DAZ aktuell

Apothekenfragen spielen keine Rolle

BERLIN (lk). Ausführlich beschäftigten sich die Grünen auf ihrem Karlsruher Parteitag mit dem Thema Gesundheit. Auf 15 Seiten schrieben sie den Beschluss "Zugang, Teilhabe, Prävention: Grüne Gesundheitspolitik erhält und stärkt die Solidarität" nieder. Aber – kein Wort darin über die Apotheken. Was bedeutet das? Hat sich etwa etwas geändert an der Buhmann-Rolle der Apotheken in der Grünen Programmatik? Ist möglicherweise sogar eine Abkehr von der starren Haltung zum Fremd- und Mehrbesitzverbot in Sicht? Die DAZ hakte nach:

Fehlanzeige, lautete die Antwort aus dem Büro der gesundheitspolitischen Sprecherin der Bundestagsfraktion der Grünen, Birgitt Bender: "Es bleibt alles beim Alten." Die Grünen wollen das Fremd- und Mehrbesitzverbot weiterhin abschaffen, den Apothekenmarkt dem uneingeschränkten Wettbewerb aussetzen.

Für Besserverdienende wird es teurer

Präzisiert haben die Grünen in Karlsruhe dafür ihre Vorstellungen zur Bürgerversicherung. Vor allem für Besserverdienende wird das Grünen-Modell deutlich teurer: Um circa 70 Euro steigen würde der monatliche Höchstbeitrag zur Krankenversicherung für Bezieher von Monatseinkommen von 5500 Euro und mehr.

Härter noch treffen wird die Grüne Bürgerversicherung Paare: Denn die kostenfreie Familienmitversicherung wollen die Grünen abschaffen. Für ein Alleinverdienerpaar mit einem Jahreseinkommen von 132.000 Euro würde sich der monatliche Kassenbeitrag glatt verdoppeln: von 357 auf 714 Euro. "Der Familienausgleich in der GKV ist in seiner heutigen Ausgestaltung ein sozialrechtlicher Anachronismus", heißt es im Grünen-Beschluss. Bei der Beitragsermittlung würden gut verdienende Einverdienerpaare gegenüber Doppelverdienerpaaren bevorzugt. Das wollen die Grünen abschaffen und ein Beitragssplitting einführen. Dabei werde das beitragspflichtige Haushaltseinkommen halbiert und auf beide Teile bis zur Beitragsbemessungsgrenze der Krankenversicherungsbeitrag erhoben: "Die Beitragsprivilegien gut verdienender Einverdienerpaare entfallen." Mit einer befristeten Ausnahme: Ausgenommen vom Beitragssplitting werden sollen Paare für einen eng begrenzten Zeitraum, wenn ein Ehegatte oder Lebenspartner viel Zeit für die Erziehung von Kindern, die Betreuung von Menschen mit Behinderung oder die Pflege von Angehörigen aufwendet und deshalb nicht erwerbstätig ist. Bei der Kindererziehung soll die Befreiung vom Splitting bis zum Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz gelten. Bei der Angehörigenpflege soll die Befreiung bei einem wöchentlichen Pflegeaufwand von wenigstens 14 Stunden greifen.

Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze

Einen Dämpfer erhielt bei der Gesundheitsdebatte der realpolitischen Flügel. Der hatte sich für eine niedrigere Beitragsbemessungsgrenze stark gemacht. Doch die Mehrheit der Basis beschloss eine starke Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze auf 5500 Euro. Außerdem sollen Beiträge zur Krankenkasse künftig auch auf Mieten, Kapitaleinkünfte und Gewinne erhoben werden. Die Privatversicherung soll abgeschafft werden.

Realpolitiker wie Fraktionsvize Fritz Kuhn sowie die Gesundheitsexpertin Birgitt Bender hatten vor einer höheren Grenze gewarnt. Kuhn hatte sich in engagierter Debatte für die Erhöhung der Grenze von derzeit 3750 Euro auf lediglich 4162 Euro stark gemacht. "Wir sollten auf dem Teppich bleiben", mahnte Kuhn. Eine hohe Grenze bedeute, dass die Bürgerversicherung auf größeren Widerstand von Lobbyisten stoßen werde und die Umsetzung dadurch scheitern könne.

Bender zufolge bedeutet die Grenze von 5500 Euro, dass mehr als acht Millionen Versicherte zunächst mehr zahlen müssten. "Ich würde es bevorzugen, wenn wir nicht so stark in die Tasten greifen", sagte die gesundheitspolitische Sprecherin. Im Vorfeld des Parteitages hatte sich auch Renate Künast, Grüne Spitzenkandidatin für die Senatswahlen im Herbst 2011 in Berlin für eine niedrigere Bemessungsgrenze ausgesprochen.

Wichtig: Kontrolle über die Arzneimittelpreise

Neben den Themen Prävention, Abbau der Grenzen zwischen ambulanter und stationärer Versorgung sowie Stärkung der Patientenrechte beschäftigten sich die Grünen in einem eigenen Kapitel mit dem Arzneimittelmarkt. Aber auch hier tauchen die Apotheken mit keinem Wort auf. Wichtig ist den Grünen vor allem die Kontrolle über die Arzneimittelpreise. Die freie Preisbildung bei der Markteinführung neuer Arzneimittel durch die Hersteller wollen die Grünen abschaffen. Auch für bereits auf dem Markt befindliche Medikamente soll eine Nutzenbewertung stattfinden. In Deutschland kosteten viele Arzneimittel deutlich mehr als in anderen europäischen Ländern, da die Pharmaindustrie bei patentgeschützten Medikamenten die Preise frei festlegen könne. Jedes neu zugelassene Medikament müsse von der Krankenkasse bezahlt werden. "Dies führt dazu, dass massiven Preissteigerungen sehr oft kein (Zusatz)Nutzen gegenüber steht", heißt es im Beschluss. Profiteure seien die Pharmaindustrie und deren Gewinnmargen. Die Versicherten hätten das Nachsehen.

"Wir Grünen wollen das in Europa einmalige Privileg der freien Preisfestsetzung durch die Pharmaindustrie abschaffen und bei der Preisfestlegung den Nutzen für die PatientInnen und die damit verbundenen Kosten berücksichtigen", fordern die Grünen. Dazu sollen die Preise auf der Basis einer ersten Nutzenbewertung sofort zwischen Herstellern und Kassen verhandelt werden. Ein später als überhöht erwiesener Preis müsse zu Rückzahlungen an die Krankenkassen führen. Die Schnellbewertung des Nutzens von Arzneimitteln müsse standardisiert, transparent und von unabhängiger Seite, dem Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen, erstellt werden.

Nutzenbewertung unter Alltagsbedingungen

Auch für wichtige, bereits auf dem Markt befindliche Arzneimittel sei eine Bewertung vorzunehmen. Eine ausführliche Bewertung von Nutzen und Kosten sollte nach den Ergebnissen der Versorgungsforschung unter Alltagsbedingungen erfolgen. "Mit der Positivliste wollen wir ein Steuerungsinstrument einführen, das für mehr Transparenz sorgt und die Qualität der Behandlung verbessert. Ziel ist, dass die PatientInnen die Medikamente mit erwiesenem (Zusatz)Nutzen erhalten und nicht unnötig Geld für teure, aber nicht bessere Arzneimittel ausgegeben wird", heißt es wörtlich.

Eine tragfähige Bewertung des Nutzens und der Kosten setze voraus, dass alle Informationen zu diesem Medikament einbezogen werden und nicht, wie bisher, unliebsame Studienergebnisse in den Schubladen verschwänden. Pharmaunternehmen sollten verpflichtet werden, alle Arzneimittelstudien registrieren zu lassen und deren Resultate zu veröffentlichen.

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