Feuilleton

Mit und ohne Spitzenhäubchen

Herrn Prof. Dr. Karl Poralla in wissenschaftlicher und künstlerischer Verbundenheit zum 70. Geburtstag gewidmet.

Wer kennt ihn nicht, den berühmten Thriller, zu dem Julius J. Epstein das Drehbuch nach einem Theaterstück von Joseph Kesselring (als Komödie 1941 in New York uraufgeführt) geschrieben hat und der, mit Cary Grant, Peter Lorre und Priscilla Lane in den Hauptrollen unter der Regie von Frank Capra gedreht, Millionen von Menschen ein Schmunzeln ins Gesicht gezaubert hat: Arsen und Spitzenhäubchen. Andere Begriffe, die sich als Kooperenzen zu Arsen aus dem PC hervorgooglen lassen, sind beispielsweise Kartöffelchen, Kanokow, Napoleon oder Syphilis.

"Arsen und Kartöffelchen" ist der Titel eines Kurzkrimi-Sammelbändchens von M. und J. Alberts, in dem Krimis rund um die Kartoffel enthalten sind. Wen wundert’s, wenn dabei auch Arsen, das Lieblingsgift zahlreicher Kriminalroman-Autoren, aktiv wird.

Arsen und Objektivität

Während Agathe Christies Beschreibungen von Vergiftungssymptomen und Giftwirkungen fast Lehrbuchniveau haben, wie zwei Berliner Rechtsmediziner in einer ernsthaften Studie festgestellt haben, wird in Krimis anderer Autoren oder in Drehbüchern von Krimiserien oft sehr unbedacht und oberflächlich mit dem Gift umgegangen. So ist es beispielsweise auch in einer Folge der Serie Soko Kitzbühel geschehen, die übrigens recht interessant und unterhaltsam ist: Der sympathische, aber völlig unsportliche Meisterkoch Hannes (wie er von der Gräfin liebenswürdigerweise genannt wird) entpuppte sich als Langlaufphänomen unter Extrembedingungen, nachdem er versehentlich und nur einmal auf der Alm etwas arsenhaltigen kondensierten Hüttenrauch zu sich genommen hatte. Hier wurde der Effekt einer Arsenik-Langzeitkur mit der akuten Stimulation durch ein Weckamin verwechselt.

Arsen ist nicht nur in Kriminalromanen Instrument einer Vergiftung, sondern auch in Dramen (Schiller), Romanen (Flaubert) oder Kinderbüchern (Lindgren).

Die geliebte Luise Millerin wird in "Kabale und Liebe" vom Major Ferdinand von Walter mit Arsen vergiftet. Als er dann von ihrer Unschuld erfährt, vergiftet er sich selbst auf die gleiche Art. Unrealistisch ist in Friedrich Schillers bürgerlichem Trauerspiel die Schilderung des Todeseintritts innerhalb von Minuten (als Arzt hätte Schiller das eigentlich besser wissen müssen!).

In "Madame Bovary", dem berühmten Roman von Gustav Flaubert, nimmt sich die unglückliche Frau eines Landarztes mit Arsen das Leben. Die Vergiftungssymptome und der qualvolle Tod werden dabei sehr genau und realistisch beschrieben.

Astrid Lindgren lässt den sagenhaften Detektiv "Kalle Blomquist" in ihrem Kinderbuch gleichen Namens die Marsh’sche Probe durchführen, um in einem Stückchen Schokolade Arsen nachzuweisen.


Arsenik (Arsentrioxid) und strukturverwandte Verbindungen mit unterschiedlichen Eigenschaften: schön (1), nützlich (2, 3 und 4), toxisch (5 und 6), tödlich (7).

Die Marsh’sche Probe …

… erlaubt es, selbst kleinste Mengen, also Spuren von Arsen oder Arsenverbindungen nachzuweisen. James Marsh, ein englischer Chemiker und Assistent von Faraday, hat die Methode 1836 entwickelt. Sie besteht in der Behandlung der Probe mit Zink und Schwefelsäure. Wenn sie Arsen enthält, entsteht dabei Arsenwasserstoff, der durch eine erhitzte Glasröhre geleitet wird, die an einer Stelle stark verengt ist. Nach dem Passieren dieser Stelle schlägt sich an der kalten Glaswand metallisches Arsen in Form eines braunschwarzen Spiegels nieder. Mithilfe dieser forensischen Methode konnte 1840 erstmals eine Giftmörderin – Marie Lafarge – überführt werden.

Doch wenn man glaubte, dass damit die unbewiesenen Morde durch Verabreichung von Arsenverbindungen, denen in Frankreich und Italien sogar Könige, Herzoge und Päpste zum Opfer gefallen waren, aufgehört haben, so hatte man sich getäuscht. Bis ins 20. Jahrhundert ging die makabre "Arseniktherapie" munter weiter. Ein Grund war die leichte Vortäuschung eines natürlichen, krankheitsbedingten Todes durch chronische Gaben kleiner Arsenmengen. Ein anderer Grund lag in der leichten Beschaffung von Arsenik, das legal zur Schädlingsbekämpfung eingesetzt wurde. Vielleicht hätte man durch die Marsh’sche Probe der Bremer Massenmörderin Gesche Gottfried das Handwerk legen können, die das vorzeitige Ableben von mindestens 15 Menschen auf dem Gewissen hatte. Ob sie überhaupt ein Gewissen hatte, muss allerdings stark bezweifelt werden.

Um Objektivität wird heute immer noch gerungen, wenn Napoleons Tod mal wieder zur Debatte steht. Doch zuvor wollen wir uns über die Gepflogenheiten des früher üblichen Arsenikessens kundig machen, das in Alpengegenden verbreitet war.

Arsenik als Roborans

Im 17. Jahrhundert war es keine Seltenheit, dass männliche Alpenbewohner in der Woche bis zu 500 mg Arsen zu sich nahmen, um sich die schwere Arbeit in Höhenlagen zu erleichtern. Es wurde sogar berichtet, ein steirischer Bauer habe ohne negative Folgen vor einem informierten Tribunal in Graz 400 mg Arsentrioxid, eine weit über dem Doppelten der letalen Dosis liegende Menge, eingenommen. Man darf heute annehmen, dass eine einschleichende Gewöhnung mit sukzessiver Dosissteigerung physiologisch vertragen wird. Es war bekannt, dass Pferde unter einer Arsenik-Kur ein besonders glänzendes Fell bekommen, was man mit gesundheitlichem Wohlbefinden gleichsetzte. Trainer von Rennpferden benutzten Arsen zum Doping der Tiere. Dem Futter von Geflügel und Schweinen wurde es zugesetzt, um eine schnellere Mästung zu erreichen.

"Macht es Sinn", wie man heute so gerne sagt? Wahrscheinlich schon, denn Arsen führt zur verstärkten Bildung der Sauerstoff-transportierenden roten Blutkörperchen.

Napoleons Tod auf St. Helena

Aus heutiger Sicht ist es am wahrscheinlichsten, dass Napoleon an einem fortgeschrittenen Magenkarzinom verstarb. Trotzdem halten sich hartnäckig die Gerüchte und Spekulationen um eine fortgesetzte Arsenvergiftung, möglicherweise sogar aus Eifersucht. Bei der Obduktion seiner Leiche fand man in den Haaren ungewöhnlich hohe Arsenkonzentrationen. Drei Thesen widersprechen aber einer beabsichtigten Arsenvergiftung:

Zum einen ist es durchaus möglich, dass der ehemalige Kaiser der Franzosen die damals als Wundermittel geltende Fowlersche Lösung im Übermaß zur Besserung seines Gesundheitszustandes freiwillig eingenommen hat.

Zum anderen könnte eine Arsenvergiftung im Zusammenhang mit den grün gestrichenen Tapeten seiner Wohnräume gestanden haben. Seine Lieblingsfarbe war grün. Die grüne Wandfarbe bestand aus dem arsenhaltigen Schweinfurter Grün (identisch mit Pariser Grün, Papageigrün, Kaisergrün, Moosgrün u. a.). Es ist bekannt, dass besonders in feuchtem Klima, wie es auf St. Helena herrscht, durch Schimmelpilzbefall aus Arsenverbindungen der flüchtige Arsenwasserstoff freigesetzt wird, der dann zu einer permanenten Kontamination der Luft und dadurch zu einer schleichenden Arsenvergiftung der Bewohner führt.

Zum dritten war es in jener Zeit nicht unüblich, die Haare eines Verstorbenen mit Arsen zu konservieren.

Im Juni 2005 gab die Internationale Napoleon-Gesellschaft dem Historikerstreit um den Tod des einstigen französischen Kaisers neue Nahrung. Nach Angaben des Präsidenten Jean-Claude Damamme, wurde bei den jüngsten Untersuchungen erstmals Arsen im Inneren der Haare entdeckt und nicht nur auf deren Oberfläche.

Was haben C. B. Luce und Ötzi mit Napoleon zu tun?

Auch bei der im Gletschereis konservierten, aus dem 3. Jahrtausend v. Chr. stammenden Mumie des Alpenbewohners Ötzi erhebt sich die Frage, ob er an der Einwirkung von Arsen gestorben ist. In seinen Haaren wurden größere Mengen Arsen nachgewiesen. Man schließt daraus, dass Ötzi in der Verarbeitung von arsenhaltigen Kupfererzen tätig war.

Clare Booth Luce war eine amerikanische Publizistin, Schriftstellerin und Politikerin und in dieser Eigenschaft von 1953 bis 1957 Botschafterin in Rom. Bei einer schleichenden Erkrankung hatte man den Verdacht auf eine gegnerische Mordabsicht. Doch wurde rechtzeitig erkannt, dass ihre Krankheit mit Schimmelpilz-befallenen Tapeten zusammenhing. Siehe 2. These für Napoleons Ableben.

Spurenelement oder nicht?

Die Frage, ob Arsen für den Menschen ein Spurenelement ist oder nicht, ist noch nicht beantwortet. Eine tägliche Aufnahme von bis zu 1 mg Arsen gilt als harmlos. Für bestimmte Tiere ist Arsen ein essenzielles Spurenelement. Hühner oder Ratten zeigen bei arsenfreier Ernährung deutliche Wachstumsstörungen. Meerestiere wie Muscheln oder Garnelen und zahlreiche Algen enthalten nennenswerte Mengen Arsen. Lösliche Arsenverbindungen werden vom Menschen intestinal aufgenommen und innerhalb 24 Stunden im Körper verteilt. Der Gesamtgehalt von Arsen im Körper eines durchschnittlichen Erwachsenen liegt bei etwa 7 mg. In den Haaren liegt der Anteil bei 1 ppm.

Anorganische Arsenverbindungen werden in der Leber zu Monomethylarsonsäure und Dimethylarsinsäure metabolisiert und anschließend über die Nieren ausgeschieden. Die aus Fischen und Meeresfrüchten stammenden organischen Arsenverbindungen wie Dimethylarsinsäure, Trimethylarsenoxid, Trimethylarsin und Arsenobetain werden innerhalb von zwei bis drei Tagen praktisch unverändert renal eliminiert.

In Pflanzen steigert Arsen den Kohlenhydrat-Umsatz. Der Gebänderte Saumfarn (Pteris vittata) kann bis zu 5 Prozent seines Trockengewichts an Arsen aus dem Boden aufnehmen. Deshalb wird diese schnell wachsende Pflanze zur biologischen Säuberung Arsen-kontaminierter Böden eingesetzt.

Medikamentöse Therapie mit Arsenverbindungen

Es ist davon auszugehen, dass Arsenverbindungen schon in der Antike zu arzneilichen Zwecken eingesetzt wurden. Erwähnung finden sie bei Hippokrates und Plinius. Sicher ist die Einführung von Arsen in den damaligen Arzneischatz durch Paracelsus im 16. Jahrhundert. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts galt Arsen als potentes Asthmamittel.

Die heute obsolete Solutio Kalii arsenicosi oder Fowlersche Lösung – benannt nach dem britischen Arzt Thomas Fowler (1736 – 1801) – wurde noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts als Roborans, bei Anämien und zur Behandlung der Psoriasis eingesetzt und war überdies in der 6. Ausgabe des Deutschen Arzneibuchs (DAB 6) von 1926 offizinell, d. h. als Monographie enthalten.

Wenn man anfangs der 90er-Jahre erkannte, dass anorganische Arsenverbindungen wegen ihrer Toxizität nicht als Arzneimittel taugten, so bewährten sich organische Arsenverbindungen als erste Chemotherapeutika trotz erheblicher Nebenwirkungen. H. W. Thomas und A. Breinl erkannten 1905 die abtötende Wirkung des Atoxyl auf Trypanosomen, die Erreger der afrikanischen Schlafkrankheit. Mit dem weiterentwickelten Tryparsamid wurde ab 1920 sehr erfolgreich therapiert. Das Mitte des 20. Jahrhunderts erarbeitete Melarsoprol bewies sich über Jahrzehnte als Mittel der Wahl zur Behandlung der Schlafkrankheit und wird heute noch eingesetzt.

Das prominenteste arsenhaltige Chemotherapeutikum war aber das von Paul Ehrlich entwickelte und 1910 zur erstmals erfolgreichen Behandlung der Syphilis in die Therapie eingeführte Salvarsan. Beide, Paul Ehrlich und das Salvarsan, waren übrigens auf der 200-DM-Banknote abgebildet.

Damit ist aber die medizinische Verwendung arsenhaltigen Verbindungen noch nicht abgeschlossen. Seit 2000 ist in den USA und seit 2002 in Europa eine Zubereitung von Arsentrioxid (As2 O3) als Trisenox® zur Behandlung einer seltenen Form von Blutkrebs, der akuten promyelozytären Leukämie (APL), zugelassen. Erforderlich ist eine über mehrere Wochen dauernde tägliche Arsentrioxid-Infusion, die von den Patienten besser vertragen wird als die vorherige Chemotherapie. Das Arsen verursacht durch Eingriff in den Stoffwechsel der Leukämiezellen deren Apoptose.

Arsenverbindungen für technische Anwendungen

In dieser Rubrik sind zu vermerken:

  • Auripigment = Arsen(III)-sulfid (As2 S3) wurde als goldgelbe Malerfarbe und als Enthaarungsmittel gebraucht.

  • Schweinfurter Grün (s. Napoleons Tod) war im 19. Jahrhundert eine beliebte grüne Malerfarbe, synonym als Deckpapiergrün, Originalgrün oder Patentgrün bezeichnet. Es handelt sich dabei um Kupfer(II)-acetat-arsenat(III).

  • Realgar = dimeres Arsendisulfid (As4 S4), synonym als Rubinrot oder Rauschrot bezeichnet, wurde weniger als Farbe denn in der Alchemie, Pyrotechnik und der Gerberei verwendet.

  • Arsenik = Arsentrioxid (As2 O3) brauchte man zur Desinfektion von Weinfässern, zur Konservierung von Vogelbälgen und Fellen, zur Herstellung von Schädlingsbekämpfungsmitteln (Rattengift) sowie gelegentlich zum Härten von Eisen.

  • Adamsit, Lewissit, Clark I und Clark II waren die Bezeichnungen für arsenhaltige Kampfstoffe, die im 1. Weltkrieg eingesetzt wurden.

Nach dieser abscheulichen Kooperenz des Begriffs Arsen noch eine lustige:

Welche Beziehung besteht zwischen Arsen und Kanokow?

Die Antwort lautet: keine!

Arsen Baschirowitsch Kanokow ist Präsident der russischen Republik Kabardino-Balkarien. Er war lange Zeit erfolgreicher Geschäftsmann in Moskau und wurde in den 1990er-Jahren mehrfach zum "Geschäftsmann des Jahres" gewählt. Arsen ist sein Vorname.


Verfasser:
Prof. Dr. rer. nat. Dr. h. c. Hermann J. Roth
Friedrich-Naumann-Str. 33
76187 Karlsruhe
www.h-roth-kunst.com
info@h-roth-kunst.com

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.