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Der Fluch der bösen Tat
Am Montag lief die Nachricht zum wiederholten Male über den Ticker: "EU warnt vor Boom gefälschter Medikamente". Und EU-Kommissar Verheugen ist in seiner Einschätzung des Problems nicht zimperlich: Er fordert harte Strafen für die Hersteller, denn jedes manipulierte Medikament sei ein "versuchter Massenmord". Recht hat der Mann!
Aber hat man das nicht alles erwarten können, nachdem man das Internet als probate Plattform für den Handel mit Arzneimitteln legalisierte? Wettbewerb wollte man schaffen, um bei den bei manchen Ökonomen geradezu verhassten Arzneimitteln eine Preisspirale nach unten zu initiieren. Ein fataler Irrtum und ein leichtsinnig falsches Zeichen, das sich die Politik ankreiden lassen muss, die dem Druck derer nachgegeben hat, für die Arzneimittel nichts anderes sind, als ein beliebiges Gut.
Offensichtlich stimmt das jedoch nicht, wie auch EU-Kommissar Verheugen erkennt, ein Mann, dem man wahrscheinlich kaum Unrecht tut, wenn man ihm mit Blick auf Arzneimittel nicht den durchschlagenden Sachverstand attestiert, der aber sicherlich die Instrumente des Marktes kennt und durchsetzt. Trotzdem sieht er in gefälschten Medikamenten zu Recht Instrumente zum Massenmord! Und so gesehen sind Arzneimittel hoffentlich dann doch eine besondere Ware, wie immer wieder von denjenigen betont wird, denen nicht nur die Wirksamkeit von Arzneimitteln, sondern auch die Qualität und Verträglichkeit dieser Mittel am Herzen liegt.
Um es klar zu sagen: auch ohne Legalisierung des Internets für den Handel mit Arzneimitteln hätte es Arzneimittelfälschungen gegeben, die über das Internet angeboten worden wären. Allerdings hätte jeder, der sich solche Mittel beschafft, gewusst, dass er oder sie illegal handelt und große Risiken in Kauf nimmt.
Das ist nun anders, denn unsere Politik hat ganz offiziell den Internethandel mit Arzneimitteln (allerdings nicht mit gefälschten Arzneimitteln) legalisiert, und es hat nicht wenige Versuche gegeben, den Handel mit Arzneimitteln im Internet auch zu forcieren.
Was für ein fatales Signal! Und wie überflüssig! Denn weit sind die Wege nicht, um an ein Arzneimittel zu gelangen – im Übrigen auch ein Dorn im Auge derer, die viel von Ökonomie aber eher wenig von Arzneimitteln verstehen.
Mit der Legalisierung des Internethandels von Arzneimitteln wurde ohne große Not ein Tabu gebrochen. Ein bewährtes System der exklusiven Distribution wirksamer Arzneimittel durch Apotheken, die von persönlich haftenden Apothekerinnen und Apothekern geführt werden, die diese Arzneimittel auf Basis einer staatlich mitkontrollierten akademischen Ausbildung persönlich aushändigen, wurde durch einen offiziell sanktionierten Internethandel aufgebohrt, der weitgehend unpersonalisiert und völlig unpersönlich abgewickelt wird.
Immer mehr Arzneimittel-konsumierende Laien bestellen Arzneimittel im Internet, meist ohne Beratung auf Basis einer Selbstdiagnose. Und es ist kein Problem, von kriminell operierenden Anbietern auch rezeptpflichtige Medikamente ohne Rezept zu bekommen.
Das Arzneimittel ist zur Bagatelle geworden, allerdings zu einer "Bagatelle", die das Potenzial zum "versuchten Massenmord" hat. So kontrolliert heute der Zoll und nicht mehr die öffentliche Apotheke die Distribution dieser Stoffe, die immer häufiger den Namen "Arzneimittel" nicht mehr verdienen.
Dies ist die Perversion der Vorstellung derer, die einmal die exklusive Distribution von Arzneimitteln durch einen besonders ausgebildeten Berufsstand und in einem Netz klar gekennzeichneter, mit Ausstattungsauflagen versehener Verkaufsstellen – den öffentlichen Apotheken – für sinnvoll hielten und durchgesetzt haben. Wettbewerb im klassischen Sinne war hier ausdrücklich verboten, Werbung bei Laien strikt untersagt.
Wäre es nicht Zeit für Korrekturen? Vielleicht. Doch so einfach, wie man den Internethandel mit Arzneimitteln legalisiert hat, lässt sich eine solche Fehlentscheidung nicht "zurückholen".
Um Schlimmstes zu verhindern, werden "gute Ratschläge" erteilt, nur in Europa-basierten Internetapotheken zu bestellen und niemals die billigsten Angebote zu ordern!? Alternativ könnte man natürlich auch raten, Arzneimittel doch lieber wieder in der Stammapotheke um die Ecke zu erstehen. Und es wird hektisch nach fälschungssicheren Markierungslösungen gesucht, die jede Pille eindeutig identifizierbar machen. Dies dient allerdings in erster Linie den Arzneimittelherstellern, die bei Komplikationen mit gefälschten Arzneimitteln immer öfter nachweisen müssen, dass das Problem nicht von ihnen verursacht wurde. Inwieweit hierdurch der Arzneimittelkonsument geschützt wird, der die Codierungen wahrscheinlich kaum interpretieren kann, ist fraglich. Zudem ist ein solcher Aufwand sicherlich auch nicht umsonst zu haben. Ob der Wettbewerb diese Mehrkosten kompensieren kann, bleibt abzuwarten. Als zugegebenermaßen ökonomische Laien können wir uns das nur schwer vorstellen.
Prof. Dr. Theo Dingermann und Dr. Ilse Zündorf, Frankfurt
Prof. Dr. Theodor Dingermann und Dr. Ilse Zündorf, Institut für Pharmazeutische Biologie, Biozentrum, Max-von-Laue-Str. 9, 60438 Frankfurt/Main
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