Interpharm 2010

Mit Interaktionen und Nebenwirkungen richtig umgehen

Antikoagulanzien und Thrombozytenaggregationshemmer gehören zu den am häufigsten verordneten Arzneimitteln. Sie sind hochwirksam in der Prävention von Thrombosen und Embolien, aber nicht ohne Risiken. Welche Nebenwirkungen auftreten können und was es an Interaktionen zu beachten gilt, erläuterte Prof. Dr. Lutz Hein, Freiburg.


Inhaltsverzeichnis: Interpharm 2010

    Blutgerinnungssystem
  • Das Blutgerinnungssystem: Funktionen und physiologisches Zusammenspiel
  • Pathophysiologie: Wenn die Blutgerinnung gestört ist
  • Hämostasediagnostik: Wie Störungen der Gerinnung zu erkennen sind
  • Arterielle Thromboembolien: Ischämische Infarkte differenziert behandeln
  • Venöse Thromboembolien: Heparine sind individuelle Arzneistoffe
  • Blutgerinnungshemmer: Mit Interaktionen und Nebenwirkungen richtig umgehen
  • Operation unter dualer Plättchenhemmung? Perioperatives Prozedere individuell entscheiden
  • Non-Compliance und genetische Polymorphismen: Wenn Patienten auf ASS oder Clopidogrel nicht ansprechen
  • Unter oraler Antikoagulation: Besondere Aufmerksamkeit des Apothekers ist gefragt
    Asthma und COPD
  • Raucherentwöhnung: Die Nicotinsucht blockieren!
  • COPD: Beste Therapieoption: Weg mit dem Glimmstängel
  • Leitlinienkonforme Asthmabehandlung: Therapiedefizite bei Asthma überwinden
  • Asthmapatienten in der Apotheke: Anwendungsfehler bei Inhalativa vermeiden
    Studien
  • Arzneimittelstudien: Tricks zur Bewertung
  • Studien bewerten: Keine Angst vor Statistik
    Innovationen
  • Arzneimittel in der Pipeline: Fortschritte mit neuen und bekannten Wirkprinzipien
    Depressionstherapie
  • Depressionen im Alter: Keine adäquate Therapie
  • Jugend- und Midlife-Depressionen: Multimodale Therapie verringert Rückfallrisiko
  • Mikronährstoffe: Unterstützung der Depressionstherapie (Seminar)
    Neuro-Enhancement
  • Neuro-Enhancement: Riskantes „Hirndoping“ oder legitime Leistungsstütze?
  • Neuro-Enhancement: Selbstversuche ersetzen keine Studien
    Prävention und Alternativmedizin
  • Prävention mit Mikronährstoffen: Das Potenzial ausschöpfen!
  • Gesundheitsförderung: Apotheker als kompetente Präventionsmanager
  • Prophylaxe: Mit Homöopathie vorbeugen
  • Biochemie nach Dr. Schüßler: Antlitzanalyse hilft bei der Mittelauswahl
    Seminare
  • Reisemedizin: DIE Reiseapotheke gibt es nicht
  • Chemikalien in der Apotheke: Einstufung und Kennzeichnung von Gefahrstoffen
  • Arbeitsrecht: Der Apothekenleiter als Arbeitgeber


Prof. Dr. Lutz Hein

Foto: DAZ/Alex Schelbert

Etwa drei Millionen Patienten nehmen in Deutschland täglich Antikoagulanzien oder Thrombozytenaggregationshemmer. Abbildung 1 und 2 geben einen Überblick über die Pharmaka, die eingesetzt werden. Problematisch, aber lebensnotwendig ist für viele das orale Antikoagulans Phenprocoumon. Die am meisten gefürchtete Komplikation ist die Blutung. Um schwere Blutungen zu vermeiden, ist ein enges Monitoring der Blutgerinnung notwendig mit einer Einstellung der INR auf die vom Arzt festgelegten Werte. Steigt der INR-Wert, steigt auch das Blutungsrisiko. Wichtig ist es, den INR-Wert regelmäßig zu überprüfen, spätestens dann, wenn sich eine Begleitmedikation oder auch die Lebensumstände ändern. Eine verminderte Kaliumresorption kann die Wirkung verstärken, umgekehrt kann eine Vitamin-K-reiche Ernährung die Wirkung reduzieren. Besondere Vorsicht ist in der Anfangsphase der Behandlung geboten. Durch den rapiden Abfall von Protein C und S kann es zu Hautthrombosen kommen, wenn nicht zusätzlich Heparin eingesetzt wird. Hein betonte zudem die Notwendigkeit eines konsequenten Verhütungsschutzes bei Patientinnen, die Phenprocoumon einnehmen, denn das Antikoagulans wirkt teratogen. Etwa 5% der Kinder entwickeln ein fetales Warfarin-Syndrom.

Abb. 1: Pharmaka, die die Thrombozytenfunktion beeinflussen.

HIT II: Heparin sofort absetzen!

Werden Heparine zum Thromboseschutz eingesetzt, muss das Risiko einer Heparin-induzierten Thrombozytopenie vom Typ II (HIT II) im Auge behalten werden, insbesondere wenn unfraktionierte Heparine eingesetzt werden. Die Gefahr einer HIT II ist mit 2,6% deutlich höher als bei niedermolekularen Heparinen mit einem Risiko von 0,2%. Bei der HIT II handelt es sich um eine Antikörper-vermittelte Immunreaktion, bei der sich die Antikörper gegen Heparin/Protein-Komplexe richten, insbesondere gegen den Komplex aus Heparin und Plättchenfaktor 4. Nach einer Latenzzeit von einigen Tagen kommt es zu einem drastischen Abfall der Thrombozyten auf Werte unter 30.000/µl, selten sogar unter 10.000/µl. Schwere Blutungen sind möglich, vor allem aber besteht die Gefahr lebensbedrohlicher Gefäßthrombosen. Heparin muss dann sofort abgesetzt werden. Mit einer Normalisierung der Thrombozytenzahlen ist bereits innerhalb einer Woche zu rechnen. Das erhöhte Thromboserisiko bleibt jedoch über bis zu vier Wochen erhalten, möglicherweise weil die Antikörperkomplexe noch solange vorhanden sind. Einen komplikationslosen Verlauf zeigt dagegen die HIT vom Typ I. Sie manifestiert sich bereits in den ersten Tagen einer Heparintherapie. Die Thrombozytenzahlen sinken selten unter 100.000/µl.

Abb. 2: Pharmaka, die die Blutgerinnung beeinflussen.

ASS: Gastrointestinaltrakt und Bronchien in Gefahr

Verlängerte Blutungszeit und Blutungen im Gastrointestinaltrakt kennzeichnen das Nebenwirkungsprofil der Acetylsalicylsäure (ASS), die in Tagesdosen von 100 mg zu Thrombozytenaggregationshemmung eingesetzt wird. Sie kann zudem Asthmafälle induzieren, weil Arachidonsäure unter ASS vermehrt über die Cyclooxygenase 2 zu proinflammatorisch und bronchokonstriktorisch wirksamen Leukotrienen metabolisiert wird. Eingenommen während der Schwangerschaft kann ASS zu einem vorzeitigen Verschluss des Ductus botalli führen, Wehen hemmen und plazentare Blutungen begünstigen. Das Risiko eines Reye-Syndroms, einer schweren Hepatoenzephalopathie, verbietet ASS bei Kindern und Jugendlichen.

ASS 100 mg und NSAR nie gleichzeitig

ASS und nicht-steroidale Antirheumatika (NSAR) wie Ibuprofen greifen an der Cyclooxygenase 1 (COX 1) an. Mit einem gravierenden Unterschied: ASS blockiert COX 1 durch Acetylierung von Serin am katalytischen Zentrum irreversibel. Die gerinnungshemmende Wirkung hält nach Einmalgabe über 24 Stunden an. NSAR hemmen COX 1 dagegen reversibel mit einem analgetischen Effekt über sechs Stunden. Nimmt der Patient ASS 100 mg und Ibuprofen gleichzeitig ein, blockiert Ibuprofen COX 1, so dass ASS nicht mehr wirken kann. Der Patient ist nicht mehr vor einer Thrombose geschützt. Was für Ibuprofen gezeigt werden konnte, gilt aus Sicht von Hein auch für andere NSAR. Seine Schlussfolgerung: "Wir müssen dafür sorgen, dass ASS-100 mg-Patienten eine nackte, freie COX 1 haben. Sie darf nicht durch ein NSAR besetzt sein." Für Patienten, die beide Medikamente benötigen, gab er folgende Empfehlungen:

Möglich:

  • ASS 100 mg zwei Stunden vor Ibuprofen einnehmen
  • ASS 100 mg mit einem COX-2-Hemmer kombinieren (noch keine Studien!)
  • ASS 100 mg mit Paracetamol kombinieren

Nicht möglich:

  • ASS 100 mg gleichzeitig mit Ibuprofen einnehmen
  • ASS 100 mg bei mehrmals täglicher NSAID-Einnahme.

SSRI erhöhen Blutungsrisiko


Was häufig vergessen wird: Auch selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) erhöhen durch eine Beeinträchtigung der Thrombozytenaggregation das Blutungsrisiko, und zwar ähnlich wirksam wie NSAR. Werden sie kombiniert eingenommen, steigt die Gefahr überadditiv.

Cave Clopidogrel plus PPI

Das Problem bei Clopidogrel: Der spezifische Inhibitor der ADP-induzierten Plättchenaggregation ist ein Prodrug. Es muss zunächst in der Leber über das Cytochrom-P-450-System in den aktiven Metaboliten verstoffwechselt werden. Von zentraler Bedeutung ist dabei das Isoenzym CYP2C19, für das eine Vielzahl von Polymorphismen bekannt ist. Das hat letztlich zwei Konsequenzen. Clopidogrel wird individuell in sehr unterschiedlichem Maße in seinen aktiven Metaboliten umgewandelt (siehe auch Beitrag Clopidogrel-Resistenz). Und es kommt zu Interaktionen mit Arzneistoffen, die ebenfalls über CYP2C19 verstoffwechselt werden. In den Fokus geraten sind dabei vor allem die Protonenpumpenhemmer. Die Relevanz dieser Interaktion zeigte unter anderem eine doppelblinde, placebokontrollierte Studie mit 124 Patienten nach elektiver Stentimplantation. Sie erhielten zur Thromboseprophylaxe täglich 75 mg ASS plus 75 mg Clopidogrel (nach einer Loading Dose). Zusätzlich nahmen sie randomisiert über sieben Tage Omeprazol oder Placebo ein. Laborchemische Untersuchungen zeigten deutlich, dass Omeprazol die inhibierende Wirkung von Clopidogrel auf Thrombozyten verringert. Das hat laut Hein auch klinische Konsequenzen. Das Risiko für ein akutes Koronarsyndrom, ein Myokardinfarktrezidiv und auch eine Revaskularisierungsmaßnahme steigt. Er verwies zwar auch auf eine Metaanalyse, die keine erhöhte Mortalität und nur eine gering erhöhte Myokardinfarktrate unter der Kombination Clopidogrel plus Protonenpumpenhemmer zeigte. Trotzdem sieht er ein Risiko, insbesondere unter dem starken CYP2C19-Hemmer Omeprazol. Die geringste Interaktion sei mit Rabeprazol zu erwarten. Ist die Einnahme eines PPIs während einer Clopidogreltherapie nicht zu vermeiden, sollte ein PPI mit geringem Interaktionsrisiko zeitlich versetzt eingenommen werden. H2-Blocker sind dagegen keine Alternative.


bf

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