Klinische Pharmazie - POP

Medikationsmanagement – was ist das?

Eine Begriffserklärung

Von Olaf Rose | Der Begriff Medikationsmanagement (MM) oder auch synonym Medikations-Therapie-Management (MTM) wurde zuletzt inflationär für diverse Dienstleistungen bis hin zum Blistern verwendet. Die Apothekenbetriebsordnung beschreibt das Medikationsmanagement allerdings bereits recht konkret als „wiederholte Analyse der Gesamtmedikation zur Verbesserung der Arzneimitteltherapiesicherheit und Therapietreue durch Identifizierung von arzneimittelbezogenen Problemen“. Konkret bedeutet dies, dass der Apotheker die Pharmakotherapie des Patienten überprüft und Vorschläge zur Optimierung macht, meist an einen Arzt oder an den Patienten, möglicherweise aber auch an einen anderen Heilberufler, an einen Pflegedienst, einen Berater oder einen Betreuer. In jedem Falle muss der Apotheker versuchen, sich auf der Grundlage möglichst vieler Daten und Informationen der bestmöglichen Therapie für den Patienten zu nähern und darauf basierend das Medikationsmanagement selbst zu erstellen. Die Nähe zum Patienten ist hierbei entscheidend. Idealerweise benutzt man für die Aufarbeitung standardisierte Formulare und arbeitet die Medikamente des Patienten klar strukturiert auf. Auch eine feste Preisvorgabe ist wichtig. Der Preis dieser Dienstleistung sollte sich am Anspruch und am Zeitaufwand orientieren.

Ein Statement der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft (DPhG) hat inzwischen das Medikationsmanagement weiter unterteilt und es in Einklang mit internationalen Vorgaben des Pharmaceutical Care Network Europe (PCNE) näher definiert.

Unterschieden werden demnach drei Arten eines Medikationsmanagements:

  • das einfache Medikationsmanagement anhand von Apothekendaten,
  • das erweiterte (intermediäre) Medikationsmanagement anhand von Apothekendaten und Patienteninformationen und
  • das klinische Medikationsmanagement anhand von Apothekendaten, Patienteninformationen und Arztdaten.

Das einfache Medikationsmanagement

Die Unterteilung erfolgt also anhand der dem Apotheker zur Verfügung stehenden Daten. Begrenzter Informationsfluss ist auch der hauptsächliche limitierende Faktor bei der Erstellung eines Medikationsmanagements. Bezieht man sich rein auf die in der Apotheke vorliegenden Daten aus der Kundenhistorie, so kann man bereits ein einfaches Medikationsmanagement durchführen. Auch ein einfaches Medikationsmanagement lässt durchaus erste Erkenntnisse über die Therapie zu. Anhand typischer Dosierungen kann man auch ohne Informationen aus dem Medikationsplan oft schon Schlüsse aus der Packungsreichweite ziehen, auch wenn diese Informationen mit Vorsicht gedeutet werden müssen, da sie durch Tablettenteilen oder Bezug in einer anderen Apotheke verzerrt werden können.

Bei einem Asthmatiker, der laut Apothekenhistorie sehr häufig Salbutamol erhält, würde man dann zum Beispiel eine mögliche Steroid-Basistherapie prüfen wollen. Liegen Interaktionen vor, muss die Relevanz bewertet werden. Gegebenenfalls sollte auch im einfachen Medikationsmanagement ein Vorschlag zur Optimierung der Pharmakotherapie erfolgen, der bereits ein Verständnis der mutmaßlichen therapeutischen Ziele des Arztes mit einfließen lässt. Zu häufiges Melden von klinisch nicht relevanten Interaktionen führt aber auch beim Medikationsmanagement aufseiten des Empfängers schnell zu Verdruss. Auch die Selbstmedikation sollte beim einfachen Medikationsmanagement entsprechend mit einfließen und überprüft werden.

Das erweiterte Medikationsmanagement

Das erweiterte Medikationsmanagement bezieht dann die Patienteninformationen mit ein. Abgefragt werden sollte hier zunächst der Medikationsplan mit den genauen Dosierungen, aber auch die Anwendung für jedes Medikament einzeln, um mögliche Handhabungs- und Verständnisprobleme aufzudecken. Ganz wichtig ist jetzt die Reichweitenkontrolle, die Adhärenzprobleme aufdecken kann und auch therapeutische Rückschlüsse zulässt. Im erweiterten Medikationsmanagement kommt dem Patientengespräch eine besondere Rolle zu. Die Wichtigkeit der regelmäßigen Einnahme bestimmter Medikamente kann hier noch einmal untermauert werden. Gleichzeitig kann durch bestimmte Angaben des Patienten bereits das mutmaßliche Therapieziel überprüft werden. Blutdruck, LDL-Cholesterin und HbA1c sind Surrogat-Parameter, die vielen Patienten inzwischen geläufig und bekannt sind. Der Apotheker muss dann natürlich auch die leitliniengerechten Zielwerte bei verschiedenen Indikationen kennen, aktiv formulieren und in die Therapie mit einfließen lassen. Ein weiterer Abgleich ist dann möglich, wenn der Patient seine Medikamente mitbringt und eine Prüfung vorgenommen wird (sogenannter „brown-bag-review“). Ganz wichtig ist hierbei die strukturierte Erfassung und Aufarbeitung, sonst verliert man bei der Vielzahl der Medikamente spätestens hier den Überblick. Jeder Wirkstoff sollte in eine Tabelle eingetragen werden und dann daraufhin überprüft werden, ob er in Apothekenhistorie, Medikationsplan und „brown-bag“ enthalten ist. Sind die Medikamente nicht in allen drei Listen konsistent, liegt ein Fehler vor, dem nachgegangen werden muss. So können oft auch Doppelverordnungen von verschiedenen Ärzten erfasst werden.

Für jeden Wirkstoff einzeln sollte überprüft werden:

  • Die Reichweite: Sie lässt Rückschlüsse auf die Adhärenz zu. Mutmaßliche Über- oder Unterdosierungen müssen geklärt werden. Es ergibt sich dann die Frage, welche therapeutischen Konsequenzen gezogen werden müssen und wie es zu der Problematik kam (Nebenwirkungen, Kosten, Demenz, usw.).
  • Dosierungsprobleme: Wäre eine andere Dosierungsvorschrift therapeutisch sinnvoller oder für den Patienten günstiger?
  • Einnahmezeitpunkt: Ist der Zeitpunkt richtig gewählt? Werden Essensabstände wirklich korrekt berücksichtigt?
  • Liegen echte oder therapeutische Doppelverordnungen vor?
  • Ist der Patient über mögliche Nebenwirkungen informiert und weiß er, wie er sich beim Auftreten verhalten muss?
  • Treten aktuell Nebenwirkungen auf?
  • Gibt es Interaktionen zwischen den Wirkstoffen oder mit der Nahrung?
  • Gibt es Handhabungsprobleme?
  • Bei älteren Patienten: sind die Medikamente für die Geriatrie geeignet? (Priscus oder Beers-Liste)

Ein erweitertes Medikationsmanagement setzt beim Apotheker folglich bereits ein intensives Verständnis der Pharmakotherapie voraus, andernfalls können leicht die falschen Schlüsse gezogen werden und unpassende Therapievorschläge erstellt werden. Er kann aber entsprechend viel zur Arzneimittelsicherheit beitragen und zahlreiche arzneimittelbezogene Probleme (ABPs) aufdecken. Vom zeitlichen Umfang her ist das erweiterte Medikationsmanagement bereits sehr anspruchsvoll und erfordert je nach Übungsstand mehrere Stunden Recherche und Befund. Hinsichtlich der Form empfiehlt sich beim erweiterten Medikationsmanagement die Ausarbeitung im SOAP-Format, also so, wie es auch in den POP-Fällen für das klinische Medikationsmanagement gezeigt wird.

Das klinische Medikationsmanagement

Das klinische Medikationsmanagement unterscheidet sich vom erweiterten Medikationsmanagement dadurch, dass zusätzlich zu den Daten aus der Apothekenhistorie und den Informationen vom Patienten auch noch die Arztdaten mit einbezogen werden. Oft dient auch ein Entlassbrief aus dem Krankenhaus als Quelle. Der große Vorteil liegt zum einen in den angegebenen Diagnosen, für die dann entsprechende Zielwerte formuliert werden können, zum anderen aber auch in den Laborwerten, aus denen sich oft weitere Vorgaben für die Pharmakotherapie ergeben. Einzelne Werte, wie besonders der Kreatinin-Wert zur Bestimmung der Nierenfunktion, geben dann Hinweise auf Kontraindikationen in der Pharmakotherapie (zum Beispiel Metformin nur bei GFR >60 ml/min). Auch die Elektrolyte sind bei sehr vielen Patienten wichtige Monitoringparameter. Kalium ist bei Gabe von ACE-Hemmern, Sartanen, Diuretika, Mineralocorticoid-Rezeptorantagonisten, Digoxin, NSAR und vielen anderen Wirkstoffen stets im Auge zu behalten, Natrium etwa bei trizyklischen Antidepressiva. Mit den genauen Arztdaten hat man so also die Möglichkeit, die Therapie eines Patienten umfassend zu beurteilen und gegebenenfalls auch das Absetzen von Medikamenten vorzuschlagen. Umgekehrt finden sich häufig Indikationen und Komorbiditäten, die nicht, oder nicht ausreichend therapiert werden. Der geschulte Pharmazeut findet stets Optimierungsbedarf und wendet die einschlägigen Therapieleitlinien konsequent an.

Die Grundlage: Ausbildung in klinischer Pharmazie, Pharmakotherapie und Arzneimittelsicherheit

Anhand dieser doch recht eindeutigen Definition der drei verschiedenen Varianten eines Medikationsmanagements ergibt sich eine deutliche Abgrenzung untereinander bei steigendem Zeitaufwand für ein erweitertes und erst recht für ein klinisches Medikationsmanagement. Spricht man zum Beispiel mit Ärzten oder Kostenträgern über ein Medikationsmanagement, sollte man diese klare Abstufung unbedingt vermitteln. Andernfalls besteht die Gefahr, dass der Gesprächspartner etwas anderes erwartet als geliefert wird. Auch sollte die Vergütung dann dem Aufwand der jeweiligen Art entsprechen. Man sollte sich bei einem Angebot also immer an diese drei Kategorien halten.

Erfahrungsgemäß ist es für den ausführenden Apotheker besonders wichtig, dass man dieser Dienstleistung einen förmlichen und betonenden Rahmen gibt. Das Gespräch mit dem Patienten sollte stets nach Terminvergabe und in einem Beratungsraum durchgeführt werden. Eine gewisse Zeitvorstellung muss dabei eingehalten werden, der Apotheker sollte mit seinen Fragen durch das Gespräch leiten und das Heft in der Hand behalten. Durch eine kurze Vorbereitung kann vermieden werden, dass das Gespräch abdriftet, die benötigten Fragen sollten schon grob vorformuliert sein, beziehungsweise anhand des Standardformulars abgearbeitet werden. Interessanterweise hat sich gezeigt, dass durch Einhaltung der Form die Gefahr, in diesem Gespräch zum Kummerkasten zu mutieren, geringer ist als beim Beratungsgespräch im HV. Auch Schulungsmaßnahmen als Konsequenz aus dem Medikationsmanagement sollten in dieser Förmlichkeit durchgeführt werden. Dies auch deshalb, weil durch Aufstehen und Verabschiedung per Händedruck das Ende des Gespräches stets herbeigeführt werden kann.

Grundlage eines Medikationsmanagements ist allerdings eine profunde Ausbildung in klinischer Pharmazie, Pharmakotherapie und Arzneimittelsicherheit. Ein halbherziges Wissen kann den Apotheker andernfalls schnell frustrieren, etwa dann, wenn er aus therapeutischer Sicht ungeeignete Empfehlungen abgibt und sich so beim (Fach-)Arzt disqualifiziert. Beispiele aus der Praxis zeigen, dass auch eine langjährige Tätigkeit in der Offizin oder auf Station eine solide klinische Ausbildung nicht ersetzen kann und vor Fehlern nicht schützt. Empfiehlt man beispielsweise aufgrund von CYP-Wechselwirkungen ein anderes Antidepressivum, so sollte man wissen, dass es für den behandelnden Arzt den entscheidenden Unterschied macht, ob man ein aktivierendes oder ein sedierendes Antidepressivum vorschlägt. Schlägt man aus gleichem Grunde ein CYP-neutrales Statin vor, so müsste man beispielsweise zuvor die Äquivalenzdosierung berechnet haben um sicherzustellen, dass die therapeutisch gewünschte LDL-Senkung auch erzielt werden kann. Für Apotheker auf Station sind zusätzlich intensivtherapeutische Kenntnisse unabdingbar. Die Dosisfindung von Vancomycin anhand klinisch-pharmakokinetischer Parameter und Berechnungen ist ein typisches Beispiel hierfür. Will man mit einem Medikationsmanagement punkten, so führt daher mittelfristig kein Weg an einer völlig neuen, klinisch geprägten Ausbildung vorbei.

Fazit: alle Seiten können profitieren

Von einem Medikationsmanagement können alle Seiten dann nur profitieren: Für den Patienten wird eine bessere und individuellere Therapie erreicht, dem Arzt wird seine Arbeit erleichtert und er erhält zusätzliche Sicherheit, die Gesellschaft profitiert von sinkenden Krankheits-Gesamtkosten und therapeutisch ausgebildeten Apothekern. Besonders der Apotheker selbst aber hat einen großen Nutzen vom Medikationsmanagement. Die Wertigkeit seiner täglichen Arbeit ändert sich massiv und führt zu wesentlich höherer Berufszufriedenheit. Ansehen und Verantwortung steigen. Die vertieften therapeutischen Kenntnisse und Erfahrungen zwingen zu permanenten Fortbildungen und schlagen sich auch im normalen Verkaufsgespräch positiv nieder. Zudem eröffnet sich eine zusätzliche Abrechnungsmöglichkeit. 

Autor

Olaf Rose, Apotheker und Pharm.D., ist Inhaber von drei Apotheken in Münster und im Münsterland. Zudem ist er wissenschaftliches Mitglied und Mitinitiator der WestGem-Studie (MTM und sektorübergreifende Versorgungsforschung bei multimorbiden Patienten) in Zusammenarbeit mit der Bergischen Universität Wuppertal und der KatHO-NRW. Forschungsschwerpunkt: klinisches MTM.

Apotheker Olaf Rose, Pharm.D., Münster, rose@elefantenapo.de

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