- DAZ.online
- DAZ / AZ
- DAZ 20/2014
- Tannine „schmecken“ ...
Prisma
Tannine „schmecken“ nicht*
Sie reizen den Trigeminusnerv
Der Bochumer Zellphysiologe Hanns Hatt und der Münchner Lebensmittelchemiker Thomas Hofmann haben ein Mosaiksteinchen zur Ergründung der Frage, wie das menschliche Hirn das Bouquet eines guten Rotweins erkennt, geliefert. Die Tannine, die schon von Natur aus im Most enthalten sind oder noch zusätzlich in den Wein gelangen, wenn er in Barriquefässern ausgebaut wird, reagieren mit Rezeptoren des Trigeminusnervs, der in der gesamten Mundhöhle präsent ist. Dadurch bewirken sie die Empfindung der Adstringenz, die auch von anderen Polyphenolen wie dem Epigallocatechingallat im Tee bekannt ist. Andere Theorien, z.B. dass die Adstringenz durch Mechanorezeptoren auf der Zunge vermittelt wird, dürfen nun als widerlegt gelten.
Doch nicht alle Polyphenole wirken adstringierend. Entscheidend ist das sogenannte Gallussäuremotiv, d.h. ein Benzolring mit drei benachbarten OH-Gruppen wie beim Pyrogallol. Diese Struktur scheint als „Schlüssel“ genau in das „Schloss“ des Rezeptors zu passen, der zwar noch nicht identifiziert worden ist, aber mit Sicherheit ein G‑Protein-gekoppelter membranständiger Rezeptor ist. Je mehr Gallussäuremotive ein Stoff hat, desto stärker ist seine Adstringenz. Gallussäure selbst wirkt daher nur ziemlich schwach adstringierend (sie hat ja nur 1 Motiv).
Es ist heutzutage schon bei vielen Winzern üblich, dass sie den Wein nicht zur Eiche bringen, sondern die Eiche zum Wein, sprich: Statt den Wein in teuren Barriquefässern zu lagern, nehmen sie einen Edelstahltank und hängen einen Beutel mit Eichenholzspänen hinein. Aber dank moderner Chemie geht es noch einfacher: Die Winzer können die Polyphenole auch direkt hineinträufeln. Laut EU-Recht ist es nämlich erlaubt, einem Liter Wein 0,1 g Tannine zuzusetzen. Trotzdem ist diese Zutat kein vollwertiger Ersatz für das Eichenholz, denn dieses enthält noch zahlreiche andere Stoffe, die zum Bouquet beitragen – und die der Kenner „herausschmeckt“ und zu schätzen weiß.
Quelle: Schöbel N, et al. Astringency Is a Trigeminal Sensation That Involves the Activation of G Protein-Coupled Signaling by Phenolic Compounds. Chem Senses, Epub 09.04.2014.
* Dem Rotweinkenner Professor Hermann Josef Roth zum 85. Geburtstag gewidmet.
0 Kommentare
Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.