Arzneimittel und Therapie

Neues vom ASCO 2010

"Kein Durchbruch, interessante Studienergebnisse, hin zur personalisierten Medizin", so können die Ergebnisse des diesjährigen amerikanischen Krebskongresses ASCO zusammengefasst werden. Im Folgenden werden einige neue Aspekte zur medikamentösen Therapie einzelner Tumorarten zusammengefasst.

Das jährliche Treffen der American Society of Clinical Oncology (ASCO) ist mit rund 35.000 Teilnehmern der weltweit größte Krebskongress, der dieses Mal unter dem Motto "Advancing quality through innovation" stand. Was sich bereits in den letzten Jahren anbahnte, wurde auch in diesem Jahr bestätigt: Den großen Durchbruch in der Krebsmedizin wird es aufgrund der Heterogenität onkologischer Erkrankungen in absehbarer Zeit nicht geben. Doch ermöglichen Einblicke in die individuelle Tumorbiologie ein personalisiertes Vorgehen, das in einigen Bereichen hilfreich sein kann. Zielgerichtete Substanzen sollten nicht nach dem "Gießkannenprinzip", sondern erst nach einer exakten Bestimmung relevanter Biomarker, das heißt bei selektionierten Patienten eingesetzt werden. Nur so können wirksame Substanzen effektiv genutzt und überschießende Kosten eingedämmt werden. Des Weiteren hat sich gezeigt, dass die alleinige Hemmung einzelner Signaltransduktionswege bis auf wenige Ausnahmen unzureichend ist und neue zielgerichtete Substanzen häufig mit der klassischen Chemotherapie kombiniert werden müssen.

Gynäkologische Tumoren

Zur medikamentösen adjuvanten Therapie des Mammakarzinoms gab es keine herausragenden neuen Erkenntnisse. Eher enttäuschend sind die Daten zur Förderung der Compliance unter einer Aromatasehemmer-Therapie (PACT-Studie), da durch die regelmäßige Zusendung von Informationsmaterial die Therapietreue nicht gesteigert werden konnte. Zur Therapie des metastasierten Mammakarzinoms wurden einige neue Substanzen vorgestellt. So etwa der Spindelhemmer Eribulin, der in einer Phase-III-Studie einen Überlebensvorteil bei mehrfach vorbehandelten Patientinnen zeigte (Eribulin vs. physician’s choice bzw. best supportive care). Inwieweit sich diese Daten auch in frühen Behandlungssituationen bestätigen, bleibt abzuwarten. Neue Substanzen gibt es auch für die Anti-HER2-Therapie, so den Antikörper T-DM1, ein Konjugat aus Trastuzumab und einem zytotoxischen Agens (siehe Kasten), und den monoklonalen Antikörper Pertuzumab, der gegen die Dimerisierungsdomäne von HER2 gerichtet ist.

Zur Therapie des Ovarialkarzinoms wurde eine wichtige Studie vorgestellt, in der der Zusatz von Bevacizumab zur Standardtherapie mit Carboplatin und Paclitaxel das progressionsfreie Überleben signifikant um knapp vier Monate verlängerte. Dieses Resultat ist beachtenswert, da es erstmals seit Jahren einen Fortschritt in der Therapie des Ovarialkarzinoms zeigt.

Antikörper-Wirkstoff-Konjugat: 
Neues Trastuzumab-DM1 Antikörper-Wirkstoff-Konjugat

In den USA wurde von Roche das Zulassungsgesuch für Trastuzumab-DM1 eingereicht.

Trastuzumab-DM1 (T-DM1) ist ein Antikörper-Wirkstoff-Konjugat, das aus zwei Komponenten besteht und zwar aus

  • Trastuzumab, einem gegen den Tumorrezeptor HER2 (Human epidermal growth factor-receptor 2) gerichteten Antikörper und aus
  • DM1, einem zytotoxischen Agens (Maytansinoid), das bereits in den Achtzigerjahren klinisch getestet wurde, dessen Entwicklung aber aufgrund der Nebenwirkungen nicht weiter verfolgt wurde.

Diese zwei Komponenten sind miteinander verknüpft. Trastuzumab transportiert DM1 zu den HER2-positiven Tumorzellen. Dort blockiert es den Rezeptor HER2 und aktiviert das Immunsystem gegen die Tumorzellen. T-DM1 wird in die Zelle aufgenommen und DM1 von Trastuzumab abgetrennt. Spätestens dann wird die Zelle durch DM1 abgetötet. Der HER-2 Antikörper Trastuzumab fungiert also als Vektor, über den das antimikrotubulär wirkende Zytostatikum direkt im Tumor freigesetzt wird.

Trastuzumab-DM1 wurde bereits in mehreren Studien bei Frauen mit HER2-positivem fortgeschrittenem Brustkrebs eingesetzt. Aufgrund der positiven Ergebnisse einer Phase-II-Studie (TDM4374g), die gezeigt hatte, dass T-DM1 bei einem Drittel der bereits mehrfach vorbehandelten Patientinnen die Tumore verkleinerte, wurde Anfang Juli 2010 von Roche das Zulassungsgesuch in den USA für T-DM1 bei vorbehandeltem fortgeschrittenem HER2- positivem Brustkrebs eingereicht.

[Quelle: www.cancer.gov/drugdictionary/?CdrID=564399 und Presseinformation Roche vom 7. Juli 2010].

 

 Apothekerin Dr. Petra Jungmayr

Lymphome

Nachdem vor einigen Jahren für die Kombination einer Chemotherapie mit dem Anti-CD20-Antikörper Rituximab beim fortgeschrittenen follikulären Lymphom ein signifikanter Überlebensvorteil gezeigt wurde, befassen sich Studien mit der Erhaltungstherapie. Die Interimsanalyse der PRIMA-Studie (Primary Rituximab and Maintenance) zeigte nach median 25 Monaten Therapie mit Rituximab einen hochsignifikanten Unterschied beim progressionsfreien Überleben zugunsten der Erhaltungstherapie (Halbierung des Progressionsrisikos). Obwohl die Nachbeobachtungszeit noch zu kurz ist, um Aussagen zum Gesamtüberleben zu machen, wird die Erhaltungstherapie mit Rituximab wohl zum neuen Standard werden.

Lungenkarzinome

Die personalisierte Therapie wird beim Lungenkarzinom in den nächsten Jahren eine immer wichtigere Rolle spielen und die Histologie eines Tumors wird wegweisend für die Behandlung. Einige als wirksam erachtete Substanzen haben sich in größeren Studien nicht bewährt oder sind nur bei einer bestimmten Patientengruppe wirksam, so dass auch hier eine genaue Auswahl der Patienten erfolgen muss. Dies gilt insbesondere für Subgruppen mit genetischen Besonderheiten. So wurden etwa in einer ersten Studie bei Vorliegen eines EML4-ALK-Fusionsgens mit dem ALK-Inhibitor Crizotinib vielversprechende Ergebnisse erzielt. Für die Beratung in der Apotheke ist eine Studie interessant, die sich mit der Chemoprävention und Selen beschäftigte. Die Auswertung zeigte keinen Benefit unter der Selengabe, so dass bei frühen nicht-kleinzelligen Lungenkarzinomen von einer Prävention mit Selen abzuraten ist (s. Kasten "Präventionsstudie mit Selen").

Präventionsstudie mit Selen

In der Studie sollte geprüft werden, ob eine mehrjährige Selen-Substitution bei Patienten mit einem frühen nicht-kleinzelligen Lungenkarzinom die Entstehung von Zweittumoren im Sinn einer Chemoprävention verhindern kann. An der zwischen 2000 bis 2009 durchgeführten Untersuchung nahmen etwa 1700 Patienten mit reseziertem Karzinom (Stadium I) teil. Die Verum-Gruppe erhielt vier Jahre lang 200 µg Selen pro Tag, die Vergleichs-Gruppe ein Placebo. Durch die mehrjährige Selengabe konnten nach fünf Jahren weder das progressionsfreie (72% unter Selen vs. 78% unter Placebo) noch das Gesamtüberleben (75% unter Selen vs. 80% unter Placebo) verlängert werden. Tendenziell entstanden in der Selen-Gruppe mehr Zweittumore als in der Placebo-Gruppe.

[Quelle: Karp et al., ASCO 2010, Abstract 7004]

Gastrointestinale Tumore

Auch bei der Therapie gastrointestinaler Tumore wurden keine herausragenden Neuerungen vorgestellt. Einzelne Studienergebnisse ermöglichen eine verfeinerte Behandlung spezieller Untergruppen. So konnten etwa bei ausgewählten Pankreaskarzinom-Patienten mit einer kombinierten Chemotherapie das progressionsfreie und das Gesamtüberleben beinahe verdoppelt werden (Vergleich mit der Standardtherapie mit Gemcitabin; PRODIGE 4/ACCORD 11-Studie).

Quelle Prof. Dr. Jürgen Wolf, Köln, Prof. Dr. Nadia Harbeck, Köln, Prof. Dr. Wolfgang Hiddemann, München, PD Dr. Ullrich Graeven, Mönchengladbach; Prof. Dr. Martin Wolf, Kassel: Post-ASCO Pressekonferenz 2010, Köln, 30. Juni und 1. Juli 2010, veranstaltet von der Roche Pharma AG, Grenzach-Wyhlen.

 


Apothekerin Dr. Petra Jungmayr

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