Arzneimittel und Therapie

Fenster für Schlaganfallbehandlung erweitert

Nach einem akuten ischämischen Schlaganfall profitieren die Patienten auch noch nach 3 bis 4,5 Stunden von einer Thrombolyse mit Alteplase. Das ergab die ECASS-3-Studie. Sie gilt als eine Meilensteinstudie für die Behandlung des Schlaganfalls und bildet die Grundlage für eine Ausweitung des Lysefensters auf 4,5 Stunden.

Die erste positive Thrombolysestudie mit Alteplase (rt-PA) beim akuten ischämischen Schlaganfall, die dann auch zur Zulassung in den USA im Jahre 1996 geführt hatte, war die am 13. Dezember 1995 im New England Journal of Medicine (NEJM) veröffentlichte NINDS-rt-PA-Studie. In dieser Studie wurde rt-PA in einer Dosis von 0,9 mg pro KG Körpergewicht (10% als Bolus i. v., Rest i. v. als Infusion über 60 min verabreicht) bis maximal drei Stunden nach dem initialen Symptombeginn gegen Placebo getestet. Die rt-PA-Gabe führte zu einem Anstieg von Blutungen (v. a Hirnblutungen) um den Faktor 10, aber neben dieser ungewünschten Nebenwirkung wurde eine deutliche klinische Verbesserung nach 90 Tagen bei den Patienten gefunden. Lysierte Patienten hatten nach dieser Zeit in 39% der Fälle keine oder nur noch minimale neurologische Symptome, während bei Placebo-behandelten Patienten dies nur in 26% der Fall war. Die Letalität war unter Lyse trotz vermehrter Blutungsrate geringer als unter Placebo. Basierend auf diesen Ergebnissen wurde rt-PA im August 2000 in Deutschland zugelassen und ab 2002 auch europaweit.

Die parallel zur NINDS durchgeführte europäische ECASS-1-Studie war negativ. Vor allem die höhere Dosierung (1,1 mg rt-PA pro kg Körpergewicht) und das größere Zeitfenster (bis zu 6 h nach Symptombeginn) wurden für den negativen Ausgang verantwortlich gemacht. Eine Metaanalyse aller Lysestudien mit i.v. rt-PA nach ischämischem Hirninfarkt legte dann aber eine Wirksamkeit der Lyse noch bis zu ca. 4 h 45 min nahe. Daher wurde in der ECASS-3-Studie dieses Zeitfenster speziell prospektiv untersucht. Die Ergebnisse wurden am 25. September im NEJM veröffentlicht. Eine Woche zuvor wurde im Lancet eine Studie aus dem SITS-Most-Register vorgestellt, die zeigte, dass bei rund 660 Patienten mit Lyse zwischen 3 und 4,5 h ähnliche Ergebnisse wie im Drei-Stunden-Zeitfenster zu erzielen waren. Diese Registerstudie legte schon eine Erweiterung des Lysefensters auf bis zu 4,5 h nahe. In ECASS-3 wurden 821 Patienten randomisiert, placebokontrolliert und doppelblind untersucht. 418 Patienten erhielten 0,9 mg rt-PA pro KG, 403 Patienten erhielten Placebo. Der primäre Endpunkt war gutes Outcome nach 90 Tagen, definiert als mRS (modified Rankin Score) 0 oder 1 (keine neurologischen Ausfälle, neurologische Ausfälle, aber keine Behinderung) gegenüber den Patienten mit mRS 2 bis 6 (leichte, mittelschwere, schwere Behinderung, Bettlägrigkeit oder Tod). Im Mittel wurden die Patienten nach 3 h und 59 min behandelt. Der primäre Endpunkt trat signifikant häufiger bei lysierten Patienten auf, nämlich 52,4% vs. 45,2%, p = 0,04. Signifikant mehr Blutungen traten unter rt-PA auf (27% vs. 17,6% unter Placebo), aber die symptomatischen Hirnblutungen waren mit 2,4% niedrig, wenn auch signifikant höher als unter Placebo (0,2%). Die Mortalität war nicht signifikant erhöht gegenüber Placebo (7,7 vs. 8,4%). Diese Studie zusammen mit der Lancet-Register-Veröffentlichung führt dazu, dass viele Abteilungen schon das Lysefenster erweitern und eine Zulassungserweiterung wird sicher beantragt.

Die Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie wurden im Herbst 2008 als neueste Version veröffentlicht und konnten diese Ergebnisse selbstverständlich noch nicht antizipieren und lauten daher:

  • Die intravenöse Behandlung mit rt-PA wird innerhalb eines 3-Stunden-Fensters zur Behandlung ischämischer Hirninfarkte an in dieser Therapie erfahrenen Zentren empfohlen (0,9 mg/kg/KG, Maximum von 90 mg, 10% der Gesamtdosis als Bolus, 90% im Anschluss als Infusion über 60 Minuten)

  • Mit geringerem Behandlungseffekt ist die intravenöse Lysebehandlung wahrscheinlich auch in einem 4,5-Stunden-Zeitfenster wirksam. Die Lysetherapie zwischen 3 und 4,5 h ist, wie die Magnetresonanztomographie-(MRT)-basierte Patientenauswahl, aber nicht zugelassen.

In der nächsten Version ist mit einer Anpassung analog der Ergebnisse der ECASS-3-Studie zu rechnen.

Die Erweiterung des Lysezeitfensters wird die Rate der lysierten Patienten in den meisten Zentren um ca. 50% steigern, da viele Patienten gerade außerhalb des Zeitfensters eintreffen. Diese Änderung betrifft meist neurologische Standardabteilungen. Schlaganfallzentren nutzen schon länger ein erweitertes Lysezeitfenster vor allem durch MRT-basierte Lyse. Diese spezialisierten Zentren müssen natürlich überlegen, ob sie bis 4,5 h nicht nun auch nach den allgemeinen Computertomographie-Kriterien lysieren sollten. Grundsätzlich wird durch diese Studie die Ausweitung der Lyse propagiert.

Interessant ist nebenbei ein weiterer Befund: die Placebogruppe der ECASS-3-Studie ist mit einer Rate von 45% Patienten mit gutem Outcome besser als die rt-PA-Verumgruppe aus NINDS (39%). Was bedeutet das? Natürlich sind mehr als zehn Jahre zwischen den Studien vergangen, aber es könnte sich hier um die Verbesserung der akuten Schlaganfallbehandlung durch die Stroke Units handeln, die heute im Gegensatz zu 1995 und früher der Standard sind. Damit ist die Lyse ein Baustein der verbesserten Schlaganfallbehandlung im Jahre 2008 und das nun auch im 4,5-h-Zeitfenster.

Prof. Dr. Gerhard F. Hamann


Direktor der Neurologischen Klinik
der Dr. Horst Schmidt Klinik GmbH
Ludwig-Erhard-Straße 100
65199 Wiesbaden

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