Deutscher Apothekertag 2010

Das große Schweigen

Christian Rotta

Apothekertage werden gewöhnlich danach beurteilt, was dort debattiert und beschlossen wurde. Aber auch eine andere Frage kann interessant sein: Was kam auf einer Hauptversammlung nicht zur Sprache? Was sich bereits aufgrund der austauschbaren Allerweltsbezeichnungen der Arbeitskreise ("Weiterentwicklung der Arzneimittelversorgung" und "Zukunftsberuf Apotheker") andeutete, bestätigte sich zum Ärger vieler Delegierter in München: das Thema "Novellierung der Apothekenbetriebsordnung", das vielen Apotheken vor Ort unter den Nägeln brennt, wurde auf der Hauptversammlung schlichtweg ignoriert. Außer einem Resolutions-Appell an das BMG, den Apotheker in seiner Funktion als Heilberufler zu stärken, und der Aufforderung, bei der Erstellung des Referentenentwurfs "dafür Sorge zu tragen, dass diese Intention durch die Ausgestaltung der einzelnen Regelungen nachhaltig verfolgt wird", herrschte das große Schweigen – ein Schweigen, das offensichtlich ganz in der Absicht des ABDA-Vorstandes und seiner Apothekertags-Regie lag. ABDA-Präsident Wolf hatte im Vorfeld der Hauptversammlung die Richtung vorgegeben: Im "Aktuellen Wirtschaftsdienst für Apotheker (AWA)" sprach er sich auf die Frage, welche Rolle die Apothekenbetriebsordnung beim Apothekertag spielen werde, für einen Debattenstopp aus. Es habe "im Sommerloch" viele Diskussionen (sic!) gegeben, weil "offensichtlich unabgestimmte Papiere aus dem Bundesgesundheitsministerium an die Öffentlichkeit gelangt waren". Aber erst wenn ein "offizieller Entwurf einer neuen Apothekenbetriebsordnung" vorliege, könne man "darüber öffentlich diskutieren". Auf dem Apothekertag sollte nicht über "Gerüchte und Vermutungen diskutiert, sondern die Faktenlage abgewartet werden". Gottlob habe sich inzwischen "die Aufregung ja wieder etwas gelegt".

Wie bitte? Entspricht es dem Verständnis des obersten Souveräns der deutschen Apothekerinnen und Apotheker, der Hauptversammlung, auf einem deutschen Apothekertag erst dann – und dann unter Zeitdruck – über Konzept, Inhalt und Ausgestaltung einer Apothekenbetriebsordnung sprechen zu dürfen, wenn das BMG einen Referentenentwurf vorlegt und die ABDA-Spitze den Startschuss für eine Debatte gibt? Gerade weil jetzt noch ausreichend Zeit bleibt und der unautorisierte ApBetrO-Entwurf nach seiner Veröffentlichung (übrigens nicht nur bei DAZ.online, sondern auch bei "apotheke adhoc", dem privaten Branchendienst des ABDA-Pressesprechers höchstpersönlich) vom Ministerium zurückgezogen wurde, hätte es dem Münchner Apothekertag gut angestanden, wenn seine Delegierten zusammen mit Politik und Ministerium über die Ausgestaltung und heilberufliche Orientierung der neuen Apothekenbetriebsordnung diskutiert hätten. BMG-Staatssekretär Daniel Bahr hatte dies im "Sommerloch" in einem DAZ-Interview ausdrücklich angeregt. So wurde in München eine große Chance vertan. Offensichtlich setzt die ABDA-Spitze stattdessen auf eine von der Berufsöffentlichkeit abgeschottete Verhandlungsstrategie. Da können Debatten nur stören. Sie bergen, wie es heißt, eine zu große Gefahr in sich, aus dem Ruder zu laufen. Das zeugt von bemerkenswertem Vertrauen in die eigenen Mitglieder.

Ob das gut geht? Wie es heißt, sind auch in den unautorisierten Verordnungsentwurf zur Apothekenbetriebsordnung durchaus schon ABDA-Expertisen miteingeflossen: So könnte aus dem BMG süffisant darauf hingewiesen werden, dass z. B. die im vorläufigen Entwurf enthaltenen (und jetzt von der Basis als zu bürokratisch kritisierten) Dokumentationspflichten bei Rezepturen inhaltlich nahezu vollständig mit den Vorgaben in den BAK-Richtlinien übereinstimmen. Darüber – und über so manches mehr – hätte sich unter einem Tagesordnungspunkt "Neue Apothekenbetriebsordnung" konstruktiv, transparent und ohne Zeitdruck diskutieren lassen können. Nur per Ordre du Mufti das Wort erteilt zu bekommen, wenn die Pflöcke einer neuen Betriebsordnung bereits eingeschlagen sind und allenfalls noch Raum und Zeit für Detailfragen verbleiben, ist eines transparenten innerverbandlichen Willensbildungsprozesses nicht würdig. Da war die ABDA schon einmal weiter. Mit Wehmut erinnern sich die Älteren noch an die konstruktive und differenzierte Diskussion im Vorfeld der Apothekenbetriebsordnung von 1987 – einer Sternstunde der Apothekertage. Im Zentrum: Die Informations- und Beratungspflicht in § 20 ApBetrO – und ganz vorneweg die ABDA-Spitze mit ihrem Sprecher Johannes Pieck. Damals scheute sich die Standesführung nicht, eine kontroverse Debatte zur neuen Apothekenbetriebsordnung zu organisieren (und gleichzeitig klare Kante zu zeigen). Eine solche Diskussion hätte man sich auch in München gewünscht. Schade. Jetzt muss sie an anderen Stellen geführt werden, z. B. auf dem Jahrestreffen der Arbeitsgemeinschaft der Pharmazieräte Deutschlands, das vom 17. bis 20. Oktober in Leipzig stattfindet. Dort ist die ApBetrO-Novelle zentrales Tagungsthema. Die Statements der Pharmazeuten dürften für die Ausgestaltung der neuen Apothekenbetriebsordnung von großer Bedeutung sein. Zumal es in Düsseldorf – beim nächsten Apothekertag – für eine Diskussion zu spät sein dürfte.

Christian Rotta


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