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DAZ Spezial
Was tun mit den Auswüchsen des Versandhandels?
… Im Unterschied zu Präsenzapotheken unterliegen die Pick-up-Stationen bei der Vor-Ort-Abgabe von Arzneimitteln nicht den Anforderungen der Apothekenbetriebsordnung. So wird zum Beispiel auf jegliche Apothekeninfrastruktur verzichtet. Die Vor-Ort-Abgabe kann durch nicht pharmazeutisches Personal erfolgen. Die in letzter Zeit entstandenen Pick-up-Stationen und die damit verbundenen Variationen des Versandhandels wurden zum Zeitpunkt der Gesetzgebung nicht vorhergesehen. Diese neue Versandform war Gegenstand mehrerer Gerichtsverfahren. Zuletzt entschied das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 13. März 2008, dass aufgrund der generellen Zulassung des Versandhandels mit allen apothekenpflichtigen Arzneimitteln die Abgabe im Wege des Versandes über Pick-up-Stationen rechtlich nicht zu beanstanden ist. Dieses Urteil mag sich vielleicht aus der derzeitigen Rechtslage ergeben, wirft aber aus meiner Sicht verschiedene Fragen auf: Während die Apotheker weiterhin an die umfassenden Anforderungen der Apothekenbetriebsordnung gebunden sind – zum Beispiel Vorhaltung von Laboren und Räumlichkeiten für den Nachtdienst, Mindestgröße der Betriebsräume –, sollen diese offenbar für Pick-up-Stationen nicht gelten. Dies hätte aus meiner Sicht eine ungerechtfertigte, verfassungswidrige Ungleichbehandlung der Präsenzapotheken zur Folge. Außerdem wird die aus Verbraucherschutzgründen wichtige Beratung durch Apotheker abgeschwächt, und es kommt zur Beliebigkeit bei der Abgabe von Arzneimitteln. Schließlich dürfen wir auch nicht übersehen, dass durch die Abgabe apothekenpflichtiger Arzneimittel über Pick-up-Stationen bei Schlecker, dm etc. die besondere Ware "Arzneimittel" aus Sicht des Verbrauchers mit Konsumgütern – zum Beispiel Bonbons, Reinigungsmitteln oder Hygieneartikeln – gleichgestellt wird. Damit wird insbesondere der Gebrauch verschreibungspflichtiger Arzneimittel in den Augen der Verbraucher verharmlost. Auch die immer stärker stattfindende Werbung mit Niedrigpreisen kann die Verbraucher verleiten, mehr Arzneimittel als nötig zu verwenden. Beides fördert den Arzneimittelmissbrauch. Vor diesem Hintergrund müssen wir überlegen, wie wir diesen Auswüchsen des Versandhandels durch Pick-up-Stationen Einhalt gebieten. Erste Vorstöße wurden bereits gemacht. So haben die Bundesländer Bayern und Sachsen entsprechende Initiativen im Bundesrat ergriffen bzw. angekündigt, denen sich der jetzt vorgelegte Antrag der Partei Die Linke inhaltlich annähert. Auch der Antrag der FDP, der einen weniger umfassenden Ansatz liefert, zielt auf eine Beseitigung der Auswüchse ab. Damit wir uns über die entsprechenden Konsequenzen ausreichend Klarheit verschaffen können, ist es aus meiner Sicht erforderlich, die in den Initiativen angesprochenen Handlungsoptionen genau zu prüfen und zu bewerten. Gegenwärtig befinden wir uns innerhalb der CDU/ CSU-Bundestagsfraktion in einem entsprechenden Bewertungsprozess. Erst wenn wir diesen abgeschlossen haben, können wir uns auf eine Handlungsoption festlegen.
Dr. Marlies Volkmer (SPD):
… Das im März ergangene Urteil des Bundesverwaltungsgerichts [stellt uns] tatsächlich vor ein gewaltiges Problem. Zur Erinnerung: Das Gericht hatte geurteilt, dass der Arzneimittelbestell- und -abholdienst, der von einigen Drogeriemärkten in Kooperation mit Versandapotheken angeboten wird, zulässig ist. Ich sehe drei Gefahren: Erstens sehe ich eine Unübersichtlichkeit auf die bestehenden Arzneimittelvertriebswege zukommen, die die Arzneimittelsicherheit unmittelbar gefährdet: Jede Instanz, die zwischen die Abgabe durch die Apotheke und den Empfang des Patienten geschaltet ist, erhöht das Risiko der Verwechselung, der falschen Lagerung usw. Zweitens: Was beim Versandhandel für verzichtbar gehalten wird, kann in der Konsequenz auch nicht für die Versorgung in der öffentlichen Apotheke vorgeschrieben werden. Das hätte vor allem Konsequenzen für die Beratungsleistungen, aber auch für Notdienste und Laborleistungen – mit negativen Auswirkungen für die Bevölkerung. Drittens dürfen die Entwicklungen im Apothekenbereich nicht isoliert voneinander betrachtet werden. Stellen Sie sich vor, dass das Fremdbesitzverbot fiele. Durch die Niederlassungsfreiheit könnten Kapitalgesellschaften nach ihrem Markteintritt unbegrenzt eigene Apotheken eröffnen – oder auch Pick-up-Stellen. Eine Kombination aus der Aufhebung des Fremdbesitzverbotes und des Abbaus von Mindestanforderungen an die Arzneimittelabgabe würde unserer Arzneimittelversorgung ein neues Gesicht geben. Arzneimittelsicherheit und Beratungsqualität, die Grundpfeiler unserer heutigen Versorgungslandschaft, würden leiden. Der Gesetzgeber hat die Sicherstellung der Arzneimittelversorgung nicht ohne Grund den Apotheken übertragen. Ich denke hier vor allem an das hochqualifizierte Personal, das jederzeit beraten kann, nicht nur auf Nachfrage und nicht nur telefonisch, und an die Verpflichtung zu Nacht- und Notdiensten. Was kann man also tun, um ein Ausfransen der Vertriebswege zu verhindern? Gewerbliche Abholstellen lassen sich nicht einfach verbieten, da dies in verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigender Weise in die Berufsfreiheit der potenziellen Betreiber eingreifen würde. Die einzige rechtliche Handhabe sehe ich persönlich in der Beschränkung des Versandhandels auf das europarechtlich gebotene Maß und damit auf nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel … Warum hat sich die damalige rot-grüne Koalition mit Unterstützung der CDU/CSU-Fraktion nicht schon 2003 gegen den Versandhandel mit diesen besonderen Arzneimitteln entschieden? Tatsächlich haben wir damals derart strenge Regelungen gesetzlich verankert, dass der direkte Versand aus einer deutschen Versandapotheke an einen Patienten sicher ist … Was der Gesetzgeber aber damals nicht vorhergesehen hat, war die Zulassung von Pick-up-Stellen und damit die Unterbrechung des Vertriebsweges … Ein anderer Vorschlag ist, dass spezifische Anforderungen an die Pick-up-Stellen formuliert werden. Auch hierüber werden wir eingehend zu beraten haben.
Daniel Bahr (FDP):
… Es waren SPD, Grüne und CDU und CSU, die im Jahre 2003 den Versandhandel in Deutschland gegen die Stimmen der FDP beschlossen haben. Die FDP hat damals vor den Folgen gewarnt … Der Versandhandel ist seit über vier Jahren zulässig, und damit wurden Fakten geschaffen. Apotheken haben sich auf Versandhandel eingestellt, und einige haben entsprechend investiert. Patienten haben sich an diesen Service gewöhnt. Jetzt braucht es sehr gute Gründe, um den Versandhandel wieder abzuschaffen … Den Versandhandel komplett wieder zu verbieten, halte ich für nicht mehr gangbar. Wir sollten deshalb gemeinsam an einem Weg arbeiten, wie die nicht gewollten Auswüchse verhindert werden können … Wettbewerb kann nur unter fairen Bedingungen funktionieren. Es ist eine Benachteiligung, wenn Wettbewerber Pflichten zu erfüllen haben, die andere nicht erfüllen müssen. Die Apotheke vor Ort erfüllt wichtige Gemeinwohlaufgaben wie Nacht- und Wochenenddienst, muss Labor und Mindestgrößen der Ladenfläche und entsprechend fachkundiges Personal gewährleisten. Wir alle haben ein Interesse daran, dass diese Pflichten erfüllt werden, damit die Arzneimittelversorgung auf einem entsprechend hohen Niveau erreicht wird. Wenn jetzt Drogerien oder andere versuchen, über die Ausnutzung des Versandweges sich den Anschein einer Apotheke zu geben, ohne die Pflichten zu erfüllen, dann sind das unfaire Wettbewerbsbedingungen für die Apotheken vor Ort. Hinzu kommt, dass Apotheken eine Vielzahl von Voraussetzungen erfüllen müssen, um den Sicherheitsstandard zu gewährleisten. Es könnte eine Gefahr für die Sicherheit und die Versorgung vor Ort entstehen. Diese Ausfransung durch Abholstellen war meines Erachtens selbst von der Mehrheit derjenigen nicht gewollt, die damals der Aufhebung des Versandhandelsverbotes zugestimmt haben. Das Gesetz ist insofern nicht exakt genug formuliert … Wir brauchen daher eine gesetzliche Klarstellung, dass ein Versand von Arzneimitteln nur aus Apotheken durch Apotheken selbst oder von diesen beauftragten Transportunternehmen unmittelbar an den Endverbraucher zulässig ist. Die FDP legt einen Antrag vor, der genau dieses Problem anpackt. CDU, CSU und SPD müssen sich jetzt bewegen. Sie haben den Versandhandel erlaubt und damit die Möglichkeit für solche Ausfransungen erst geschaffen. Bisher sagt die schwarz-rote Bundesregierung auf unsere Forderungen, dass sie nichts unternehmen wolle. Wenn Schwarz-Rot nichts macht, dann fördern sie ungleiche Wettbewerbsbedingungen und Verzerrungen.
Dr. Martina Bunge (Die Linke):
… Alle proklamieren, es ginge ihnen um eine qualitätsgesicherte und flächendeckende Arzneimittelversorgung. Aber unübersehbar ist, dass der Anteil über das Internet bezogener rezeptpflichtiger Arzneimittel permanent steigt. Absehbar ist der Zeitpunkt, an dem dieser Umsatzverlust die Apotheken massiv unter Druck bringt, viele Apotheken in ihrer Existenz bedroht. Die Infragestellung des flächendeckenden Apothekennetzes wird über kurz oder lang ein Versorgungs- und Beratungsproblem der Bevölkerung insbesondere im ländlichen Raum und für ältere, zumeist mehrfach erkrankte Menschen bringen. Die Freigabe des Versandhandels auch für rezeptpflichtige Arzneimittel mit dem Gesundheitssystem-Modernisierungsgesetz ab 2004 ist für uns nicht zuvörderst ein Sicherheitsproblem hinsichtlich möglicher Gefahren des Bezugs "gepantschter" Arzneimittel oder der Abwicklung des Vertriebs auch über Drogeriemärkte; insofern greift unseres Erachtens auch der ebenfalls zu dieser Debatte eingebrachte FDP-Antrag zu kurz. Für uns steht die Rettung der bewährten inhabergeführten Präsenzapotheke im Mittelpunkt. Die Apotheke mit einem ausgebildeten Pharmazeuten an der Spitze und vielen kundigen Angestellten soll auch in Zukunft eine qualitätsgesicherte und flächendeckende Arzneimittelversorgung für die Bevölkerung in der Bundesrepublik garantieren. Die Bedeutung bzw. Rolle des Apothekers und der Apothekerin als Heilberufler und Heilberuflerin ist angesichts der älter werdenden Bevölkerung und der Komplexität medizinischer Neuerungen bzw. permanenter Veränderungen im Gesundheitssystem eher noch zu stärken als zu schwächen. Hier ist der Gesetzgeber gefordert, die rechtlichen Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass sie dieses Erfordernis unterstützen und nicht behindern. Nicht umsonst hat der Europäische Gerichtshof die Ausgestaltung des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln in das Ermessen der Länder gegeben … [Heute] geht es um die Vorsorge, dass uns das Apothekensystem nicht zerbricht. Daher unser Appell an die Bundesregierung: Legen Sie sofort einen Gesetzentwurf vor, der den Versandhandel auf nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel begrenzt!
Birgitt Bender (Bündnis 90/Die Grünen):
… Als Hilfsargument wird häufig der Schutz vor Arzneimittelfälschungen angeführt. Richtig ist, dass Arzneimittelfälschungen nicht mehr ausschließlich ein Problem der Dritten Welt sind … Dem aber mit einem Verbot des Versandhandels begegnen zu wollen, ist völlig illusorisch. Der Großteil der Arzneimittelfälschungen stammt aus Ländern der Dritten Welt. Der Versand von Arzneimitteln von Ländern außerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums direkt an Endverbraucher in Deutschland ist aber ohnehin verboten. Zudem ist die weit überwiegende Anzahl gefälschter Arzneimittel nicht verschreibungspflichtig. Bei ihnen handelt es sich um "Lifestyle"-Medikamente, Potenzmittel, Anabolika, Schlafmittel und auch Nahrungsergänzungsprodukte, die die Kundinnen und Kunden auf eigene Rechnung bestellen. Dieser Versandhandel lässt sich aber – soweit er aus der Europäischen Union kommt – mit den Instrumenten des Arzneimittelrechts nicht verhindern, rechtlich, weil ein Versandhandelsverbot für rezeptfreie Arzneimittel nicht mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu vereinbaren wäre, aber auch "technisch", weil man ein solches Verbot ohne die Abschaffung des Internets nicht umsetzen könnte. Das Nebeneinander unterschiedlicher Vertriebswege auf dem Arzneimittelmarkt ist eine Tatsache. Diese Pluralisierung wird nicht zuletzt durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs weitergehen. Der dadurch entstehende Wettbewerb kann für die Verbraucherinnen und Verbraucher und das Gesundheitswesen vorteilhafte Wirkungen haben … In diesem Zusammenhang wird man auch darüber reden müssen, ob man – wie die FDP fordert – die Aushändigung bestellter Arzneimittel zum Beispiel in Drogeriemärkten verbietet. Zwar glaube ich nicht, dass durch einen solchen Abholservice die Arzneimittelsicherheit unmittelbar gefährdet wird. Gleichgültig, ob das bestellte Arzneimittel direkt an den Patienten oder die Abholstation geschickt wird – für die Arzneimittelsicherheit bleibt auch weiterhin die Versandapotheke verantwortlich. Allerdings muss vermieden werden, dass ein solcher Abholservice zum Türöffner für die Aufhebung der Apothekenpflicht für nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel wird. Rezeptfreie Arzneimittel könnten dann überall verkauft werden. Das würde ich mit Blick auf die Risiken des Arzneimittelkonsums für falsch halten.
Rolf Schwanitz, Parl. Staatssekretär im Bundesgesundheitsministerium:
… Zum 1. Januar 2004 ist der Versandhandel mit Arzneimitteln in Deutschland legalisiert worden. Wesentlich dafür war, dass chronisch Kranke, immobile Menschen und Beschäftigte einen besseren Zugang zu Arzneimitteln erhalten. Klar war, dass der Versandhandel nur in den Fällen infrage kommt, in denen Arzneimittel nicht akut benötigt werden. Damals wie heute werden die immer gleichen Szenarien gegen den Arzneimittelversand herangezogen. Bisher ist noch keines eingetreten. Heute gibt es über 2000 Apotheken, die eine Erlaubnis zum Versandhandel haben. Gleichzeitig sind diese Versandapotheken auch Präsenzapotheken. Damit beteiligen sie sich an den Gemeinwohlaufgaben wie Nacht- und Wochenenddienst, und sie beraten ihre Patientinnen und Patienten … Das Bundesverwaltungsgericht hat im Versandhandel mit Einbeziehung eines Bestell- und Abholservice keine besonderen Risiken für den Endabnehmer gesehen. Für die Sicherheit der Lieferkette, also auch für Transport und Lagerung, ist der versendende Apotheker verantwortlich. Dabei darf in den Bestell- und Abholstellen nicht der Anschein erweckt werden, dass dort Arzneimittel abgegeben würden. Für die Abgabe ist allein ein Apotheker verantwortlich. Den Versandhandel auf verschreibungsfreie Arzneimittel gesetzlich zu begrenzen, würde den illegalen Versandhandel bestärken. Wir wollen jedoch, dass die Menschen ihre Arzneimittel legal beziehen. Deshalb sehen wir keine Gründe, die Regelung des Versandhandels zu ändern.
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