Feuilleton

Panta rhei*

mal laminar, mal turbulent – Alles fließt. – "Wasserwirbel", ­Grafik aus dem Buch Wasser-Wort-Spiele von H. Roth, 2004.

Panta rhei (παντα ρει) ist griechisch, genauer: ein Ausspruch des griechischen Naturphilosophen Heraklit und heißt zu Deutsch "alles fließt", so wie jetzt unsere sauer verdienten Euros in das Land des listigen Odysseus fließen, wo man noch nicht gelernt hat, mit essenziellen Gütern sparsam umzugehen.

Wir wollen hier aber nicht die finanzielle Schieflage in Europa beklagen, sondern uns mit ein paar alltäglichen und einigen speziellen Beispielen über die sprachliche Verwirrung mokieren, die durch das verbale Panta rhei entstanden ist.

(Fach-)Sprache im Wandel

Eine Katastrophe (= Wendung zum Schlimmeren) wurde ja bislang noch verhindert, indem der Duden nicht eine "Katastrofe" daraus machte. Aber wie steht es mit der Symphonie? Wenn ich das Wort Sinfonie lese, kann ich höchstens an die Musik von Erik Satie denken, der – Gott sei Dank – keine Symphonie komponiert hat, aber nicht an die Schöpfungen eines Haydn, Beethoven oder Mozart. Eine Filharmonie existiert glücklicherweise bisher nur im schwäbischen Filderstadt (Tübinger Straße 14).

Kommen wir zu spezielleren Begriffen: An den Wandel von Oxyd zu Oxid hatte man sich bald gewöhnt. Äther durch Ether zu ersetzen, bereitete auch keine großen Schwierigkeiten. Aber wenn von "etherischen Ölen" die Rede ist, dann runzeln die alten Pharmakognosten doch gewaltig die Stirn.

Auch die Umschulung von Östrogen zu Estrogen fällt uns schwer, zumal es dabei zu Verwechselungen mit Estragon kommen könnte. Doch wäre das gar nicht so schlimm, denn laut Google soll Estragon nicht nur ein in der französischen und italienischen Küche besonders beliebtes Gewürz sein, sondern auch bei Wechseljahrsbeschwerden helfen.

Echt ärgerlich war die häufige Änderung der Pflanzenfamiliennamen: Compositen heißen heute Asteraceae, die Labiaten haben sich in Lamiaceae verwandelt, die Leguminosen firmieren jetzt unter Fabaceae, und die Umbelliferen mussten ihren wohlvertrauten Namen gegen Apiaceae tauschen. Es mag zwar Argumente geben für diesen Wechsel. Man könnte aber auch annehmen, die Pflanzensystematiker müssten ihre Daseinsberechtigung durch die Schaffung neuer Familiennamen unter Beweis stellen.

Notabene

Woran kann man den Unterschied zwischen einem Pharmakognosten und einem Pharmazeutischen Biologen erkennen? Man kann ihn nicht sehen, sondern nur hören. Obwohl durchaus gebildete Menschen, sprachen die (alten) Pharmakognosten stets von <Alkaleuden> , obwohl ihnen doch die sprachliche Ableitung von Alkali-ähnlich, also Alkal-oid bewusst gewesen sein muss.

Wie schön waren doch die alten lateinischen Arzneibuchtitel für pflanzliche Drogen! Man konnte sie verstehen, ohne grammatikalische Klimmzüge machen zu müssen. – Hier je ein Beispiel der Arzneibuchnamen für Rinden, Blüten, Blätter, Früchte, Kräuter, fette Öle, ätherische Öle, (Frucht-)Schalen, Wurzeln, Rhizome und Samen:

Bei Herba Millefolii, Radix Primulae und Rhizoma Graminis erfolgte lediglich eine Änderung in der Reihenfolge der beiden Namensteile. Bei allen anderen Drogennamen wurden daneben gewöhnungsbedürftige grammatikalische oder auch lexikalische Änderungen vorgenommen.

Die Bezeichnung "Stipites" für Sprossstücke von Pflanzen (Stipites Dulcamarae) oder künstlich stielförmig zugeschnittene Drogenteile tritt kaum noch in Erscheinung. Böse Zungen behaupten ja, in jenen Zeiten als Weine – nicht nur medizinische – noch über die Apotheke bezogen werden konnten (meist ad usum proprium), hätten die Apotheker auch Zigarren und Zigaretten zum Eigengebrauch über den Großhandel bestellt, und zwar unter den Bezeichnungen Folia Nicotianae in bacillis und Stipites Nicotianae.

Jetzt noch einige Kleinlichkeiten, an welchen sich die Gemüter entzünden könnten:

Der Internationale Code der Botanischen Nomenklatur (ICBN) schreibt den Artnamen bella-donna mit einem Bindestrich. Im Europäischen Arzneibuch ist belladonna ohne Bindestrich zu finden, wie auch in den modernen Lehrbüchern der Pharmazeutischen Biologie. Der schönen Frau, nach der man die Atropa -Art benannt hat, wird es wohl gleichgültig sein, wie man sie betitelt – Hauptsache "schön".

Mindestens ein Dutzend gestandener Alkaloidchemiker haben ihre Forschungsobjekte mit Chondocurarin, Chondocurin, Chondodendrin, Chondodendron-Base A und B, Isochondocurarin, Isochondodendrin, Neochodocurarin oder Protochondocurarin bezeichnet, ausgehend von den Stammpflanzen Chondodendron candicans, C. limaciifolium, C. microphyllum, C. platyphyllum und C. tomentosum. Der ICBN diktiert aber, dass diese Pflanzengattung Chondrodendron heißt, also mit einem zusätzlichen r geschrieben wird, was auch einen Sinn ergibt (griech. chondros = Knorpel).

Eine Gattung der Familie Apocynaceae – ach, die gibt‘s ja nicht mehr, wie ich in der DAZ Nr. 28 auf Seite 55 gelesen habe. Also noch mal: Eine Gattung der Asclepiadaceae wurde nach dem Augsburger Botaniker Leonhard Rauwolf benannt; laut DAB 2009 heißt die Droge "Rauwolfiae radix". Wollte der ICBN den Namen melanchthonisieren, als er Rauvolfia vorschrieb?

einst (DAB 6)jetzt ( Ph. Eur.)
Cortex ChinaeCinchonae cortex
Flores ArnicaeArnicae flos
Folia BelladonnaeBelladonnae folium
Fructus Cardui 
Mariae
Silybi mariani fructus
Herba MillefoliiMillefolii herba
Oleum Menthae 
piperitae
Menthae piperitae aetheroleum
Oleum OlivarumOlivae oleum
Pericarpium 
Aurantii
Aurantii amari epicarpium et mesocarpium
Radix PrimulaePrimulae radix
Rhizoma GraminisGraminis rhizoma
Semen TrigonellaeTrigonellae foenugraeci semen

Was ist Pharmazeutik?

Mit der Tatsache, dass alles im Fluss ist, auch Namen des täglichen Gebrauchs und fachliche Termini, werden wir uns abfinden müssen. Eine Bezeichnung, die ausgerechnet in der Rubrik IUPAC-Empfehlungen unter dem Titel "Pharmazeutische Begriffe" in der Zeitschrift Angewandte Chemie aufgetaucht ist [1], kann allerdings nicht akzeptiert werden: "Pharmazeutik".

Ich kenne eine Archäologie, eine Geographie, eine Geologie, eine Paläontologie, eine Zoologie, eine Chemie und eine Pharmazie. Die naturwissenschaftlichen Begriffe Botanik und Physik sowie die Mathematik sind mir auch schon des Öfteren begegnet, die grässliche Formulierung "Pharmazeutik" jedoch nur in dubiosem Zusammenhang. Noch komischer und weniger professionell mutet es an, wenn in diesem Artikel von den "Gebieten Pharmazie und Pharmazeutik" die Rede ist. Wie wär’s mit einer Geographeutik oder einer Zoologeutik?

Vorsicht, Vorsicht! Schließlich existieren heute auch die Begriffe Fotografie und Fotografik ernsthaft nebeneinander. Fotografie ist eine bildgebende Methode, die durch optische Verfahren, chemische Prozesse oder mithilfe elektronischer Daten dauerhafte Abbildungen (Fotos) erzeugt. Fotografik ist eine Form der künstlerischen Fotografie, die auf der nachträglichen Bearbeitung ursprünglicher Fotos beruht. Sie ist eine mithilfe von Bildbearbeitungsprogrammen am Computer aufbereitete Fotografie, die mit digitalen Methoden zu Bildmontagen und Kollagen führt, bis hin zu abstrakten Bildern, auf denen man das ursprüngliche Foto kaum noch oder nicht mehr erkennen kann.

Literatur Seydel J, Roy K-M. Glossar zu Begriffen der Pharmazeutik. Angew Chem 2010; 122:1351 – 1366.

Autor


Prof. Dr. rer. nat. Dr. h. c. Hermann J. Roth,

FriedrichNaumannStr. 33, 76187 Karlsruhe

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info@h-roth-kunst.com

* Frau Prof. Dr. Marion Schaefer mit besten Wünschen zum 60. Geburtstag gewidmet.

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