikamentöse Behandlungsform vasomotorischer Symptome. Damit assoziierte klimakterische Symptome könnten durch die Therapie verbessert werden.
Die vaginale, orale oder parenterale Applikation von Estrogenen sei darüber hinaus zur Therapie und Prophylaxe der Urogenitalatrophie geeignet.
Zur Prävention der Osteoporose und osteoporosebedingter Frakturen könne die Hormonersatztherapie zwar eingesetzt werden, so die DGGG, die dazu erforderliche Langzeitanwendung sei allerdings mit potenziellen Risiken verbunden.
Zur Primär- bzw. Sekundärprävention der koronaren Herzkrankheit und des Schlaganfalls eignen sich Hormonpräparate nicht.
BfArM: "So kurz und so niedrig dosiert wie möglich"
Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) empfiehlt, Arzneimittel zur Hormonersatztherapie nur noch zur Behandlung ausgeprägter Wechseljahresbeschwerden anzuwenden. Außerdem soll die Behandlung so kurz und so niedrig dosiert wie möglich durchgeführt werden. Kardiovaskuläre Komplikationen wie venöse Thrombosen, Herzinfarkt und Schlaganfall treten zum Teil schon nach einem Jahr der Behandlung vermehrt auf.
Einige günstige Effekte, wie Senkung der Rate an Dickdarmkrebs und Verminderung der Zahl an Knochenbrüchen, wiegen nach Auffassung des BfArM und anderer Wissenschaftler die genannten Risiken nicht auf. Für eine jahrelange Hormonsubstitution zur Vorbeugung vor Osteoporose hält das BfArM das Nutzen-Risiko-Verhältnis daher für ungünstig.
Neue Risikobewertung
Das BfArM hat mit Bescheid vom 13. August 2003 die Zulassungen für Estrogen- und Estrogen-Gestagen-haltige Arzneimittel zur Hormonsubstitution geändert. Für die Fach- und Gebrauchsinformationen von etwa 325 betroffenen Präparaten werden unter anderem umfangreiche Risikoangaben vorgeschrieben.
In die Produktinformationen von Arzneimitteln zur Hormonersatztherapie müssen erweiterte Angaben zum Risiko von venösen Thromboembolien, koronarer Herzkrankheit, Schlaganfall, Brustkrebs und Ovarialkarzinom aufgenommen werden. Seit dem 18. August 2003 sind die seitens des BfArM vorgesehenen Änderungen der Gegenanzeigen, Warnhinweise und Nebenwirkungen von Estrogen- und Estrogen-Gestagen-Präparaten im Internet abrufbar (www.bfarm.de).
- Das größte Risiko hatten Frauen, die Estrogen-Gestagen-Kombinationen einnahmen; das Risiko war bei reiner Estrogeneinnahme vergleichsweise geringer, aber ebenfalls signifikant erhöht.
- Das Risiko steigt bei allen Therapien mit der Dauer der Anwendung.
- Konjugierte equine Estrogene sind wie estradiolhaltige Präparate zu bewerten.
- Der Einfluss verschiedener Gestagenkomponenten (aufgeführt wurden Medroxyprogesteronacetat, Norethisteronacetat, Norgestrel) ist vergleichbar.
- Auch das Norethynodrel-Derivat Tibolon erhöht das relative Risiko für Brustkrebs.
- Das Risiko ist für verschiedene Anwendungsschemata und Applikationsarten vergleichbar (sequenziell/kontinuierlich; oral/transdermal).
- Eine Hormonersatztherapie im Klimakterium und in der Postmenopause darf nur bei bestehender zugelassener Indikation eingesetzt werden.
- Eine Nutzen-Risiko-Abwägung und Entscheidung zur Therapie muss gemeinsam mit der Rat suchenden Frau erfolgen. Diese muss jährlich überprüft werden.
- Die Hormonersatztherapie ist die wirksamste medikamentöse Behandlungsform vasomotorischer Symptome. Damit assoziierte klimakterische Symptome können verbessert werden.
- Die vaginale, orale oder parenterale Applikation von Estrogenen ist zur Therapie und Prophylaxe der Urogenitalatrophie geeignet.
- Bei nicht hysterektomierten Frauen muss die systemische Estrogentherapie mit einer ausreichend langen Gabe von Gestagenen (mindestens 10 Tage pro Monat) in suffizienter Dosierung kombiniert werden.
- Hysterektomierte Frauen sollten nur eine Monotherapie mit Estrogenen erhalten.
- Die Estrogendosis sollte so niedrig wie möglich gewählt werden.
- Derzeit besteht keine ausreichende Evidenz für die Bevorzugung bestimmter für die Hormonersatztherapie zugelassener Estrogene oder Gestagene bzw. ihrer unterschiedlichen Darreichungsformen.
- Die Hormonersatztherapie ist zur Prävention der Osteoporose und osteoporosebedingter Frakturen geeignet. Dazu wäre allerdings eine Langzeitanwendung erforderlich, die mit potenziellen Risiken verbunden ist.
- Die Hormonersatztherapie ist nicht zur Primär- bzw. Sekundärprävention der koronaren Herzkrankheit und des Schlaganfalls geeignet.
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