- DAZ.online
- DAZ / AZ
- DAZ 46/2009
- Gesundheitsförderung...
Aus Kammern und Verbänden
Gesundheitsförderung – Was können Apotheken beitragen?
Dr. Udo Puteanus, Apotheker und im nordrhein-westfälischen Landesinstitut für Gesundheit und Arbeit (LIGA) für Arzneimittel und Sozialpharmazie zuständig, erläuterte die Grundlagen der Gesundheitsförderung: Mit der Ottawa-Charta entwickelte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) bereits 1986 ein Konzept zur Stärkung der individuellen und sozialen Gesundheitsressourcen. Gesundheitsförderung zielt darauf ab, "allen Menschen ein höheres Maß an Selbstbestimmung über ihre Gesundheit zu ermöglichen und sie damit zur Stärkung ihrer Gesundheit zu befähigen". Zugleich sind in der Charta Anforderungen an alle Angehörigen des Gesundheits- und Sozialwesens formuliert.
"Es ist ein langwieriger Prozess, bis sich diese Gedankengänge umsetzen lassen", räumt Puteanus ein. Noch immer tut man sich schwer, die isolierte Konzentration auf Details zu verlassen und von einer symptomatischen auf eine ganzheitliche Betrachtungsweise umzuschwenken. Wenngleich in Deutschland bereits einiges erreicht wurde – so etwa gesetzliche Regelungen zur Gesundheits- und Selbsthilfeförderung und die Einrichtung von Public-Health-Aufbaustudiengängen –, ist das Thema auch 23 Jahre nach der Ottawa-Konferenz hochaktuell. Die Frage ist, welchen Beitrag die Apotheke leisten kann, deren Kernaufgabe darin liegt, zu informieren und zu beraten. Ein Problem ist hier aus Sicht von Puteanus, dass die Evaluation dieser Tätigkeit noch nicht sehr weit vorangeschritten ist, sodass schwer zu sagen ist, was tatsächlich mit ihr erreicht wird.
Ansätze zur Evaluierung der Beratungsleistung
In einigen Ländern überprüfen Sozialpharmazeuten bereits den Nutzen von Information und Beratung – in Deutschland ist man noch nicht ganz so weit. Doch in Nordrhein-Westfalen gibt es nunmehr das Projekt "Apotheken, Gesundheitsförderung und Gesundheitswissenschaften/Public Health" des Öffentlichen Gesundheitsdienstes, in dessen Rahmen ergebnisoffen zur Information und Beratung geforscht werden soll. Zeigt sich dabei, dass die Leistungen des Apothekers etwas bringen, sei dies eine gute Grundlage, um über eine Honorierung zu sprechen.
Zudem soll das Projekt untersuchen, wie Gesundheitsförderung besser in den Apotheken etabliert werden kann. Hindernisse für Apotheker sind Puteanus zufolge ihre rein naturwissenschaftliche Ausbildung, ihre Orientierung am Verkauf von Produkten und das generell isolierte Arbeiten im Gesundheitswesen. Auf der anderen Seite ist ihr Potenzial für Public Health enorm: So punkten Apotheken etwa mit ihrer flächendeckenden Präsenz, ihrer Verankerung im Stadtteil, ihren vielen Kundenkontakten in allen Bevölkerungsschichten, ihrem heilberuflichen Auftrag und dem (noch) hohen Vertrauen der Bevölkerung. Sie können als "Sensor" erspüren, welche Probleme den Menschen unter den Nägeln brennen, und haben beste Chancen, als Akteur oder jedenfalls Multiplikator in Erscheinung zu treten.
Der Schlüssel ist für Puteanus, dass Apotheken ihre Kernleistungen stärker an der Gesundheitsförderung orientieren – und zwar bezogen auf den Einzelfall – und dass sie bereit sind, sich einer Evaluation zu unterziehen. Die Beratung dürfe sich nicht nur auf das Arzneimittel und die Krankheit beziehen, sondern auch auf die Lebenswelt und -weise des Patienten. Puteanus, hofft dass Public Health einen größeren Stellenwert in der Aus-, Fort- und Weiterbildung der Apotheker erhält. Zudem müsse in der Apothekenbetriebsordnung die Vertraulichkeit stärker verankert und eine Qualitätssicherung für Information und Beratung eingeführt werden.
Glaeske: Kritik am Koalitionsvertrag
Prof. Dr. Gerd Glaeske, Gründungsmitglied des VDPP und Mitglied des Sachverständigenrats zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen, stieg mit einer scharfen Kritik am schwarz-gelben Koalitionsvertrag in das Thema ein. Auch wenn das Kapitel zur Gesundheit mit der Überschrift "Prävention zielgerichtet gestalten" beginnt, sind die folgenden 9 1 /2 Zeilen aus Glaeskes Sicht schlicht "traurig". Noch ärgerlicher sind für ihn die Finanzierungspläne der neuen Regierung. Durch die Festschreibung des Arbeitgeberbeitrags zur Krankenversicherung werde die Parität weiter ausgehöhlt. Damit seien die Arbeitgeber "aus dem Schneider" – eine Motivation für die Gesundheitsförderung im Betrieb sei von ihnen nicht mehr zu erwarten. Dagegen werde die Belastung der Versicherten "dramatisch steigen".
Für Glaeske ist klar: Am Ende wird die Gesundheitsprämie stehen und die Gefahr einer Zwei-Klassen-Medizin heraufbeschwören. "Wenn das so kommt, kann sich Herr Rösler damit brüsten, ein leistungsfähiges System zerstört zu haben", so Glaeske. Auch die Aussagen von Union und FDP zur Apotheke sind für ihn "ein Schlag ins Gesicht jener, die sich bemüht haben, Apotheken weiterzuentwickeln".
Zukunftsvision: Versorgung in Netzwerken
Welche Visionen Glaeske für die Apotheke und das Gesundheitssystem schlechthin hat, hat er bereits ausführlich im jüngsten Gutachten des Sachverständigenrats dargelegt (siehe DAZ 27/2009, S. 18 und AZ 28/2009). Sein Zukunftskonzept ist das einer populationsbezogenen und sektorenübergreifenden Versorgung in Netzwerken. Hausärzte, Fachärzte, Kliniken, Pharmazeuten, Pflege und Hospize arbeiten hier Hand in Hand – und auch die Prävention ist Teil des großen Ganzen. Die Apotheken haben in einem solchen Modell, das nicht zuletzt die heutige "Ärzte-Zentriertheit" überwinden will, einen wichtigen Platz; schließlich gehören Arzneimittel – richtig angewendet! – zu den wirksamsten und effektivsten Instrumenten ärztlicher Hilfe, deren Bedeutung auch in Zukunft weiter steigen wird, so Glaeske. Allerdings ist es aus seiner Sicht egal, welche Organisationsform die Apotheke hat, wenn sie denn ihre Aufgaben zuverlässig erfüllt.
Wünschen würde sich Glaeske insbesondere mehr kritisches Engagement bei der Arzneimittelversorgung von Kindern (z. B. Methylphenidat) und Älteren. Gerade bei älteren Menschen, die häufig eine Multimorbidität aufweisen, liege einiges im Argen. Selbst wenn jeder einzelne Arzt nach den jeweiligen Leitlinien "richtig" handle, könne dies im Zusammenspiel schwere Folgen für die Patienten haben. Die Weiterentwicklung der Beers-Liste unter Berücksichtigung des deutschen Marktes wäre für Glaeske ein wichtiger Schritt. Doch dass sich die Apotheker wirklich engagieren, Wirkstoffe aufzulisten, die Menschen über 65 Jahren möglichst nicht einnehmen sollen, sieht er nicht.
Insgesamt hält Glaeske eine stärkere Kooperation mit den Verordnern für wesentlich – auch im Hinblick auf die zunehmende Selbstmedikation. Er verwies auf erfolgreiche Kooperationen in anderen Ländern, etwa den in Australien eingeführten Home-Medicines-Review, bei dem ein Apotheker in Erfahrung bringt, welche Arzneien der Patient tatsächlich zu Hause hat und einnimmt.
Ein Fehler der deutschen Apotheker sei es, dass sie zuerst ein Honorar fordern, ehe sie unter Beweis gestellt haben, was sie können. Aus Glaeskes Sicht ist es nötig, dass sie in Vorleistung treten und somit den Druck aufs System erhöhen. In seinem Zukunftsmodell müsste man aber ohnehin nicht über die Vergütung von Einzelleistungen diskutieren. Es ist ein sogenanntes Capitation-Modell vor, in dem ein populationsbezogenes Gesamtbudget unter allen Beteiligten aufgeteilt wird.
WIPIG hilft beim Netzwerken
Was Apotheker in Sachen Prävention im etwas überschaubareren Rahmen leisten können, zeigte Dr. Helmut Schlager, Apotheker und Geschäftsführer des Wissenschaftlichen Instituts für Prävention im Gesundheitswesen (WIPIG), auf. Das WIPIG bietet Apothekern eine Vielzahl von Möglichkeiten, sich in der Prävention zu profilieren. Es hält insbesondere Informationsmaterialien bereit, erarbeitet Aktionspakete, sorgt für Netzwerke unter interessierten Apothekern und kümmert sich um entsprechende Weiterbildungsangebote. Nicht zuletzt liegt es dem Institut am Herzen, die Leistungen der Apotheker zu evaluieren und damit letztlich zu einer Honorierung zu gelangen.
Diabetes-Pilot am Niederrhein
Noch konkreter wurde der Krefelder Apotheker Manfred Krüger, der das bereits laufende Pilot-Präventionsprojekt "Glücksspiel Gesundheit" nach einem Konzept des Nationalen Aktionsforums Diabetes mellitus vorstellte. In diesem Pilotprojekt am Niederrhein arbeiten Apotheker, Ärzte und Präventionsmanager miteinander. Ihr Ziel ist, die Diabetes-Prävention durch strukturierte Anleitung und Betreuung nachhaltiger und besser zu gestalten – und das insbesondere für sozial benachteiligte Bevölkerungsgruppen. Das Konzept gliedert sich in drei Schritte:
- die frühzeitige Risikoerkennung,
- die Motivation zur Lebensstilveränderung und
- die folgende kontinuierliche Betreuung zur Sicherung der Nachhaltigkeit, die einen vierteljährlichen Kontakt mit dem Präventionsmanager und halbjährliche Qualitätskontrollen durch den Arzt und Apotheker vorsieht.
Hier gibt es nicht nur eine Vergütung für die beteiligten Apotheker und Ärzte – auch die Teilnehmer können finanziell profitieren, wenn sie bei einer der beteiligten Krankenkassen versichert sind (BKK für Heilberufe und pronova BKK). Anfänglich haben sie zwar einen Eigenanteil von 100 Euro zu leisten, den bekommen sie jedoch zurück, wenn sie ein Jahr dabei bleiben. Machen sie fünf Jahre mit, winken ihnen 300 Euro.
Vielen Apotheken "fehlt die Luft"
Es gibt also eine Vielzahl von Möglichkeiten, wie sich Pharmazeuten besser in Public-Health-Strukturen einbringen können. Dies ist ein Vorteil angesichts der Tatsache, dass nicht alle Apotheken gleich sind. Zwar verfügen alle Apotheker über pharmazeutische Fachkompetenz. Für welche "Add-ons" sie sich entscheiden, ist aber eher Geschmackssache.
In der Diskussion kam immer wieder der Einwand, dass vielen Apotheken die Luft fehle, in Vorleistung zu treten. Vor diesem Hintergrund bleibt zu hoffen, dass Evaluationen der Beratungsleistung von Apotheken dazu beitragen, die Honorardiskussion voranzubringen. ks
0 Kommentare
Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.