Wirtschaft

Mehrere gesetzliche Krankenkassen in finanziellen Schwierigkeiten

Gesundheitsfonds und Zusatzbeiträge machen sich negativ bemerkbar

WÜRZBURG (leo). Während die Träger der gesetzlichen Renten- und Unfallversicherung derzeit nicht für "Schlagzeilen" im Hinblick auf ihre Finanzen sorgen, lässt sich dies von den gesetzlichen Krankenkassen nicht behaupten. Immer deutlicher zeigen sich die Auswirkungen des Gesundheitsfonds, den der Gesetzgeber zum 1. Januar 2009 eingeführt hat und der seit Jahresbeginn 2011 die Erhebung von nach oben unbegrenzt hohen Zusatzbeiträgen beinhaltet. Derzeit erheben 13 Krankenkassen mit über zehn Millionen Mitgliedern einen solchen Obolus bis maximal 15 Euro monatlich.

Nach dem "Bankrott" der City Betriebskrankenkasse (BKK) mit 168.000 Mitgliedern, die vom Bundesversicherungsamt (BVA) als der zuständigen Aufsichtsbehörde ab 1. Juli 2011 wegen Mitgliederschwunds und einer finanziellen Schieflage geschlossen wurde und die auf Dauer nicht mehr überlebensfähig gewesen wäre, stellt sich die Situation für drei weitere Krankenkassen zunehmend bedrohlich dar.

Die BKK für Heilberufe ist finanziell angeschlagen

Die BKK für Heilberufe in Düsseldorf (127.000 Mitglieder) hat als zweite gesetzliche Krankenkasse nach der City BKK die Gefahr einer Insolvenz beim BVA mit möglichen Schließungskosten von 31 Millionen Euro angemeldet. Sie geht davon aus, dass im Jahresverlauf Zahlungsschwierigkeiten entstehen könnten, weil die aus dem Gesundheitsfonds zugeteilten Gelder nicht ausreichen dürften, um die anfallenden Kosten zu decken. Schon in der Vergangenheit hatte die Krankenkasse von der BKK-Gemeinschaft ein Darlehen von 48 Millionen Euro erhalten. Damit konfrontiert wird ausgerechnet der Versicherungsträger, bei dem vor allem Ärzte, Pfleger, Arzthelferinnen und Krankenschwestern Versicherungsschutz genießen.

Von den rund 86.000 Mitgliedern der Krankenkasse sind etwa zwei Drittel junge Frauen, die häufig – etwa in der Schwangerschaft, der Mutterschaft oder weil sie um gute Gesundheit Bescheid wissen – , zum Arzt gehen. Die hohen Kosten für ärztliche Behandlung, Krankenhauspflege und Arzneimittel vermag die BKK derzeit nur mithilfe eines Zusatzbeitrages zu decken. Die "Kehrseite" der Medaille" ist nicht zu übersehen: Viele Mitglieder haben inzwischen die Krankenkasse verlassen, was die finanzielle Situation weiter verschärft hat.

Wenn auch die BKK für Heilberufe die finanzielle Situation nicht so aussichtslos sieht wie es bei der City BKK der Fall ist, so dürfte es doch schwierig werden, einen Fusionspartner zu finden. Zwar haben mehrere BKK bisher Interesse daran bekundet. Aber ab einer bestimmten Kassengröße gestaltet sich eine Fusion schwierig und ist finanziell für andere Krankenkassen nicht ohne Weiteres zu verkraften. Insider weisen darauf hin, dass in Zukunft weitere Krankenkassen an den Rand einer Insolvenz kommen könnten. Konkrete Zahlen dazu wollte ein BVA-Sprecher nicht nennen, zumal es auch schwer abzuschätzen ist, wie sich die finanziellen Probleme der gegenwärtig noch 155 gesetzlichen Krankenkassen im Einzelfall darstellen.

Deutsche BKK und Vereinigte IKK mit Mitgliederverlusten

Auch die Deutsche BKK mit Sitz in Wolfsburg ist finanziell angeschlagen. Die Krankenkasse hat seit Januar 2011 rund 140.000 ihrer zuvor fast eine Million Mitglieder verloren. Sie haben der Krankenkasse wegen des Zusatzbeitrages von acht Euro monatlich "den Rücken gekehrt". Dabei handelte es sich vor allem um junge, gesunde Versicherte. Eine BKK-Sprecherin sagte, man suche derzeit nach Wegen und Möglichkeiten, wie sich Kosten einsparen ließen. Ziel sei es auch, Entlassungen beim Personal zu vermeiden.

Bei der Vereinigten Innungskrankenkasse (IKK) mit Sitz in Düsseldorf werden die finanziellen Sorgen ebenfalls größer. Die Krankenkasse ist mit 1,6 Millionen Versicherten die zweitgrößte IKK in Deutschland und zählt zu den "Top 15" in der deutschen Krankenkassen-Landschaft. Wenn auch die Krankenkasse nach eigenen Angaben "über ausreichend Liquidität verfügt und handlungsfähig ist", will sie doch den übrigen sechs IKK in der Bundesrepublik ein Sanierungskonzept vorlegen. Davon soll es abhängen, ob diese der Vereinigten IKK mit einer Kapitalspritze helfen. Nach den Worten eines Sprechers der IKK Classic, der größten IKK in Deutschland, ist die Bereitschaft dafür zwar vorhanden. Allerdings müsse gewährleistet sein, dass das Konzept der Vereinigten IKK tragfähig ist. "Wir wollen nicht jedes Jahr Geld nachschießen." Bei der Vereinigten IKK wirkt sich der Gesundheitsfonds nachteilig aus, weil er regionale Unterschiede in der Versorgung nicht ausgleicht und weil die Krankenkasse eine hohe Zahl von Mitgliedern in Ballungsräumen betreut. Deshalb sei die Krankenkasse auch gezwungen, demnächst von ihren Mitgliedern einen Zusatzbeitrag von acht Euro monatlich zu erheben. Er soll erstmals am 15. August 2011 eingezogen werden.

"Ein skandalöses und unwürdiges Verhalten"

BVA-Präsident Maximilian Gassner betonte, trotz der insgesamt positiven Entwicklung der Krankenkassen-Beiträge infolge der guten Konjunktur gebe es Krankenkassen mit einer angespannten Finanzlage. Ursächlich dafür sei, dass diese Krankenkassen vom Instrument des Zusatzbeitrages viel zu zögerlich Gebrauch machten. Diese Zurückhaltung, verbunden mit der finanziellen Stabilität, ändere sich erst, wenn deutlich mehr Krankenkassen einen Zusatzbeitrag einführten. "Skandalös und unwürdig" nannte Gassner das Verhalten einiger Krankenkassen, Versicherte der City BKK "mit fadenscheinigen Argumenten" abzuwimmeln. "Rechtlich sind diese Krankenkassen verpflichtet, Mitglieder anderer Krankenkassen aufzunehmen." Er kündigte an, die betreffenden Kassenvorstände zum Rapport nach Bonn zu bestellen.

Auch der neue Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr zeigte sich empört über das Verhalten von Mitglieder-abweisenden Krankenkassen. Diese müssten alles unterlassen, was zu einer Verunsicherung der Krankenkassen-Mitglieder führt. Der Minister erwartet, dass die Krankenkassen der geltenden Rechtslage nachkommen. SPD-Gesundheitsexperte Prof. Dr. Karl Lauterbach sieht ein "verheerendes Signal für die Gesundheitspolitik, wenn Versicherte als zu alt oder zu krank abgewiesen werden, wenn ohne ihre Schuld ihre frühere Krankenkasse pleite gemacht hat". Die Vorsitzende des GKV-Spitzenverbandes, Dr. Doris Pfeiffer, erwartet von jeder Krankenkasse, dass sie die Betroffenen "mit offenen Armen aufnimmt". Alles andere sei unsolidarisch und unakzeptabel.

Der Essener Gesundheitsökonom Prof. Dr. Jürgen Wasem sieht in einer realistischen Einschätzung, dass die finanziellen Probleme der gesetzlichen Krankenkassen weiter zunehmen, wenngleich er für dieses Jahr davon ausgeht, dass die meisten Krankenkassen mit dem ihnen aus dem Gesundheitsfonds zugewiesenen Geld auskommen. Wenn es allerdings für 2012 keine Beitragssatzerhöhung in der gesetzlichen Krankenversicherung oder höhere Bundeszuschüsse gebe, seien viele Krankenversicherungsträger gezwungen, die Mehrausgaben über Zusatzbeiträge abzudecken. Dadurch könnten die finanziellen Probleme dieser Krankenkassen zunehmen, weil vor allem Gutverdiener dazu verleitet würden, sich eine andere Krankenkasse zu suchen. Im Versichertenstamm blieben dann oft Patienten mit einem geringeren Einkommen, aber höheren Krankheitskosten.



AZ 2011, Nr. 22, S. 4

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