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„Keine zehn Gebote, sondern Perspektivpapier 2030“

DAZ-Interview mit ABDA-Präsident Friedemann Schmidt

BERLIN (du/lk) | Einen Monat vor dem nächsten Deutschen Apothekertag (DAT) in München sprach die Deutsche Apotheker Zeitung (DAZ) mit ABDA-Präsident Friedemann Schmidt über das zurückliegende Jahr, über Kritik an seiner Arbeit, über die Herausforderungen des Apothekerberufs, über das Medikationsmanagement, über die Suche nach einer neuen Bleibe für das Berliner Apothekerhaus und natürlich über das Leitbild – darüber, warum aus dem Leitbild ein Perspektivpapier 2030 geworden ist. „Leitbild ist ein Kodex, sind Gebote. Der Begriff passte dann nicht mehr zum Ergebnis. Wir beschreiben jetzt einen Prozess zur Apotheke 2030“, begründet Friedemann Schmidt die Kurskorrektur. Das Gespräch führten DAZ-Chefredakteurin Dr. Doris Uhl und DAZ-Berlin-Korrespondent Lothar Klein.


DAZ: Herr Schmidt, muss man sich Sorgen um Sie machen?

Schmidt: Wieso?

DAZ: Weil Sie jetzt schon Protestbriefe an sich selbst schreiben lassen …

Schmidt: Ach, Sie meinen den Brief der fünf ostdeutschen Apothekerkammern. Seit 20 Jahren gibt es das sogenannte „Separatistentreffen“ der ostdeutschen Kammerpräsidenten ein oder zwei Mal im Jahr. Das hat schon eine besondere Tradition seit der deutschen Einheit. Ich konnte leider dieses Jahr wegen anderer Termine nicht teilnehmen. Daher war mein Stellvertreter in der Apothekerkammer Sachsen anwesend. Göran Donner hat mir anschließend über die Diskussion dort berichtet und den gemeinsamen Brief unterzeichnet.

Foto: DAZ/Sket
Friedemann Schmidt „Leitbild passte einfach nicht mehr.“

DAZ: Teilen Sie die Anregungen und auch Kritik des Schreibens?

Schmidt: Die Unterzeichner haben bei diesem Treffen Themen identifiziert, die sie gerne in der Diskussion innerhalb der ABDA vertiefen möchten. Das sind zum Teil Themen, die schon seit längerer Zeit die einzelnen Kammern umtreiben. Ob es sich dabei um Anregungen oder Kritik handelt, will ich jetzt mal offen lassen.

DAZ: Wenn die Kammern Handlungsbedarf anmelden, bedeutet das doch: Da wurde bislang nicht genug getan.

Schmidt: Das glaube ich nicht. Zum Beispiel die Anträge zum Deutschen Apothekertag. Da geht es doch darum, wie im Anschluss an die DAT-Diskussion mit den Anträgen weiter verfahren wird. Da gibt es in der ABDA einen definierten Prozess. Aber da wird immer wieder nachgefragt. Im Vorfeld des nächsten DAT wird dann über den Fortgang berichtet. Es wird manchmal bemängelt, dass es in der Zwischenzeit zu wenige Informationen über den internen Beratungsprozess gibt. Ich verstehe das Thema.

 

DAZ: Man kann den Brief auch so verstehen, dass sich die Kammern eine aktivere Rolle der ABDA-Spitze bei diesen Themen wünschen.

Schmidt: Ich weiß nicht, ob das ein Thema von stärkerer ABDA-Aktivität ist. Nehmen Sie die industrielle Zweitverblisterung. Das Thema beschäftigt uns doch seit über zehn Jahren. Das wurde zunächst in der Apothekerschaft sehr offen diskutiert. Dann traten die Risiken immer stärker in den Vordergrund. Da geht es auch um wirtschaftliche Interessen. Die ABDA hat intern lange Zeit sehr intensiv über alle Aspekte diskutiert. Unsere Position ist dazu klar und bekannt: Industrielle Zweitverblisterung als Regelversorgung lehnen wir ab. Verblisterung bzw. Stellen kann im Krankenhaus sinnvoll sein, in bestimmten Situationen in Alten- und Pflegeheimen und in der ambulanten Versorgung bei kleinen, klar definierten Patientengruppen, aber nicht als Regelversorgung.

DAZ: Was spricht dagegen?

Schmidt: Es findet eine Entfremdung des Patienten vom Arzneimittel statt. Der Patient weiß dann bald nicht mehr, warum er das Arzneimittel nimmt, gegen welche Krankheit es hilft. In den Pflegeheimen führt das zudem zu einem Kompetenzverlust des Pflegepersonals. Das sind unsere wesentlichen Kritikpunkte an der industriellen Zweitverblisterung, die ich auch persönlich teile.

DAZ: Dann könnten Sie doch kraftvoll der Aussage der Verblisterer widersprechen, das sei zentraler Teil der Medikationsanalyse.

Schmidt: Absolut, dem widerspreche ich auch vehement. Denn das ist ein Fehlschluss. Die eigentliche Ursache von Verbesserungen der Compliance im Zusammenhang mit Verblisterung in Heimen ist immer die persönliche Arzneimittelberatung durch den Apotheker, nie das technische Mittel der Verblisterung. Das zeigen alle Studien bei genauer Analyse. Verblisterung ist damit keine Voraussetzung und kein wesentlicher Bestandteil von Medikationsmanagement.

DAZ: Vielleicht lautet die eigentliche Frage hinter dem Brief: Wo steckt Friedemann Schmidt? Sie haben sich jetzt und hier zur Verblisterung eindeutig und klar positioniert. Das hätte Sie auch schon früher und lautstärker tun können. Das gilt auch für das Thema PTA-Ausbildung.

Schmidt: Das Problem der PTA-Ausbildung ist in den einzelnen Ländern sehr unterschiedlich. Die Finanzierung der PTA-Schulen ist teilweise über die Länderhaushalte organisiert, teils privatwirtschaftlich. Es gibt teilweise Probleme, Auszubildende zu finden, die bereit sind, Schulgeld zu zahlen. In Sachsen beispielsweise haben wir andererseits bisher keinen Nachwuchsmangel bei PTA. Die Lage ist extrem unterschiedlich. Daher gibt es für die ABDA auch kein Instrument, mit dem wir eine Lösung für alle anbieten könnten. Wir können da auch nicht mit Finanzspritzen helfen. Die Probleme müssen vor Ort gelöst werden.

DAZ: Nochmal zum Brief: Wie stehen Sie zum Inhalt?

Schmidt: Das ist eine Sammlung von Themen, die von den einzelnen Mitgliedsorganisationen seit längerer Zeit immer mal wieder vorgetragen werden nach dem Motto, wir müssten uns eigentlich damit intensiver befassen. Zum Beispiel liegt das Thema Verblisterung der Apothekerkammer Thüringen ganz besonders am Herzen. Dort gibt es ja jetzt eine Initiative mit den Ärzten. Aus meiner Sicht beinhaltet der Brief eine Liste von Themen, die aus Sicht dieser Kollegen intensiver diskutiert werden müssten. Das kann ich völlig verstehen. Wir sind leider aufgrund unserer Sitzungskapazitäten nicht in der Lage, alles abzuarbeiten. Manche Diskussionen können auch gar nicht abgeschlossen werden, weil die Themen sich weiterentwickeln. Das ist ein Prozess.

DAZ: Sie erkennen darin keine Kritik an Ihrer Amtsführung?

Schmidt: Nein. Es geht doch auch immer um den Zeitpunkt für öffentliche ABDA-Stellungnahmen. Ich verstehe, dass sich die Kammer Thüringen beim Thema Verblisterung eine kraftvolle Aussage der ABDA wünscht. Der Geschäftsführende Vorstand der ABDA ist allerdings der Auffassung, dass derzeit dafür nicht der richtige Zeitpunkt gekommen ist, weil es aktuell keinen politischen Handlungsbedarf gibt. Falls sich die Politik entschließen würde, Verblisterung als Regelversorgung zu etablieren, würde die ABDA sich dazu klar und lautstark zu Wort melden. Das würden wir dann im ABDA-Vorstand beschließen.

DAZ: Sie haben angekündigt, als ABDA-Präsident die Stimme der Apothekerschaft in gesellschaftspolitisch relevanten Diskussionen kräftiger zu Gehör zu bringen. Was ist daraus geworden?

Schmidt: Das ist kein Selbstzweck. Wir äußern uns zu Themen, wenn Apotheker originär betroffen sind, weil sie tatsächlich dazu einen inhaltlichen Beitrag zu leisten haben. Ich werde mich nicht zu Themen äußern, die öffentliche Aufmerksamkeit garantieren, nur um zu demonstrieren, dass wir Apotheker dazu eine Position haben.

DAZ: Es geht ja nicht nur darum, zu zeigen, dass die Apothekerschaft über Positionen verfügt, sondern darum, die Kompetenz der Apotheker zu unterstreichen. Andere sind da nicht so zurückhaltend, zum Bespiel der Präsident der Bundesärztekammer Frank Ulrich Montgomery in der Diskussion über die Pille danach.

Schmidt: Die ABDA hat zur Pille danach ebenfalls eine klare Position, die wir auch öffentlich vertreten haben, z.B. in Pressemitteilungen des Präsidenten der Bundesapothekerkammer. Die ABDA ist aber nicht die politische Kraft, die die politische Meinungsbildung innerhalb der Großen Koalition entscheiden kann und will. Es gibt übrigens auch innerhalb der Apothekerschaft dazu unterschiedliche Auffassungen, die ich als Präsident respektiere. Ich persönlich bin ganz klar für die Freigabe der Pille danach. Mit meiner persönlichen Haltung kann und will ich mich aber nicht als ABDA-Präsident politisch positionieren und in kontroverse Diskussionen zwischen Union und SPD einmischen.

DAZ: Zum Leitbild, da geht es ja auch um Kommunikation. Aus dem Leitbild ist jetzt ein Perspektivpapier geworden. Aus dem geplanten Regelwerk ist ein unverbindliches Szenario entstanden. Warum?

Schmidt: Sie haben Recht, wir haben im Laufe des intensiven Diskussionsprozesses einen anderen Begriff gewählt. Leitbild beinhaltet ja die Vorstellung einer inhaltlichen Anleitung, einer klaren Orientierung wie die zehn Gebote. Wir haben uns entschlossen zu sagen, wir beschreiben einen Zustand, wie wir uns die Entwicklung der Apotheke bis zum Jahr 2030 vorstellen und wünschen. Das ist aber kein Blick in die Glaskugel. Wir haben uns angeschaut, wie sich die pharmazeutische Zukunft entwickeln könnte und wir haben daraus formuliert, wie sich die pharmazeutische Zukunft nach unserer Vorstellung entwickeln soll. Wir haben das Bild einer modernen Apotheke im Jahr 2030 gezeichnet. Das ist etwas anderes als ein Leitbild. Und darum haben wir den ursprünglichen Begriff aufgegeben.

DAZ: Sie haben verbal abgerüstet?

Schmidt: Leitbild passte einfach nicht mehr. Leitbild ist ein Kodex, sind Gebote. Der Begriff passte dann nicht mehr zum Ergebnis. Wir beschreiben jetzt einen Prozess zur Apotheke 2030. Aus dem sehr intensiven Diskussionsprozess im Internet, beim Konvent und in den ABDA-Gremien hat sich eine Wandlung des ursprünglichen Ansatzes ergeben. Dem tragen wir Rechnung. Eine Abrüstung ist das nicht.

DAZ: An einigen Stellen ist aber auch zurückgedreht worden, z.B. bei der Gewichtung des Kaufmanns im Apotheker.

Schmidt: Wir haben die Formulierung zum Thema Leistung außerhalb der Arzneimittelversorgung etwas abgeändert. Das war ein Punkt, bei dem der Konvent keine Einigkeit erzielen konnte. Aber die Grundaussage bleibt erhalten, dass es neben der pharmazeutischen Kernkompetenz jedem Apotheker an seinem Standort freisteht, sein Leistungsspektrum zu erweitern, wenn es in das Bild der Apotheke passt. Wir errichten da keine Mauern. Im Gegenteil, wir wollen unsere Freiheit sichern. Ich glaube das ist eine tragfähige Lösung.

DAZ: Im Abschnitt zum Medikationsmanagement wird auf die interdisziplinäre Zusammenarbeit abgehoben. Das Wort Arzt ist an keiner Stelle zu lesen.

Schmidt: Richtig, es geht dort um das therapeutische Team bzw. das heilberufliche Netzwerk. Wir wollen über die Zusammenarbeit mit den Ärzten hinausgehen und uns nicht auf die Ärzte beschränken. Die Zusammenarbeit mit den Ärzten ist und bleibt der zentrale Kern des Medikationsmanagements. Aber das therapeutische Team geht darüber hinaus, umfasst einen multiprofessionellen Ansatz. Dazu gehören Pflegekräfte, Krankenschwestern und andere. Entscheidend ist das Bekenntnis, dass wir Apotheker uns mit unserer Kompetenz in dieses Team einbringen wollen. Apotheker arbeiten auf Augenhöhe als ein gleichberechtigter Teil des Teams.

DAZ: Also kein Affront gegen die Ärzte?

Schmidt: Nein. Wir erwarten aber, dass sich die anderen Akteure genauso kooperativ verhalten wie wir Apotheker. Erst dann ist das Team vollständig.

DAZ: BAK-Präsident Kiefer hat aber doch schon angekündigt, zur Not machen wir den Medikationsplan auch ohne Ärzte.

Schmidt: Das bezieht sich auf den politischen Prozess. Dr. Kiefers Aussage ist ja nicht zufällig erfolgt. Wir Apotheker sind schon vor mehr als drei Jahren den ersten Schritt nach vorne gegangen mit dem ABDA-KBV-Modell und haben die Ärzte mit ausgestreckter Hand eingeladen. Wir haben aber den Eindruck, dass trotz des Modellprojekts ARMIN in Sachsen und Thüringen bei den Ärzten vielfach Zurückhaltung geübt wird. Wir haben uns dann gefragt, wie kommen wir mit dem Medikationsmanagement jetzt weiter? Es kann ja nicht so bleiben, dass wir immer nur mit der ausgestreckten Hand stehen bleiben. Wir müssen klarstellen, dass wir Apotheker einen eigenen Anteil an der Medikationsanalyse aufgebaut haben und einbringen, der einen eigenen Wert hat. Wir sind keine Hilfskräfte, die man nach Belieben hinzuziehen kann. Es geht um verbindliche Zusammenarbeit und Kooperation. Und wir erwarten von den Ärzten, dass sie sich dieser Idee stellen.

DAZ: Wie geht es damit weiter?

Schmidt: Ich bin optimistisch, dass die Ärzte sich mit unserem Angebot auseinandersetzen und das Gute daran erkennen: Es gibt einen befreundeten Heilberuf, mit dem wir zusammenarbeiten können und der unsere eigenen Möglichkeiten zur Patientenbetreuung verbessert. Wir werden jetzt im Bund und in den Ländern auf die Ärzteorganisationen zugehen und für das Projekt werben.

DAZ: DAV und GKV-Spitzenverband haben vorgeschlagen, den Kassenabschlag auf 1,77 Euro festzuschreiben. Rechnen Sie mit einer raschen Umsetzung durch die Politik?

Schmidt: Die Politik hat ja von uns und dem GKV-Spitzenverband eine gemeinsame Linie eingefordert. Das haben wir jetzt vorgelegt. Ich bin sehr froh über diesen Kompromiss. Auch die Politik hat Interesse daran, das Thema vom Tisch zu bringen. Deshalb bin ich da ganz optimistisch, dass die Politik unseren gemeinsamen Vorschlag aufgreift.

DAZ: Auch beim Thema Hilfstaxe haben sich DAV und GKV-Spitzenverband geeinigt. Nach den Kontroversen der letzten Jahre stehen die Signale jetzt auf Kompromiss?

Schmidt: Ich sitze ja nicht in den Verhandlungskommissionen. Aber das Verhältnis zum GKV-Spitzenverband hatte sich schon sehr zugespitzt. Diesen Eindruck hatten wir alle. Und wir haben nach wie vor unbefriedigende Themen wie die Nullretaxationen oder die zunehmende Ruppigkeit beim Umgang mit der Hilfsmittelversorgung. Da gibt es weiterhin keine Bewegung. Also, es gibt Kompromisse in einzelnen Fragen, aber keine generelle Entspannung.

DAZ: Anfang 2013 haben Sie für die ABDA erklärt, trotz der räumlichen Enge am Berliner Apothekerhaus festhalten zu wollen. Jetzt suchen Sie nach einer neuen Bleibe, wollen die Jägerstraße verkaufen. Wie ist der aktuelle Stand?

Schmidt: Die Mitgliederversammlung hat uns beauftragt, nach einem neuen ABDA-Sitz Ausschau zu halten. Wir haben vor der Sommerpause erste Sondierungen eingeleitet, erste Gespräch mit Maklern geführt. Wir legen großen Wert darauf, dass die Suche nach unseren Compliance-Regeln abläuft. Nachdem das in den Zeitungen stand, habe ich viele Angebote, Mails erhalten nach dem Prinzip, ich kenne da etwas, soll ich mal nachhören. Auch Makler haben sich gemeldet. So machen wir das nicht. Wir werden bald einen Makler beauftragen. Das Verfahren liegt in der Hand der hauptamtlichen Geschäftsführung.

DAZ: Das hört sich nicht nach einer schnellen Lösung an.

Schmidt: Wir haben angekündigt, der Mitgliederversammlung im Dezember etwas zu präsentieren. Ich glaube nicht, dass wir dann schon eine konkrete Lösung haben werden. Wir werden einen Überblick über die Situation des Immobilienmarktes in Berlin Mitte vorlegen können, über MIet- und Kaufpreise. Vielleicht können wir auch schon einzelne Objekte vorstellen. Ich rechne aber nicht damit, dass wir dann bereits eine Entscheidungsvorlage präsentieren können.

DAZ: Herr Schmidt, vielen Dank für das Gespräch! 

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