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Pädiatrische Prüfkonzepte: Wie geht‘s voran?

BONN (hb). Mit einer weiteren Dialogveranstaltung haben das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) in Bonn und das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) in Langen ihren erfolgreichen Informations- und Meinungsaustausch mit Vertretern der pharmazeutischen Industrie und deren Verbänden am 2. Februar 2010 in Bonn fortgesetzt. Im Mittelpunkt stand dieses Mal die Umsetzung der Anforderungen an die Zulassung von Arzneimitteln für Kinder und Jugendliche.

Einer Studie der Europäischen Kommission zufolge fehlt bei 50% der bei Kindern und Jugendlichen verabreichten Arzneimittel noch immer eine speziell auf diese Population beziehungsweise auf die jeweilige Indikation ausgerichtete Zulassung. Am häufigsten ist der Off-Label-Use Einzelerhebungen zufolge auf Intensivstationen und in der Neonatologie (bis zu 80%).

Drei Jahre Erfahrungen mit VO über Kinderarzneimittel

Im Januar 2007 wurde aus diesem Grund die europäische Verordnung über Kinderarzneimittel ((EG) Nr. 1901/2006) in Kraft gesetzt. Sie hat insgesamt zum Ziel, die Entwicklung und die Zugänglichkeit von Arzneimitteln zur Verwendung bei der pädiatrischen Bevölkerungsgruppe zu erleichtern und diese auf eine solide wissenschaftliche Basis zu stellen. Die Verordnung beinhaltet ein weitreichendes Paket von Maßnahmen, mit denen zum einen das vorhandene Wissen über die Anwendung von Arzneimitteln an Kindern konsequent aufgearbeitet und zum anderen sichergestellt werden soll, dass die Zielgruppe Kinder und Jugendliche obligatorisch in jedes klinische Entwicklungskonzept für einen neuen Wirkstoff mit eingeschlossen wird. Pädiatrische Studien mit bekannten Stoffen werden im Falle einer ergänzenden Genehmigung für die pädiatrische Verwendung (Paediatric Use Marketing Authorisation, PUMA), mit einem zehnjährigen Unterlagenschutz vor Zweitverwertung belohnt.

Nicht alles wird an Kindern erprobt

Schnelle Erfolge sind durch die neuen Anforderungen allerdings nicht zu erwarten. Von rund 700 vorliegenden Anträgen, die von einem speziellen Pädiatrieausschuss bei der europäischen Arzneimittelagentur EMA (Paediatric Committee, PDCO) in hochkomplexen Verfahren sowohl wissenschaftlich als auch ethisch bewertet werden, sind derzeit ca. 390 bearbeitet. Die Anträge erstrecken sich schwerpunktmäßig auf die Bereiche Onkologie, Neurologie, Pulmologie, Kardiologie sowie Immunologie/Impfstoffe und betreffen nicht nur die Genehmigung Pädiatrischer Prüfkonzepte (PIPs) an sich, sondern evtl. auch deren Zurückstellung oder die Freistellung davon.

Eine Rückstellung der Prüfung an Kindern kann beantragt werden, wenn abzusehen ist, dass die Erprobung die Zulassung des Wirkstoffs für andere Altersgruppen verzögert oder wenn vor den Kinderstudien Studien an Erwachsenen notwendig sind. Eine Einzelfreistellung (waiver) oder eine Freistellung der gesamten Wirkstoffgruppe (class-waiver) von der Verpflichtung der klinischen Prüfung an Kindern kann erfolgen, wenn eine Krankheit bei diesen gar nicht auftritt, das Arzneimittel bei Kindern wahrscheinlich unwirksam oder bedenklich ist oder wenn kein signifikanter therapeutischer Nutzen gegenüber bestehenden pädiatrischen Behandlungen zu erwarten ist.

Prüfkonzepte dauern teilweise sehr lange

Die Abarbeitung eines genehmigten Prüfkonzepte wird von den Zulassungsbehörden streng und engmaschig überwacht (PIP-Compliance). Die Behördenvertreter rechnen mit 20 bis 30 abgeschlossenen Konzepten pro Jahr. Während die ersten bereits erledigt sind, umfassen andere z. T. sehr lange Zeiträume von mehr als zwanzig Jahren. So kann es durchaus sein, dass eine entsprechende Indikation je nach stufenweisem Abschluss eines Studienkonzeptes erst sukzessive für die einzelnen Altersgruppen Frühgeborene, Neugeborene, Säuglinge/Kleinkinder, Kinder und Jugendliche zur Verfügung steht.

Mehr Flexibilität bei der Umsetzung der Konzepte

Die Umsetzung der europäischen Verordnung über Kinderarzneimittel konfrontiert nicht nur die Behörden, sondern auch die Industrie mit neuen wissenschaftlichen und letztere vor allem finanziellen Herausforderungen. Allgemein beschrieben die Industrievertreter die Unterstützung durch die Zulassungsbehörden und die Diskussionen mit der PDCO bei der Dialogveranstaltung zwar als positiv, jedoch wurde auch von einem immensen Aufwand an zusätzlichen Entwicklungskosten berichtet, der so manche Neuentwicklung sogar insgesamt stoppen könnte. Darüber hinaus scheint die Verpflichtung der Vorlage des pädiatrischen Prüfkonzeptes in einer recht frühen Phase der Entwicklung eines neuen Arzneimittels häufige Überarbeitungen und damit unnötige Zeitverzögerungen und höhere Kosten zu provozieren. So könnten flexiblere behördliche Entscheidungen nach Einschätzung der Pharmaunternehmen durchaus dazu beitragen, die Entwicklung von Kinder-Arzneimitteln insgesamt zu beschleunigen.

Auch vorhandenes Wissen nutzen

Hinsichtlich der Aufbereitung des aus früheren Zeiten vorhandenen Wissens für bekannte Stoffe wird laut Auskunft der Behörden in "Wellen" mit 25 bis 30 Arzneimitteln gearbeitet, wobei zunächst mit chemisch definierten Wirkstoffen begonnen wurde. In knapp zwanzig Fällen war die wissenschaftliche Evidenz so überzeugend, dass in den Anwendungsempfehlungen für die entsprechenden Arzneimittel bereits ergänzende Hinweise für die Einsatz bei Kindern gemacht werden konnten. Für die Aufbereitung und Bewertung der gesamten für Kinder vorhandenen klinischen Daten veranschlagen die Behörden allerdings nicht weniger als zwei bis drei Jahrzehnte.

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