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Gesundheitspolitik getarnt als medizinische Wissenschaft
IQWiG plädiert für Diuretika
(du). Soeben hat das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) seinen Vorbericht zur Bewertung der antihypertensiven Therapie veröffentlicht. Sein Fazit: Thiaziddiuretika und Chlortalidon sind die blutdrucksenkenden Wirkstoffe, bei denen der Nutzen am besten belegt ist. Die Kritik folgte umgehend: Die Bewertung folge nicht der wissenschaftlichen Erkenntnis, sondern der politisch gewollten Kostenersparnis. Der Bericht stehe im Widerspruch zu den Therapieempfehlungen europäischer und deutscher Fachgesellschaften und ebne den Weg in eine Zweiklassenmedizin.
Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen hat im Februar 2005 vom Gesetzgeber den Auftrag erhalten, eine vergleichende Nutzenbewertung verschiedener antihypertensiver Wirkstoffe als Therapie der ersten Wahl bei Patienten mit essenzieller Hypertonie zu erstellen. Bewertet hat das IQWiG folgende fünf Wirkstoffgruppen:
- Diuretika
- Betablocker
- ACE-Hemmer
- Calciumantagonisten
- Angiotensin-II-Antagonisten
Ausgewertet wurden 16 Studien, in denen die Wirkstoffe aus den unterschiedlichen Gruppen direkt miteinander verglichen wurden. Die Ergebnisse fasst das IQWiG wie folgt zusammen:
In Hinblick auf das Therapieziel "Lebensverlängerung" zeigte sich keine Wirkstoffgruppe einer anderen überlegen.
... aber bei Schlaganfall und Herzkrankheiten
Bei der Vorbeugung von Schlaganfall und Herzkrankheiten hingegen gab es Unterschiede zwischen einzelnen Wirkstoffgruppen:
- Thiaziddiuretika und Chlorthalidon, eine Untergruppe der Diuretika, schnitten deutlich besser ab als ACE-Hemmer und Calciumantagonisten bei der Vorbeugung von Herzversagen. Diese Diuretika wiesen ebenfalls Vorteile gegenüber den ACE-Hemmern bei der Vorbeugung von Schlaganfällen und bei der Anzahl verschiedener Herz-Kreislauf-Ereignisse auf.
- Betablocker waren bei keinem untersuchten Therapieziel einer anderen Gruppe überlegen. Betablocker haben in einer Studie zur Vorbeugung von Schlaganfällen deutlich schlechter abgeschnitten als Diuretika.
- ACE-Hemmer schnitten deutlich besser ab als Calciumantagonisten bei der Vorbeugung von Herzversagen.
- Calciumantagonisten schnitten deutlich besser ab als ACE-Hemmer bei der Vorbeugung von Schlaganfällen. Calciumantagonisten waren außerdem deutlich besser als Angiotensin-II-Antagonisten bei der Vorbeugung von Herzinfarkten.
- Angiotensin-II-Antagonisten waren den Betablockern deutlich überlegen, was die Summe verschiedener Herz-Kreislauf-Ereignisse und der Schlaganfälle betrifft.
Keine Vorteile bei Nebenwirkungen
Die Bewertung der unerwünschten Wirkungen ergibt für keine der untersuchten Wirkstoffgruppen einen klaren Vorteil.
Der Bericht bestätigt, dass es während der Einnahme von Diuretika im Vergleich zu einzelnen anderen Wirkstoffen häufiger zu leichten Erhöhungen der Blutzuckerwerte kommt, was gelegentlich eine therapiebedingte Diabetes-Diagnose zur Folge hat. Ähnliches gilt auch für die Beta-blocker und Calciumantagonisten bei einzelnen Vergleichen mit anderen Wirkstoffgruppen. Allerdings ist unklar, welche gesundheitliche Bedeutung diese Blutzuckererhöhungen haben. Diuretika haben trotz dieses Begleiteffekts Vorteile bei der Vorbeugung von Herz-Kreislauf-Ereignissen im Vergleich zu anderen Wirkstoffgruppen.
Das IQWiG kommt zu dem Schluss, dass Diuretika (Thiazide und Chlorthalidon) die einzigen der untersuchten Wirkstoffgruppen sind, die bei keinem Therapieziel einer anderen Wirkstoffgruppe unterlegen waren. Bei einigen Aspekten waren Diuretika anderen Wirkstoffgruppen überlegen. Thiaziddiuretika und Chlorthalidon sind die blutdrucksenkenden Wirkstoffe mit dem am besten belegten Nutzen.
Zunächst ohne juristische Konsequenzen
Der Vorbericht hat zunächst keine juristischen Konsequenzen. Interessierte Institutionen und Personen haben bis zum 21. März 2007 die Möglichkeit, schriftliche Stellungnahmen zu diesem Bericht abzugeben. Erst danach erstellt das IQWiG einen Abschlussbericht, der dem Gemeinsamen Bundesausschuss als Beschlussbasis dient. Der Gemeinsame Bundesausschuss hat unter anderem die Aufgabe, für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung von gesetzlich Krankenversicherten zu sorgen. Er kann die Verordnung von Arzneimitteln zu Lasten der GKV einschränken oder erweitern. Erst wenn ein entsprechender, vom Bundesgesundheitsministerium genehmigter Beschluss im Bundesanzeiger veröffentlicht ist, wird er rechtlich verbindlich.
Nur noch Diuretika für Kassenpatienten?
Befürchtet wird, dass der jetzt zur Diskussion gestellte Vorbericht so als Abschlussbericht weiter gereicht und entsprechende Konsequenzen für die Erstattungsfähigkeit von Antihypertensiva in der GKV haben wird. Sollten Diuretika als Mittel der ersten Wahl in der Behandlung der essenziellen Hypertonie empfohlen werden, so ist das, wie Prof. Dr. Thomas Unger, Direktor des Institutes für Pharmakologie und Toxikologie der Charité in Berlin, in der Ärzte Zeitung ausführt, ein Rückschritt in die Zwei-Klassen-Medizin und ein Signal in die falsche Richtung.
Hochdruckliga fordert Überarbeitung
Auch die Deutsche Hochdruckliga, die schon im Vorfeld essenzielle Forderungen an eine Kosten-Nutzen-Bewertung gestellt hatte (s.a. DAZ 2007,4, S. 47 – 48), sieht in dem Vorbericht eine Rückkehr zu den Anfängen der antihypertensiven Therapie auf dem Rücken der Patienten (s. Stellungnahme). Sie fordert eine grundsätzliche Überarbeitung. Da nur ein Teil der zur Verfügung stehenden Evidenz in dem Vorbericht berücksichtigt worden sei, könnten Empfehlungen nur sehr eingeschränkt abgeleitet werden. Zudem müsse bei der Erörterung der Wirtschaftlichkeit eine übergreifende ökonomische Analyse der Erkrankung Hypertonie und ihrer Folgeschäden einfließen.
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