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DAZ aktuell
DocMorrris-Apotheke in Saarbrücken: Kommt der Systembruch?
Wir fragten Fritz Becker, Präsident des Landesapothekerverbands Baden-Württemberg, Dr. Peter Homann, Vorsitzender des Hessischen Apothekerverbands, Dr. Ulrich Krötsch, Präsident der Bayerischen Landesapothekerkammer, Horst-Lothar Müller, Vorsitzender des Apothekerverbands Westfalen-Lippe, Rechtsanwalt Dr. Heinz-Uwe Dettling, Stuttgart, Eva-Maria Schmitt, Vorsitzende des Saarländischen Apothekervereins und Ronald Schreiber, Präsident der Landesapothekerkammer Thüringen.
d:
Der saarländische Minister Josef Hecken (CDU) hat der DocMorris AG in den Niederlanden die Betriebserlaubnis für die DocMorris-Apotheke in Saarbrücken erteilt - ein eindeutiger Verstoß gegen das Apothekengesetz. Wie beurteilen Sie diese neue Situation in Deutschland? Welche Auswirkungen könnte dies auf die deutsche Apothekenlandschaft haben?
Becker:
Dieser offensichtliche Rechtsbruch bei der Zulassung darf nicht ungestraft bleiben und wird sich vor den deutschen Gerichten verantworten müssen. Wenn in Deutschland geltendes Recht und die damit verbundene Ordnung keine Gültigkeit mehr haben, dann ist für solche "Wildwest-Methoden" Tür und Tor geöffnet. Die Auswirkungen auf die Apothekenlandschaft sind für einen solchen Fall von annähernd anarchistischen Zuständen nicht vorsehbar.
Homann:
Es wird keine Auswirkungen haben, weil die Genehmigung gegen bestehende Gesetze verstößt. Sie ist damit nichtig und unwirksam.
Krötsch:
DocMorris darf einen Antrag stellen; allerdings sollte in Deutschland die gültige Rechtslage beachtet werden. Dies gilt besonders für Ministerien. Nach unserem Verständnis hätte der Antrag auf Betriebserlaubnis abgelehnt werden müssen. Dagegen hätte DocMorris ein Gericht anrufen können. Die angeblich 300 neuen Arbeitsplätze sind bisher nur in Aussicht gestellt. In den übrigen, flächendeckend versorgenden Apotheken der Region sind dafür entsprechende Arbeitsplätze gefährdet.
Müller:
Es passt zeitlich alles zusammen: Die rechtswidrige Erteilung der Betriebserlaubnis an die Aktiengesellschaft DocMorris und die Empfehlung der Monopolkommission der Bundesregierung, das Fremdbesitzverbot aufzuheben und den unbegrenzten Mehrbesitz zuzulassen. Das ist geradezu die Aufforderung an den Gesetzgeber, den Systembruch endlich im Apothekengesetz festzuschreiben, der ordnungspolitisch bereits durch das GKV-Modernisierungsgesetz ausgelöst worden ist; seitdem ist der auf vier Apotheken beschränkte Mehrbesitz zulässig.
Was die Auswirkungen auf die deutsche Apothekenlandschaft anbelangt, so ist jetzt die Frage, ob die Gesundheitsminister der übrigen Bundesländer dem rechtswidrigen Beispiel des Justiz- und Gesundheitsministers des Saarlandes folgen oder nicht. Klar ist, dass das saarländische Ministerium nunmehr jedem Nichtapotheker, sei es eine natürliche oder eine juristische Person, eine Erlaubnis zum Betrieb einer Apotheke im Saarland geben muss, und zwar unabhängig davon, wie viele Arbeitsplätze er damit zu schaffen verspricht.
Dettling:
Die Erteilung der Betriebserlaubnis an die Versandapotheke DocMorris N.V. für die DocMorris-Apotheke in Saarbrücken ist offensichtlich und schwerwiegend gesetzeswidrig und deshalb nach meiner Auffassung nichtig. Die Verantwortlichen machen sich nach meiner Auffassung wegen des Betriebs einer Apotheke ohne die erforderliche wirksame Erlaubnis strafbar (§23 ApoG). Das Fremdbesitzverbot ist mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar. Dies ergibt sich aus Urteilen des EuGH zu Fremdbesitzverboten bei medizinischen Labors und bei Rechtsanwälten. Das Urteil des EuGH zum Fremdbesitzverbot bei Optikern ist auf Apotheken nicht übertragbar, weil der Apothekenbetrieb mit wesentlich größeren Gefahren für die Gesundheit der Bevölkerung verbunden ist als ein Optikerbetrieb. Bei Apotheken ist es im Hinblick auf die Gefahren, die von Arzneimitteln ausgehen, besonders wichtig, das Eindringen unzuverlässiger oder gar krimineller Elemente zu verhindern. Vom Gemeinschaftsrecht her wird das Fremdbesitzverbot deshalb nach meiner Auffassung nicht tangiert.
Schmitt:
Es ist richtig, dass das saarländische Gesundheitsministerium der DocMorris AG die Erlaubnis zum Betrieb einer Filialapotheke in Saarbrücken erteilt hat. Diese Einzelerlaubnis hat nach meiner Einschätzung zunächst überwiegend regionale Bedeutung. Derzeit werden rechtliche Schritte gegen die erteilte Erlaubnis eingeleitet. Erst nach abschließender Klärung der Rechtslage werden die Auswirkungen auf die deutsche Apothekenlandschaft abschätzbar sein, auch was das Verbot von Fremd- und Mehrbesitz angeht.
Schreiber:
Für meine Begriffe eine unhaltbare Situation. Wie kann sich ein gewählter Vertreter des Volkes und Minister über geltendes Recht hinwegsetzen, gelten für ihn die Gesetze nicht? Die Innen- und Außendarstellung zum Rechtverständnis und Umgang mit Recht und Gesetz in der Bundesrepublik ist und wird durch solche Verfahrensweisen mehr denn je verschlechtert. Hier ist dringend Einhalt zu gebieten, denn sonst werden wir in Deutschland immer mehr in eine Verfahrensweise verfallen, wo unrechtmäßige Dinge einfach gemacht werden, irgendwann gesagt wird: "Es geht doch", also zum Gewohnheitsrecht geworden sind und nur noch vom Gesetzgeber legitimiert werden. Die eigentlichen Initiatoren, die geltendes Recht ignorierten, stehen dann zum Schluss als die großen Gewinner da, eine unerträgliche Situation.
Für die Apothekenlandschaft könnte es Veränderungen geben, da man hier im Saarland beispielhaft einen Fakt geschaffen hat, auf den sich andere Gruppen, Ketten etc. beziehen werden, um auch eine derartige Betriebserlaubnis zu erlangen.
d:
Wie ist diese Betriebserlaubnis vor dem Hintergrund der Eckpunkte-Diskussion um eine neue Gesundheitsreform und dem Votum der Monopolkommission der Bundesregierung einzuschätzen? Glauben sie, dass das Verbot von Fremd- und Mehrbesitz in Deutschland noch lange haltbar sein wird?
Becker:
Das Eckpunktepapier formuliert keine Passagen zum Fremd- und Vielbesitz. Die Monopolkommission hingegen fordert hier eine Liberalisierung. Die Gründe dafür sind allerdings mehr als fadenscheinig und entbehren hinsichtlich des prognostizierten Einsparpotenzials jedweder empirischen Grundlage. Ich setze darauf, dass die Politik das mit unserer Hilfe auch erkennt. Fremdbesitz wird maximal die kapitalbesitzenden Unternehmer reich machen. Unser Gesundheitssystem aber wird weder qualitativ gefördert noch entlastet.
Im Gegenteil! Würde der Gesetzgeber in einem Fremd- und Vielbesitzsystem aber eine Entlastung zu Gunsten der GKV gesetzlich regeln, wäre eine Kapitalinvestition sinnlos, denn investiert würde totes Kapital. Ein Blick in die USA mit ihrem weltweit höchsten Preisniveau bei Arzneimitteln zeigt zudem, dass ein Bruch mit dem derzeitigen System in Deutschland nicht sparen hilft, sondern im Gegenteil die Versorgung ineffizienter und gleichzeitig teurer macht.
Homann:
Ja.
Krötsch:
Bei einer Fortsetzung dieser Entwicklung wird die Monopolkommission zukünftig wirklich Grund für neue Überlegungen haben müssen: Betrachtet man die Konzentration z. B. im Krankenhausbereich, so ist dort auch ansatzweise nicht zu erkennen, dass gewinnorientierte Unternehmen eine flächendeckende Versorgung anstreben. Im Hinblick auf die Diskussion um eine neue Gesundheitsreform hat sich DocMorris den "günstigsten" Moment ausgesucht. Trotz eines konzentrierten Kesseltreibens von interessierten Kreisen hoffe ich, dass unsere vernünftige Argumentation Bestand hält. Die Monopolkommission fordert ja eine Konzentration auf größere Einheiten, damit Synergieeffekte zum Tragen kommen und die "Ware" Arzneimittel für die Bezahler (Krankenkassen) und die Patienten/Verbraucher günstiger werden. An dieser Stelle hört das Denken der Monopolkommission auf und verkennt, dass
Müller:
Ich habe mir im Laufe der Jahre abgewöhnt, mich an berufspolitischen Spekulationen zu beteiligen. Aber eines muss man nüchtern sehen: Die Öffnungen zum Fremd- und unbeschränkten Mehrbesitz sind schon lange auf die Wände des Apothekengesetzes aufgemalt. Wann die Wände durchbrochen werden, hängt maßgeblich davon ab, wie sehr sich in der Politik die Vorstellungen der so genannten Wirtschaftsweisen durchsetzen, nach denen Arzneimittel keine Waren besonderer Art sind, und die die Funktion der Apotheke ausschließlich in der ökonomischen Verteilung von Arzneimitteln sehen.
Dettling:
Das Votum der Monopolkommission offenbart ein geringes Maß an Vertrautheit mit den fachlichen Anforderungen an die Arzneimittelversorgung. Es idealisiert die vollständige Kommerzialisierung der Patientenversorgung, ohne auf die Gefahren aufmerksam zu machen, wie sie sich in den Börsenskandalen, Fleischskandalen, usw. der vergangenen Jahre gezeigt haben. Demgegenüber betont das wesentlich verantwortungsbewusstere Bundesverfassungsgericht zu Recht, dass eine Kommerzialisierung der Heilberufe unerwünscht ist.
Schreiber:
In der Eckpunktediskussion sind strukturelle Änderungen zum Fremd- und Mehrbesitz nicht enthalten. Nun zeigt die Entwicklung im Saarland eine neue Vorgehensweise, um durch die Hintertür zu einer Regelung zu kommen. Die Politik überlässt die Klärung des Problems einfach den Gerichten, und je nach dem, zu welchem Ergebnis die Richter kommen, kann die Politik ihre Argumentation aufbauen, und ist für die Regelung.
d:
Was kann, was muss Ihrer Meinung nach jetzt getan werden, um einen Dammbruch - sprich Fall des Fremd- und Mehrbesitzverbotes in Deutschland - zu verhindern?
Becker:
Nicht nur diese Forderung der Monopolkommission, sondern auch die Forderungen des Eckpunktepapiers sind in Bausch und Bogen abzulehnen. Die Apotheken werden mit diesen Ideen auf dem Altar des Wettbewerbs geopfert. Das wird sich der Berufsstand, die berufsständischen Vertreter und das werden sich auch unsere Patienten nicht gefallen lassen. Neben den politischen Gesprächen und der Überzeugungsarbeit, die also geleistet werden muss, setze ich auf die Geschlossenheit des Berufsstandes, hier gegebenenfalls den Machtkampf mit der Politik offensiv aufzunehmen.
Homann:
Auch das Saarland hat sich an Recht und Ordnung zu halten.
Krötsch:
Wie kann man einen Dammbruch verhindern? Sämtliche "rechtstreuen" Bundesländer müssen energisch gegen diese Entwicklung opponieren, vor allem die Bundesregierung.
Rechtstreue muss in einem Rechtsstaat ihren Wert behalten, besonders bei Regierungsbehörden. Es wird nämlich sonst immer schwieriger, die eigenen Kollegen zur Rechtstreue anzuhalten und diese abzuverlangen.
Müller:
Kurzfristig muss man alle rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten ausschöpfen, die Erteilung der Betriebserlaubnis contra legem an DocMorris aufgrund eines Rechtsgutachtens, das bislang unter Verschluss gehalten wird, zu revidieren. Des Weiteren wird man versuchen müssen, die Gesundheitsministerien der übrigen Bundesländer und deren untergeordnete Behörden vor übereilten Schritten abzuhalten. Schließlich muss die ganze Kraft in Berlin eingesetzt werden, um die angeblichen Effizienzsteigerungen durch Fremdbesitz und Apothekenketten argumentativ zu widerlegen.
Dettling:
Notwendig ist aus meiner Sicht eine Aufklärungskampagne, die der Öffentlichkeit vor Augen führt, was Fremdbesitz in Deutschland letztendlich bedeutet. Angesichts der privatrechtlichen Organisation des Gesundheitswesens würde der Fremdbesitz bei Apotheken zu integrierten Ärzte- und Apothekenkonzernen führen, bei denen die Arztabteilung die Rezepte ausstellt und die Apothekenabteilung die Rezepte abrechnet. Das wäre eine richtige "Gelddruckmaschine". Dadurch würden keine Kosten gesenkt, sondern nach Belieben Kosten produziert. Ich schätze das Fremdbesitzverbot als eine intelligente und moderne Corporate Governance-Maßnahme, die die Berufsethik im Gesundheitswesen stärkt und einer fortschreitenden Kommerzialisierung entgegenwirkt. Wer nicht will, dass bei der Arzneimittelversorgung Zustände wie bei den Fleischskandalen herrschen, der muss für eine Barriere gegen unzuverlässige und kriminelle Elemente in der Eigentümer- und Führungsebene von Apotheken sein. Wenn dies der Politik hinreichend deutlich gemacht und gleichzeitig mit der naiven Illusion aufgeräumt wird, durch Apothekenketten könnte gespart werden, ist das Verbot von Fremd- und Vielbesitz in Deutschland noch lange haltbar.
Schreiber:
Eine klare Aufarbeitung der Vor- und Nachteile des bestehenden Systems vs. Fremd- und Mehrbesitz also Ketten.
Hier sollten die Politiker vor der Einführung genau die internationalen Entwicklungen prüfen, bevor man eine Regelung trifft, die man im Nachhinein nicht wieder rückgängig machen kann.
Mit der Erteilung einer Betriebserlaubnis für die DocMorris-Apotheke in Saarbrücken beschäftigen sich derzeit schon Apothekerkammern, Verbände und Rechtsanwälte. Wir fragten bei Vertretern von Kammern und Verbänden und einem Rechtsanwalt nach, wie sie die Saarbrücker Vorgänge bewerten.
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