Arzneimittel und Therapie

Gleiche Tumorarten bei HIV-Kranken und Transplantierten

Ein Vergleich der Krebsinzidenzraten von HIV-/Aids-Patienten und immunsupprimierten Transplantatempfängern zeigt viele Gemeinsamkeiten auf und erhärtet die Vermutung, dass chronische Infektionen bei immungeschwächten Menschen Krebs auslösen können.

Das vermehrte Auftreten seltener Krebsarten wie etwa dem Kaposi-Sarkom bei HIV-/Aids-Patienten führt zu der Vermutung, dass einige Tumorentitäten auf Immundefizite zurückzuführen sind. Diese Vermutung wird zusätzlich durch die Tatsache erhärtet, dass Transplantatempfänger, die eine immunsuppressive Therapie erhalten, ebenfalls vermehrt an bestimmten Krebsarten erkranken. Gibt es bei Transplantatempfängern und HIV-Kranken im Hinblick auf Art und Häufigkeit von Krebserkrankung Gemeinsamkeiten, die möglicherweise auf die Immunschwäche zurückzuführen sind? Mit dieser Frage befasste sich eine an der Universität von Sydney durchgeführte Metaanalyse. Zur Auswertung kamen sieben Studien, die sich unter anderem mit der Krebshäufigkeit von insgesamt 444.172 HIV-/Aids-Patienten befassten und fünf Studien, aus denen die Tumorinzidenzen von 31.977 immunsupprimierten Transplantatempfängern hervorgehen.

Meist infektions­assoziierte Tumore

Für beide Patientengruppen wurde die Krebsinzidenz von 28 Tumorarten ermittelt. Für 20 Krebsarten zeigte sich bei beiden Patientengruppen ein signifikanter Anstieg der Erkrankungshäufigkeit. Die meisten Tumorarten, die vermehrt auftraten, sind auf eine Infektion zurückzuführen. Dabei handelte es sich um

  • Tumore wie dem Kaposi-Sarkom, das durch das humane Herpesvirus 8 (HHV-8) hervorgerufen wird,

  • alle Krebsarten, die mit einer Infektion durch humane Papillomviren (HPV) assoziiert sind,

  • Hodgkin Lymphome, bei denen eine Infektion mit dem Epstein-Barr-Virus (EBV) vermutet wird,

  • Lebertumore, die in der Folge einer Hepatitis-B- und C-Infektion (verursacht durch HBV, HCV) auftreten können und

  • Magenkrebs als Folge einer Helicobacter-pylori-Infektion.

Für die meisten epithelialen Tumorentitäten wie Brustkrebs, kolorektale Karzinome und Prostatakrebs wurde hingegen keine erhöhte Inzidenz festgestellt. Lediglich die Inzidenz für Lungenkrebs war in beiden Gruppen deutlich erhöht.

Nicht abhängig vom Lebensstil

Die höchsten Inzidenzen wurden für Krebserkrankungen ermittelt, die durch eine chronische Infektion verursacht werden. So haben HIV-/Aids-Patienten ein um den Faktor 3640 erhöhtes Risiko, an einem Kaposi-Sarkom zu erkranken. Aber auch Transplantatempfänger, die unter einer Immuntherapie stehen, weisen im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung ein um den Faktor 208 erhöhtes Risiko für ein Kaposi-Sarkom auf (s. Tabelle).


Krebsinzidenzraten für infektionsassoziierte Tumorentitäten

Aufgeführt sind die standardisierten Inzidenzraten (SIR) und ihr 95%iges Konfidenzintervall für HIV-/Aids-Patienten und immunsupprimierte Transplantatempfänger im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung (SIR = 1)
HIV-/Aids-Patienten
Transplantatempfänger
EBV-assoziierte Tumore
Hodgkin Lymphom
11,03 (8,43 –14,4)
3,89 (2,42 – 6,26)
Non-Hodgkin Lymphom
76,67 (39,4 –149)
8,07 (6,4 –10,2)
HHV-8-assoziierte Tumore
Kaposi-Sarkom
3640 (3326 – 3976)
208 (114 – 349)
HBV/HCV-assoziierte Tumore
Leberkarzinome
5,22 (3,32 – 8,2)
2,13 (1,16 – 3,91)
Helicobacter-pylori-assoziierte Tumore
Magenkrebs
1,9 (1,53 – 2,36)
2,04 (1,49 – 2,79)
HPV-assoziierte Tumore
Zervix- und Uteruskarzinome
5,82 (2,98 –11,3)
2,13 (1,37 – 3,3)
Vulva- und Vaginakarzinome
6,45 (4,07 –10,2)
22,76 (15,8 – 32,7)
Peniskarzinome
4,42 (2,77 – 7,07)
15,79 (5,79 – 34,4)
Anuskarzinome
28,75 (21,6 – 38,3)
4,85 (1,36 –17,3)
Mundhöhle und Pharynxkarzinome
2,32 (1,65 – 3,25)
3,23 (2,4 – 4,35)
möglicherweise HPV-assoziierte Karzinome
Hauttumore (keine Melanome)
4,11 (1,08 –16,6)
28,62 (9,39 – 87,2)
Lippenkarzinome
2,8 (1,91– 4,11)
30,0 (16,3 – 55,3)
Ösophaguskarzinome
1,62 (1,2 – 2,19)
3,05 (1,87 – 4,98)
Larynxkarzinome
2,72 (2,29 – 3,22)
1,99 (1,23 – 3,23)
Augenkarzinome
1,98 (1,03 – 3,81)
6,94 (3,49 –13,8)
EBV: Epstein-Barr-Virus
HHV: humanes Herpesvirus
HBV: Hepatitis-B-Virus
HPV: humanes Papillomvirus

Die Inzidenz für Krebserkrankungen, die durch HPV-Infektionen verursacht werden, ist ebenfalls in beiden Patientengruppen erhöht. Dies widerspricht der häufig geäußerten Vermutung, das bei HIV-/Aids-Patienten deutlich erhöhte Risiko für Zervix-, Vulva- und Peniskarzinome sei auf häufig wechselnde Sexualkontakte zurückzuführen, denn Transplantatempfänger sind meist älter und pflegen einen gemäßigten Lebensstil. Auch die Tatsache, dass die meisten epithelialen Tumore (bis auf das Lungenkarzinom) bei HIV-/Aids-Patienten und immunsupprimierten Transplantatempfängern nicht häufiger auftreten als in der Allgemeinbevölkerung, schließt einen bestimmten Lebensstil als Ursache für die erhöhten Krebsraten aus. Wahrscheinlich spielt das Immunsystem bei der Prävention maligner Erkrankungen, die durch Infektionen verursacht werden, eine wichtigere Rolle als bislang vermutet.

 

Quelle

Grulich, A.; et al.: Incidence of cancers in people with HIV/Aids compared with immunosuppressed transplant recipients: a meta-analysis. Lancet 370, 59-67 (2007).

Clifford, G.; et al.: Immunity, infection, and cancer. Lancet 370, 6-7 (2007).

 


Apothekerin Dr. Petra Jungmayr

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