Gesundheitspolitik

Betriebserlaubnis hätte nicht erteilt werden dürfen

Studie: Saarländisches Ministerium hat gegen zentrale rechtsstaatliche Prinzipien verstoßen

Saarbrücken (cr). Nach einer Studie, die soeben im Boorberg Verlag erschienen ist, hätte die Betriebserlaubnis für die DocMorris-Fremdbesitzapotheke in Saarbrücken vom saarländischen Ministerium für Justiz, Gesundheit und Soziales 2006 nicht erteilt werden dürfen. Bei der Erteilung der Betriebserlaubnis hat das damalige Hecken-Ministerium gegen zentrale rechtsstaatliche Prinzipien verstoßen. Besonders bemerkenswert: Bei dem Autor der Expertise, Wolfgang Kiefer, handelt es sich um einen Verwaltungsrichter, der zurzeit beim Oberverwaltungsgericht Saarlouis tätig ist.

Die Schlussfolgerungen des im öffentlichen Recht versierten Juristen dürften nicht allen gefallen – insbesondere nicht den für die Erteilung der Apothekenbetriebserlaubnis an DocMorris verantwortlichen politischen Instanzen. Eine zentrale These Kiefers in seiner Promotionsarbeit: Um den niederländischen Arzneimittelversender zu einer Verlagerung seiner Geschäftstätigkeit ins Saarland zu bewegen, wurden vom damals zuständigen Gesundheits- und Justizminister Josef Hecken und seinem noch heute amtierenden Staatssekretär Wolfgang Schild (beide CDU) gegen das Prinzip der Bundestreue verstoßen und die politische Grundentscheidung des Bundes-Gesetzgebers missachtet, das in Deutschland geltende Fremdbesitzverbot zu achten – und dies, obwohl sich noch kurz vor Erteilung der Betriebserlaubnis an DocMorris der Bundestag gegen Fremdbesitz bei Apotheken ausgesprochen hatte. Auch ansonsten ging es – zumindest juristisch – bei dem Genehmigungsverfahren nicht mit rechten Dingen zu: Ohne Rücksicht (und Rücksprache) ignorierte das saarländische Ministerium mit eigennützigen Absichten die Interessen der anderen Bundesländer. Damit nicht genug: Auch materiell-rechtlich liegt das saarländische Ministerium daneben, da das Fremdbesitzverbot bei Apotheken nach Auffassung des Autors zur Gewährleistung eines hohen Gesundheitsschutzniveaus geeignet und erforderlich ist und deshalb mit geltendem EG-Recht in Einklang steht. Weniger beschränkende Maßnahmen mit gleicher Wirkung stehen dem Gesetzgeber nicht zur Verfügung. Insbesondere dürfe die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zu den Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit bei Optikergeschäften nicht unbesehen auf das apothekenrechtliche Fremdbesitzverbot übertragen werden.


Monographien zum Fremd- und Mehrbesitzverbot bei Apotheken


  • Wolfgang Kiefer: Die Vereinbarkeit des Fremd- und Mehrbesitzverbots für Apotheken mit der Niederlassungsfreiheit nach Art. 43, 48 EGV und die Nichtanwendung nationalen Rechts durch die Verwaltungsbehörden. Stuttgart 2009. Boorberg Verlag.

  • Heinz-Uwe Dettling/Elmar J. Mand: Fremdbesitzverbote und präventiver Verbraucherschutz. Stuttgart 2006. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart.

  • Enno Burk: Die Funktionen der unabhängigen Apotheke für die Arzneimittelversorgung der GKV und das Fremd- und Mehrbesitzverbot. Baden-Baden 2008. Nomos Verlag.

Luzide Analyse des Falls "Hecken/DocMorris"

Vier Wochen vor der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zum Fremdbesitzverbot bei Apotheken (und vier Monate vor der Landtagswahl im Saarland) dürfte die 218-seitige Veröffentlichung auch über die Juristenszene hinaus für Aufsehen sorgen. In seiner Dissertation ("Die Vereinbarkeit des Fremd- und Mehrbesitzverbots für Apotheken mit der Niederlassungsfreiheit nach Art. 43, 48 EGV und die Nichtanwendung nationalen Rechts durch die Verwaltungsbehörden") analysiert Kiefer subtil die rechtlichen Aspekte, die dem "Fall Hecken/Schild/DocMorris" zugrunde liegen. Mit Wirkung vom 1. Juli 2006 hatte das saarländische Ministerium für Justiz, Gesundheit und Soziales unter der Leitung Heckens DocMorris die Erlaubnis zum Betrieb einer Filialapotheke in Saarbrücken erteilt. Bis dahin hatte die Kapitalgesellschaft nur in den Niederlanden eine Versandapotheke betrieben. Im Vorfeld der Genehmigung war von Heckens Staatssekretär Wolfgang Schild zusammen mit DocMorris-Rechtsanwalt Thomas Diekmann und ungenannten (Verwaltungs-)Richtern eine ministeriumsinterne Arbeitsgruppe gebildet worden, um die Erteilung einer Apothekenbetriebserlaubnis an DocMorris unter Ausschluss der Öffentlichkeit "rechtssicher" vorzubereiten. Bis heute weigert sich Schild, die personelle Zusammensetzung der Arbeitsgruppe offen zu legen. Stattdessen entwickelt sich der Chefideologe in Sachen DocMorris immer mehr zum Eiferer wider das bestehende Apothekensystem in Deutschland. Über die Gründe hierfür kann man nur spekulieren. Sein Auftritt vor dem Europäischen Gerichtshof, bei dem er publicityträchtig pro DocMorris und gegen den deutschen (Bundes-)Gesetzgeber wetterte, sorgte jedenfalls nicht nur bei seinen Prozessgegnern für Kopfschütteln. Weder die Justiz- bzw. Gesundheitsministerien der anderen Bundesländer noch das Bundesministerium für Gesundheit wollten den mäandernden Ausführungen ihres saarländischen Kollegen folgen – zu Recht, wie die jetzt veröffentlichte Expertise verdeutlicht. Die juristischen Ausführungen Kiefers stehen in scharfem Kontrast zu den Argumentationsversuchen der selbst ernannten Europarecht-Spezialisten im Saarbrücker Gesundheitsministerium. Wie zuvor bereits die Juristen Dettling/Mand ("Fremdbesitzverbote und präventiver Verbraucherschutz") und Burk ("Die Funktionen der unabhängigen Apotheke für die Arzneimittelversorgung der GKV und das Fremd- und Mehrbesitzverbot") in ihren Monographien kommt auch Kiefer zu dem Schluss, dass es sich beim apothekenrechtlichen Fremd- und (modifizierten) Mehrbesitzverbot um eine gemeinschaftsrechtlich zulässige Beschränkung der Niederlassungsfreiheit handelt. Dabei argumentiert der Richter und Verwaltungsjurist durchaus europafreundlich. In seiner luziden Analyse orientiert er sich detail- und kenntnisreich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und plädiert zur Wahrung eines gesundheitsrechtlich hohen Schutzniveaus in der Arzneimittelversorgung für eine austarierte Balance zwischen gemeinschaftsrechtlichen Erfordernissen und nationalen Regelungen.

Verstoß gegen Verfassungsprinzipien

Sprengkraft enthält der ausführliche zweite Teil der Monographie, in der sich Kiefer mit der eigenmächtigen "Nichtanwendung" der Regelungen des deutschen Apothekenrechts durch das saarländische Ministerium befasst. Ausgangspunkt ist dabei seine Feststellung, dass die Nichtanwendung von Gesetzen durch Verwaltungsbehörden (im Saarland handelt das Ministerium als Genehmigungsbehörde) in den exklusiven Verantwortungsbereich der Legislative eingreift. Dabei müssen, wie Kiefer nachweist, der "Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts" und der Verfassungsgrundsatz der Gewaltenteilung in einen ausgewogenen Ausgleich zueinander gebracht werden. Eine weitere "Kompetenzausübungsschranke" ergibt sich für die Exekutive aus dem Prinzip der Bundestreue. Gegen beide Prinzipien wurde laut Studie im Genehmigungsverfahren für die Saarbrücker Fremdbesitzapotheke verstoßen – eine Ohrfeige für die Verantwortlichen des DocMorris-Deals. Kritisch beschäftigt sich Kiefer auch mit der um sich greifenden Praxis von Ministerien, Rechtsgutachten in Auftrag zu geben, mit de-ren erwünschten Ergebnissen sodann "Politik gemacht" wird. Auch im Fall "Hecken/Schild/DocMorris" diente das vom Ministerium in Auftrag gegebene und lange Zeit geheim gehaltene Streinz/Herrmann-Gutachten als Vehikel für die Erteilung der Apothekenbetriebserlaubnis an DocMorris – für Kiefer ein Vorgehen, das nicht zu Unrecht als bloßes "Manöver der Rechtspolitik" bezeichnet wurde.

Das große Schweigen

Gewicht erhalten die Ausführungen Kiefers dadurch, dass er – anders als Streinz/Herrmann – kein "Parteigutachter" ist und als Richter, Jahrgang 1965, bereits über eine beeindruckende Vita verfügt. 1996 zum Richter auf Lebenszeit ernannt, zuvor u. a. am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Handels-, Wirtschafts- und Arbeitsrecht an der Universität Saarbrücken tätig, wurde Kiefer 2002 für zwei Jahre an das Ministerium der Justiz des Saarlandes und von 2004 bis 2006 an das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig abgeordnet. Von 2006 bis 2008 war Kiefer als Richter beim Verwaltungsgericht des Saarlandes Mitglied einer Kammer, die sich im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes mit dem DocMorris-Verfahren zu beschäftigen hatte. Zum 1. April 2008 wurde Kiefer an das Oberverwaltungsgericht des Saarlandes abgeordnet. Wir veröffentlichen anbei die Ergebnisse der Monographie Kiefers (siehe Kasten auf Seite 2).

Weder beim saarländischen Ministerium noch bei Celesio/DocMorris in Stuttgart wollte man sich bislang zu den brisanten Ausführungen Kiefers äußern. Stattdessen herrscht das große Schweigen. Das war nicht immer so: Zur Pressekonferenz anlässlich der Erteilung der Betriebserlaubnis an die DocMorris-Fremdbesitzapotheken hatten Schild, DocMorris-Chef Däinghaus und ihr Rechtsgutachter-Duo noch gemeinsam geladen – in die saarländische Landesvertretung nach Berlin. Jetzt scheint es ihnen die Sprache verschlagen zu haben …

Wolfgang Kiefer: Zusammenfassung der Ergebnisse

Die Studie in 20 Punkten


1. Die Erlaubnis zum Betrieb einer Apotheke durch eine Kapitalgesellschaft verstößt gegen das in Deutschland geltende Fremdbesitzverbot für Apotheken (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4, § 7 Satz 1 und § 8 Satz 1 ApoG).

2. Die Erlaubnis zum Betrieb lediglich einer Filialapotheke, ohne dass von dem Inhaber der Erlaubnis eine Hauptapotheke im Sinne von § 2 Abs. 5 Nr. 1 ApoG betrieben wird, verstößt gegen das beschränkte Mehrbesitzverbot gemäß § 1 Abs. 2 i. V. m. § 2 Abs. 4 und 5 ApoG.

3. Das Fremdbesitzverbot und das beschränkte Mehrbesitzverbot sind durch vernünftige Erwägungen des Allgemeinwohls gerechtfertigt und sowohl mit dem Grundrecht der Berufsfreiheit (Art. 12 GG) als auch mit dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) vereinbar.

4. Eine Harmonisierung durch das Gemeinschaftsrecht fehlt hinsichtlich der Fragen, ob eine Apothekenbetriebserlaubnis für Kapitalgesellschaften zu erteilen ist und in welchem Umfang der Mehrbetrieb von Apotheken zulässig ist. In Ermangelung einer Harmonisierung müssen die Mitgliedstaaten ihre Befugnisse in diesem Bereich unter Beachtung der durch den Vertrag garantierten Grundfreiheiten ausüben.

5. Die Bedeutung des Art. 152 Abs. 5 EGV erschöpft sich darin, dass die subsidiäre Regelungsbefugnis der Gemeinschaft im Bereich der Gesundheit bekräftigt wird. Eine weiter gehende Relevanz kommt der Vorschrift nicht zu. Durch Art. 152 Abs. 5 EGV bleibt die im Wechselspiel der Grundfreiheiten und den nationalen Schutzpolitiken angelegte Aufgabenverteilung zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten unberührt.

6. Die Niederlassungsfreiheit (Art. 43, 48 EGV) enthält ein Beschränkungs- bzw. Behinderungsverbot. Die Eröffnung und der Betrieb einer Apotheke werden vom Tatbestand der Niederlassungsfreiheit erfasst. Das Fremdbesitzverbot beinhaltet eine Zugangsbeschränkung für Kapitalgesellschaften aus anderen Mitgliedstaaten zum deutschen Apothekenmarkt und behindert deren Niederlassungsfreiheit.

7. Das Fremdbesitzverbot stellt eine geeignete Maßnahme zur Verbesserung des Gesundheitsschutzes dar. Dass der Gesetzgeber durch die Zulassung des Mehrbesitzes (§ 1 Abs. 2 i. V. m. § 2 Abs. 4 und 5 ApoG) das Leitbild des "Apothekers in seiner Apotheke" gelockert hat, steht der Eignung des Fremdbesitzverbotes zum Schutz der Gesundheit nicht entgegen.

8. Das Fremdbesitzverbot ist zur Gewährleistung des vom deutschen Gesetzgeber angestrebten hohen Gesundheitsschutzniveaus erforderlich und stellt eine zulässige Beschränkung der Niederlassungsfreiheit nach dem EG-Vertrag dar. Die Niederlassungsfreiheit weniger beschränkende, gleichermaßen wirksame Mittel stehen nicht zur Verfügung.

9. Die Entscheidung des EuGH zu den Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit beim Betrieb von Optikergeschäften lässt sich nicht auf das apothekenrechtliche Fremdbesitzverbot übertragen. Zwischen dem Apotheker- und dem Optikerberuf bestehen zahlreiche sachliche Unterschiede, die eine unterschiedliche Bewertung hinsichtlich der Vereinbarkeit der Zugangsbeschränkungen für Kapitalgesellschaften mit der Niederlassungsfreiheit rechtfertigen.

10. Auch hinsichtlich des beschränkten Mehrbesitzverbots für Apotheken liegt eine Präjudizierung durch das Optikerurteil nicht vor. Aufgrund der Niederlassungsfreiheit muss lediglich die Möglichkeit bestehen, im Gebiet der Gemeinschaft mehr als eine Niederlassung für die Ausübung der beruflichen Tätigkeit einzurichten. Die Errichtung einer Zweigniederlassung in Deutschland unter Beibehaltung der Niederlassung in einem anderen Mitgliedstaat ist bei gemeinschaftskonformer Auslegung der §§ 1 Abs. 2, 2 Abs. 4 und Abs. 5 ApoG möglich. Das beschränkte Mehrbesitzverbot für Apotheken ist mit Art. 43 EGV vereinbar.

11. Zum Recht im Sinne von Art. 20 Abs. 3 GG gehört auch das mit Anwendungsvorrang ausgestattete Gemeinschaftsrecht. Die nationalen Verwaltungsbehörden sind grundsätzlich berechtigt und verpflichtet, das Gemeinschaftsrecht durchzusetzen. Allerdings darf die für die nationalen Gerichte geltende Pflicht zur Nichtanwendung gemeinschaftswidriger nationaler Rechtsvorschriften nicht voraussetzungslos auf die Entscheidungen der Verwaltungsbehörden erstreckt werden.

12. Dem in Art. 10 EGV enthaltenen Grundsatz der Gemeinschafts-treue und dem daraus entwickelten Gebot der Effektivität des Gemeinschaftsrechts ist die Pflicht der EG und ihrer Organe zur Rücksichtnahme auf die elementaren Interessen der Mitgliedstaaten gegenüberzustellen. Art. 23 Abs. 1 Satz 3 i. V. m. Art. 79 Abs. 3 GG enthält eine absolute Schranke der Integrationsermächtigung. Die Verwaltungsbehörden haben bei der Auslegung des Gemeinschaftsrechts die Grenzen der an die Gemeinschaft übertragbaren Hoheitsrechte zu beachten.

13. Der Gefahr einer uneinheitlichen Rechtsanwendung durch die Verwaltung kann im Bundesstaat durch das Instrument der Weisungsbefugnis nicht vollständig begegnet werden. Aufgrund der Beeinträchtigungen, die das rechtsstaatliche Gebot der Rechtssicherheit erfährt, müssen die Befugnisse der Verwaltungsbehörden zur Nichtanwendung nationaler Vorschriften Grenzen unterworfen werden.

14. Die Nichtanwendung als gemeinschaftswidrig erachteter Gesetze durch die Verwaltungsbehörden greift in den exklusiven Verantwortungsbereich der Legislative über. Der Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts und der Verfassungsgrundsatz der Gewaltenteilung sind in einen ausgewogenen Ausgleich zueinander zu bringen (Konkordanz).

15. Eine weitere Kompetenzaus-übungsschranke ergibt sich auch aus dem Prinzip der Bundestreue. Dieses Prinzip wird verletzt, wenn die Exekutive eines Bundeslandes bei der Anwendung des Gemeinschaftsrechts die ihm zustehenden Befugnisse in unvertretbarer Weise ohne Rücksicht auf die Interessen des Bundes oder der anderen Länder ausübt oder gar missbraucht.

16. Um einen Ausgleich herzustellen, bedarf es unter Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des EuGH der Entwicklung von einheitlichen Maßstäben, an denen sich die Verwaltung orientieren kann. Dabei ist einerseits der grundsätzliche Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts zu beachten. Andererseits sind die Befugnis und die Pflicht der Verwaltungsbehörden zur Nichtanwendung nationalen Rechts zu begrenzen.

17. Ausgehend von dem Grundsatz, dass die letztverbindliche Auslegung des Gemeinschaftsrechts in die Entscheidungskompetenz des EuGH fällt, darf die Überzeugungsgewissheit der Verwaltung nicht lediglich subjektiver Natur sein, sondern muss sich auf tragfähige objektive Feststellungen zur materiellen Rechtslage stützen können.

18. Weist die Fragestellung in einem vom EuGH entschiedenen Fall in den für die Entscheidungsfindung maßgeblichen Punkten eine hinreichende Ähnlichkeit mit dem aktuell zu entscheidenden Fall auf, darf und muss die Verwaltung entgegenstehendes nationales Recht unangewendet lassen. Die Behörden sind des Weiteren dann zur Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts durch die Nichtanwendung entgegenstehenden nationalen Rechts berechtigt und verpflichtet, wenn die Auslegung des Gemeinschaftsrechts offenkundig ist.

19. Daneben haben die Verwaltungsbehörden bestimmten formellen Voraussetzungen zu genügen, um die Richtigkeit der jeweiligen materiellen Entscheidung zu gewährleisten. Durch die Weisungsbefugnis der höheren gegenüber der nachgeordneten Verwaltungsebene wird die Einheitlichkeit des Verwaltungsvollzugs innerhalb desselben Verwaltungsträgers gewährleistet. Die obersten Behörden sind verpflichtet, durch Wahrnehmung ihrer Weisungsbefugnis eine Entscheidung für ihren Verwaltungsbereich zu treffen. Sofern grundlegende Fragen oder gar Leitentscheidungen des Gesetzgebers betroffen sind, ist es aufgrund des Grundsatzes der Bundestreue erforderlich, die Entscheidung mit dem Bund und den anderen Ländern eines Bundesstaats abzustimmen, wenn deren Belange berührt werden.

20. Die Komplexität der gemeinschaftsrechtlichen Fragestellung steht der Befugnis und der Pflicht der Verwaltung, gemeinschaftswidriges nationales Recht unangewendet zu lassen, nicht entgegen. Im Falle des Rechtsmissbrauchs werden die Grenzen einer zulässigen Ausübung dieser Befugnis überschritten.

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