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Hochschulnachrichten
Plädoyer für ein deutsches Weihrauchpräparat (DAZ-Interview)
DAZ
Herr Ammon, aus der ZDF-Sendung ging hervor, dass Sie und Ihr Team Salai guggal (indischer Weihrauch), das in Indien heute gegen rheumatische Erkrankungen eingesetzt wird, mit nach Deutschland genommen haben, um zu untersuchen, ob es darin Wirkstoffe gibt, die z.B. entzündungshemmende Eigenschaften besitzen. Tatsächlich konnten Sie eine Hemmung von Entzündungsmediatoren, den Leukotrienen, sowie eine Hemmung der in Leukozyten vorkommenden Elastaseaktivität nachweisen. Was hat das für eine Bedeutung?
Ammon:
Leukotriene sind Entzündungsfaktoren, die insbesondere bei chronisch entzündlichen Erkrankungen eine Rolle spielen. Sie bewirken die Anlockung von weißen Blutkörperchen in das Entzündungsgebiet. Weitere Wirkungen sind erhöhte Permeabilität der Kapillargefäße und die Aktivierung der Fresstätigkeit von weißen Blutkörperchen, was sich in einer Zerstörung von Knorpel bei Gelenkerkrankungen bemerkbar machen kann. Außerdem haben wir gefunden, dass die Aktivität gewebsauflösender Enzyme (Elastase, Plasmin) gehemmt wird. Diese Enzyme spielen ebenfalls eine Rolle bei einer Reihe von chronischen Erkrankungen.
DAZ
Was haben sich daraus für therapeutische Konsequenzen ergeben? Es handelt sich ja im wesentlichen um pharmakologische Untersuchungen an Tieren oder Zellmaterial.
Ammon:
Die therapeutische Konsequenz war, dass wir uns überlegt haben, bei welchen chronischen Erkrankungen besonders Leukotriene eine entzündungserhaltende Rolle spielen, bzw. bei welchen Erkrankungen Elastase zu Gewebszerstörungen führt.
DAZ
Welche Krankheiten meinen Sie damit?
Ammon:
Was die Wirkung der Leukotriene betrifft, so sind dies z. B. chronische Polyarthritis, Asthma bronchiale, Psoriasis, Colitis ulcerosa, Morbus Crohn, chronische Hepatitis u.a..
DAZ
Und bei der Elastase ?
Ammon:
Hier stehen im Vordergrund die rheumatoide Arthritis, chronische Bronchitis, Mucoviszidose u.a..
DAZ
Gibt es denn dazu auch klinische Hinweise?
Ammon:
Für einen theoretischen Pharmakologen ist es bei uns äußerst schwierig, seine Laborergebnisse klinisch überprüfen zu lassen. Da es in Deutschland nicht möglich war, haben wir aber in Indien einige Pilotstudien veranlasst zum Thema Colitis ulcerosa, chronische Colitis und Asthma bronchiale, die unter den dortigen Bedingungen vielversprechende Ergebnisse gezeigt haben. Es sind natürlich nur Pilotuntersuchungen, die in keiner Weise den wissenschaftlichen Standard haben, wie er bei uns zur Zulassung von Arzneimitteln notwendig ist. Es waren aber zumindest erste Hinweise.
DAZ
Gibt es auch in Deutschland solche Studien?
Ammon:
In der Zwischenzeit ist eine Studie gelaufen, die die Wirksamkeit eines Boswelliaextraktes bei Morbus Crohn zumindest nahe legt. Auch gibt es Publikationen, die in einigen Fällen vermuten lassen, dass Boswelliaextrakte das peritumorale Hirnödem bei Glioblastomen und anderen Tumoren zu reduzieren vermögen und der Cortisonverbrauch eingeschränkt werden kann.
DAZ
Wird ein solches Produkt in Deutschland bereits verwendet?
Ammon:
Es gibt ein indisches Produkt namens H 15 und Sallaki, das seit langem in Deutschland und Europa Verwendung findet und offensichtlich doch mit großer Akzeptanz bei chronisch Erkrankten, insbesondere im Darmbereich, aber auch bei Rheuma angewandt wird. Bei H 15 aus Indien handelt es sich um das Präparat, das wissenschaftlich am besten, wenn auch nicht optimal, untersucht ist und einen verhältnismäßig gleichmäßigen Gehalt an wirksamkeitsbestimmenden Inhaltsstoffen (Boswelliasäuren) aufweist.
DAZ
Es gibt daneben ja eine Reihe von Anbietern von Weihrauchprodukten. Was ist wissenschaftlich davon zu halten?
Ammon:
Es ist natürlich klar, dass viele Geschäftemacher auf einen Zug aufspringen, bei dem sie selbst nichts zu investieren brauchen, solange sie auf ihren Packungszettel nicht Anwendungsgebiete schreiben, die der öffentlichen Zulassung bedürfen. Was die pharmazeutische Qualität dieser Produkte betrifft und ob sie letztlich die Wirksamkeit besitzen, die wir von dem indischen Produkt kennen, kann ich nicht sagen.
DAZ
Wäre es nicht zweckmäßig, ein in Deutschland zugelassenes Weihrauchprodukt, das standardisiert ist und bei dem auch die klinische Wirksamkeit und Unbedenklichkeit nachgewiesen ist, zu entwickeln? Der Bedarf ist ja offensichtlich vorhanden.
Ammon:
Das ist richtig. Nur müssen Sie sich überlegen, welche immensen Kosten erforderlich sind, um dies zu realisieren.
DAZ
Gibt es überhaupt Patente? Denn eine Pharmafirma wird sich wohl kaum interessieren, wenn ihre Investitionen nicht durch Patente geschützt sind.
Ammon:
Es wurden in der Zwischenzeit ein deutsches Patent über die Anwendung bei Morbus Crohn und Colitis ulcerosa und ein europäisches Patent für eine Reihe anderer Anwendungsgebiete erteilt. Es ist auch ein Patent eingereicht über die Anwendung bei Hirntumoren.
DAZ
Wenn dies so ist, müssten doch Pharmafirmen eigentlich Interesse zeigen?
Ammon:
Das ist leider nicht der Fall. Eine kleine mittelständische Firma hat sich in der Angelegenheit versucht und mit großem finanziellen Aufwand Daten gesammelt, die letztlich zu einer Zulassung führen könnten. Sie hat aber mittlerweile, da sie das finanzielle Risiko nicht mehr tragen konnte, das Handtuch geworfen.
DAZ
Wie weit ist die Angelegenheit bisher gediehen?
Ammon:
Die vorgelegten Daten reichten aus, um bei der EMEA in London für das Anwendungsgebiet peritumorales Hirnödem grünes Licht für entsprechende klinische Studien zu erhalten. Auch das BfArM hat sich die bisher vorliegenden Daten angesehen und in Aussicht gestellt, dass eine Zulassung durchaus denkbar sei, wenn noch weitere Anforderungen erfüllt würden.
DAZ
Wie schätzen Sie denn die noch anstehenden Kosten bis zu einer Markteinführung ein?
Ammon:
Es wird von über zehn Millionen Euro geredet.
DAZ
Wie verteilen sich diese zehn Millionen?
Ammon:
Allein die klinische Studie nur zu einer Indikation werden einen großen Teil verschlingen. Wenn eine solche Studie positiv verläuft, könnte mit einer vorläufigen Zulassung gerechnet werden. Allerdings unter der Auflage, dass weitere Untersuchungen zur Dosisfindung und zur Toxikologie durchgeführt werden, die dann auch noch mal viel Geld kosten.
DAZ
DAZ: Liegt denn ein Arzneimittelgesetz-gerechter Prüfplan vor?
Ammon:
Ein solcher Prüfplan liegt vor und wurde bereits vom BfArM gesehen. Er sieht übrigens vor, dass etwa wenn die Hälfte des Geldes verbraucht ist eine Zwischenbilanz gemacht wird, bei der dann entschieden wird, ob Aussicht auf Erfolg besteht, um im negativen Falle weitere Kosten einzusparen.
DAZ
Das klingt ja alles positiv und trotzdem fehlen Interessenten, die das notwendige Geld investieren, um offensichtlich ein für die Volksgesundheit wichtiges und vor allen Dingen nebenwirkungsarmes Produkt nach modernsten Gesichtspunkten einzuführen. Woran liegt es, dass Sie keine Investoren finden?
Ammon:
Mittelständische Firmen, insbesondere aus dem Phytopharmabereich, könnten durchaus Interesse haben. Allerdings lässt sie die derzeitige unsichere gesundheitspolitische Lage und die Gefahr von Umsatzeinbrüchen, hervorgerufen durch die Tatsache, dass Phytopharmaka kaum noch verschreibungsfähig sind, davor zurückschrecken, sich jetzt in kostspielige innovative Abenteuer zu stürzen.
DAZ
Halten Sie denn die Weiterentwicklung eines Weihrauchprodukts oder der Inhaltsstoffe, den Boswelliasäuren, für einen wesentlichen Fortschritt bzw. innovativ?
Ammon:
Natürlich halte ich dies für höchst innovativ und zwar deswegen, weil die angesprochenen Erkrankungen, bei denen Weihrauchextrakte bzw. Boswelliasäuren zur Anwendung kommen könnten, schwerwiegende Erkrankungen sind, die heute mit Medikamenten behandelt werden, die über erhebliche Nebenwirkungen verfügen, was bei Weihrauch und seinen Inhaltsstoffen nicht der Fall zu sein scheint.
DAZ
Wie sehen Sie die Chancen der Entwicklung von neuen Arzneimitteln aus der Pflanzenwelt der traditionellen Medizin östlicher Kulturen?
Ammon:
Ich sehe hier bei uns kaum Chancen.
DAZ
Warum?
Ammon:
Wir haben eine immer stärkere Globalisierung der großen Pharmafirmen, die sich im wesentlichen auf eigene Philosophien der Arzneimittelfindung konzentrieren, wie Genomics, Proteomics, kombinatorische Chemie. Das ist die derzeitige Strategie. In diesem Umfeld sind Erfahrungen aus der Naturmedizin, selbst basispharmakologische Testergebnisse, quasi uninteressant.
DAZ
Könnte man nicht aus dem Reichtum der ethnischen Pharmakologie wichtige neue Medikamente schöpfen?
Ammon:
Natürlich, aber das würde die hiesigen Philosophien nicht überzeugen. Und selbst wenn es soweit käme, würde es bei den bei uns bestehenden Gesetzen zur Arzneimittelzulassung zu unüberwindbaren finanziellen Hürden führen. Außerdem ist die Patentsituation jeweils kritisch.
DAZ
Was ist in den Ländern zu tun, in denen ein solches Reservoir vorliegt?
Ammon:
Diese Länder müssen sich darauf besinnen, auf eigene Initiativen und Kosten die Entwicklung von Arzneimitteln aus ihrem Arzneimittelschatz voran zu treiben. Dabei genügt es nicht, lediglich chemische Strukturen zu suchen und eventuell einige pharmakologische Untersuchungen zu machen. Es muss wie hierzulande genau nach wissenschaftlichen pharmakologischen und klinischen Kriterien vorgegangen werden - was in diesen Ländern allerdings viel billiger machbar ist.
Ich habe dies bei einem Symposium in Hyderabad kürzlich erklärt. Diese Länder können nicht darauf warten, dass der Westen sich dieser Dinge annimmt. Die großen Pharmafirmen wollen oder mögen es nicht und die mittleren und kleinen können es nicht. Man muss natürlich auch sehen, dass pflanzliche Arzneimittel oder deren Inhaltstoffe aus der traditionellen Medizin bei uns nur dann eine Chance haben, wenn sie etwas bieten, was unsere moderne Arzneimittelentwicklung noch nicht geschafft hat. Es müsste sich herausstellen, dass ein Naturstoff oder ein Naturextrakt mehr kann als ein in unserer westlichen Medizin vorhandener Arzneistoff oder dass er z. B. billiger ist.
DAZ
Und wie schätzen Sie dies bei Weihrauchextrakt bzw. Boswelliasäuren ein?
Ammon:
Da hätten wir vielleicht einen solchen hoffnungsvollen Stoff. Aber er müsste natürlich den Regeln unserer Arzneimittelgesetzgebung entsprechen, wenn auch mit vernünftigem Augenmaß.
DAZ
Was würden Sie vorschlagen?
Ammon:
Nachdem offensichtlich in Deutschland bereits Tausende von Leuten sich mit Weihrauchprodukten behandeln, wäre mein Vorschlag, dass die Behörden (BfArM) zumindest ein pharmazeutisch nach GMP-Vorschriften und toxikologischer Sicherheit erstelltes Produkt zulassen, jedoch noch ohne Nennung der Indikationsgebiete. Dies könnte dann später erfolgen, wenn entsprechende klinische Studien vorliegen.
Ich möchte mit dieser Ansicht sicher gehen, dass die Patienten, die aus welchen Gründen auch immer, ein Weihrauchprodukt einnehmen wollen, ein nach den modernsten pharmazeutischen Kriterien hergestelltes standardisiertes Produkt bekommen, dem sie wenigstens auf der Basis der pharmazeutischen Herstellung vertrauen können. Damit würde ein Stück Sicherheit auf diesem Markt des Arzneimittels erreicht werden. Der Hersteller müsste dazu natürlich die erforderlichen Daten vorlegen, damit die Bevölkerung ein zuverlässiges Produkt und nicht irgendeinen Schrott bekommt.
DAZ
Herr Ammon, wir danken Ihnen für das Gespräch und wünschen Ihnen alles Gute für Ihre weiteren Bemühungen um die Einführung eines standardisierten Weihrauchpräparates in Deutschland.
Vom indischen Weihrauch zum Extrakt
Indischer Weihrauch, der zur Herstellung des Trockenextrakts Verwendung findet, stammt vom Indischen Weihrauchbaum, Salai- oder Saphalbaum, Boswellia serrata Roxb. (Burseraceae). Das Gummiharz tritt nach Einschneiden des Stammes und der Äste aus und wird nach dem Trocknen durch Abschaben gesammelt. Die Droge besteht aus kugeligen, tränenförmigen oder unregelmäßigen Körnern oder Stücken. Sie sind gelblich und durchscheinend, bräunlich bis graubraun oder rötlich, mitunter grau bestäubt, etwas weich oder hart, auf dem Bruch stumpf oder etwas glänzend. Indischer Weihrauch enthält ätherisches Öl, Schleim und Harz.
Wirksamkeitsbestimmende Inhaltstoffe sind nach heutigem Kenntnisstand bestimmte Triterpene, die Boswelliasäuren, insbesondere die 11-Keto-β-Boswelliasäure (KBA) und die Acetyl-11-Keto-β-Boswelliasäure (AKBA).
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