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Kongress
Gendermedizin – mehr als ein Frauenthema
Ausgerichtet wurde die Veranstaltung von "anna fischer Gesundheitsinformation" in Zusammenarbeit mit dem Landeszentrum Gesundheit Nordrhein-Westfalen.
Ein Chromosom macht den Unterschied
Priv.-Doz. Dr. Andrea Kindler-Röhrborn, Pathologin der Universität Duisburg-Essen und Vorstandsmitglied des Essener Kollegs für Geschlechterforschung, referierte zunächst zum Thema "Sex und Gender – was liegt schon in den Genen?". Ihr Fokus lag vor allem auf den biologischen, genetisch festgelegten Geschlechterunterschieden (Sex). Im Gegensatz dazu bezeichnet Gender das soziale oder psychologische Geschlecht, also die von exogenen Einflüssen geprägte Geschlechterrolle.
Mann und Frau unterscheiden sich im Erbgut lediglich durch ein Chromosom: Männer haben ein X- und ein Y-Chromosom, Frauen hingegen zwei X-Chromosomen. Frauen fehlen also einige Gene, einige andere sind dafür in doppelter Ausführung aktiv. Das führt zu einer geschlechtsspezifischen Enzymausstattung in verschiedenen Geweben. Daraus folgt zwangsläufig, dass der männliche und der weibliche Körper auch mit Arzneistoffen unterschiedlich umgehen.
Arzneimittel: Frauen und Männer reagieren anders
Prof. Dr. Petra Thürmann, Direktorin des Philipp Klee-Instituts für Klinische Pharmakologie in Wuppertal, gab in ihrem Vortrag "Welche Pille für wen? Genauer hinschauen in der Pharmakotherapie" einen Einblick in medizinisch-pharmakologische Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Diese zeigen sich in der Häufigkeit, Wahrnehmung und Ausprägung von Erkrankungen ebenso wie in der Reaktion auf Arzneistoffe: Deren Wirksamkeit und Nebenwirkungen können sich bei Frauen und Männern grundlegend unterscheiden. Trotzdem sind Frauen gerade in den frühen Phasen klinischer Studien immer noch unterrepräsentiert.
Ein klassisches Beispiel ist der Herzinfarkt: Frauen zeigen andere Symptome als Männer, und obwohl dies inzwischen bekannt ist, werden die frauentypischen Symptome eines Infarkts häufig noch als "atypisch" bezeichnet. Dabei sind sie für Frauen typisch, nur eben nicht für Männer. Da die Arzneitherapie hauptsächlich an Männern erforscht wurde, haben Frauen ein höheres Risiko, Nebenwirkungen zu erleiden. Blutungskomplikationen bei Gerinnungshemmern und häufiger Reizhusten bei ACE-Hemmern sind nur zwei Beispiele. Bisher ist allerdings wenig darüber bekannt, ob Frauen vielleicht grundsätzlich häufiger wegen Nebenwirkungen zum Arzt gehen. Immerhin finden sich inzwischen in immer mehr Packungsbeilagen und Fachinformationen Hinweise zu geschlechtsspezifischen Unterschieden.
Thürmann sprach auch die Problematik der alternden Gesellschaft an: Frauen werden statistisch älter als Männer, nehmen daher mehr Arzneimittel ein und sind schon deshalb anfälliger für arzneimittelbezogene Probleme. Die Versorgungsforschung will diese Unterschiede genauer klären, um eine sichere Arzneitherapie auch für ältere Frauen zu gewährleisten.
Vorsorgekampagnen genderspezifisch anlegen
Im Vortrag "Männergesundheit jenseits von Stereotypen und falschen Forderungen" widmete sich Thomas Altgeld, Landesvereinigung für Gesundheit und Akademie für Sozialmedizin Niedersachsen, vor allem sozialen Aspekten der Geschlechterspezifik, so auch der Frage: Wie können Männer in Gesundheits- oder Vorsorgekampagnen erreicht werden? Klar ist, dass Männer andere Vorlieben haben und sich nicht von den gleichen Slogans und Bildern angesprochen fühlen wie Frauen. Dabei räumte Altgeld mit dem gängigen Klischee auf, dass Männer "Vorsorgemuffel" seien; bei den über 75-Jährigen z. B. gehen Männer häufiger zum Gesundheitscheck als Frauen.
Versorgungsforschung zahlt sich aus
In der anschließenden Podiumsdiskussion stand zunächst die Versorgungsforschung im Vordergrund. Es herrschte Einigkeit darüber, dass die Geschlechterspezifik in der Versorgungsforschung bisher eine viel zu geringe Rolle spielt. Dies gelte auch für gesundheitsökonomische Aspekte, so Prof. Dr. Clarissa Kurscheid, Gesundheitsökonomin an der Fachhochschule Fresenius in Köln. Mittelfristig ließen sich Einsparungen erzielen, wenn Genderaspekte ausreichend Berücksichtung fänden. In diesem Zusammenhang wies sie auf die frühe Nutzenbewertung innovativer Arzneistoffe hin (gemäß AMNOG). Bisher werde überhaupt nicht auf Geschlechterunterschiede geachtet, obwohl die Nutzenbewertung mancher Arzneistoffe für Frauen und Männer grundverschieden ausfallen könnte.
Pflegende Angehörige mehr unterstützen
Im Veranstaltungsblock "Familienmedizin und Pflege mit Geschlechterspezifik" stand zur Diskussion, wie pflegende Angehörige unterstützt und entlastet werden können. Einig war man sich, dass noch viel Arbeit nötig ist, um eine angemessene Wertschätzung der Pflegenden und eine gute Versorgung der Pflegebedürftigen zu erreichen. Betroffen sind in beiden Gruppen in der Mehrzahl Frauen: Sie leben länger und geraten deswegen häufiger in die Situation, sich nicht mehr allein versorgen zu können. Zugleich sind es auch überwiegend Frauen, die Angehörige pflegen und von denen dies häufig auch wie selbstverständlich erwartet wird.
Ärzte und Apotheker sind auf einem guten Weg
In der dritten und letzten Podiumsdiskussion standen die Aus-, Fort- und Weiterbildung speziell von Ärzten und Apothekern im Vordergrund. Nicht selten sind Patienten durch Artikel aus der Laienpresse über die unterschiedliche Wirkung von Arzneimitteln bei Männern und Frauen informiert. Wenn sie den Ärzten und Apothekern entsprechende Fragen stellen, sollten diese auch eine fundierte Auskunft geben können. Dr. Constanze Schäfer, Apothekerkammer Nordrhein, stellte fest, dass Apotheker in dieser Hinsicht schon gut vorbereitet seien. Der Genderaspekt werde sowohl im Studienfach Klinische Pharmazie als auch in der Weiterbildung Klinische Pharmazie wie selbstverständlich behandelt. So wird bei der Berechnung der Nierenfunktion des Patienten sein Geschlecht berücksichtigt.
Auch in die Weiterbildung von Ärzten sind Genderaspekte eingearbeitet, so Dr. Doris Dorsel, Ärztekammer Westfalen-Lippe. Für Prof. Dr. Bettina Pfleiderer, Universitätsklinikum Münster, ist es erklärtes Ziel, die Medizinstudenten schon früh für das Thema zu sensibilisieren und die Geschlechterthematik "unauffällig" in alle Bereiche zu integrieren. Der Gedanke, dass Frauen und Männer verschieden ausgestattet und sozialisiert sind und unterschiedliche Behandlungen benötigen, sollte für die kommenden Ärztegenerationen selbstverständlich sein. Zudem sollten Ärzte gerade bei Genderaspekten mit anderen Professionen zusammenarbeiten, um biochemische und soziale Unterschiede ausreichend zu berücksichtigen.
Fazit
Es ist an der Zeit, eine allgemeine Sensibilität für das Thema Gendermedizin zu entwickeln, lautete das Fazit der Veranstaltung. Denn Gendermedizin ist nicht nur ein "Frauenthema", sondern für alle von Bedeutung. Heilberufler sollten wissen, worin die Geschlechter sich medizinisch-pharmakologisch unterscheiden und welche therapeutischen Konsequenzen dies hat. Die Versorgungsforschung hat die Aufgabe, diesbezügliche Probleme festzustellen, damit sie gelöst werden können.
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Cordula Billmann, Münster
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