Feuilleton

Farben in dem, was da kreucht und fleucht

Herrn Dr. Fritz Stanislaus in angenehmer Erinnerung an gemeinsame Anstrengungen zum Wohle der praktischen und wissenschaftlichen Pharmazie sowie in freundlicher Verbundenheit zum 70. Geburtstag gewidmet.


Wegen der erdrückenden Vielzahl der Kriechtiere (Reptilien), Lurche (Amphibien), Weichtiere (Mollusken) und Gliederfüßler (Arthropoden) erscheint es nicht zweckmäßig, hier auf die einzelnen Spezies einzugehen und ihre jeweiligen Farbmittel aufzulisten, denn einige Kriechtiere und Insekten (wie Termiten, Schaben, Flöhe) sind in diesem Zusammenhang uninteressant, während sich bestimmte Schildläuse geradezu als Farbstofflieferanten nützlich gemacht haben.

Daher ist die folgende Darstellung nach Pigmenten und Strukturfarben gegliedert.

Carotinoide

Carotinoide werden ausschließlich von Pflanzen produziert, kommen aber auch in der Haut, den Schalen und Panzern von Tieren vor, wenn sie mit der Nahrung aufgenommen werden. So findet man unter den prächtigen gelben bis roten Farben der Schmetterlinge Carotinoide (manchmal auch Flavonoide), die aus dem Pflanzenfraß der Raupen stammen und nach deren Verpuppung in das Endstadium der Metamorphose, die Imago, gelangt sind.

Die rote und gelbe Färbung der Marienkäfer beruht ebenfalls auf dem Gehalt an Carotinoiden, besonders Lycopin, daneben α- und β-Carotin. Die schwarzen Punkte werden durch Melanin erzeugt.

Carotinoide (Astaxanthin u. a.) verursachen die Rotfärbung des Hummerpanzers und anderer Krebse, die sich aber erst beim Kochen oder Grillen infolge der Erhitzung zeigt. Sie sind nämlich in Peptidkomplexe (Chromoproteine) eingebaut, die die Farbe kaschieren (blau-grau), und werden erst bei thermischer Denaturierung freigegeben.

In Schnecken wurde Fucoxanthin nachgewiesen. Es enthält eine außergewöhnliche Allen-Struktur und wurde auch in Vogelfedern gefunden (s. Essay "Die Farben der Vögel und der Fische", DAZ 2012, Nr. 35, S. 61, Abb. 1).

Auch die leuchtenden bis grellen orangeroten und roten Hautfarben heimischer, vor allem aber exotischer Frösche beruht auf Carotinoiden, die sie mit der Nahrung zu sich nehmen.


Abb. 1: Einige Pteridine

Pteridine

Die Bezeichnung Pteridine geht auf gr. pteryx = Flügel zurück; denn sie wurden erstmals in Schmetterlingsflügeln gefunden und daraus isoliert. Sie sind in der Natur weit verbreitet und kommen auch in den Augen von Insekten, in den Augen und der Haut von Fischen, Amphibien und Reptilien sowie in einigen Bakterien vor; ihren Namen erhielten sie teils nach ihrer Farbe, teils nach einer Spezies, in der sie entdeckt wurden (Tab. 1). Strukturell handelt es sich um Derivate des Purins; das Pterorhodin stellt ein Dimer dar (Abb. 1). Weitere Pteridin-Derivate sind u. a. die B-Vitamine Folsäure und Riboflavin.

Tab. 1: Vorkommen von Pteridinen in Tieren (vgl. Abb. 1)

Pteridin
Vorkommen
Drosopterin*
Fruchtfliege (Drosophila melanogaster),
Haut des Feuersalamanders
Erythropterin
Schmetterlingsflügel,
Mycobacterium lacticula und andere Bakterien
Isoxantheroptin
Fruchtfliege
Lepidopterin
Flügel von Schmetterlingen (Lepidoptera)
Leucopterin
Schmetterlinge, Nachtfalter, Kohlweißling,
Leucoptera caffeina (ein Kaffeestrauch-Schädling)
Luciopterin
Leuchtkäfer (Luciola cruciata)
Pterorhodin
Meeresborstenwürmer (Nereiden)
Sepiapterin
Tinte der Kopffüßler (Sepia u. a.)
Xanthopterin
Flügel des Zitronenfalters, Wespen,
orientalische Hornisse,
Harn von Säugetieren (bei Hepatitis und Hämolyse)

* Strukturformel im Essay "Farben der Vögel und der Fische" (DAZ 2012, Heft 35, S. 61, Abb. 3)

Ommochrome

Während die weißen und hellgelben Farben von Schmetterlingsflügeln durch Pteridine hervorgerufen werden, können die gelbbraunen, braunen und roten Farben auf den Ommochromen beruhen. Sie sind eine weit verbreitete Gruppe von gelben und roten Phenoxazin-Farbstoffen, die als Partialstrukturen Aminosäure-Funktionen enthalten. Sie sind in der Haut, den Flügeln, den Augen und den Schlupfsekreten von Krebsen und Insekten sowie in Spinnen und Kopffüßlern anzutreffen. Man unterscheidet zwei Gruppen:

  • die gelben und roten Ommatine und

  • die rotvioletten, schwefelhaltigen Ommine, die oft mit Proteinen assoziiert sind (Chromoproteine).

Gut charakterisiert sind Xanthommatin und Ommatin D (Abb. 2). Das gelbbraune Xanthommatin ist beispielsweise in der Fruchtfliege (Drosophila melanogaster) und im Schlupfsekret des Kleinen Fuchses (Vanessa urticae) enthalten. Die Ommine dienen hauptsächlich als Sehpigmente von Krebsen und Insekten. Sie kommen auch als Hautpigmente in Arthropoden und Cephalopoden vor. Der bei Tintenfischen zu beobachtende schnelle Farbwechsel beruht auf der Fähigkeit der Ommine, ihre Struktur rasch zu ändern.

Anders als die Carotinoide, die durch die Nahrung in die Tiere gelangen, werden die Ommochrome endogen produziert; das Edukt der Biosynthese ist meistens Tryptophan.

Abb. 2: Zwei Ommochrome

Indigoide Farbstoffe

Verschiedene Purpurschnecken des Mittelmeers (Murex trunculus, M. brandaris, Purpura haemastoma u. a.) produzieren Purpur, der ein Gemisch indigoider Farbstoffe mit 6,6’-Dibromindigo als Hauptkomponente darstellt. (Weitere Informationen im Essay "Animalisches", DAZ 2011, Nr. 43, S. 5080).

Anthrachinon-Farbstoffe

Bekannte Naturfarbstoffe sind die Anthrachinon-Derivate Karminsäure, Kermessäure und einige Laccainsäuren. Wichtigste Lieferanten sind die Nopalschildlaus (Dactylopius coccus), Kermesschildlaus (Kermes vermilio) und die Lackschildlaus (Kerria lacca). (Einzelheiten und weitere Informationen im Essay "Animalisches", s. o.)

Melanin

Davon abgesehen, dass Melanine schwarze Tupfen, Striche oder Muster in die Außenschalen oder Panzer von Käfern und anderen Insekten zeichnen, stellen sie die braunen bis schwarzen Pigmente der Tinten von Kopffüßlern (Cephalopoden) dar. Zu diesen Weichtieren gehören die achtarmigen Kraken und die zehnarmigen Tintenfische (Sepien). Sie besitzen einen Tintenbeutel bzw. eine Tintenblase, aus der sie bei Gefahr den Inhalt stoßartig entleeren. Dabei entsteht eine noch relativ kompakte, dunkle Wolke, die aus einer Suspension winziger Melaninkörnchen besteht. Der Raubfisch attackiert die Stelle, wo er den Tintenfisch geortet hat, und wirbelt die ursprünglich kleine Wolke auf, während der Tintenfisch mithilfe seiner Rückstoßtechnik dem Angreifer schon entkommen ist.

Sepia ist die Bezeichnung für das Farbmittel, das man durch Eintrocknen der Tinte von Sepia officinalis und Pulverisieren gewinnt. Wegen seiner hervorragenden Lasureigenschaften wird Sepia hauptsächlich zum Aquarellieren benutzt. In der Lebensmittelindustrie dient es zum Dunkel- und Schwarzfärben von Pasta-Erzeugnissen. (Weiteres im Essay "Animalisches", s. o.)

Blaues Blut

Hier geht es nicht um das sprichwörtliche "blaue Blut" der Adligen, sondern um das wahrhaftig blaue Blut von Mollusken und Arthropoden. Viele dieser Tiere enthalten als respiratorische Proteine statt des eisenhaltigen Hämoglobins kupferhaltige Hämocyanine zum Sauerstofftransport im Blut. Diese sind nicht in bestimmte Zellen eingebunden (wie das Hämoglobin in die Erythrozyten), sondern liegen frei im Blutplasma vor ("Hämolymphe") und sind zunächst durchsichtig. Nach Bindung des Sauerstoffs erscheinen sie blau. Blaublütige Mollusken sind z. B. der Oktopus und verschiedene Schnecken. Aus der Großen Kalifornischen Schlüssellochschnecke (Megathura crenulata) wird das Glykoprotein Immunocyanin (Immucothel®) gewonnen, das u. a. in Österreich als Arzneimittel zur Therapie von Harnblasenkrebs registriert ist.

Unter den Arthropoden wären die Langusten, die Vogelspinnen und die Skorpione als "blaublütige" Spezies zu nennen.

Strukturfarben – Farben, die keine Farben sind

Strukturfarben sind Farberscheinungen, die nicht auf der Präsenz chemischer Farbstoffe und Pigmente beruhen, sondern auf physikalische Prozesse wie Lichtbrechung und Interferenzen zurückzuführen sind. Die gleichen Phänomene, die man beobachten kann, wenn der Pfau voller Stolz sein Rad schlägt, sorgen auch für die Farbeffekte von Insektenpanzern und Schmetterlingsflügeln. Sie werden von optisch aktiven Strukturen verursacht. Regelmäßige, mikroskopisch kleine Gitterstrukturen oder in bestimmter Weise angeordnete Nanopartikel streuen das einstrahlende Licht sehr unterschiedlich. Man bezeichnet solche periodisch aufgebauten Anordnungen auch als photonische Kristalle. Wenn sie sich in Zellen befinden, spricht man von Iridophoren oder Iridozyten (Tab. 2).

Tab. 2: Erläuterungen zu den Typen der Farbzellen

Farbzellen
Unterteilung
Sie enthalten
Farbe
Chromatophoren
(syn. Lipophoren,
Chromatozyten)
Xanthophoren
Erythrophoren
Pteridine
Carotinoide und Pteridine
gelb bis orangerot
orange bis rot
Melanophoren
(syn. Melanozyten)
Melanin
braun bis schwarz
Iridophoren
(syn. Leukophoren,
Guanophoren)
Guaninkriställchen
oder ‑plättchen
(und andere Purine)
weiß, schillernd,
irisierend metallisch
glänzend

Schillernde Farbeffekte durch Nanostrukturen werden heute auch bei der Produktion dekorativer Kosmetika genutzt – dies ist ein Beispiel aus dem Bereich der Bionik.

Schmetterlinge produzieren nur sehr selten Farbstoffe (u. a. Carotinoide, Leucopterin, s. o.). Ihre Flügel sind mit fein strukturierten Schuppen bedeckt, die dachziegelartig übereinander liegen. Dabei erzeugen einfache und mehrfache Lichtbrechungen beispielsweise den herrlichen blauen Glanz und die schillernden Farbmuster exotischer Prachtexemplare.

Die grünen Farben der Libellen kommen durch ein Zusammenspiel von gelben Chromatophoren und dem durch Brechung, Streuung und Interferenzen physikalisch erzeugten blauen Licht zustande. Auf die gleiche Weise entstehen auch die grünen Farbtöne bei Amphibien und Reptilien.

Farbänderungen

Bei Tieren ist prinzipiell zwischen einem morphologischen und einem physiologischen Farbwechsel zu unterscheiden. Säugetiere und Vögel sind nicht zu einem physiologischen Farbwechsel befähigt, es sei denn, man rechnet das Erröten oder Erbleichen eines Menschen (aus Zorn, Scham, Schreck) dazu.

  • Die morphologischen Farbänderungen verlaufen langsam und beruhen auf der Vermehrung oder Verminderung der Chromatophoren bzw. deren Farbstoffgehalten.

  • Die physiologischen Farbänderungen verlaufen meist rasch und beruhen auf einer Verteilungsänderung vorhandener Farbstoffe innerhalb der Chromatophoren, die kompakte, runde, stäbchenförmige bis dendritisch verzweigte Formen aufweisen können.

Ebenso bekannt wie der langsame Farbwechsel der "Sommerkleider" und "Winterkleider" von Vögeln und Säugetieren ist die rasche Farbänderung des Chamäleons. Diese besondere Eigenschaft kommt entweder durch die Veränderung der Verteilung und Lage der Pigmentkörnchen in den Chromatophoren oder durch strukturelle Änderung der gesamten Chromatophoren zustande. Auch der Tyndall-Effekt, der von der Größe der Kristallblättchen in den Iridophoren beeinflusst wird, kann dabei eine wesentliche Rolle spielen.

Farbänderungen der Haut werden aber auch bei Echsen und Kopffüßlern beobachtet. Die Kriechtiere reagieren damit auf äußere Einflüsse wie Licht und Wärme, können damit jedoch auch Gefühle wie Hunger, Sättigung, Ruhebedürfnis ausdrücken oder Partnersignale und Warnsignale aussenden.

Der Farbwechsel kommt durch die in der Unterhaut übereinander liegenden Iridozyten und Chromatophoren zustande. Die Chromatophorenzellen sind an kleine Muskelstränge geheftet, die durch Kontraktion Drehungen bewirken. Dadurch wird das Wechselspiel mit den Iridophoren geändert und somit auch die Farbigkeit. Die Steuerung solcher Prozesse kann neuronal oder hormonell erfolgen.

Kopffüßler (Sepien, Kalmare und Kraken) vermögen sich zur Tarnung in den Farbtönen und der Helligkeit der Farben ihrer Umgebung anzupassen. Dies geschieht durch ein komplexes Zusammenspiel von gelben, roten und schwarzen Chromatophoren mit Reflektorzellen (Iridozyten mit kleinen Guaninplättchen) in der Haut.

N. B.: Den Titel dieses Essay findet man in Schillers Wilhelm Tell (Gesang des Knaben Walter):

Ihm gehört das Weite,
was sein Pfeil erreicht.
Das ist seine Beute,
was da kreucht und fleucht.


Literatur beim Verfasser


Autor

Prof. Dr. rer. nat. Dr. h. c. Hermann J. Roth, Friedrich-NaumannStr. 33, 76187 Karlsruhe, www.h-roth-kunst.com, info@h-roth-kunst.com



DAZ 2012, Nr. 37, S. 89

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