Rezepturen

Viele Inhaltsstoffe – viele Probleme

Wenn Rezepturen aus medizinischer Fachliteratur nicht plausibel sind

Von Gerd Wolf

Die pharmazeutisch korrekte Herstellung eines Arzneimittels setzt stets eine plausible Rezepturprüfung auf Inkompatibilitäten und Instabilitäten voraus. Auch Rezepturen, die in der medizinischen Fachliteratur zitiert werden, müssen diese pharmazeutischen Bedingungen erfüllen. Doch auch bei solchen Rezepturen können Probleme auftreten, wie das Beispiel einer sogenannten Hanfölsalbe zeigt.

Die Beispielrezeptur lautet:

Rp.

 

 

  • Wachs, gebleicht 4,0 g

 

 

  • Sheabutter 4,0 g

 

 

  • Emulsan II10,0 g

 

 

  • Hanföl 30,0 g

 

 

  • Fluidlecithin CM 0,8 g

 

 

  • Dexpanthenol-Lösung 5% 16,0 g

 

 

  • Harnstoff 0,4 g

 

 

  • Wasser, gereinigt 32,0 g

 

 

  • Aloe-vera-Gel (Imopharm) 2,0 g

 

 

Lavendelöl 0,35 g

 

Je mehr Bestandteile eine Rezeptur hat, umso größer ist die Gefahr für Kompatibilitäts- und Stabilitätsprobleme.
Foto: Sket

Diese Hanfölsalbe nach Staehler wurde in einer renommierten medizinischen dermatologischen Fachzeitschrift [Der Hautarzt 8 (2010), S. 662 – 667] im Zusammenhang mit Hand-Fuß-Syndromen beschrieben und soll bei entsprechenden Nebenwirkungen unter der Behandlung mit den Multikinase-Inhibitoren Sorafenib und Sunitinib eingesetzt werden.

Gemäß europäischem Arzneibuch (Ph. Eur.) ist dies keine Salbe, sondern eine hydrophile Creme bzw. O/W-Creme ohne wirksamen Arzneistoff. Solche missverständlichen Bezeichnungen sind leider bei Dermatika sehr verbreitet. Die Rezeptur muss als kosmetische Pflegecreme aufgefasst werden, sodass primär die Kosmetik-Verordnung als Qualitätsmaßstab gilt. Die "Hanfölsalbe" enthält ausgefallene Öle und Fette, die in dieser Kombination selten vorkommen. Die gewählten Dosierungen der weiteren Bestandteile erscheinen nicht plausibel.

Wachs und Sheabutter

Gebleichtes Wachs (Cera alba) ist durch Peroxide entfärbtes Bienenwachs (Cera flava), das als lipophiler Konsistenzgeber dient. Sheabutter (synonym Carité-Fett) ist ein Fett, das aus dem Fruchtfleisch der Nüsse von Butyrospermum parkii durch Kaltpressung gewonnen wird [1]. Es enthält vornehmlich feste Stearinsäure und flüssige Ölsäure, wenig Palmitin- und Linolsäure und 8 bis 10 Prozent unverseifbare Bestandteile, denen die hautpflegenden, -glättenden und -schützenden Eigenschaften zugesprochen werden. Sheabutter dient als Fettungsmittel und wird besonders zur Pflege trockener oder vorgeschädigter Haut eingesetzt.

Emulsan II und die Hobbythek

Der Wissenschaftsjournalist Jean Pütz hatte Mitte der 1980er Jahre in der WDR-Fernsehsendung "Hobbythek" selbstgemachte Kosmetik propagiert. Für die dazu erforderlichen Bestandteile wurden teilweise Phantasiebezeichnungen gewählt, die in keiner Beziehung zur CTFA- oder INCI-Nomenklatur stehen. Unter dem Namen Emulsan wurde zunächst ein lipophiler W/O-Emulgator verstanden, später wurde Emulsan II als innovativer hydrophiler O/W-Emulgator eingeführt. Dahinter verbirgt sich der Zuckertensid-Emulgator mit der INCI-Bezeichnung Methylglucose-sesquistearat (Handelsname: Tego® Care PS).

Die am Markt dominierenden O/W-Emulgatoren vom Polyethylenglycol- bzw. Macrogol-Typ werden seit Jahren von Verbraucherschützern wegen ihrer austrocknenden und solubilisierenden Nebenwirkungen und wegen der Verunreinigung mit dem sehr reaktionsfreudigen Ethylenoxid kritisiert. Wohlrab et al. [2] konnten inzwischen zeigen, dass gerade durch diese Emulgatoren Fette bis in die Epidermis transportiert, bei Waschvorgängen jedoch zusammen mit körpereigenen Fetten quantitativ wieder hinausbefördert werden. Als Alternative wurden bereits vor etwa 20 Jahren O/W-Emulgatoren auf Polyglycerin- und Zuckerbasis entwickelt, bislang jedoch nur in wenigen apothekenexklusiven Körperpflegeprodukten eingesetzt und werblich kaum herausgestellt. Diese Emulgatoren besitzen einen niedrigeren HLB-Wert, sind daher deutlich hautschonender und lassen sich nicht so schnell von der Haut abwaschen [3]. Daher wäre der breitere Einsatz dieser milden Emulgatoren zu begrüßen. Dafür müssten sie als Monographien in den DAC aufgenommen werden, sodass Lieferanten die pharmazeutische Qualität dieser Stoffe mit einem Analysenzertifikat belegen könnten.

Bei der Verarbeitung der Zuckertenside sind allerdings besondere Vorgehensweisen zu beachten, die vom gewohnten Arbeiten deutlich abweichen. Man findet diese nur in den Datenblättern der Hersteller. Die Firma Evonik-Goldschmidt, Hersteller und Vertreiber von Tego® Care PS, empfiehlt eine Höchstkonzentration an lipophiler Phase von 40 Prozent, um eine stabile Emulsion zu erhalten. Dazu rechnen nicht nur die Öle und Fette, sondern auch der Emulgator und die lipophilen Konsistenzgeber. Demnach beträgt der Anteil der lipophilen Phase in der Hanfölsalbe mehr als 20 Prozent über dem Sollwert. Die Zubereitung dürfte daher instabil werden. Abhilfe würde nur eine Verkleinerung der Fettphase bringen. Auch in der vielfach diskutierten Vitamin-B12 -Salbe wurde Tego® Care PS unter Missachtung der Empfehlungen des Herstellers viel zu hoch dosiert (siehe DAZ 2009; Nr. 45, S. 54 – 58).

Beim Vereinen der hydrophilen und lipophilen Phase der Creme wird laut Empfehlung des Herstellers entweder unter Rühren die lipophile in Anteilen in die hydrophile Phase gegeben oder, zunächst ohne zu rühren, die hydrophile Phase in einem Schuss in die lipophile Phase gegossen und anschließend mit einem schnelllaufenden Rührgerät wie z. B. ESGE® Biohomogenizer (Prinzip: Ultra-Turrax) bearbeitet und homogenisiert – Unguator- und Topitec-Geräte sind hierfür nicht geeignet.

Die Geschichte hinter der Rezeptur

Wie eine Hobbythek-Wundersalbe zu dermatologischen Weihen kam


 

Zum Hintergrund der Beispielrezeptur kursiert eine Geschichte: Eines Tages erzählt eine Kräuterfrau aus Bayern in der Urologischen Abteilung der Universitätsklinik München Klinikum Großhadern von selbst zubereiteten Cremes nach Rezepturen der "Hobbythek". Bei einer "Wundersalbe" aus Hanföl horcht der Urologe auf und probiert die Laienrezeptur bei einem Hand-Fuß-Syndrom aus. Obwohl wissenschaftliche Beweise für die Wirkung nicht erbracht werden können, fordert der Urologe die Krankenhaus-Apotheke auf, genau diese Salbe herzustellen. Der Apotheker schlägt angesichts der vielen Bestandteile die Hände über dem Kopf zusammen, reduziert sie auf die wenigstens in halbwegs pharmazeutischer Qualität erhältlichen Stoffe, belässt es aber bei Unter- und Überdosierungen. Der Arzt macht die Apotheke für die galenischen Ungereimtheiten verantwortlich, aus der Apotheke dagegen heißt es, der Arzt habe es nicht anders gewollt. Schließlich veröffentlicht der Urologe gemeinsam mit einem ebenfalls bekannten Dermatologen der Universitätshautklinik München die Rezeptur unter seinem Namen in der renommierten dermatologischen Fachzeitschrift "Der Hautarzt 8 (2010)" mit der vielsagenden Bemerkung, der Wirkmechanismus der rein empirischen Salbe sei unklar.

Mikrobielle Stabilität

Die hier diskutierte hydrophile Creme bzw. O/W-Creme enthält kein Konservierungsmittel und wäre kontaminationsanfällig. Zur Konservierung kann z. B. Propylenglycol in einer Konzentration von 20 Prozent (bezogen auf die Wassermenge und einen Lactat-Puffer) eingesetzt werden.

O/W-Creme bei trockener Haut?

Außerdem erscheint die Anwendung einer hydrophilen Creme bzw. O/W-Creme bei einer trockenen bis sehr trockenen, schuppenden Haut und bei einer chronischen Hauterkrankung nahezu als Kunstfehler. Allerdings muss eingeräumt werden, dass die bekannten, negativen Eigenschaften Macrogol-haltiger O/W-Emulgatoren [2] nicht auf Zuckertensid-Emulgatoren [3] übertragbar sind. Dennoch wäre bei einer längeren Anwendung zu überlegen, auf eine lipophile Creme bzw. W/O-Creme umzusteigen. Bei extrem trockener Haut kann es günstig sein, zunächst eine hydrophile Creme bzw. O/W-Creme aufzutragen, um die Haut gründlich zu durchfeuchten. Nach dem vollkommenen Einziehen wird eine lipophile Creme bzw. W/O-Creme darüber aufgetragen, um zu verhindern, dass das Wasser zu schnell in die Atmosphäre verdunstet [4].

Hanföl

Hanföl wird durch Kaltpressung aus den Hanfkörnern gewonnen [5]. Das fette Öl hat eine hell- bis dunkelgrüne Farbe und einen nussartigen Geschmack. Es enthält einen hohen Anteil ungesättigter Fettsäuren, darunter bis zu 18 Prozent α-Linolensäure, bis zu 4 Prozent γ-Linolensäure und 50 bis 55 Prozent Linolsäure. Im Vergleich zu anderen Ölen mit einem ähnlichen Fettmuster besitzt es eine gute Temperaturstabilität. Es darf nicht mit dem rötlichen Hanföl verwechselt werden, das aus den weiblichen Blütenständen von Cannabis gewonnen wird und Cannabinoide enthält. Die Kombination von Omega-3- und Omega-6-Fettsäuren im Hanföl lässt es besonders zur Behandlung und Pflege bei Neurodermitis und allergischen Hauterkrankungen geeignet erscheinen. Fette Öle mit ungesättigten Fettsäuren sind oxidationsempfindlich und sollten daher z. B. mit 0,05 Prozent Butylhydroxytoluol (BHT) oder 0,1 Prozent α-Tocopherol (nicht -acetat!) als Antioxidans versehen werden.

Aufgrund des schon erwähnten viel zu hohen Lipidanteils sollte die Menge an Hanföl entsprechend reduziert werden.

Unterdosierte Inhaltsstoffe

Als Fluidlecithin CM wurden in der "Hobbythek" die Produkte Phosal® 50 F der Firma Nattermann und Epikuron® 135 F der Firma Lucas Meyer bezeichnet [6]. Sie bestehen aus 35 Prozent Cholinphospholipid, 15 Prozent anderen Phospholipidarten und 50 Prozent Sojaöl. Fluidlecithin CM ist eine braune, sirupöse Flüssigkeit mit einem nuss- oder getreideartigen Geruch, es kann als O/W-Emulgator oder Überfettungsmittel in kosmetischen Cremes oder als Rückfetter in Waschcremes und Shampoos bei trockener und empfindlicher Haut dienen. Die Normkonzentration als Überfetter beträgt 2 Prozent, äußerst selten 1 Prozent. Es ist daher in dieser Rezeptur erheblich unterdosiert, sodass ein Effekt bezweifelt werden kann.

Dexpanthenol wird in vivo zu Pantothensäure oxidiert und zählt zum Vitamin-B-Komplex [7]. Durch verschiedene Effekte verbessert es die Barrierefunktion der Haut und fördert die Wundheilung. Als wirksame Konzentrationen gelten in der Kosmetik 2,5 Prozent, im medizinischen Bereich 5 Prozent, die Beispielrezeptur enthält aber nur 0,8 Prozent.

Die Moisturizer-Eigenschaften von Harnstoff wurden bereits ausführlich dargestellt (siehe DAZ 2010, Nr. 30 ) und DAZ 34. Effektive Wirkkonzentrationen liegen zwischen 3 und 10 Prozent, die Beispielrezeptur enthält aber nur 0,4 Prozent. Zudem fehlen Maßnahmen zum Schutz des Harnstoffs vor Zersetzung im wässrigen Milieu.

Ausführliche Tabellen als Hilfsmittel für das Erkennen und Lösen von Rezepturproblemen finden Sie auf DAZ.online unter DAZ.plus/Dokumente. Grundsätzliche Hinweise zum Umgang mit den Tabellen und ein weiteres Rezepturbeispiel finden Sie in der Ergänzungen dazu ebenfalls bei DAZ.online.

Die Aloe-Pflanze galt über Jahrtausende als Allheilmittel. Das Gel befindet sich im Inneren der succulenten Blätter und stellt den Hauptbestandteil des Blattparenchyms dar. Es ist photoinstabil, enthält viel Wasser und Kohlenhydrate und muss speziell aufgereinigt werden. Die Moisturizer-Wirkung beruht auf den verschiedenen Zuckern, die entzündungshemmende und heilende Wirkung auf einer Erhöhung der Bradykininase-Aktivität bzw. auf dem Abbau von Entzündungsmediatoren. Die in kosmetischen Präparationen empfohlene Konzentration beträgt 5 bis 10 Prozent. In der Beispielrezeptur ist Aloe vera daher mit 2 Prozent ebenfalls unterdosiert.

Problematische Parfümierung

Lavendelöl dient in der Kosmetik als Geruchskorrigens. Bei einer empfindlichen und trockenen Haut sollten jedoch ätherische Öle grundsätzlich nicht zum Einsatz kommen, da sie reizend und allergisierend wirken können. Da die Rezeptur offenbar zur Pflege einer trockenen, eventuell schuppenden und damit empfindlichen Haut dient, sollte von einer Parfümierung abgesehen werden.

Optimierung

Damit ergeben sich folgende Überlegungen für eine Optimierung der Rezeptur:

  • Die lipophile Phase sollte auf höchstens 40% zurückgeführt werden.
  • Die Emulgator-Konzentration sollte auf 2 bis 4 Prozent reduziert werden.
  • Die unterdosierten Bestandteile sollten auf eine Normalkonzentration angehoben werden.
  • Der Harnstoff sollte mit einem Lactat-Puffer geschützt werden.
  • Das Hanföl sollte mit einem Antioxidans geschützt werden.

So ergibt sich folgende optimierte Rezeptur:

Rp. (optimiert)

 

 

 

 

  • Gebleichtes Wachs 3,0 g

 

 

  • Sheabutter 3,5 g

 

 

  • Emulsan II 3,0 g

 

 

  • Hanföl 28,0 g

 

 

  • Butylhydroxytoluol (BHT) 0,05 g

 

 

  • Fluidlecithin CM 2,0 g

 

 

  • Dexpanthenol 5,0 g

 

 

  • Harnstoff 5,0 g

 

 

  • Milchsäure 1,0 g

 

 

  • Natriumlactat-Lösung 50% 4,0 g

 

 

  • Propylenglycol 10,1 g

 

 

  • Aloe-vera-Konzentrat, 10-fach 0,5 g

 

 

  • Gereinigtes Wasserad 100,0 g

 

Aufbrauchfrist: 6 Monate (Tube)

Autor

 

Dr. rer. nat. Gerd Wolf

 

Fachapotheker für Offizinpharmazie

 

Robert-Koch-Apotheke

 

Fauviller Ring 1

 

53501 Grafschaft-Ringen

 

Fax: (0 26 41) 75 76 20

 

E-Mail: robert-koch-apotheke@pharma-online.de

 


Literatur [1] Raab W, Kindl U.: Pflegekosmetik. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart 2004, 217 [2] Wohlrab J, Klapperstück T, Reinhardt, HW, Albrecht M: Interaction of Epicutaneously Applied Lipids with Stratum Corneum Depends on the Presence of either Emulsifiers or Hydrogenated Phosphatidylcholine, Skin Pharmacol Physiol.2010; 23:298 – 305 [3] Kutz G, Biehl P, Waldmann-Laue M, Jackwerth B: On the choice of Oil-in-Water-Emulsifiers for Use in Skin Care Products for Sensitive Skin, SÖFW-Journal 1997; 123:145 – 150 [4] Siemer E, Elmahdi K: Empfindliche Haut: Probleme – Pflege – Beratung. Ph. Ztg. 1987: 132: 2135 – 2141 [5] Raab W, Kindl U: Pflegekosmetik, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart, 2004: 215 [6] Burczyk A, Burczyk F: Kosmetik-Lexikon – Nutzen und Risiken kosmetischer Grund- und Inhaltsstoffe, Ehrenwirth Verlag München 1989; 59 [7] Gloor M, Thoma K, Fluhr J: Dermatologische Externatherapie, Springer Verlag Berlin Heidelberg 2000; 429

Rezepturprobleme erkennen und lösen


In der DAZ 30/2010 hatte Dr. Gerd Wolf ein praxisorientiertes Konzept zum Erkennen und Lösen von Rezepturproblemen vorgestellt und die Anwendung an einem Beispiel erläutert. Die Vorgehensweise wird in weiteren Beiträgen vertieft. Bislang sind erschienen:

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