Aus Kammern und Verbänden

Gifte und Gegengifte in Vergangenheit und Gegenwart

Vom 23. bis zum 25. April fand in Mülheim an der Ruhr die diesjährige Biennale der Deutschen Gesellschaft für Geschichte der Pharmazie (DGGP) statt. Neben der Mitgliederversammlung stand das wissenschaftliche Programm zum Thema "Gifte und Gegengifte" im Mittelpunkt des Interesses. Knapp 250 Teilnehmer nahmen an der Veranstaltung auf Schloss Broich teil.

Grußworte zur Eröffnung des wissenschaftlichen Kongresses sprachen Bürgermeister Markus Püll, Vizepräsident Peter Barleben von der Apothekerkammer Nordrhein, Prof. Dr. Jörg Breitkreutz vom Pharmazeutischen Institut der Universität Düsseldorf sowie der Geschäftsführer der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft Dr. Michael Stein. Im Anschluss daran verlieh der DGGP-Vorsitzende Prof. Dr. Christoph Friedrich die Johannes-Valentin-Medaillen: für 2008 in Silber an Dr. Dieter Graepel wegen seines Engagements für die Weiterführung der Deutschen Apotheker-Biographie; in Bronze an Peter Heilmann für die Verbreitung der Naturselbstdrucke und die Nachwuchsförderung; für 2009 in Silber an den Ehrenpräsidenten Dr. Klaus Meyer für seinen unermüdlichen Einsatz für die DGGP; in Bronze an Dr. Wigand Bohlmann für seine Verdienste in der Betreuung des Nachwuchses.

Prof. Dr. Peter Dilg (links) und Dr. Gerhard Helmstädter
Foto: C. Schäfer

Mit Pfeil und Bogen

Mit einem Vortrag über die griechischen und lateinischen Begriffe für Gift eröffnete Prof. Dr. Peter Dilg den Reigen der wissenschaftlichen Vorträge. Während in unserem heutigen Sprachgebrauch das griechische Wort toxikos im Sinne von "giftig" benutzt wird, bedeutete es ursprünglich "zum Bogen gehörend". Pfeil und Bogen dienten der Jagd, und gelegentlich wurden Pfeilgifte benutzt, sodass über diesen Weg toxikos die Bedeutung "giftig" erhielt. Die Griechen selbst benutzten ios im Sinne von Gift und pharmakon, je nach Kontext, im Sinne von Heil- oder Giftmittel. Auch im Lateinischen wird der Begriff venenum durch entsprechende Adjektive entweder negativ oder positiv besetzt.

PD Dr. Sabine Anagnostou (links) und Prof. Dr. Ingrid Kästner
Foto: C. Schäfer

Die weltweite Verbreitung des Theriaks durch Missionare und die regionalen Spezifizierungen – so wurden z. B. in Südamerika indigene Drogen statt europäischer Drogen verwendet – beschrieb die kürzlich zur Privatdozentin an der Universität Marburg ernannte Dr. Sabine Anagnostou. Theriak war in Ordensapotheken und Missionsstationen das wichtigste und bekannteste Antidot, ein Allheilmittel gegen Gifte und zahlreiche Erkrankungen. Der Einfluss des Theriaks auf die Heilkunde in Südamerika zeigt sich unter anderem in der Berücksichtigung der Triaca magna in der Farmacopea Mexicana aus dem Jahr 1843.

In der Klostermedizin spielten Zubereitungen gegen die "seelischen Gifte" Melancholie, Schwermut und Amor hereos (Liebeskummer) eine Rolle, wie die Ausführungen von Dr. Gerhard Helmstädter über den Codex Breyell (1511) aus der Benediktinerabtei in Brauweiler zeigten. So galten die Blüten des Boretsch und ein Kraut namens Palacium leporis (Palast des Hasen) als lindernd gegen die überschießende, Melancholie auslösende schwarze Galle. Auch der Johannisblume – womit nicht das Johanniskraut Hypericum gemeint war – wurden "liebeslindernde" Eigenschaften zugesprochen. Während der Anwendung sollte der Betroffene an den heiligen Johannes, der als Inbegriff der Keuschheit galt, denken und auf diese Weise Erleichterung finden.


Prof. Dr. Bettina Wahrig
Foto: C. Schäfer

Kunst der Selbstvermarktung

Prof. Dr. Bettina Wahrig widmete sich in ihrem Vortrag dem Leben und Werk von Mathieu Joseph Bonaventur Orfila (1787 – 1853), der als Vater der Toxikologie gilt. Auch wenn sein Lehrbuch "Traité des poisons" nicht das erste war, so verstand er es wie kein Zweiter, sich und die Toxikologie zu vermarkten. Bereits in jungen Jahren hatte der Katalane dank Stipendien für Chemie und Medizin einen großen wissenschaftlichen Ruf erlangt, sodass er mit 27 Jahren nach französischer Einbürgerung bereits als Professor für Rechtsmedizin in Paris tätig war und sein Hauptwerk zur Toxikologie veröffentlichte. Er trat als Gutachter bei Prozessen auffallend in Erscheinung und nutzte dies als Werbung für sein Fach. Er beeinflusste außerdem Wissenschaftler in anderen Ländern, so z. B. Robert Christison (1797 – 1882) in Großbritannien.

Apotheker, die sich als Toxikologen einen Namen machten, stellte Prof. Christoph Friedrich in seinem Vortrag vor. Da die Apotheker über ein Labor verfügten, galten sie während des 18. und 19. Jahrhunderts als besonders geeignet, forensische Analytik zu betreiben und in Verfahren als Gutachter tätig zu sein. An vielen Universitäten vermittelten Professoren wie Heinrich Wackenroder (1798 –1844) oder Johannes Andreas Buchner (1783 – 1852) Kenntnisse zur Toxikologie. Buchner verfasste sogar speziell ein Lehrbuch für die Bedürfnisse der Apotheker, da das Werk von Orfila ihm zu medizinorientiert erschien. Wegweisend waren ebenfalls die Lehrtätigkeit und das Buch "Anleitung zur Ausmittlung der Gifte" von Friedrich Julius Otto (1809 – 1872), einem Schüler Wackenroders.


Dr. Erika Eikermann
Foto: C. Schäfer

Und der Giftmörder ist immer eine …

Auf sehr unterhaltsame Weise stellte Dr. Erika Eikermann Giftmörderinnen vor. Bereits Agrippina nutze Gift, um Kaiser Claudius zu töten, damit ihr Sohn Nero den Thron besteigen konnte. Während vermutliche zahlreiche Morde mit Arsen erfolgreich und unentdeckt begangen wurden, änderte sich das in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als die Marshsche Probe gerichtsfähig wurde. Nach dem 1. Weltkrieg setzten die Giftmörderinnen dann überwiegend Rattengift und nach dem 2. Weltkrieg E 605 ein. Aber auch in der Gegenwart greifen Mörderinnen zu Gift, so die "Schwarze Witwe" Elfriede Blauensteiner, die in den 1990er Jahren unter anderem mit Euglucon wohlbetuchte ältere Menschen umbrachte.

Zwei weitere Vorträge beschäftigten sich mit Intoxikationen in Thüringen vom 16. bis 20. Jahrhundert und den toxikologischen Auskunftsdiensten in der Bundesrepublik und der DDR. Prof. Dr. Hans-Peter Klöcking stellte in seinen Ausführungen dar, dass bis zur Entwicklung synthetischer Arzneimittel ab Mitte des 19. Jahrhunderts eher akzidentelle Ursachen wie Verwechslung oder Überdosierung durch den Patienten oder falsche Empfehlungen durch Olitätenhändler zu Vergiftungen führten. Seit Einführung von Schlafmitteln, Betablockern und Kardiaka sind diese häufig Ursache von Vergiftungen. Ein großer Anteil davon wurde in suizidaler Absicht eingenommen.

Prof. Dr. Hans-Peter Klöcking
Foto: C. Schäfer

Nach dem 2. Weltkrieg häuften sich vor allem durch die leichter verfügbaren Haushaltschemikalien, so Prof. Dr. Ingrid Kästner, in beiden Teilen Deutschlands, die akzidentellen Vergiftungen von Kindern mit entsprechenden Produkten. Deshalb wurde die Einrichtung von Giftinformationszentralen (GIZ) im Westen und toxikologischen Auskunftsdiensten im Osten für notwendig erachtet. Ausgehend von Leipzig, entwickelten sich diese Auskunftstellen an den pharmakologischen Instituten der DDR. In der Bundesrepublik wurden ebenfalls zahlreiche Beratungsstellen eingerichtet. Weniger die Wiedervereinigung, vielmehr die notwendige Novellierung des Chemikaliengesetzes im Jahr 1990 hat dann zu einer kritischen Bestandsaufnahme durch die Politik geführt, sodass heute die toxikologische Beratung weitgehend zentral durch wenige GIZ erfolgt.

Mehrere Doktoranden stellten ihre Arbeiten im Rahmen von Kurzvorträgen und Postern vor. Als bestes Poster wurde dasjenige von Daniela Goži´c ausgezeichnet; sie forscht über Leben und Werk des Verfassers des "Vademecum für Pharmazeuten", Rudolf Schmidt-Wetter, und wird von PD Dr. Frank Leimkugel betreut.


Dr. Constanze Schäfer


Mitgliederversammlung


Während der Mitgliederversammlung berichtete der Präsident der DGGP Prof. Dr. Friedrich über die Tätigkeiten in den vergangenen beiden Jahren und ging dabei unter anderem auf die Biennale in Husum 2007, den Kongress der Internationalen Gesellschaft für Geschichte der Pharmazie im vergangenen Herbst und den Festakt anlässlich des 65. Geburtstages von Prof. Wolf-Dieter Müller-Jahncke ein. Außerdem beglückwünschte er im Namen der DGGP Dr. Sabine Anagnostou zu ihrer Ernennung zur Privatdozentin an der Universität Marburg. Friedrich wies auf die satzungsgemäß notwendige Wahl eines neuen Präsidenten und Stellvertreters in zwei Jahren hin.

Nach der Entlastung des Schatzmeisters Dr. Michael Michalak wurde auf das pharmaziehistorische Vorsymposium vor der DPhG-Tagung am 4. Oktober 2010 in Braunschweig und die nächste Biennale im April 2012 in Regensburg hingewiesen.

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