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Selbstmedikation: Zahnfleischentzündungen

Damit Sie auch morgen noch kraftvoll in harte, grüne Äpfel beißen können – so lautete lange Zeit die Werbung für eine Zahnpasta, die Zahnfleischbluten verhindern wollte. Blutendes Zahnfleisch ist aber nicht nur hinderlich beim Essen harter Speisen, sondern das erste Zeichen für ernst zu nehmende Erkrankungen des Zahnhalteapparates.

Als Gingivitis bezeichnet man die akute oder chronische Form der Entzündung des Zahnfleischs. Sie zeigt sich in einem geröteten und geschwollenen Zahnfleisch, das bei mechanischer Reizung, z. B. beim Zähneputzen, zu bluten beginnt.

"Haben Sie eine Idee, was der Grund für diese Zahnfleischentzündung ist?", so lautet die Frage, um ins Gespräch zu kommen. Manchmal können die Beschwerden direkt auf eine bekannte Ursache zurückgeführt werden. Der Kunde erinnert sich daran, dass die Beschwerden begonnen haben, nachdem er ein frisches, krosses Brötchen gegessen hat, dass alles damit begann, dass er sich an einer Tomatensuppe Zunge und Zahnfleisch verbrannt hat oder dass er sich beim Zähneputzen das Zahnfleisch verletzt hat. Mechanische oder thermische Verletzungen führen zu Wunden, die im Mund beim Einwirken der Keime der Mundflora unter Entzündungen abheilen.

Mundhöhle bietet ideales Klima für Bakterien

Alle einfachen Zahnfleischentzündungen (Gingivitis simplex) sind plaqueinduziert. Die Mundhöhle bietet Bakterien angenehme Lebensbedingungen, nämlich warmes und feuchtes Milieu, häufiger Nahrungsnachschub und feste Oberflächen zum Anheften. Plaque nennt man den Biofilm aus Bakterien, der sich auf den Zahnoberflächen absetzt. Auch nach optimaler Zahnreinigung beginnt die Plaquebildung innerhalb weniger Minuten bis Stunden. Der individuelle Speichelfluss und einige andere Selbstreinigungsprozesse reichen nicht aus, die Bildung von Plaque zu verhindern. Einzig durch eine angemessene persönliche Mundhygiene kann und muss die Plaque immer wieder entfernt werden. Wird der Bakterienfilm nicht vollständig entfernt, kommt es innerhalb von zwei bis vier Tagen nach Beginn der Plaquebildung bereits zu Veränderungen des Saumepithels, der obersten Schleimhautschicht an der Zahnfleischinnenseite. Damit werden entzündliche Prozesse angestoßen, die schließlich zur chronischen Gingivitis, zu Parodontitis bis hin zum Zahnverlust führen können.

Mit antiseptischer Lösung spülen

Eine einfache Zahnfleischentzündung heilt innerhalb von drei bis vier Tagen wieder ab. Die wichtigste Maßnahme zur Abheilung aller Gingivitiden ist eine angemessene Mundhygiene. Eine gründliche Reinigung der Zähne und der Zahnzwischenräume nach allen Mahlzeiten mit Zahnbürste und Zahnpasta, Zahnseide, Zahnhölzern oder eventuell einer Zahnzwischenraumbürste ist erforderlich, um die Unterhaltung der Entzündung durch Keime der Mundflora zu begrenzen. Da das Zahnfleischbluten häufig beim Zähneputzen auftritt, putzen Betroffene ihre Zähne nur kurz und vorsichtig. Dieses Vorgehen verschlimmert auf Dauer die Beschwerden. Auf diese Weise kann aus einer akuten Zahnfleischentzündung schnell eine chronische werden.

Die Keimzahl im Mundraum kann noch weiter verringert werden, wenn mit antiseptischen Gurgellösungen der Mund gespült wird. Verwendung finden Chlorhexidin (Mindestkonzentration 0,12%, z. B. Oral B® Mundspüllösung Chlorhexidin, Chlorhexamed® forte Lösung 0,2%ig, Meridol® Chlorhexamed 0,2% Lösung), Hexetidin (Hexoral®), Povidon-Iod (Betaisodona® Mundantiseptikum) und Wasserstoffperoxid-Lösung (3%ig).

Pflanzliche Adstringenzien

Zur Vorbeugung von Zahnfleischentzündungen können Antiseptika regelmäßig angewendet werden. Für Chlorhexidin gilt jedoch, dass es nicht länger als zehn Tage in der therapeutischen Konzentration eingesetzt werden soll, da es bei längerem Gebrauch zu reversiblen Verfärbungen der Zunge und Zähne führt und Geschmacksveränderungen und ein Taubheitsgefühl der Zunge auslösen kann. Zur Langzeitanwendung in Mundduschen werden deshalb niedrigere Dosierungen (0,6%ig, Chlorhexamed® Zahnfleischschutz Mundspüllösung) eingesetzt. Die Kombination aus Aminfluorid und Zinnfluorid (Meridol® Mundspüllösung) hemmt die Matrixbildung der Plaque. Es kann deshalb ebenfalls zur Vorbeugung von Zahnfleischentzündungen eingesetzt werden. Zugleich wirkt Zinn entzündungshemmend in der Gingiva.

Traditionell werden bei Mundschleimhautentzündungen zusätzlich Adstringenzien eingesetzt, mit der Vorstellung, dass sie die oberen Schleimhautschichten abdichten und die Sekretion aus dem entzündeten Gewebe hemmen. Zur lokalen Anwendung stehen Salbeiöl (z. B. in Salviathymol®), Rhabarberextrakt (in Pyralvex®), Myrrhentinktur (Inspirol® P forte) und Ratanhiatinktur (RatioSept® Mund- und Rachentinktur) zur Verfügung.

Bei starken Schmerzen können Lokalanästhetika eingesetzt werden. Zur Verfügung stehen z. B. Polidocanol (Recessan®) und Lidocain (Dynexan® Mundgel, in Kamistad® N Gel). Sobald die Beschwerden häufiger auftreten oder schwerwiegend sind, besteht der Anlass, eine zahnärztliche Kontrolle zu empfehlen. Der Kunde wird auf jeden Fall von einer professionellen Zahnreinigung profitieren.

Besondere Umstände

Die entzündlichen Reaktionen auf dentale Plaque können durch einige besondere Lebensumstände verstärkt werden. Das Ausmaß der Entzündung steht unter anderem unter dem Einfluss von Sexualhormonen. So kommt es, dass Zahnfleischentzündungen während der Pubertät, unmittelbar vor der Ovulation im Rahmen des Menstruationszyklus und während der Schwangerschaft häufiger auftreten und schwerwiegender verlaufen. Bei schlecht eingestellten Diabetikern, vor allem bei Kindern mit unkontrolliertem Diabetes mellitus, finden sich ebenfalls häufig starke Entzündungsreaktionen im Zahnfleischbereich. Das gleiche gilt für Patienten mit akuten Leukämien und geschwächter Immunabwehr.

Infolge von Mangelernährung kann es zu einer eingeschränkten Immunabwehr und erhöhter Anfälligkeit für Infektionen kommen, infolge dessen auch zu häufigeren Zahnfleischentzündungen. Am häufigsten betrifft das Fälle von Anorexia nervosa und chronischem Alkoholmissbrauch.

Bekannt ist auch die chronische Zahnfleischentzündung durch Vitamin-C-Mangel (Skorbut). Häufiger als durch Vitamin-C-Mangel gibt es jedoch empfindliche Zahnhälse und Zahnfleischentzündungen durch Vitamin-C-Überdosierungen.

In allen Fällen bleibt die Tatsache, dass Bakterien der Mundflora Auslöser für die Entzündungen sind und eine angemessene Mundhygiene mit einer ausreichenden Keimreduktion Schwerpunkt der Therapie. Wenn möglich ist selbstverständlich die Grunderkrankung zu behandeln. Bei schwereren Fällen wird der betroffene Patient eine zahnärztliche Behandlung in Anspruch nehmen.

Spezifische Infektionen – Cave!

Nicht immer sind ausschließlich Keime der dentalen Plaque Schuld an Zahnfleischentzündungen. Alle ungewöhnlichen und schweren Beschwerden gehören in die Hand eines Zahnarztes. Bei plötzlich auftretenden, sehr schmerzhaften Entzündungen mit deutlich sichtbaren Entzündungsherden in den Zahnzwischenräumen könnten invasive gramnegative, obligat anaerobe Bakterien, wie Spirochäten, Fusobakterien und Prevotella intermedia, verantwortlich sein. Sie lösen eine nekrotisierende und ulcerierende Zahnfleischentzündung aus, die innerhalb weniger Stunden und Tage zu schweren Gewebeverlusten führt. Risikofaktoren sind hier schlechte Mundhygiene, Zigarettenrauchen, psychologischer Stress, Schlafmangel und Immunschwäche, z. B. HIV-Infektion. Die Behandlung sollte innerhalb von 24 Stunden nach den ersten Beschwerden beginnen, um Zahnfleischverluste zu vermeiden. Eine gezielte und wiederholte Reinigung speziell von Zahnfleischtaschen zunächst mit Ultraschall und anschließend mit Wasserstoffperoxid-Lösung oder Chlorhexidin ist erforderlich, meist gemeinsam mit einer effektiven Antibiose.

Ebenfalls sehr schmerzhaft ist die Gingivostomatitis herpetica, ausgelöst durch Herpes-Viren. Der gesamte Mundraum und das Zahnfleisch sind übersät mit kraterförmigen Läsionen, die sich aus kleinen flüssigkeitsgefüllten Bläschen entwickeln. Die Behandlung kann in schweren Fällen mit einem Virustatikum erfolgen. Durch Spülen mit Povidon-Iod-Lösung (Betaisodona® Mundantiseptikum) kann die Virus-Infektion meist gut beeinflusst werden. Gleichzeitig werden auf diese Weise Sekundärinfektionen verhindert.

Häufig treten nur einzelne Erosionen der Mundschleimhaut (Aphthen) auf, die sich nicht auf spezifische Keime zurückführen lassen. Hier spricht man von rezidivierenden, benignen Aphthen. Als Ursache werden immunologische Reaktionen diskutiert. Diese benignen Aphthen heilen auch ohne Behandlung innerhalb von circa zwei Wochen ab. Zur Reduktion der Entzündung und der Schmerzen stehen Zahnärzten Cortisonsalben (Triamcinolonaetonid in Volon® A-Haftsalbe, Prednisolonacetat in Dontisolon® D Mundheilpaste) zur Verfügung. Zur Vermeidung von Sekundärinfektionen können antiseptische Spülungen verwendet werden.

Auch die Hand-Fuß-Mund-Krankheit zeigt sich ebenfalls mit Aphthen-ähnlichen Ausschlägen im Mund. Gleichzeitig bilden sich ovale bis eckige Bläschen mit rotem Rand an Händen, Füßen und eventuell an den Oberschenkeln. Ursache hierfür ist das Coxsackie-Virus. Hier ist Povidon-Iod-Lösung (Betaisodona® Mundspüllösung) das Mittel der Wahl.

Gingivahyperplasien

Zahnfleischentzündungen gehen meist mit einer Gingivavergrößerung durch Ödembildung und verstärkter Durchblutung einher. Es gibt jedoch auch Formen der Gingivahyperplasien, die durch Vermehrung von kollagenen Bindegeweben zustande kommen. Diese Zahnfleischverdickungen haben eine normale Färbung und keine Blutungstendenz.

Allerdings sind durch die Überwucherung der Zähne durch Zahnfleischgewebe die Zähne schlechter zu reinigen und in Folge nimmt die Zahl der plaqueinduzierten Zahnfleischentzündungen zu.

Ursache für eine solche Gingivahyperplasie ist unter anderem eine genetische Komponente. Zusätzlich können unerwünschte Wirkungen von folgenden Arzneimitteln dafür verantwortlich gemacht werden:

  • Diphenylhydantoin (1 bis 10%)
  • Cyclosporin A (4 bis 16%)
  • Nifedipin, Felodipin, Amlodipin, Nitrendipin (< 1%, zum Teil reversibel nach Absetzen).

Bei allen Verdickungen und anderen chronischen Gewebeveränderungen ist immer auch daran zu denken, dass übermäßiges Wachstum von Gewebe einen bösartigen Charakter haben kann. Karzinome im Mundbereich sind zu Beginn selten schmerzhaft, eine frühzeitige Diagnose wird deshalb oft verschleppt.

Parodontitis

Von Parodontitis spricht man, wenn außer der Gingiva noch weitere Teile des Zahnhalteapparates (Parodontium) betroffen sind, nämlich Alveole, Zahnwurzelhaut, Wurzelzement oder Alveolarfortsatzknochen. Sie entwickelt sich aus einer chronischen Gingivitis.

Auch die Parodontitis zeigt sich in Rötung, Schwellung und Blutungsneigung der Gingiva. Im weiteren Verlauf bilden sich Zahnfleischtaschen mit Verlust von Stützgewebe. Als Spätsymptom steigt die Zahnbeweglichkeit und es kommt zu Zahnausfall. Bei systematisch durchgeführter zahnärztlicher Behandlung und ständiger Überwachung mit professioneller Zahnreinigung ist die Prognose in der Regel günstig.

Apothekerin Dr. Kirsten Lennecke

Auslöser von Zahnfleischentzündungen

Infektionen mit Keimen der physiologischen Mundflora 

  • Dentale Plaque (Gingivitis acuta simplex, Gingivitis chronica simplex)

Infektionen mit spezifischen Bakterien

  • z. B. Spirochäten, Fusobakterien und P. intermedia (akute, nekrotisierende, ulceröse Gingivitis, ANUG)
  • Neisseria gonorrhoe (Gonorrhoe)
  • Treponema pallidum (Syphilis)
  • Streptococcus ssp. (Streptokokken-Gingivitis)

spezifische Virusinfektionen

  • z. B. Herpes simplex (Gingivostomatitis herpetica)
  • Herpes zoster (Zoster)
  • Coxsackie-Virus (Hand-Fuß-Mund-Krankheit)
  • MKS-Viren (Maul- und Klauenseuche)

spezifische Pilzinfektionen

  • z. B. Candida ssp. (Candidose)

systemische Erkrankungen

  • z. B. Lichen planus
  • Pemphigoid
  • Pemphigus vulgaris, Erythma multiforme
  • Lupus erythematodes

allergische Erkrankungen

  • z. B. Reaktionen auf Nickel, Kunststoffe, Zahnpasten, Nahrungsmittelzusätze

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