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GMG: Das Ministerium, die Selbstverwaltung und der schwarze Peter

BERLIN (ks). Der Ton hat sich in den vergangenen Tagen verschärft. Niemand will die Verantwortung für die Startschwierigkeiten der Gesundheitsreform übernehmen. Das Bundesgesundheitsministerium sieht die Selbstverwaltung gefordert: Der Gemeinsame Bundesausschuss soll für eine rasche Klärung der offenen Fragen sorgen. Die Ausschussmitglieder wiederum wollen sich von Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt nicht den schwarzen Peter zuschieben lassen.

Noch immer gibt es keine feste Bestimmung, was eine schwere chronische Erkrankung ist und wann Fahrtkosten von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen werden. Schmidt forderte vom Gemeinsamen Bundesausschuss, in dieser Woche zu einer Lösung zu kommen.

Für Wirbel sorgte zudem ein Interview mit der Ministerin in der aktuellen Ausgabe des "Spiegel". Dort erklärte sie auf die Frage, ob die Selbstverwaltung überfordert sei: "Den Ärztefunktionären und Kassen muss klar sein: Diese Gesundheitsreform ist ihre letzte Chance. Wenn es ihnen nicht gelingt, für bessere Qualität und mehr Wirtschaftlichkeit zu sorgen, verliert die Selbstverwaltung ihre Existenzberechtigung." Auf die Nachfrage, ob sie dann die Kassenärztlichen Vereinigungen abschaffen würde, antwortete die Ministerin: "Ja, die wären überflüssig". Stattdessen käme es zu Einzelverträgen zwischen Krankenkassen und Ärzten.

KBV: Politik kneift vor ihrer Verantwortung

Der Erste Vorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Manfred Richter-Reichhelm, warf der Politik am 16. Januar vor, sie "kneife vor ihrer Verantwortung". Regierung und Opposition hätten bei der Verabschiedung der Reform sehr wohl gewusst, dass diese für viele Patienten soziale Härten mit sich bringe. "Sie dürfen jetzt nicht angesichts starker Kritik abtauchen". Zudem weise das Gesetz handwerkliche Fehler auf, die nun die Selbstverwaltung reparieren solle. Die gemeinsame Selbstverwaltung der Ärzte und Krankenkassen habe noch im Dezember Richtlinien zur Chronikerdefinition und die Fahrtkostenerstattung erarbeitet und vorgelegt - das Ministerium wollte diese jedoch geändert wissen.

Die Äußerungen Schmidts im Spiegel bezeichnete der KBV-Vize Leonhard Hansen als "starken Tobak". Der Berliner Zeitung (Ausgabe vom 19. Januar) sagte er, auch wenn die Ministerin unter starkem öffentlichen Druck stehe, sollte sie sich um Sachlichkeit bemühen. Die Drohung, die Selbstverwaltung zur Disposition zu stellen, laufe ins Leere. "Die Politik ist auf uns angewiesen", so Hansen.

Hess: Ministerium hätte Richtlinien nicht blockieren dürfen

Auch der Vorsitzende des Gemeinsamen Bundesausschusses, Rainer Hess, wendet sich entschieden gegen den Vorwurf, die gemeinsame Selbstverwaltung habe zu spät auf die Herausforderung des Reformgesetzes reagiert.

Rechtzeitig sei der gesetzgeberische Wille aufgegriffen worden, die Härtefallregelung auf die Dauerbehandlung "schwerwiegender chronischer Erkrankungen" zu reduzieren, die Fahrtkostenerstattung in der ambulanten Versorgung von einer vorherigen Genehmigung der Krankenkasse abhängig zu machen und auf "besondere Ausnahmenfälle" zu begrenzen. Das Ministerium sei eindringlich gebeten worden, das Inkrafttreten der erarbeiteten Richtlinien zum 1. Januar 2004 nicht zu blockieren, sondern als Einstieg in eine hoch komplexe Neuregelung zu akzeptieren und mit der Auflage einer zeitnahen Ergänzung zu versehen. Wäre dies geschehen, wäre für mehr als eine Millionen chronisch kranker Patienten die Herabsetzung der Härtefallregelung bereits festgestellt gewesen, so der Ausschuss-Vorsitzende.

AOK-Chef: Ohne Selbstverwaltung geht es nicht besser

Auch der Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbands, Hans Jürgen Ahrens - ebenfalls Mitglied des Gemeinsamen Bundesausschusses - teilt die Ansicht seiner Ausschuss-Kollegen, dass die Selbstverwaltung sehr wohl ihre Aufgaben rechtzeitig erledigt habe.

Im Deutschlandfunk zeigte er sich am 19. Januar wenig erfreut, dass das Ministerium der Selbstverwaltung den schwarzen Peter zuschieben wolle. Man sei bereit, in dieser Woche zu vernünftigen und schnellen Lösungen zu kommen. Schmidts Drohung, die Selbstverwaltung aufzulösen, versteht er als Drohgebärde, die man gelassen betrachten könne: "Denn was ist denn die Konsequenz, wenn die gemeinsame Selbstverwaltung aufgelöst wird? Dann muss alles das, was wir jetzt machen, das Ministerium machen. Und ob das besser wird, da habe ich bei diesem Gesetz großen Zweifel", so der AOK-Chef.

Entscheidung am Donnerstag

So rückte auch Schmidts Sprecher Klaus Vater am 19. Januar die Aussage der Ministerin im "Spiegel" gerade. Es gehe nicht darum, die Selbstverwaltung abzuschaffen. Wenn behauptet werde, die Kassenärztlichen Vereinigungen setzten mit den zähen Verhandlungen zur Umsetzung der neuen Praxisgebühr ihre Existenzberechtigung aufs Spiel, so sei dies eine falsche Umdeutung, sagte Vater.

Niemand diskutiere die rechtlichen Möglichkeiten einer Abschaffung und wann dies der Fall sein werde. Die Herstellung von Wirtschaftlichkeit, mehr Effizienz und anderen Dingen in der GKV sei ein Prozess, der über Jahre laufen werde, so der Ministeriumssprecher. Richter-Reichhelm erklärte unterdessen am 19. Januar im ZDF-Morgenmagazin, dass es am Donnerstag eine Abstimmung zum Chroniker-Status und der Fahrtkostenübernahme geben werde. "Ich bin optimistisch, dass das gelingen wird."

Der Ton hat sich in den vergangenen Tagen verschärft: Niemand will die Verantwortung für die Startschwierigkeiten der Gesundheitsreform übernehmen. Das Bundesgesundheitsministerium sieht die Selbstverwaltung gefordert: Der Gemeinsame Bundesausschuss soll für eine rasche Klärung der offenen Fragen sorgen. Die Ausschussmitglieder wiederum wollen sich von Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt nicht den schwarzen Peter zuschieben lassen.

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