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BMG: Vorschläge verschwinden nicht in der Schublade

BERLIN (ks). Das Informationspapier zur nächsten AMG-Novelle sorgt für Wirbel. Meint es das Bundesgesundheitsministerium (BMG) nun zu gut oder zu schlecht mit der pharmazeutischen Industrie? Die einen kritisieren, das Ministerium komme den Arzneimittelherstellern zu sehr entgegen, wenn es die Werbeverbote lockere. Andere halten es nicht für richtig, dass die Pharmaindustrie weniger Einfluss in Expertengremien des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte haben soll.

Nach dem BMG-Papier (siehe hierzu auch AZ 2011, Nr. 29, S. 1), das bislang weder mit der Leitung noch mit den Fraktionen abgestimmt ist, soll beispielsweise das Verbot einer Öffentlichkeitswerbung für Arzneimittel mit Gutachten, Zeugnissen, wissenschaftlichen oder fachlichen Veröffentlichungen gestrichen werden. Auch mit der Wiedergabe von Krankengeschichten, der bildlichen Darstellung oder Bezugnahmen auf Äußerungen Dritter soll künftig geworben werden dürfen, wenn dies nicht in "missbräuchlicher, abstoßender oder irreführender Weise" erfolgt. Weiterhin soll für Arzneimittel gegen Schlaflosigkeit und die Beeinflussung der Stimmungslage Werbung möglich sein. Bei all dem gilt allerdings: Es bleibt bei der gemeinschaftsrechtlichen Vorgabe, dass für verschreibungspflichtige Arzneimittel nicht geworben werden darf.

Werbelockerung: Opposition wittert Klientelpolitik

Dennoch: Die angedachten Lockerungen im Heilmittelwerberecht treffen insbesondere bei der Opposition auf Widerstand: "Das ist eine gefährliche Form der Klientelpolitik für Pharmaunternehmen", sagte der gesundheitspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Karl Lauterbach, der WAZ-Mediengruppe: "Dann kauft sich eine Pharmafirma einen Professor, der für Geld ein Pseudo-Gutachten schreibt". Und Kathrin Vogeler von der Linksfraktion erklärte, die Pläne stellten eine "Verführung zur Abhängigkeit" dar. "Wenn die Industrie demnächst auch Produkte mit Suchtpotenzial direkt beim Patienten – unter Umgehung von Ärzten und Apothekern – anpreisen darf, dann hat das mit Patienteninformation nicht viel zu tun". Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) mache sich damit "erneut zum Handlanger der Pharmakonzerne", so Vogeler. Sie ist zudem überzeugt, dass die Pläne weit über die EU-Vorgaben hinausschießen. Auch Ilona Köster-Steinebach vom Verbraucherzentrale Bundesverband gab sich kritisch: "Die Lockerungen scheinen nicht geeignet, die zuverlässige Information von Verbraucherinnen und Verbrauchern zu erhöhen".

Europäische Vorgaben

Tatsächlich finden sich für die vorgeschlagenen Änderungen im Heilmittelwerbegesetz Grundlagen in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) bzw. im Gemeinschaftskodex für Humanarzneimittel. Nur hinsichtlich der Schlafmittel und Stimmungsaufheller mag dies nicht ganz so offensichtlich sein. Doch neben dem generellen Werbeverbot für Rx-Arzneimittel ist im Gemeinschaftskodex auch bestimmt: "Für Arzneimittel, die nach ihrer Zusammensetzung und Zweckbestimmung so beschaffen und konzipiert sind, dass sie ohne Tätigwerden eines Arztes für die Diagnose, Verschreibung oder Überwachung der Behandlung, erforderlichenfalls nach Beratung durch den Apotheker, verwendet werden können, kann Öffentlichkeitswerbung erfolgen". In seiner "Gintec-Entscheidung" vom 8. November 2007 (Rs. C-374/05) hat der EuGH klargestellt, dass mit der Richtlinie zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel eine vollständige Harmonisierung des Bereichs der Arzneimittelwerbung erfolgt ist. Diejenigen Fälle, in denen die Mitgliedstaaten befugt sind, Bestimmungen zu erlassen, die von der in dieser Richtlinie getroffenen Regelung abweichen, sind ausdrücklich aufgeführt. Ein Verbot, für Arzneimittel gegen Schlaflosigkeit und die Beeinflussung der Stimmungslage zu werben, findet sich hier nicht. Daraus leitet denn auch das BMG ab, dass das bislang bestehende Werbeverbot aufgehoben werden kann. Dass es sich dabei um Medikamente mit Suchtpotenzial handelt, weist ein Ministeriumssprecher zurück – schließlich habe es einen Grund, warum sie nicht verschreibungspflichtig sind.

Pharmaindustrie in Expertenausschüssen

Was die Pläne angeht, Vertreter der Pharmaindustrie aus verschiedenen Expertengremien – etwa dem neu angedachten Sachverständigenausschuss für Verschreibungs- und Apothekenpflicht – zu entfernen, so hat die Opposition bislang geschwiegen. Dagegen regte sich Widerstand aus den eigenen Reihen: "Wir haben entsprechende Vorschläge schubladisiert, weil wir sie nicht für sinnvoll halten", sagte Unionsfraktionsvize Johannes Singhammer (CSU) dem "Handelsblatt". Ob es hier zu Änderungen komme, darüber werde zu einem späteren Zeitpunkt zu reden sein. Auch der CDU-Gesundheitspolitiker Michael Hennrich erklärte: "Uns geht es darum, die Unabhängigkeit von Entscheidungen sicherzustellen. Gleichzeitig wollen wir aber, dass transparent entschieden wird und alle Argumente und Fakten auf den Tisch kommen." Dafür könne es sinnvoll sein, dass in Beratungsgremien auch in Zukunft die Pharmaindustrie vertreten ist. Im Ministerium will man jedoch keinen Rückzieher machen: "Das steht auf der Agenda", so ein Sprecher gegenüber der DAZ. "Darüber wird diskutiert, bevor man es in Schubladen steckt".

Zeit für Diskussionen wird sich die Regierungskoalition sicherlich nehmen. Bevor es mit der AMG-Novelle ernst wird, stehen noch eine Reihe anderer gesundheits- und pflegepolitischer Gesetzgebungsverfahren an.



DAZ 2011, Nr. 29, S. 20

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