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Rechtsprechung aktuell
Der Fall Stange
Hintergrund
Apotheker Stange entwickelte eine Geschäftsidee, die es ihm ermöglichte, zum einen die Standorte für eine spätere legale Apothekenkette zu sichern und zum anderen bis zu diesem Zeitpunkt bereits Gewinne aus den Apothekenstandorten zu ziehen. Hierzu bediente er sich eines Geflechts von wirtschaftlichen Vereinbarungen, die er teils selbst, teils über zwei von ihm beherrschte Gesellschaften mit von ihm ausgewählten Apothekern schloss. Kernstück der Vereinbarungen waren den Apothekern zugesagte Einkünfte, die sich am erwarteten Umsatz der Apotheke und an dem Einkommen eines angestellten Apothekers in vergleichbarer Position orientierten.
Sämtliche vertraulich getroffenen Absprachen, so auch die Vereinbarung über die Begrenzung des Entnahmeanspruchs und die Abschöpfung der Mehrerträge, wurden dabei den Genehmigungsbehörden verschwiegen. Das Kerngeschäft des jeweiligen Apothekers, insbesondere Auswahl, Beschaffung und Verkauf von Arzneimitteln, wurde indessen vom jeweiligen Apotheker vor Ort in eigener Verantwortung vorgenommen. Weisungen in Bezug auf das von Apothekern angestellte Apothekenpersonal soll es ebenfalls nicht gegeben haben.
Mit Urteil vom 24.4.02 (Az: 4 STR 152/01) sprach der Bundesgerichtshof Stange von dem Vorwurf frei, entgegen § 23 ApoG Apotheken ohne Erlaubnis betrieben zu haben. Ein Strohmannverhältnis habe es nicht gegeben, weil die jeweiligen Erlaubnisinhaber aufgrund der getroffenen, nach § 8 Satz 2 ApoG unzulässigen Vereinbarungen gleichwohl noch einen nennenswerten autonom bestimmten Handlungsspielraum in dem Apothekenbetrieb innegehabt hätten. Die Erlaubnisinhaber betrieben ihre Apotheken daher in eigenem Namen und hafteten deshalb persönlich für die Erfüllung der von ihnen eingegangenen Verbindlichkeiten, und zwar auch nach Aufgabe des Apothekenbetriebs.
Das sächsische Oberverwaltungsgericht hatte nunmehr darüber zu befinden, ob die einem "Stange-Apotheker" erteilte Apothekenbetriebserlaubnis zurückgenommen bzw. widerrufen werden durfte.
Der Kläger wehrte sich gegen die Rücknahme seiner Apothekenbetriebserlaubnis und die Schließung seiner Apotheke. Mit Bescheid vom 6. 5. 1996 wurde die mit Wirkung vom 1. 11. 1994 erteilte Erlaubnis für das Betreiben seiner Apotheke zurückgenommen und dem Kläger aufgegeben, mit dem Tage der Zustellung des Bescheides die Apotheke geschlossen zu halten.
Apotheker waren bei Erlaubniserteilung zuverlässig
Das Oberverwaltungsgericht sah indessen keinen Grund zur Rücknahme der Apothekenbetriebserlaubnis. Dies hätte nämlich vorausgesetzt, dass bereits zum Zeitpunkt der Erteilung in nachgewiesener Weise die erforderliche Zuverlässigkeit des Antragstellers nicht vorgelegen habe. Verstöße des Klägers gegen Bestimmungen des § 7 ApoG (Führung der Apotheke ohne Eigenverantwortlichkeit) und des § 8 ApoG (Gewährung einer am Gewinn bzw. am Umsatz der Apotheke orientierten Vergütung an Dritte), seien jedoch allenfalls zu einem späteren Zeitpunkt eingetreten.
Nachgewiesen sei lediglich die Nichtvorlage des Kaufvertrages über eine Apothekeneinrichtung, welcher im Antrag auf Erteilung der Betriebserlaubnis nicht genannt sei. Die Unzuverlässigkeit in Bezug auf das Betreiben einer Apotheke könne sich daraus jedoch nicht ableiten lassen, denn die Erklärung des Apothekers in seinem Antrag auf Erteilung der Betriebserlaubnis, dass außer den vorgelegten Verträgen keine anderen Verträge bestünden, die mit der Einrichtung oder dem Betrieb der Apotheke in Zusammenhang stünden, sei strafrechtlich nicht bewehrt. Die abgegebene eidesstattliche Versicherung enthielt zudem einen Fehler im Vordruck, weil dort nicht von § 8 Satz 2, sondern von § 8 Abs. 2 ApoG die Rede war.
Deshalb dürfte die Versicherung nach Einschätzung des Oberverwaltungsgerichts rechtsunwirksam sein. Außerdem betreffe der mit der eidesstattlichen Versicherung gemeinte § 8 Satz 2 ApoG nicht die Vorlage eines Kaufvertrages, denn aus dem bis dahin nur vorliegenden Kaufvertrag über die Einrichtung ergebe sich nichts dafür, dass von vornherein gegen § 7 ApoG verstoßen werden sollte. Auch aus späteren Vorgängen ließe sich ein Nachweis, dass der Kläger zum Zeitpunkt der Betriebserteilung seine Zuverlässigkeit ausschließende Willensentscheidungen oder Planungen getroffen hätte, nicht entnehmen.
Kein Widerruf der Betriebserlaubnis
Das Oberverwaltungsgericht untersuchte daher im Weiteren, ob die erklärte Rücknahme als zulässiger Widerruf der Erlaubnis gedeutet werden konnte. Dies lehnte das Oberverwaltungsgericht im Ergebnis ab, weil der Kläger zum Zeitpunkt des Entzuges der Betriebserlaubnis die erforderliche Zuverlässigkeit nach § 2 Abs. 1 Nr. 4 ApoG besaß. Eine gröbliche oder beharrliche Zuwiderhandlung gegen das Apothekengesetz sei ihm nicht nachgewiesen worden.
Apotheker hatten eigenen Entscheidungsspielraum...
Wie sich aus dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 24. 4. 02 (AZ: 4 STR 152/01) ergebe, sei der Entscheidungsspielraum der Apotheker trotz ihrer wirtschaftlichen Abhängigkeit von Apotheker Stange noch gegeben. Dies betreffe insbesondere den An- und Verkauf des Apothekensortiments sowie die Personalentscheidungen, welche weder rechtlich noch faktisch eingeschränkt waren.
Sie behielten damit ihre fachliche sowie ihre pharmazeutische Unabhängigkeit und konnten in dem für die im öffentlichen Interesse gebotene Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung der Bevölkerung (§ 1 Abs. 1 ApoG) entscheidenden Bereich des Arzneimittelverkaufs die Apotheke persönlich und in eigener Verantwortung leiten. Ein Verstoß gegen § 7 Satz 1 ApoG, welcher die persönliche Leitung des Apothekers in eigener Verantwortung regelt, sei nicht nachgewiesen.
...und leiteten Apotheke eigenverantwortlich
Eigenverantwortlichkeit setze voraus, dass der hierzu nach § 7 ApoG Verpflichtete für die Apotheke das rechtliche und wirtschaftliche Risiko trage. Der nach § 1 Abs. 2 erlaubnispflichtige, selbstständige Betreiber der Apotheke sei regelmäßig derjenige, der sie im eigenen Namen führe, so dass er nach außen das rechtliche und wirtschaftliche Risiko aus den für die Apotheke abgeschlossenen Rechtsgeschäften trage. Somit verpflichte die erteilte Erlaubnis auch zur persönlichen Leitung der Apotheke in eigener wirtschaftlicher Verantwortung.
Die Eigenverantwortlichkeit des Klägers in pharmazeutischen Fragen stand außer Zweifel. Aber auch darüber hinaus würden die vertraglichen Bindungen, die der Kläger eingegangen sei, nicht die Grenze zwischen eigenverantwortlicher persönlicher Leitung und nicht mehr gesetzmäßiger Abhängigkeit überschreiten. Der Nachweis, dass durch die einzelnen Vereinbarungen oder deren Zusammenschau samt Eingliederung der Apotheke in ein Gesamtkonzept eine Einschränkung ihrer wirtschaftlichen Entscheidungsfreiheit eingetreten sei, die eine eigenverantwortliche Leitung der Apotheke durch den Apotheker ausschloss, sei nicht geführt.
Dies zeige sich einerseits darin, dass der Apotheker die Apotheke in eigenem Namen führte und nach außen das rechtliche und wirtschaftliche Risiko aus den für die Apotheke abgeschlossenen Rechtsgeschäften trug, also nicht etwa ein Strohmanngeschäft vorlag. Auch durch die Zusage eines Garantiegewinns sei die persönliche Leitung der Apotheke in eigener Verantwortung nicht ausgeschlossen, denn der Garantiegewinn, nehme ihm nicht das rechtliche und wirtschaftliche Risiko aus den für die Apotheke abgeschlossenen Rechtsgeschäften ab.
Die "Garantieeinkünfte", welche es dem Kläger ermöglichten, von Anbeginn Gewinn aus der Apotheke zu ziehen, änderten nichts daran, dass das wirtschaftliche Gesamtrisiko beim Kläger verblieb. Das Oberverwaltungsgericht verglich dies mit einer Vollfinanzierung des Aufbaus der Apotheke durch eine Bank, welche eine Verabredung über die grundsätzliche Möglichkeit einer Privatentnahme samt deren Höhe beinhalten könne. Ebenso sei dies hinsichtlich der gegebenen Stundungsvereinbarung zu werten.
Auch aus der Tatsache, dass die Apothekeneinrichtung unverhältnismäßig zu Lasten des Klägers gegangen sei, lasse sich ein Verlust der wirtschaftlichen Eigenverantwortlichkeit nicht ableiten.
Dr. Valentin Saalfrank,
Rechtsanwälte Dr. Saalfrank & Zimmer, Köln
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