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Neue Strukturen im Apothekenmarkt: Franchisekonzept Avie geht in die Offensive
Die Grundidee einer Franchisegruppe ist einfach: Auf der einen Seite steht der Franchisegeber, der sich um zentrale Aufgaben kümmert, auf der anderen der Franchisenehmer, der sein lokales Wissen einbringt.
Steuerung aus der Systemzentrale So sieht ein Franchiseunternehmen wie Avie seine Aufgaben darin, zunächst für die Etablierung der Marke zu sorgen und sich um Optimierung von Organisationsabläufen und Rationalisierungsmaßnahmen in Bezug auf die Prozesskosten zu kümmern. Gleichzeitig organisiert Avie den Einkauf und achtet auf eine optimale Sortimentsdynamik. Ebenso sieht sich der Franchisegeber für Vertriebskonzepte zuständig. Diese Elemente werden von einer so genannten Systemzentrale aus gesteuert, wobei die Entscheidungen von Fachgremien getroffen werden, die sich größtenteils aus Avie-Apothekern zusammensetzen. Auf der anderen Seite steht der Inhaber-geführte Franchisenehmer, der mit seinem lokalspezifischen Wissen die Avie-Empfehlungen ergänzt. Dabei ist es laut Birkle wichtig, dass nicht austauschbare Geschäftsführer eingesetzt werden, sondern der Inhaber als investierter Unternehmer.
Marken werden durch Werbung gemacht Nach Ansicht von Birkle ist es den bereits am Markt existierenden Kooperationen bisher nicht gelungen, eine echte Marke aufzubauen. Dabei zeigen gerade die Entwicklungen in anderen Märkten, dass es die Top-Marken sind, die sich im Konkurrenzkampf durchsetzen (diese Tendenz wurde durch die Vorträge anderer Tagungsteilnehmer bestätigt). Die Marke steht für eine Orientierungs-, Vertrauens- und Kompetenzfunktion.
Bei der Markenbildung geht es darum, beim Verbraucher eine "Qualitätsvermutung" zu suggerieren. So haben die Konsumenten beispielsweise beim Media Markt ohne Preisvergleich das Gefühl, billig eingekauft zu haben, und ignorieren kritische Hinweise der Verbraucherverbände.
Avie will den Zeitvorsprung nutzen Dass es bei der Markenbildung beinahe ausschließlich auf die Kommunikation ankommt, illustriert ein anderes Beispiel: Vor einigen Jahren ließ Pepsi Cola massenhaft Blindverkostungen von Cola und Pepsi durchführen. Ergebnis: Die Testpersonen votierten mehrheitlich für Pepsi als das bessere Getränk. Pepsi konnte trotz dieser werblich verbreiteten Tatsache nicht 0,1 Prozent mehr Marktanteil generieren " Cola war als Marke einfach schon zu etabliert. "Wenn in ein paar Jahren größere Veränderungen im Apothekenmarkt passieren, werden auf sich gestellte Apotheken sich gegenüber professionell aufgestellten Marken behaupten müssen", warnte Birkle und fügte hinzu: "Und deshalb gilt es jetzt, den zeitlichen Vorsprung zu nutzen, um als Gruppe selbst eine Marke aufzubauen."
Organisation und Prozesskosten Wer sich zusammenschließt, hat bei mehreren Geschäftsfeldern die Möglichkeit, die Kosten durch Teilung zu reduzieren. Als Beispiel führte Birkle die Erstellung von Flyern an. Insgesamt wird durch die Systemzentrale eine Organisationsverschlankung angestrebt. Gleichzeitig soll durch die Auslagerung aller administrativer Belange, wie etwa der Bearbeitung der Betriebssteuern durch die Systemzentrale eine maximale Wertschöpfungsorientierung möglich sein. Automatisierungen und Systematisierungen in der Organisation führen zu Degressionseffekten. Schlussendlich gehört auch ein permanentes Controlling zu den Leistungen, die durch Avie erbracht werden sollen.
Birkle wies darauf hin, dass die einzelnen Apotheker zu einem solchen Controlling in der Regel nicht in der Lage sind, da sie zu sehr in das Tagesgeschäft eingebunden sind. Der gelernte Betriebswirt gab auch zu bedenken, dass heute zwar "alle Apotheken gleich aufgestellt sind? und somit auf einer Konkurrenzebene stehen, dass sich jedoch - sobald große Handelsunternehmen auf den Markt drängen - im Hinblick auf die gesamten, in den einzelnen Apotheken anfallenden Prozesskosten ein gewaltiges Gefälle auftun wird: "Große Unternehmen zentralisieren ihre Prozesskosten und arbeiten damit um bis zu 80 Prozent preiswerter."
Die Eckpunkte des Franchisesystems Einen wesentlichen Unterschied gegenüber den Kooperationen sieht Birkle in der Vertragsbindung, die im Normalfall auf fünf Jahre angelegt ist - möglicherweise wird es zur Einführung des Systems Sonderkonditionen geben. "Das ist kein Flirt, das ist eine Hochzeit", fasst der Avie-Chef die Art der Beziehung in einer griffigen Metapher zusammen. Um ein verlässlicher Partner für die Industrie zu sein, müssen die Vertragsbestandteile konsequent durchgesetzt werden. Der einheitliche Markenauftritt wird beispielsweise durch die "Verpflichtung zur Führung der Marke im Erscheinungsbild" gewährleistet. Dies bedeutet auch eine Verpflichtung zur Führung des Basissortimentes in OTC und Freiwahl.
Selbstverständlich ist auch der Werbeauftritt der einzelnen Apotheke in das Gesamtkonzept eingebunden. Was die Organisation angeht, so wird ein einheitliches IT-System von Avie gestellt, um so dafür sorgen zu können, dass alle relevanten Daten in der Systemzentrale zusammenlaufen, wo die Abwicklung von Bestellungen, Rechnungen und Zahlungen erfolgt. Nach der Überzeugung von Birkle geht es bei künftigen Verhandlungen mit der Industrie nicht mehr darum "über Rabatte zu sprechen", sondern "günstige Nettopreise" herauszuschlagen.
Einsatz von Category Management Die Sortiments- und Platzierungskonzeption wird bei Avie unter Category-Management-Gesichtspunkten in Kooperation mit der Pharmaindustrie organisiert. Dabei stehen die Bedürfnisse der Kunden im Vordergrund - auf Bequemlichkeiten der Mitarbeiter wird keine Rücksicht genommen. Im Sortiment genießen starke Marken mit hohem Nachfragepotenzial genauso wie Produkte mit hoher Ertragskraft als Empfehlung im Beratungsgespräch höchste Priorität.
Obwohl sich Avie nicht als Billigheimer versteht, wird es auch günstige Produkte für den preisorientierten Kunden geben. Im OTC-Bereich wird es immer wieder zu Sortimentsstraffungen und Aktualisierungen kommen. Nach Angaben Birkles spielen die Mitarbeiter im Avie-Konzept eine besondere Rolle: "Mitarbeiter A und B müssen im Beratungsgespräch dieselben Empfehlungen aussprechen - nur so gewinnen wir beim Kunden an Glaubwürdigkeit."
Schwerpunkte werden nach Saison gesetzt Eine optimale Ertragskraft soll durch eine permanente Absatz-, Umsatz-, und Ertragskontrolle der Artikel anhand kundeneigener Scannerdaten sowie deren Vergleich mit Marktdaten erreicht werden. Durch eine abverkaufsgerechte Dimensionierung der Sortimente und Bestände sollen Kapitalbindungskosten reduziert werden. Bestellungen bei der Industrie werden zentral angeliefert und in kleineren Mengen an die einzelnen Apotheken weitergeleitet. Die Bestückung der Regale orientiert sich stark an saisonalen Schwerpunkten. Gleichzeitig erfolgt die Produktwerbung in Abstimmung mit den Werbekampagnen der Hersteller - somit unterstützt Avie die Markenpolitik der Industrie. So genannte Trendsortimente werden rechtzeitig vermarktet. Als Steuerungsinstrument kommen Marktforschungen zum Einsatz.
Keine Platzierung mehr nach Indikation In Sachen Präsentation wendet man sich von der traditionellen indikationsbezogenen Platzierung ab, die laut Birkle für den Kunden ohnehin "keine Orientierung bietet. Wir werden an den drei bis vier wichtigsten Stellen Markenregale präsentieren, so dass sich der Kunde schneller zurechtfinden kann."
Was den Preis anbelangt, verfolgt man bei Avie den Aufbau eines preiswürdigen Images, bei dem die Wertigkeit des OTC-Arzneimittels erhalten bleibt. Im Hinblick auf die Mitarbeiter wird es regelmäßige Schulungen zum Thema Produktkenntnisse geben sowie Trainingseinheiten unter dem Arbeitstitel "Beratungsgespräche mit Verkaufsabschluss"!. Nach dem Muster von erfolgsorientierten Motivationsmodellen werden Zusatzumsätze honoriert, außerdem werden die Mitarbeiter über ihren individuellen Anteil am Erfolg informiert.
Expansive Apotheker bevorzugt Avie strebt für seine Apotheken einen Umsatzanteil im OTC-Bereich von 40 und einen Ertragsanteil von 60 Prozent an. Gleichzeitig soll den Kunden und Partnern aufgrund einheitlicher Beratungsqualität, Sortiments-, Preis- und Marketingpolitik Planungssicherheit garantiert werden. Derzeit befinden sich die 25 Partnerapotheken noch in der Pilotprojektphase. Eine gezielte Akquirierung mit vier Außendienstmitarbeitern startet im neuen Jahr. Innerhalb von drei Jahren sollen ca. 1000 Mitglieder unter dem Dach der Franchisegruppe versammelt sein. Nicht jede Apotheke wird in die Gruppe aufgenommen. Bevorzugt werden Apotheker, die auf Expansionskurs sind und bereit sind, Filialen zu eröffnen, oder die diese bereits eröffnet haben. Insgesamt schätzt Birkle, "dass man bei 1000 Apotheken als Mitglieder rund 350 unternehmerisch orientierte Apotheker braucht".
Bei der auf den Vortrag folgenden Diskussion wurde klar, dass sich die Entscheidungsbefugnisse in einem solchen System verschieben: Kann der Inhaber der traditionellen Präsenzapotheke heute - auch im Hinblick auf pharmazeutische Kriterien, was Produkte und Beratung angeht - in alleiniger Verantwortung seine Entscheidungen fällen, muss er sich als Avie-Apotheker derjenigen Entscheidung beugen, die das jeweilige installierte Fachgremium der Franchisegruppe für ihn fällt.
Birkle: "Der Apotheker muss sich vom Solisten zum Teamplayer entwickeln. Dazu gehört es auch, Entscheidungen zu akzeptieren, die ich alleine so vielleicht nicht fällen würde."
"Ein Pharmazeut ist ein Unternehmer" Der Avie-Chef sieht für sein Konzept einige Vorteile im Vergleich mit bestehenden Kooperationen. Diese seien nur "Sand in den Augen der Apotheker, da sie zu wenige Maßnahmen ergreifen, die wirklich hilfreich sind. Außerdem füllen sie den Markengedanken nicht mit Leben." Im Vergleich dazu sei sein Konzept weit stringenter und damit zukunftsfähiger.
Als ein Teilnehmer der Diskussion wissen wollte, ob Birkle einen Unterschied zwischen dem Berufsbild eines Pharmazeuten und demjenigen eines Unternehmers sehe, konnte dieser "grundsätzlich keinen Unterschied" erkennen.
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