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DAZ aktuell
Werden wir in zehn Jahren wieder an einfachen Infektionen sterben? (DPhG-Statement)
Nur noch eine Handvoll pharmazeutischer Firmen arbeiten weltweit an der Entwicklung von Antibiotika. Für das Desinteressen an der Antibiotika-Forschung nennt die Pharmaindustrie gleich mehrere Gründe: Aufgrund der meist kurzen Behandlungsdauer gehören Antibiotika nicht zu den großen "Verdienern" wie Arzneimittel gegen Herzkrankheiten, zu hohe Cholesterinspiegel oder andere chronische Erkrankungen; es gibt eine Sättigung am Markt; es gibt zu viele Generika; der Kostenaufwand bei der Entwicklung ist zu hoch; zu viele neue Antibiotika sterben in den klinischen Studien. Die Reihe der vorgetragenen Argumente lässt sich fortsetzen.
Erschwerend kommt hinzu, dass neue Substanzen als Reserveantibiotika aufspart werden sollen, damit man im Notfall einer Infektion mit multiresistenten Keimen noch eine potente Waffe in der Hinterhand hat. Dies ist eine wichtige Argumentationslinie, die es aber schwer macht, die investierten Kosten für die Entwicklung eines neuen Antibiotikums wieder einzuspielen. Dem entgegen steht der dringende Bedarf an neuen Antibiotika, betrachtet man die zunehmende Zahl an resistenten und multiresistenten Keimen sowie immer neuer Infektionserreger.
Zur Therapie von Infektionen mit resistenten Keimen bedarf es nicht nur neuer Antibiotika bereits bekannter Klassen, sondern insbesondere auch neuer Antibiotika mit neuer chemischer Struktur und ganz neuen Angriffspunkten im Bakterienstoffwechsel, so dass es nicht gleich zu Beginn Kreuzresistenzen mit anderen schon in der Therapie eingesetzten Antibiotikagruppen gibt. Aber wie viele neue Antibiotikaklassen sind in den letzten 30 Jahren überhaupt auf den Markt gekommen? Im engsten Sinne des Wortes nur die Oxazolidinone, von denen als erstes Arzneimittel gerade Linezolid zugelassen worden ist.
Was kann getan werden, um dieser Entwicklung entgegen zu treten? Inzwischen haben sich in Deutschland eine Reihe von Forschungsverbünden an den Universitäten und Forschungsinstituten etabliert, häufig finanziert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft, die sich der Suche nach neuen Antiinfektiva annehmen. Hier kann wichtige Grundlagenforschung geleistet werden, aber keine Entwicklung eines neuen Antibiotikums zur Marktreife. Dafür bedarf es der Industrie. Aber wie kann man die Pharmaindustrie dazu bringen, sich in diesem Bereich wieder zu engagieren.
Während man in Deutschland ausschließlich darüber nachdenkt, wie man Geld bei der Behandlung der Patienten spart und die deutsche Industrie durch Festbetragsgruppenbildungen, die häufig innovationsfeindlich sind, finanziell unter Druck setzt, hat man in den USA dieses auf den Nägeln brennende Problem erkannt und entwickelt Anreizsysteme, um vorzeitig die negative Entwicklung auf dem Antibiotikasektor zu stoppen. Dazu gehört z. B. die Verlängerung der Patentlaufzeit von "Blockbustern" bei gleichzeitiger Entwicklung von neuen Antiinfektiva.
Wie lange müssen wir in Deutschland darauf warten, bis die Politik ähnliche wichtige Zeichen setzt? Oder müssen wir in zehn Jahren wieder an jeder Lungenentzündung, Diphtherie oder anderen Infektionskrankheiten sterben? Wie schnell so etwas geht, können wir an der Ausbreitung von AIDS und dessen Sterblichkeit in Afrika beobachten, wo es keine adäquate Therapie gegen diese Infektionskrankheit gibt. Auch der SARS-Ausbruch und die Anthrax-Panik in den letzten Jahren zeigten, wie rasch eine Bedrohung durch unkontrollierbare Infektionen aufziehen kann. Diese Szenarien können in Deutschland ähnlich aussehen, wenn die heutigen Antibiotika in zehn Jahren auf Grund von Resistenzen nicht mehr wirksam sind!
Prof. Dr. Ulrike Holzgrabe
(Präsidentin der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft),
Prof. Dr. Hartmut Derendorf
(Präsident der International Society of Anti-Infective Pharmacology),
Prof. Dr. Fritz Sörgel
(Präsident der World Conference on Dosing of Antiinfectives)
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