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Feuilleton
200 Jahre Museum für Naturkunde in Berlin
"Theatrum Naturae" betitelte der Nürnberger Arzt und Humanist Michael Rötenbeck (1568 – 1623) ein Konvolut mit 675 kolorierten Zeichnungen von Tieren, Pflanzen und Steinen, nachdem er es 1615 hatte binden lassen. Der Augsburger Kupferstecher Wolfgang Kilian entwarf für das Unikat ein Titelblatt, auf dem ein Portal abgebildet ist. An den Seiten stehen Salomon und der Perserkönig Kyros. Als Repräsentanten der Weisheit lenken sie den Blick auf eine Landschaft mit exotischen Pflanzen und Tieren. Rötenbeck erklärt in einer handschriftlichen Vorrede: Theater der Natur, "weil darin, wie in einem offenen Schauplatz, mancherlei Kreaturen Gottes jedermann gleichsam lebendig vor Augen gestellt werden . . . und die Betrachter und Liebhaber der Kunst angereizt werden sollen, Gott an seinen Wunderwerken zu erkennen und ihn auch weiterhin umso mehr zu loben und zu preisen".
Die meisten Blätter zeichnete Rötenbecks Onkel Lazarus Röting (1549 – 1614), der ebenfalls in Nürnberg zur Welt gekommen war und aufgrund einer starken Körperbehinderung sehr zurückgezogen lebte. Der Vater unterrichtete ihn in Wissenschaften und Sprachen. Röting entwickelte aber auch ein bemerkenswertes Talent im Zeichnen. Neben Abbildungen von exotischen Tieren fertigte der Autodidakt 321 Blätter mit Naturstudien aus seiner Heimat an, die der modernen Wissenschaft einen Überblick über die Nürnberger Fauna um 1600 gewähren.
Über 200 Jahre blieb das "Theatrum Naturae" ein streng gehüteter Familienschatz. Erst 1821 machte der Berliner Arzt Johann Carl Heinrich Meyer es einem größeren Personenkreis zugänglich, und 1906 gelangte es schließlich in den Besitz des Zoologischen Museums.
"Theatrum Naturae"Das "Theatrum Naturae" ist digitalisiert: www.sammlungen.hu-berlin.de/dokumente, suche "Rötenbeck" |
Aus drei mach eins
Als 1810 die Berliner Universität gegründet wurde, gab es in Berlin drei bedeutende naturhistorische Museen:
Das Anatomisch-Zootomische Museum war in erster Linie eine Forschungsstätte, die durch das Wirken der Mediziner und Zoologen Karl Asmund Rudolphi (1771 – 1832) und Johannes Müller (1801 – 1858) weltweit berühmt wurde.
Das Zoologische Museum verdankte seine Existenz dem Engagement des Grafen Johann Centurius v. Hoffmannsegg (1766 – 1849). Der Botaniker, Entomologe und Ornithologe war einer von vielen Privatgelehrten, die um 1800 in der preußischen Hauptstadt lebten. Begleitet von seinem Kammerdiener Friedrich Wilhelm Sieber und dem Botaniker Heinrich Friedrich Link, unternahm er eine Reise nach Portugal mit großer wissenschaftlicher Ausbeute. Als v. Hoffmannsegg darauf mit der Planung und Gründung eines Zoologischen Museums beauftragt wurde, schickte er Sieber 1803 mit detaillierten Instruktionen auf eine achtjährige Reise nach Brasilien, wo dieser in der Provinz Pará Säugetiere, Vögel, Insekten und Pflanzen fing oder sammelte und nach Berlin sandte.
Das Mineralogische Museum war aus dem Königlichen Mineralienkabinett hervorgegangen. Carl Abraham Gerhard (1738 – 1821), der erste Direktor der 1770 gegründeten Berliner Bergakademie, hatte eine Lehrsammlung mit 4000 Mineralien aufgebaut, die seine Nachfolger erweiterte. Nach 1790 entwickelte sich das Kabinett – unter anderem dank einer Schenkung von Zar Alexander I. (1777 – 1825) – schnell zur größten und wichtigsten mineralogischen Sammlung Preußens.
Diese drei Museen wurden 1810 zum Zoologischen Museum vereinigt, das Unter den Linden im Hauptgebäude der Universität eingerichtet wurde.
Ein Walross versperrte den Weg
Alexander von Humboldt (1769 – 1859), dessen Sammlungen aus Süd- und Mittelamerika teilweise in den Besitz des Museums übergingen, stachelte den Ehrgeiz der Wissenschaftler an, ebenfalls nach Übersee zu reisen, um die Geheimnisse der Erde zu erforschen. So gelangten viele Objekte aus Südamerika, Afrika und Asien in die Sammlungen der Berliner Universität und füllten Mitte des 19. Jahrhunderts bereits zwei Drittel des Hauptgebäudes, inklusive Kellern und Dachböden, während Wissenschaftler und Studenten immer enger zusammenrücken mussten. Als 1869 im Vestibül der Aula ein frisch präpariertes Walross den Durchgang versperrte, platzte dem Rektor der Kragen. Mit Unterstützung des Senats beantragte er die Verlegung der Sammlungen.
Challenger und Valdivia: Beginn der Ozeanografie
Ein neues Domizil für die Sammlungen wurde erst nach der Reichsgründung (1871) geplant. Der Architekt August Tiede (1834 – 1911) entwarf für das Gelände der ehemaligen königlichen Eisengießerei an der heutigen Invalidenstraße ein dreiteiliges Gebäude-Ensemble, darunter den Bau für das Zoologische Museum, das am 3. Dezember 1889 durch Kaiser Wilhelm II. eröffnet wurde. Damit wurde ein Teil der Sammlungen für ein breites Publikum zugänglich, u. a. auch für Schulklassen. Weil Deutschland mittlerweile Kolonialmacht in Afrika und Ozeanien war, gelangten fortan noch mehr Objekte aus Übersee in die Berliner Sammlungen.
In der mineralogischen Sammlung waren ursprünglich alle geowissenschaftlichen Teildisziplinen zusammengefasst. Ab 1873 gab es zwei gleichberechtigte Direktoren mit den Schwerpunkten Mineralogie bzw. Paläontologie. Nach dem Umzug in die Invalidenstraße wurde Carl Klein (1824 – 1907) Direktor des Mineralogisch-Petrographischen Instituts und Sammlung. Das Geologisch-Paläontologische Institut und Sammlung leitete Ernst Beyrich (1815 – 1896), der gleichzeitig zum 2. Direktor der Königlich-Preußischen Geologischen Landesanstalt im Nachbargebäude ernannt wurde.
Der technische Fortschritt wirkte sich auch auf die Expeditionen aus, die nun auch tief unter den Meeresspiegel führten. So wurde die bisherige Annahme, dass in den Tiefen der Ozeane keine oder nur wenige Lebewesen existieren, widerlegt. Mitte der 1880er Jahre begründeten britische Forscher mit der Challenger-Expedition die neue Wissenschaft der Ozeanografie.
Die deutsche Antwort war die Valdivia-Expedition: Im Sommer 1898 stach von Hamburg aus die "Valdivia" mit einem interdisziplinären Team unter der Leitung des Leipziger Zoologen und Tiefseeforschers Carl Friedrich Chun (1852 – 1914) in See. Die botanischen, zoologischen und ozeanografischen Funde und Beobachtungen im Atlantischen und Indischen Ozean werteten später über 70 Wissenschaftler in jahrzehntelanger Arbeit aus.
Fossile Wirbeltiere aus Südafrika
Einer der spektakulärsten Funde waren Bruchstücke des gigantischen Glasschwamms Monorhaphis chunii , die einem Tier zur Verankerung im Meeresboden gedient hatte. Hochrechnungen zufolge muss der durchsichtige, 1 cm dicke Stab drei Meter lang gewesen sein. Auch viele andere bis dahin unbekannte maritime Tiere und Pflanzen wurden geborgen; ihre Präparate haben den Rang von Typus-Exemplaren, weil sie die Grundlage für die Erstbeschreibung der jeweiligen Spezies waren.
1912 förderten Berliner Wissenschaftler bei Grabungen am Berg Tendaguru im heutigen Tansania über 3000 Fossilien zutage, darunter Knochen des Brachiosaurus brancai. 1937 wurde aus Originalteilen und Ergänzungen ein Skelett der Riesenechse rekonstruiert und im Lichthof ausgestellt. Es wurde vor einigen Jahren durch ein nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen rekonstruiertes Skelett ersetzt und lockt nun wieder Scharen von Besuchern in das Museum.
An den Grabungen am Tendaguru waren auch der Paläontologe Werner Ernst Martin Janensch (1878 – 1969) und der Vulkanologe Hans Reck (1886 – 1937) beteiligt gewesen. Ein weiteres Verdienst dieser beiden renommierten Wissenschaftler ist die Bestimmung von fossilen Wirbeltieren, die im heutigen Südafrika kurz vor und nach dem Massenaussterben vor rund 250 Millionen Jahren gelebt haben. Heute wird angenommen, dass während des Übergangs vom Erdaltertum zum Erdmittelalter 90 Prozent aller Lebewesen von der Erde verschwanden.
Ende der 1930er Jahre sammelte der Zoologe Ernst Schäfer (1910 – 1992) auf einer Tibet-Expedition 3520 Vögel, 403 Säugetiere und Tausende Insekten. Heute sind einige Dermoplastiken aus seiner Ausbeute im Huftiersaal des Museums zu sehen. Erwin F. T. Stresemann (1889 – 1972), ab 1924 Kustos des Zoologischen Museums Berlin, machte sich als herausragender Ornithologe einen Namen. 1925 holte er den ornithologisch interessierten Medizinstudenten Ernst Walter Mayr (1904 – 2005) von Greifswald nach Berlin. Nach der Promotion unternahm Mayr von 1926 bis 1928 eine Forschungsreise nach Neuguinea und den Salomon-Inseln. 1931 ging er in die USA, wo er in seinem Buch "Systematics and the Origin of Species", 1942, den Artbegriff neu definierte. Viel beachtet war sein Spätwerk "Eine neue Philosophie der Biologie", 1991.
Experimente an Wasserfröschen
Anfang Februar 1945 wurde das Museum durch Bomben schwer beschädigt. Der Ostflügel stürzte bis in den Keller ein und blieb bis in die jüngste Vergangenheit "die letzte Ruine Berlins". Im übrigen Gebäude wurde schon am 16. September 1945 ein Teil der Ausstellungen wieder für das Publikum geöffnet. Während mit dem Ostflügel unersetzliche Sammlungsstücke verloren gingen, kehrte 1950 nach langwierigen und mühseligen Recherchen eine wertvolle Sammlung von Brachiopoden (muschelähnliche Meerestiere), die der zuständige Kustos bei Kriegsausbruch in einer Scheune im Westhavelland vergraben hatte, wieder zurück ins Museum.
In der DDR-Zeit waren evolutionsbiologische Untersuchungen zur Artbildung ein Forschungsschwerpunkt. Zum Beispiel führten Berliner Wissenschaftler in Kooperation mit polnischen Kollegen Kreuzungsexperimente an heimischen Wasserfröschen (Pelophylax spp., früher Rana spp.) durch. Diese treten in drei Formen auf, die sich allerdings deutlich in Habitus, Verhalten und Ökologie unterscheiden. Die Studie ergab, dass der Teichfrosch (P. esculentus) keine Art im klassischen Sinn, sondern ein Bastard zwischen Seefrosch (P. ridibundus) und Kleinem Wasserfrosch (P. lessonae) ist. Bastarde sind in der Regel unfruchtbar. Der Teichfrosch bildet indessen große Populationen, in denen lange Zeit nur diese Form vorkommt.
Nasspräparate
Seit dem 1. Januar 2009 ist das Museum eine Stiftung des Öffentlichen Rechts und ein Institut der Wissenschaftsgemeinschaft Gottfried Wilhelm Leibniz. Aktuelle Forschungsthemen sind die Evolution verschiedener Tiergruppen, die Biodiversität in heutigen Lebensräumen, Zoodiversität im Wandel von Umwelt und Landnutzung – unter anderem im südlichen Afrika – sowie Biogeografie, Paläoökologie, die frühe Entwicklung von Sonnensystemen sowie der Aufprall von Asteroiden auf die Erde und deren Auswirkung auf die Erdkruste und die Biosphäre.
Der neu errichtete Ostflügel beherbergt die "zoologische Nasssammlung", mit Alkohol gefüllte Gläser, in denen Fische, Reptilien und anderes Getier aufbewahrt werden.
Reinhard Wylegalla
MuseumMuseum für Naturkunde Invalidenstraße 43, 10115 Berlin Tel. (030) 2093-8591, Fax -8561 www.naturkundemuseum-berlin.de Geöffnet: |
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