Arzneimittel und Therapie

Neue Optionen bei multipler Sklerose

Im Mittelpunkt des Interesses bei der Therapie der multiplen Sklerose stehen immunmodulatorische Arzneimittel, die den Krankheitsverlauf langfristig beeinflussen. Die etablierten Produkte müssen jedoch injiziert werden. Mit Fingolimod wurde das erste oral anwendbare Arzneimittel mit langfristigem Effekt verfügbar, doch bald dürften weitere oral einsetzbare Substanzen folgen. Einen Überblick über diese neuen Arzneimittel gab Prof. Dr. Markus Schwaninger, Lübeck, beim Fortbildungskongress der Apothekerkammer Schleswig-Holstein am 14. April in Damp.

Als Maß für den langfristigen Therapieerfolg bei multipler Sklerose können der Schweregrad gemäß EDSS (Expanded Disability Status Scale), die Häufigkeit der Schübe pro Jahr oder im MRT dargestellte Läsionen dienen. Weder die akute Therapie von Schüben mit Glucocorticoiden noch die Behandlung von Begleitsymptomen wirken sich auf diese Parameter aus. Doch Interferon oder Glatirameracetat vermindern die Schubhäufigkeit um etwa 30% gegenüber Placebo. Natalizumab reduziert die Schubhäufigkeit sogar um fast 70%. Dieser monoklonale Antikörper wird aber nur als Reservemittel eingesetzt, weil dabei die Gefahr einer progressiven multifokalen Leukenzephalopathie besteht. Diese sei bisher bei etwa 250 Patienten eingetreten und verlaufe zu 20% tödlich.


NEUER WIRKSTOFF GEGEN MULTIPLE SKLEROSE

Daclizumab HYP halbiert die Schubrate


Der monoklonale Antikörper Daclizumab HYP kann bei Patienten mit einer schubförmig remittierenden multiplen Sklerose die Schubrate halbieren. Das zeigen jetzt die Ergebnisse der SELECT-Studie, einer randomisierten, doppelblinden und placebokontrollierten Untersuchung.

Daclizumab (Zenapax®) ist ein humanisierter monoklonaler Antikörper gegen den Interleukin-2-Rezeptor (CD25), der in der immunsuppressiven Behandlung akuter Abstoßungsreaktionen nach Nierentransplantationen eingesetzt wurde, bis die Zulassung 2009 zurückgenommen wurde. Daclizumab bindet an die CD25-Untereinheit des Interleukin-2-Rezeptors, blockiert ihn und greift damit direkt in die Aktivierung und Regulation des Immunsystems ein. Bei Daclizumab HYP (high-yield process) wurde zur besseren Verträglichkeit die Anzahl der zusätzlichen Glykolysierungsgruppen verändert. So soll die antikörperabhängige zelluläre Zytotoxizität abgeschwächt werden. In der SELECT-Studie (Daclizumab high-yield process in relapsing-remitting multiple sclerosis) mit 621 Patienten mit schubförmig remittierender multipler Sklerose reduzierte Daclizumab HYP in Dosierungen von 150 und 300 mg einmal monatlich als subkutane Injektion die Häufigkeit erneuter Erkrankungsepisoden innerhalb eines Jahres im Vergleich zu Placebo um bis zu 54%. Während nur 64% der Patienten unter Placebo schubfrei blieben, waren es unter der Behandlung mit Daclizumab HYP rund 80%. Zudem scheint Daclizumab das krankheitsbedingte Fortschreiten der körperlichen Behinderung auch unabhängig von der Schubrate zu verzögern, so die Autoren. Allerdings traten Melanome bei zwei Patienten in der höheren Dosierung auf.

Derzeit wird in einer Studie Daclizumab HYP mit Interferon-Beta verglichen.


Quelle: Gold R et al., Lancet 2013;381; Online-Vorabveröffentlichung: doi: 10.1016/S0140-6736(12)62190-4.


hel


Fingolimod

Oral applizierbare Arzneimittel könnten dazu führen, dass mehr Patienten eine schubvermindernde Therapie akzeptieren. Als erstes oral einsetzbares Mittel ist Fingolimod bereits zugelassen. Es bindet an Sphingosin-1-phosphat-Rezeptoren, wirkt dort letztlich hemmend und verringert die Auswanderung von Lymphozyten. In der Studie FREEDOMS hat es die Schubhäufigkeit gegenüber Placebo um 55 bis 60% vermindert und in der Studie TRANSFORMS gegenüber Interferon beta-1a um 40 bis 50%. Als wichtige unerwünschte Wirkung drohen Bradykardien bei Therapiebeginn. In einem Rote-Hand-Brief wurde kürzlich gewarnt, dass solche Bradykardien auch nach einer Therapiepause auftreten können (siehe DAZ 1, S. 35). Fingolimod dürfe daher nicht bei Herzrhythmusstörungen eingesetzt werden. Wegen der Verminderung der Lymphozyten drohen außerdem vermehrte Infektionen, insbesondere Herpes-Infektionen. Außerdem sei eine Sehverschlechterung möglich, weil über Sphingosin-1-phosphat-Rezeptoren ein Makulaödem ausgelöst werden kann. Teratogene Effekte von Fingolimod seien zu erwarten.

Laquinimod

Auch das bisher in Europa nicht zugelassene Laquinimod ist oral einsetzbar, wirkt aber nicht immunsuppressiv. Als möglicher Wirkort wird über den NFκB-Signalweg spekuliert. In einer noch nicht veröffentlichten Studie soll es nicht besser als die Standardtherapie gewirkt haben. Problematisch erscheint die strukturelle Ähnlichkeit zu Linomid, das wegen Todesfällen in einer Phase-III-Studie nicht weiter untersucht wird. Die bisherigen Erkenntnisse sprechen jedoch nach Einschätzung von Schwaninger eher für eine recht gute Verträglichkeit von Laquinimod. Als Nebenwirkungen seien reversible Erhöhungen der Leberwerte und unspezifische Symptome wie Schmerzen, Husten und Durchfall beobachtet worden.

Teriflunomid

Weitere Kandidaten für die künftige orale MS-Therapie sind Teriflunomid und Dimethylfumarat. Für beide hat der Ausschuss für Humanarzneimittel der EMA am 21. März Zulassungsempfehlungen ausgesprochen (siehe DAZ 13, S. 88). Teriflunomid wirkt als Inhibitor der Pyrimidin-Synthese. Es ist der Hauptmetabolit von Leflunomid, das als Basistherapeutikum bei rheumatoider Arthritis eingesetzt wird. Daher liegen viele Erfahrungen zur Sicherheit vor. Die unerwünschten Effekte ergeben sich insbesondere aus der Hemmung der DNA-Synthese. Die Folgen sind Haarausfall, gastrointestinale Symptome und Schädigungen der Mundschleimhaut. Als weitere mögliche Folgen wurden leichter Blutdruckanstieg und Gewichtsverlust beschrieben. In der Schwangerschaft ist Teriflunomid kontraindiziert. Ein enterohepatischer Kreislauf führt zu einer langen Halbwertszeit von bis zu zwei Wochen. In Studien wirkte Teriflunomid nicht besser als die etablierte Standardtherapie. In einer Phase-II-Studie wird es als möglicher Kombinationspartner für die Standardtherapie untersucht.

Dimethylfumarat

Dimethylfumarat ist aus der Psoriasistherapie schon lange bekannt. In der DEFINE- und der CONFIRM-Studie verminderte es die MS-Schubhäufigkeit gegenüber Placebo um bis zu 50%. In der CONFIRM-Studie wirkte es sogar besser als Glatirameracetat, jedoch war dieser Vergleich nicht das primäre Studienziel. Als wichtigste Nebenwirkungen gelten Flush und gastrointestinale Störungen. Wirksam ist wahrscheinlich der Hauptmetabolit Monomethylfumarat. Zum Wirkungsmechanismus kursieren verschiedene Theorien, wahrscheinlich sind mehrere Effekte beteiligt. Die gängigste These ist, dass der Transkriptionsfaktor Nrf2 (Nuclear factor-like 2) aktiviert wird. Mit der Zulassungserweiterung für die Indikation multiple Sklerose rechnet der Hersteller noch in diesem Quartal.


Leukenzephalopathie unter Dimethylfumarat!


Unter einer Behandlung mit dem Fumarsäureester-Gemisch Fumaderm® wurden bei Psoriasispatienten Fälle progressiver multifokaler Leukenzephalopathie (PML) berichtet. Diese opportunistische Hirninfektion wird durch das JC-Virus ausgelöst und ist eine Komplikation bei immunsupprimierten Patienten, die auch unter Therapie mit monoklonalen Antikörpern beobachtet wurde (z. B. Natalizumab). Das arznei-telegramm weist aktuell auf einen Fall aus Deutschland hin, bei dem bei einem Patienten nach dreijähriger Behandlung mit täglich bis zu 430 mg Fumarsäureestern eine PML diagnostiziert wurde. Auch in den Niederlanden sei eine Psoriasis-Patientin nach fünfjähriger Einnahme von Dimethylfumarat an PML erkrankt. Zwar seien dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) diese Fälle bekannt, dennoch werde darauf nicht in der Fachinformation hingewiesen, kritisiert das arznei-telegramm.



tmb

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