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Phytotherapie für Kinder unverzichtbar

BONN (hb). Die Anwendung pflanzlicher Arzneimittel bei Kindern und Jugendlichen ist in Deutschland weit verbreitet und ein wesentlicher Bestandteil der Selbstmedikation. Obwohl in hohem Maße akzeptiert, ist sie jedoch kaum mit validem wissenschaftlichem Datenmaterial hinterlegt – ein Grund, warum die Präparate zunehmend den Hinweis tragen " … sollte bei Kindern unter zwölf Jahren nicht angewendet werden." Die Kooperation Phytopharmaka plant nun Daten über die Anwendung bei Kindern in koordinierten Anwendungsbeobachtungen zu erfassen. Ein Symposium am 27.Oktober 2009, moderiert von der Geschäftsführerin der Kooperation, Cornelia Schwöppe, und Dr. Barbara Steinhoff, Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller e.V. (BAH), diente als Auftaktveranstaltung zu dem neuen Projekt.
Nicht unter zwölfDiesen Hinweis findet man mittlerweile auf vielen Phytophar­maka. Grund ist weniger die mangelnde Eignung für Kinder, sondern die mangelhafte Datenlage.
Foto: ABDA

Lange Jahre waren in Deutschland die Aufbereitungsmonographien der Kommission E das Maß aller Dinge für die wirksame und sichere Anwendung pflanzlicher Arzneimittel in allen Altersgruppen. Im Zuge der europäischen Harmonisierung erstellt heute der europäische Ausschuss für pflanzliche Arzneimittel (HMPC – Herbal Medicinal Products Committee) bei der EMEA die Standards, die für alle Mitgliedstaaten gültig sein sollen. Hier, wie im übrigen auch in der Praxis der Arzneimittelzulassung in Deutschland, wird hinsichtlich der Altersklassen klar differenziert, mit der Folge, dass sich dort vielfach eine Anwendungsbeschränkung für Kinder unter zwölf Jahren, mittlerweile zunehmend auch für Heranwachsende bis zu 18 Jahren findet.

Datenlage schwach

Tatsächlich liegen nach einer Erhebung zu den wichtigsten 59 Arzneidrogen für die orale Verwendung lediglich für 34 Wirksamkeitsbelege bei Erwachsenen vor und für 16 Belege für Kinder. Von diesen hat der HMPC bislang fünf für die Anwendung bei Erwachsenen monographiert, 16 für Kinder über zwölf Jahre und drei auch für Kinder ab vier Jahren.

Noch schwächer ist die Datenlage hinsichtlich der topischen Anwendung. Von 31 für Kinder empfohlenen Arzneipflanzen liegen hier lediglich für zwei Wirksamkeitsbelege für diese Zielgruppe vor, für 13 Drogen solche für Erwachsene und für 18 gar keine Studien.

Bislang lassen nur zwei europäische Monographien des HMPC eine Anwendung bei Kindern oberhalb von zwölf Jahren und nur eine den Einsatz bei Kindern oberhalb von vier Jahren zu. Keine einzige Arzneidroge ist für den Einsatz bei Kindern zwischen null und vier Jahren monographiert.

Pädiatrische Forschung läuft schlecht an

Ob die Verordnung (EG) Nr. 1901/2006 über Kinderarzneimittel diese Situation nachhaltig verbessern wird, ist noch nicht absehbar. Zwar sollen alle neuen Arzneimittel hiernach gemäß einem pädiatrischen Prüfkonzept auch an Kindern geprüft werden, und es werden zudem für bekannte Wirkstoffe Anreize über eine spezielle Paediatric Use Marketing Authorisation (PUMA) geschaffen, allerdings wurde dieses Angebot mit erst 20 Anträgen bislang kaum genutzt. Aus der Sicht der Unternehmen sind Studien oder Anwendungsbeobachtungen an Kindern aus ökonomischen Gründen vielfach nicht umsetzbar, zumal es mit dem Nachweis der Wirksamkeit und Verträglichkeit lange nicht getan ist. Zunehmend rücken darüber hinaus Kind-spezifische Anforderungen an die Darreichungsform, die Dosierbarkeit und den Geschmack in den Mittelpunkt der pädiatrischen Forschung.

Kinderärzte brauchen Phytos

Wie von erfahrenen Kinderärzten bei der Veranstaltung mehrfach nachdrücklich betont wurde, ist der Bedarf an pflanzlichen Arzneimitteln in der Pädiatrie vor allem in den wichtigen Indikationsbereichen Erkrankungen der oberen und unteren Atemwege, Magen-Darm-Beschwerden, psychosomatische und psychovegetative Störungen und Dermatologie ungebrochen. Im Bereich Infektionen liegt ein wesentliches Einsatzgebiet pharmakologisch wirksamer Inhaltsstoffe zum Beispiel aus Thymian, Efeu, Primelwurzel und Eibisch. Präparate mit Kombinationen aus Thymianextrakt und anderen pflanzlichen Wirkstoffen wurden in mehreren prospektiven, randomisierten, klinischen Studien in Vergleich zu Placebo mit positiven Ergebnissen geprüft. Zudem liegen Anwendungsbeobachtungen bei mehreren tausend Kindern vor, in denen sich eine ausgezeichnete Verträglichkeit gezeigt hat. So helfen die Zubereitungen, den oft unsachgemäßen Einsatz von Antibiotika auf diesem Gebiet einzudämmen oder diesen bis zu einem angemessenen Zeitpunkt hinauszuzögern.

Risiko nur theoretisch

Die "präventive" Anwendungsbeschränkung für Kinder unter zwölf Jahren ist vor allem vor dem Hintergrund des vorhandenen therapeutischen Bedarfs durchaus kritisch zu hinterfragen. Schließlich geht hiermit zwangsläufig ein weitgehender Verlust der Phytotherapie für Kinder einher. De facto impliziert der Mangel an Daten aber keineswegs ein Risiko an sich, sondern konstruiert lediglich ein theoretisches Risiko, mit weitreichenden Folgen für die Betroffenen. Ärzte und Patienten antworten in der Praxis mit Ausweichreaktionen, zum Beispiel auf chemisch definierte Arzneimittel mit Kinderstudien oder auf homöopathische Mittel, aber auch auf Medizinprodukte, Nahrungsergänzungsmittel oder Kosmetika, häufig keineswegs ideale Lösungen.

Anwendungsbeobachtungen als Ausweg

Das vorhandene Wissen zur wirksamen und sicheren Anwendung pflanzlicher Arzneimittel an Kindern zu konservieren, ist eine große Herausforderung an alle Beteiligten in der Industrie, in den Behörden und auch an die Gesundheitsberufe. Die europäische Verordnung über Kinderarzneimittel sieht vor, dass entsprechende Daten für bereits zugelassene Arzneimittel flächendeckend gesammelt und, soweit als valide erachtet, in Anwendungsempfehlungen in den Fach- und Gebrauchsinformationen umgesetzt werden sollen. Retrospektive und prospektive Anwendungsbeobachtungen (AWBs) sind eine andere bedeutsame Option, um Kenntnisse aus der therapeutischen Praxis für die Zukunft nutzbar zu machen. Durchgeführt werden können diese nicht nur in der ärztlichen Praxis, sondern auch in der Apotheke.

Das neue Projekt der Koop Phyto

Die Kooperation Phytopharmaka hat bereits in früheren Jahren empirische retrospektive Datenerhebungen bei niedergelassenen Pädiatern zu den Indikationsbereichen Erkältungskrankheiten und Magen-Darm-Erkrankungen (Kinderdosierungen von Phytopharmaka, 1998 und 2002) durchgeführt, mit denen es möglich wurde, Angaben zu sinnvollen, praxisnahen, altersabgestuften Dosierungen für Kinder abzuleiten. Nun soll der Radius auf Anwendungsbeobachtungen zur Verträglichkeit ausgewählter Phytopharmaka ausgeweitet werden. Bei entsprechender Konzeption erlauben sie sogar die koordinierte Erfassung mehrerer Arzneimittel und ermöglichen damit ein rationelles Vorgehen zur Bereitstellung wissenschaftlicher Evidenz für Kinder. Die Ergebnisse des Projektes sollen letzten Endes dazu dienen, die Zulassungen der jeweils eingeschlossen Arzneidrogen bzw. deren Zubereitungen auf die pädiatrische Population auszudehnen.


Nach Vorträgen von: Prof. Dr. Jörg Breitkreuz, Düsseldorf; Dr. Ulrich Enzel, Schwaigern; Dr. Bruno Frank, Würzburg; Dr. Rainer Görne, Neustadt a.d. Weinstraße; Prof. Dr. J. P. Guggenbichler, Nürnberg; Dr. Olaf Kelber, Darmstadt; Priv.-Doz. Dr. Werner Knöss, Bonn; Dr. Stephan Köhler, Karlsruhe; Prof. Dr. Birka Lehmann, Bonn; Dr. Tankred Wegener, Weinheim.

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