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Berichte
Hamburger AV: Bedenken und Optimismus
Nach Einschätzung von Graue ruft die Vielzahl und Geschwindigkeit der Reformvorhaben im Gesundheitswesen ein "Flirren und Flimmern in der öffentlichen Wahrnehmung" hervor, das auch sinnvolle Änderungen verzerre. Außerdem bleibe derzeit ungewiss, welche weiteren Folgen durch die nationale und internationale Politik und durch gerichtliche Entscheidungen entstünden.
Dreizehn Jahre nach dem Mauerfall sei es fast als tragisch zu bezeichnen, dass die Deutschen aus den neuen Ländern nun "ein Gesundheitsmodell mit zu Grabe tragen müssen, mit dem sie sich gerade erst angefreundet haben, um wieder in ihrem alten zu landen". Die Polikliniken würden jetzt nur Gesundheitszentren genannt.
Folge des GMG: Mehr Ökonomie im Apothekerberuf
Durch die neue Preisbildung für verschreibungspflichtige Arzneimittel würden die Verhältnisse zwischen den bisher benachteiligten bzw. begünstigten Apotheken umgekehrt. Die Preisfreigabe bei den OTC-Arzneimitteln werde sich nicht vorteilhaft für die Patienten auswirken.
Im Gegenteil, die Lebenserfahrung zeige, dass die Preise für Arzneimittel steigen, wenn die Preise frei kalkulierbar werden. Preisdumping könne wirtschaftlich nicht erfolgreich sein, da eine so starke Lockwirkung und so große Mehrumsätze unrealistisch seien.
Gerade die neue Preisbildung bei den verschreibungspflichtigen Arzneimitteln, die nur die Kosten deckt, lasse den Apothekern gar keine andere Wahl, als Gewinne im OTC-Bereich zu erwirtschaften. Durch diese aufgezwungene stärker ökonomisch geprägte Ausrichtung des Berufes würde die Ausstattung der Apotheken künftig mehr an kaufmännischen Interessen orientiert werden.
Im Vergleich dazu dürfte sich der Versandhandel weniger schwerwiegend auf die Apotheken auswirken, weil ihm durch die neue Arzneimittelpreisverordnung die "merkantile Essenz" genommen wurde. Allerdings sei die Werbung für den Homeservice der ABDA keine glückliche Entscheidung gewesen. Dies sei auch im Rechtsstreit mit Krankenkassen wegen deren Werbeaktivitäten ein gefundenes Fressen für diese gewesen.
Kooperationen: Keine "Hilfsaktion" für Apotheken
Die Kooperationsmodelle der Großhändler sind nach Einschätzung von Graue eine Konsequenz aus der Reduzierung der Großhandelsspanne und keine "Hilfsaktion" für die Apotheken. Die Apotheker sollten daher genau prüfen, ob die Angebote mit ihren Interessen übereinstimmen.
Nach dem Fall der Mauer habe er den Kollegen im Osten Deutschlands geraten, möglichst keine Unterschriften zu leisten. Diese Empfehlung gelte auch heute. Als Alternative verwies er auf den Apothekerverein, der als Zusammenschluss Gleichgesinnter der genuine Interessenwahrer der finanziellen und wirtschaftlichen Möglichkeiten der Apotheker sei.
Auch in der Zusammenarbeit mit den Herstellern schaffe das GMG ein Problem. Der 16%ige Herstellerrabatt werde von den Rechenzentren erhoben, doch würden "viele säumige Hersteller" die Rechenzentren belasten, die die Zahlung kreditieren. Größere Probleme würden entstehen, falls ein mittelständischer Hersteller insolvent werden sollte.
Vorteile durch Demographie
Trotz aller Probleme werde die deutsche Apotheke aber weiter bestehen, weil die demographischen Verhältnisse ihren Markt expandieren lassen. Dem OTC-Bereich würden zweistellige Wachstumsraten prognostiziert.
Zudem sei das Konzept der Hausapotheke ein Versuch, die Apotheker besser für die Zukunft zu positionieren. Dieser Prozess stelle eine globale Erscheinung dar. So könnte es manchmal besser sein, auf einen fahrenden Zug aufzuspringen, doch schränkte Graue ein: "Gelegentlich fährt er allerdings nach Nirgendwo." Die Apotheker sollten die nicht immer angenehmen Neuregelungen als Chance begreifen, alles auf den Prüfstand zu stellen und einen Neuanfang zu wagen.
Filialbesitz und pachtvertragliche Konkurrenzklausel
Dr. Johannes Pieck, ehemaliger Sprecher der ABDA-Geschäftsführung, stellte seine Einschätzung zu aktuellen rechtlichen und standespolitischen Fragen dar. Bezüglich der künftig zulässigen Filialapotheken hob er hervor, dass dann auch Pächter Filialen betreiben dürften.
Dabei sei eine Information und Abstimmung mit dem Verpächter geboten. Eine Zustimmung des Verpächters sei zwingend erforderlich, wenn der Pächter im Einzugsbereich der pachtvertraglichen Konkurrenzklausel eine Filiale betreiben wolle.
Angestellte Filialleiter
Angestellte Filialleiter würden die uneingeschränkte pharmazeutische Verantwortung als Apothekenleiter tragen, die der Inhaber der Betriebserlaubnis vertraglich und faktisch weder einschränken noch aufheben dürfe.
Die Kontrollfunktion des Erlaubnisinhabers ergebe sich aus seinen ökonomischen Interessen und aus seiner Eigenschaft als möglicher Adressat behördlicher Ordnungsverfügungen, sie sei aber nicht mit gesetzlichen Aufsichts- und Handlungspflichten gleichzusetzen.
Die Kontrollfunktion werde in der GMG-Begründung erwähnt, sei aber weder im Apothekengesetz noch in der Apothekenbetriebsordnung festgeschrieben und daher keine Rechtspflicht. Die Stellung des angestellten Filialleiters könne mit der eines Verwalters oder eines Leiters einer Krankenhausapotheke verglichen werden.
Ob die Neuregelung über längere Zeit bestehen bleibe, sieht Pieck skeptisch. Die tatsächliche Entwicklung auf dem Markt der Kooperationen werde darüber mitbestimmen.
Unwägbarer Versand aus dem Ausland
Bezüglich des Versandhandels müsse damit gerechnet werden, dass deutsches Recht im Ausland praktisch nicht durchgesetzt werden könne. Die deutschen Behörden hätten schon in der Vergangenheit beim illegalen Versand eindrucksvoll dokumentiert, dass sie Missständen nicht begegnen könnten und teilweise auch nicht wollten.
Möglicherweise würden interessierte Kreise diese spezifische Variante der Ungleichheit nutzen wollen, um künftig freie Preise für den Arzneimittelversand innerhalb Deutschlands fordern zu können.
Klagen gegen die ABDA politisch verarbeiten
Die Klagen gegen Apothekerkammern auf Austritt aus der ABDA seien juristisch ernst zu nehmen. Doch sei dies der falsche Weg für politische Auseinandersetzungen. Unzufriedenheit mit der Politik der ABDA müsse politisch abgearbeitet werden. Die Apotheker könnten sich glücklich schätzen über einen Interessenverband, der ihre Anliegen gebündelt vertrete. Daher seien die Klagen rechtlich legitim, aber politisch töricht.
Pieck meinte, es sei geschmacklos, verantwortungslos und beleidigend für die haupt- und ehrenamtlich in der ABDA Tätigen, die ABDA als "kriminelle Vereinigung" zu bezeichnen. Die Kammern müssten sich dagegen wehren. Zugleich müssten die ABDA und ihre Mitgliedsorganisationen die politische Substanz der Vorwürfe sensibel und flexibel abarbeiten.
Herausragende Ehrungen
Der Geschäftsführer des Hamburger Apothekervereins Peter Brinkmann erinnerte in seinem Geschäftsbericht an besondere Auszeichnungen im Jahr 2003. So erhielt die langjährige stellvertretende Vereinsvorsitzende Traute Köhler am 6. März des Bundesverdienstkreuz am Bande, insbesondere für ihren enormen Einsatz bei der Unterstützung der Apotheker in den neuen Bundesländern.
Dem Vorsitzenden Dr. Graue wurde am 24. August von der Gesellschaft Deutsches Apothekenmuseum die "Fritz Ferchl-Medaille" verliehen, um das Engagement des Apothekers und Historikers für den Erhalt und den Umbau des Museums zu würdigen.
Vorstandswahlen
Im Rahmen der Mitgliederversammlung wurden die Vorstandsmitglieder Dr. Jörn Graue, Dr. Claus Greger und Manfred Wocker turnusmäßig für eine neue vierjährige Amtsperiode wiedergewählt. Bei der anschließenden konstituierenden Vorstandssitzung wurde Dr. Jörn Graue einstimmig als Vorsitzender bestätigt. Götz Sieckmann wurde als erster Stellvertreter und Dr. Claus Greger als zweiter Stellvertreter gewählt.
Dr. Jörn Graue über die Entstehung der neuen Arzneimittelpreisverordnung vor dem Hintergrund der Äußerung von Gesundheitsministerin Schmidt: "Wer sich nicht bewegt, verliert."
Dr. Jörn Graue über die Wirkung der demographischen Entwicklung auf den Gesundheitsmarkt
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