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Aus Kammern und Verbänden
Gesundheitsförderung als Chance für die Apotheken
Dr. Udo Puteanus vom LIGA sagte in seiner Begrüßung, dass diese Veranstaltung erörtern wolle, ob und wie Apotheken in das seit 1986 diskutierte Konzept der Gesundheitsförderung eingebettet sind und welches Potenzial sie dafür mitbringen. Zudem sei geplant, die Apotheken mehr in Public Health einzubinden und ein Netzwerk zu initiieren.
Gesundheitswissenschaften aus historischer Sicht
Über die historische Entwicklung der Gesundheitswissenschaften in Deutschland, die Mitte des 19. Jahrhunderts von der experimentellen Hygiene in den schnell wachsenden Städten ausging und später durch die Bakteriologie und kommunale Versorgungsangebote vorangetrieben wurde, referierte die Historikerin Dr. Silke Fehlemann aus Düsseldorf. Nach den großen wirtschaftlichen Problemen und Verteilungskämpfen am Ende der Weimarer Republik ersetzten die Nationalsozialisten die Sozialhygiene durch "Rassenhygiene", schlossen bestimmte Bevölkerungsgruppen zunächst von der Versorgung aus und ermordeten sie später systematisch. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte Deutschland den Anschluss an die Sozialhygiene verloren. Die Amerikaner versuchten damals vergeblich, an der Universität Heidelberg einen Lehrstuhl für Public Health zu installieren. Erst in den späten 1980er und frühen 1990er Jahren begann man in Deutschland, sich mit der angloamerikanischen Public Health zu befassen.
Zukunftschance Professionenmix
Potenziale und Probleme im Zusammenhang von Apotheken und Public Health zeigte Prof. Dr. Gerd Glaeske aus Bremen auf. Die Lebensbedingungen einschließlich Ernährung und Hygiene sowie Bildung seien die wichtigsten Faktoren für ein gesundes Leben und eine hohe Lebenserwartung. Medizin und Arzneimitteltherapie tragen deutlich weniger zur Steigerung der Lebenserwartung bei. Laut Glaeske kann die Effizienz des Gesundheitswesens, das derzeit zu stark ärztlich geprägt sei, nur durch einen Professionenmix im notwendigen Maße gesteigert werden. So sei es wichtig, die zunehmenden chronischen Erkrankungen durch sinnvolle präventive Maßnahmen zu verhindern oder ins höhere Lebensalter zu verschieben. Als Beispiele für Public Health in der Apotheke nannte Glaeske die Folsäuresupplementierung bei Frauen mit Kinderwunsch, Impfberatung, Pharmakovigilanz, Raucherentwöhnung, Ernährungsberatung und das Monitoring des Arzneimittelgebrauchs. Durch einen konsequenten Interaktionscheck zur Vermeidung unerwünschter Arzneimittelwirkungen könnten rund 600 Mio. Euro pro Jahr eingespart werden. Insgesamt könne er beobachten, dass sich die Apotheker im Spagat zwischen Ethik und Monetik leider zu oft für die Monetik entscheiden. Außerdem zeigen die Ergebnisse von Pseudo-Customern und Ringversuchen, dass intensive Anstrengungen zur Qualitätsverbesserung notwendig sind. Arzneimittel sind beratungsbedürftig, und die Apotheken müssen ihre Beratungskompetenz täglich neu beweisen.
Oliver Schwalbe, Universität Bonn, erläuterte die Thesen der von ihm und zwei weiteren Pharmazeuten ins Leben gerufenen Kampagne "Die richtige Medizin" (s. DAZ Nr. 44/2008, S. 56). Dabei betonte er, dass die Pharmazeutische Betreuung die Arzneimitteltherapie optimiere. Er forderte eine Ausweitung der Klinischen Pharmazie im Studium und ein größeres Angebot von postgraduierten Studiengängen.
Community Pharmacy – der englische Ansatz
Einen Einblick in Community Pharmacy, Health Promotion und Public Health in England gab Alistair Murray aus der Londoner Green Light Pharmacy. Seit einigen Jahren geht die kleine Apothekenkette – eine der möglichen Rechtsformen einer Apotheke neben großen nationalen Ketten, Supermarkt- und inhabergeführten Apotheken – einen neuen Weg in der Ansprache von Patienten. Die Green Light Pharmacy ist auf Healthcare Service ausgerichtet. Das Konzept, inzwischen in England vielfach kopiert, ist eingebettet in die Versorgung durch den National Health Service (NHS). Darüber hinaus bietet die Apotheke zugeschnittene Gesundheitsförderungsmaßnahmen an. Murrays Apotheke liegt in einem Stadtteil mit hohem Migrantenanteil und großen Einkommensunterschieden. Dort werden die Apothekenkunden zu Themen wie Ernährung, Bewegung, Raucherentwöhnung und den sicheren Umgang mit Arzneimitteln gezielt angesprochen. Die kulturell und sprachlich abgestimmte Kommunikation und die optimale Weitergabe der Informationen sind dabei von besonderer Bedeutung. So tritt der Apotheker vor den Offizintisch oder setzt sich mit dem Kunden hin, um eine angemessene Gesprächsatmosphäre zu schaffen. Die Erwartungen der Kunden an die Apotheke sowie ihr Gesundheitsverhalten entsprechen weitgehend den deutschen Verhältnissen. Die Erfolge der durch die Apotheken geleisteten Gesundheitsförderung hat der NHS bezüglich Diabetes, Lipid-Management, Raucherentwöhnung, Drogenmissbrauch, Notfallkontrazeption und Grippeschutzimpfung seit 1990 als erfolgreich bewertet. Für Osteoporose, Gewichtsmanagement, Folsäuresupplementierung während der Schwangerschaft und einige andere Themen konnte bislang keine Evidenz der apothekerlichen Gesundheitsförderung nachgewiesen werden.
Die Meinung der Krankenkassen
Unter welchen Voraussetzungen und zu welchen Fragestellungen die Krankenkassen gesundheitswissenschaftliche Projekte in Apotheken fördern könnten, umriss Dr. Frank Verheyen vom Wissenschaftlichen Institut der Techniker Krankenkasse (TK): Apotheken können aus der Beratungssituation zusätzliche Daten zum Arzneimittelgebrauch erfassen und auch das Monitoring bestimmter Laborparameter übernehmen. Aufgrund der den Krankenkassen vorliegenden Daten ihrer Versicherten lassen sich viele Maßnahmen zur Gesundheitsförderung entwickeln. Auch gesundheitswissenschaftliche Studien in Apotheken könnten durchaus interessant sein, dabei müssten aber die Fragestellungen von grundsätzlichem Interesse sein, die Forschung müsste ergebnisoffen sein, und es müsste für die Apotheken und die Krankenkasse eine Win-Win-Situation bestehen.
Aus-, Fort- und Weiterbildung als Basis
Die Bundesapothekerkammer hat die Empfehlungen zur Weiterbildung im Bereich "Gesundheitsberatung" komplett überarbeitet und ihn in "Prävention und Gesundheitsförderung" umbenannt. Dr. Daniela Schierhorn von der ABDA erläuterte die Inhalte. Bei der Konzeption wurde vor allem berücksichtigt, welche Kompetenzen und Fähigkeiten der Apotheker benötigt, um Prävention und Gesundheitsförderung sach- und berufsrollengerecht anzubieten. In diesem Jahr werden drei dieser neuen Kurse angeboten und evaluiert (s. DAZ Nr. 21, S. 105).
Burkhard Pölzing von der Völker-Schule in Osnabrück (PTA-Lehranstalt) machte in seinem Vortrag deutlich, dass man für die Umsetzung der Gesundheitsförderung nicht nur gut qualifizierte, sondern auch hochmotivierte Mitarbeiter benötigt. Die Apothekenmitarbeiter müssten sich selbst als patientenorientierte Dienstleister verstehen. Wie schon Murray hob Pölzing die kommunikativen Fähigkeiten, organisatorisches Talent und die sogenannten soft skills hervor. Zur Ausbildung von Apothekern und PTA müssten Gesprächsführung, sozialpädagogische Grundkenntnisse und die Anleitung von Gruppen gehören. Die Fächer Klinische Pharmazie bei den Pharmaziestudierenden bzw. Apothekenpraxis bei den PTA-Schülern erfüllen die Anforderungen für die Gesundheitsförderung nur unzureichend. Für eine Verbesserung könnten kanadische und europäische Studien- und Ausbildungsgänge Anregungen geben.
Sozial Benachteiligte als wichtige Zielgruppe
Manfred Dickersbach vom Landesinstitut für Gesundheit und Arbeit beschrieb die Arbeit des seit 2004 bestehenden "Regionalen Knotens NRW" im Rahmen des bundesweiten Kooperationsverbundes Gesundheitsförderung sozial Benachteiligter. In dieser Bevölkerungsgruppe treten vermehrt Depressionen, Angststörungen, chronische Bronchitis, Lungenkrebs, Leberzirrhose und Herzinfarkt auf. Zudem ist die durchschnittliche Lebenserwartung deutlich niedriger. Der Regionale Knoten will dafür sensibilisieren, dass schlechte Gesundheit und soziale Benachteiligung sich bedingen, und die für die Belange benachteiligter Menschen zuständigen Behörden vernetzen. Da Projekte zur Verhaltensänderung bei sozial Benachteiligten nicht greifen, muss ihre Lebensumwelt verbessert werden. Apotheken können dabei eine wesentliche Rolle spielen, z. B. als Gesundheitswegweiser oder als Multiplikatoren der Aktionen und Aktivitäten zur Gesundheitsförderung im Stadtteil.
Rolle der Apotheker in der Gesundheitsförderung
Walter Frie stellte die Sicht des nordrhein-westfälischen Gesundheitsministeriums zu Apotheken, Gesundheitsförderung und Public Health dar. Dem Thema Gesundheitsförderung widmet sich die Landesgesundheitskonferenz seit 2005. Alle Teilnehmer arbeiten im Sinne ihrer individuellen Aufgabenstellung mit und entwickeln bedarfsgerechte Angebote. Dabei sollen die Fähigkeiten zur Gesunderhaltung der Bevölkerung gestärkt, die Lebensqualität, Mobilität und Leistungsbereitschaft gefördert und die Rahmenbedingungen für ein gesundes Leben insgesamt verbessert werden. Es sei, so Frie, zwingend notwendig, Krankheiten zu heilen, aber genauso zwingend notwendig, Gesundheit zu erhalten. Dafür sind die Gesundheitswissenschaften mit ihrem interdisziplinären Ansatz der Schlüssel zum Erfolg. Nordrhein-Westfalen hat sie durch das ÖGD-Gesetz, den Aufbau des ersten gesundheitswissenschaftlichen Instituts in Bielefeld, die Errichtung des Forschungsverbunds Public Health in NRW an den Standorten Bielefeld, Düsseldorf, Köln und Münster und den Ausbau der Versorgungsforschung gefördert.
Die Einbindung der Apotheker in die Gesundheitsförderung erfolge über die Beratung, hier liege die – auch durch das EuGH-Urteil bestärkte – Verantwortung der Apotheker. Deshalb müssen Apotheker zeigen, dass sie mehr können als Discounter und dass ihre Beratung mehr ist als die Arzneimittelabgabe, sondern ein "Kümmern" um die gesundheitlichen Belange der Menschen vor Ort. In der Arztpraxis berät der Arzt, nicht die medizinischen Fachangestellten – so muss auch der Apotheker für die Menschen in der Apotheke als direkter Ansprechpartner zur Verfügung stehen. Der Gesundheitsminister Laumann engagiere sich deshalb für die Umsetzung der vertraulichen Beratung, für eine stärkere Verankerung von Information und Beratung in der novellierten Apothekenbetriebsordnung und für einen Katalog, in welchen Fällen der Apotheker unbedingt beraten muss. Abschließend stellte Frie das niederschwellige Angebot der Beratung in den Apotheken als Chance für die Gesundheitsförderung heraus.
Prof. Dr. Marion Schaefer
PosterausstellungNeben den Vorträgen wurden zahlreiche Projekte zur Gesundheitsförderung in Postern präsentiert:
Sozialpharmazie in der Kommunalen Gesundheitskonferenz, Apotheken in Netzwerken zur Ernährungsberatung, Apotheken im Netzwerk Diabetes, Kommunale Gesundheitskonferenz als institutionalisiertes Netzwerk, Apotheken im Rahmen der Katastrophenpharmazie, Depressionsberatung in Apotheken, Qualitätszirkel im Rahmen der Pharmazeutischen Betreuung, Begutachtung der Beratungsqualität in öffentlichen Apotheken und einer Versandapotheke, Vertraulichkeit der Beratung in Apotheken, Die bayerische Initiative zur Prävention WIPIG, Betriebliche Gesundheitsförderung für Apotheken, Gesundheitsförderung in der Grundschule, Die Arbeit der Apothekerin in der Patientenuniversität, Arzneimittelberatung innerhalb des Netzwerkes UPD, Gesundheitsförderung im Netzwerk des Kreises Hameln-Bad Pyrmont und der Gesundheitshilfe Grefrath.
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