Recht

Auch Chefs dürfen nicht alles

Die Grenzen zwischen "schroffem" und unzumutbarem Verhalten

(he/bü). Mitarbeiter beschweren sich immer wieder über ihren Chef, das ist normal. Was darf ein Chef sich herausnehmen und was müssen sich Angestellte nicht mehr gefallen lassen? Wann ist der Punkt erreicht, wo unfreundliches Verhalten ins Unzumutbare kippt? Oft kann man darüber streiten.

  • So stellte ein Arbeitnehmer nach seiner Rückkehr aus dem Urlaub fest, dass sein Chef in seiner elektronischen Post geschnüffelt hatte. Es waren dabei auch E-Mails geöffnet worden, die an seine persönliche – wenn auch dienstliche – E-Mail-Adresse gesendet worden waren. Entsetzt über derartiges Vorgehen wandte er sich mit dem Vorwurf der Verletzung des Fernmeldegeheimnisses an die Justiz. Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg konnte allerdings kein Fehlverhalten des Arbeitgebers feststellen, da insbesondere bei längerer Erkrankung oder Urlaubsabwesenheit der Zugriff auf das Postfach der Mitarbeiter geradezu erforderlich sei. Auch habe der Dienstherr private E-Mails weder geöffnet noch ausgedruckt, sondern nur die eindeutig durch Kopf- beziehungsweise Betreffzeile als Geschäftsmail zu identifizierenden Nachrichten bearbeitet (LAG Berlin-Brandenburg, 4 Sa 2132/10).

  • Um Schnüffelei ging es auch in einem Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm. Allerdings um eine ganz besondere: Der Geschäftsführer eines Metallbetriebs vermutete "Pausenbummelei" unter seinen Mitarbeitern und spionierte diesen sogar auf der Toilette hinterher. Diese Neugier gipfelte darin, dass er einen Schlosser "mit hochgezogener Hose auf den Klo sitzend" über die geschlossene Kabinentür der Toilette hinweg fotografierte. Damit habe er seinen Beweis für die vermutete Bummelei erbracht, und er kündigte dem Mann. Der (Schnapp-)Schuss ging jedoch nach hinten los. Wegen des "menschenunwürdigen" Verhaltens des Chefs sagte das Landesarbeitsgericht Hamm dem Mitarbeiter zu, den Betrieb mit einer Abfindung von zwölf Monatsgehältern verlassen zu dürfen. Das Persönlichkeitsrecht des Angestellten sei "schwerwiegend verletzt" worden (LAG Hamm, 15 Sa 463/04).

Ein Choleriker mobbt nicht

  • Ein Arbeitnehmer wurde krank, weil er die sich ständig wiederholenden, einzelnen cholerischen Ausfälle seines Chefs nicht mehr ertragen hat. Er verlangte Schadenersatz und Schmerzensgeld für das "Mobbing" gegen ihn. Das Arbeitsgericht Cottbus machte jedoch deutlich, dass die Systematik fehle, die Mobbing ausmache. Denn weil die Demütigungen, Verbalattacken und Beschimpfungen im Betrieb jeden einmal getroffen hatten, der dem Vorgesetzten "gerade über den Weg lief", so stelle das Verhalten des Chefs "in der Gesamtschau" kein Mobbing dar. Denn er habe seine Anfälle nicht individuell personenbezogen eingesetzt (Az.: 7 Ca 493/09).

  • Anders ein Urteil vom selben Gericht, in dem Mobbing erkannt wurde. Mit der Folge, dass eine Pflegedienstleiterin eines Altenheimes ein Schmerzensgeld gegen den (mehr als) ekeligen Chef durchsetzte: Der Vorgesetzte sprach der Mitarbeiterin unbegründete Hausverbote aus und beleidigte sie zum Beispiel mit dem Satz: "Frauen meckern nur und sind alle niederträchtig und boshaft, so wie Sie." Ferner machte er Entscheidungen rückgängig, die sie getroffen hatte, und gab ihr bei Anschuldigungen nicht die Gelegenheit zur Stellungnahme. Das Gericht verurteilte den Arbeitgeber neben einem Schmerzensgeld auch dazu, der Frau alle weiteren Gesundheits- und sonstigen Schäden zu ersetzen. Der Arbeitgeber habe durch das Verhalten seine Fürsorgepflicht und das Persönlichkeitsrecht der Mitarbeiterin erheblich verletzt. Von der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts sei auszugehen, wenn "der Arbeitgeber immer wieder mit seinen auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses gerichteten Maßnahmen einen Arbeitnehmer schikaniert, benachteiligt oder diskriminiert" (Az.: 7 Ca 1960/08).

Weitere Urteile zum Thema in Kurzform

  • Unzufriedenheit des Chefs führt nicht zum Aus: Ist ein Arbeitgeber mit der Arbeit eines Mitarbeiters nicht zufrieden, so kann er das Arbeitsverhältnis dennoch nicht auflösen, wenn er nicht konkret darlegen kann, "welche negativen Auswirkungen das Verhalten des Mitarbeiters auf die tägliche Arbeit im Betrieb hat" (LAG Rheinland-Pfalz, 8 Sa 846/05).

  • Wer den Chef nicht grüßt, darf deshalb nicht entlassen werden: Wird einem Arbeitnehmer in einem persönlichen Gespräch seine betriebsbedingte Entlassung angekündigt und ist er darüber so verärgert, dass er in der Folgezeit mehrfach seinen Chef bei zufälligen Treffen außerhalb des Betriebes nicht grüßt, obwohl dieser ihn mit Namen angesprochen hatte, so darf der Mitarbeiter wegen dieses Fehlverhaltens nicht entlassen werden, da er dadurch – laut Landesarbeitsgericht Köln – nur seine Verärgerung über die angekündigte Kündigung zum Ausdruck gebracht hat. Er hätte zuvor in einem weiteren Gespräch an die üblichen Umgangsformen erinnert werden müssen (Az.: 9 (7) Sa 657/05).

  • Passt dem Chef etwas nicht, sollte er das direkt sagen: Eine Abmahnung wegen eines – für sich gesehen – "abmahnungswürdigen Fehlverhaltens" eines Mitarbeiters muss aus der Personalakte wieder entfernt werden, wenn der Arbeitgeber erst sechs Monate danach den Eintrag vornimmt. Die Abmahnung kann dann auch später nicht für die Begründung einer Kündigung hinzugezogen werden, weil der Arbeitnehmer nach so langer Zeit darauf vertrauen darf, dass der Chef sein Verhalten als "beanstandungsunwürdig" gehalten hat (LAG Nürnberg, 6 Sa 367/05).

  • Fristlos, wenn ein Koch den Chef zum Kochen bringt: Bleibt der Koch eines relativ neuen Lokals in der Vorweihnachtszeit an einem Samstag von der Arbeit fern, weil er an der Beerdigung seiner Großmutter teilnimmt (was er seinem Chef, der seinen frühzeitigen Antrag wegen fehlender Vertretung abgelehnt hatte, einen Tag vor der Trauerfeier "endgültig" mitgeteilt hatte), so kann ihm wegen dieses "illoyalen Verhaltens" fristlos gekündigt werden, ohne dass er vorher hätte abgemahnt werden müssen (ArG Potsdam, 4 Ca 125/03).



AZ 2012, Nr. 46, S. 5

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.