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Pest
Wir lagen vor Madagaskar …
Warum ist das Pestbakterium so gefährlich?
Der Schwarze Tod
Der wahrscheinlich älteste Hinweis auf die Beulenpest findet sich im alttestamentlichen 1. Buch Samuel, in dem die Verwüstung beschrieben wird, die etwa 1320 bis 1000 v. Chr. über die Philister kam, nachdem sie den Israeliten die Bundeslade gestohlen hatten. Danach sind in den historischen Aufzeichnungen immer wieder Belege für Pest-Ausbrüche in Kleinasien, Ägypten, Griechenland und Italien aufgeführt. In unserem heutigen Bewusstsein ist vor allem die Pest-Pandemie des Mittelalters lebendig: Zwischen 1346 bis 1352 forderte der Schwarze Tod über 25 Millionen Menschenleben, was damals ungefähr einem Drittel der Weltbevölkerung entsprach. Und auch später noch, zwischen dem 15. und 18. Jh., starben in Großstädten wie Genua, Mailand, Lyon und Venedig geschätzte 30 bis 60 Prozent der Bevölkerung an der Pest.
Eine weitere Pest-Pandemie breitete sich ab 1855 von der südchinesischen Provinz Yunnan zunächst nach Hongkong und Kanton aus, bevor sie 1898 Bombay erreichte und nachfolgend über 13 Millionen Indern das Leben kostete. Über die Handelswege kam die Krankheit auch auf die übrigen Kontinente. Während dieser Pandemie gelang es dem schweizerisch-französischen Arzt Alexandre Yersin, 1894 in Hongkong den Krankheitserreger zu isolieren. 1967 wurde das Bakterium nach seinem Entdecker umbenannt: Yersinia pestis (vorher: Pasteurella pestis).
Literarisch brachte es die Pest zu Klassikern: Beispielsweise verarbeitete Giovanni Boccaccio die Bedrohung durch den schwarzen Tod 1348 zu „Il Decamerone“, und Mitte des letzten Jahrhunderts wurde Albert Camus durch sein Buch „Die Pest“ weltberühmt.
Heute ist die Pest in unseren Köpfen nicht mehr als die ganz große Bedrohung präsent. Das ist in den Industrieländern durchaus nachvollziehbar, steht die Erkrankung doch immer im Zusammenhang mit schlechten hygienischen Verhältnissen. Dennoch sollte man nicht übersehen, dass die WHO im Zeitraum von 1989 bis 2003 immerhin 38.310 Erkrankungen und 2845 Todesfälle in insgesamt 25 Ländern registriert hat. Betroffen sind vor allem einige Länder Afrikas wie die Demokratische Republik Kongo, Malawi, Mosambik, Uganda und eben immer wieder auch Madagaskar. Und es treten vereinzelt auch Fälle in den USA auf: Von 2000 bis 2009 waren es 57 Erkrankungsfälle, von denen sieben fatal endeten.
Das Pestbakterium
Bei Yersiniapestis handelt es sich um ein stäbchenförmiges, gramnegatives, fakultativ anaerobes Bakterium aus der Familie der Enterobacteriaceae, das weder begeißelt ist noch Sporen als Überdauerungsform bilden kann. Mittlerweile geht man davon aus, dass sich Y.pestis vor ungefähr 2000 bis 20.000 Jahren aus der pathogenen Art Y. pseudotuberculosis entwickelt hat. Während jedoch Y. pseudotuberculosis über den fäkal-oralen Weg vor allem mittels kontaminiertem Gemüse und Salat in den menschlichen Körper gelangt und dann zu Darmerkrankungen führt, hat Y.pestis einen anderen Infektionsweg eingeschlagen.
Seit dem Mittelalter hatte man immer wieder einen Zusammenhang der Pest mit dem Rattensterben beobachtet, so auch Yersin 1894 in Hongkong. Drei Jahre später entdeckten Masanori Ogata und Paul-Louis Simond unabhängig voneinander, dass Flöhe bei der Übertragung der Krankheit eine entscheidende Rolle spielen. Somit finden sich Pestbakterien in drei recht unterschiedlichen Organismen, nämlich in Flöhen, Ratten und – quasi als „Unfall“ – Menschen (Abb. 1). Dies erfordert eine besondere Anpassung an den jeweiligen Wirt, allein schon wegen der unterschiedlichen Körpertemperatur, die beim Floh 26 °C, dagegen beim Menschen 37 °C und bei der Ratte 37 bis 39,5 °C beträgt.
Drei Plasmide codieren wichtige Virulenzfaktoren
Insgesamt drei verschiedene zusätzliche DNA-Moleküle braucht Yersiniapestis für seine ungewöhnliche Lebensweise in Flöhen, Nagetieren und Mensch (Abb. 2).
Phospholipase D und Kapsel-Antigen F1
Dass sich das Bakterium überhaupt in Flöhen aufhalten und vermehren kann, verdankt es dem Plasmid pMT1 (= pFra), auf dem das Enzym PhospholipaseD (= Yersinia murine toxin, Ymt) codiert ist. Die PhospholipaseD schützt das Bakterium davor, im Mitteldarm des Flohs verdaut zu werden. Zusammen mit Oberflächenproteinen, die von dem Hämin-Speicher-Genort des bakteriellen Chromosoms codiert werden, sorgt die PhospholipaseD dafür, dass Y.pestis zusätzlich zum Mitteldarm auch den Vormagen des Flohs besiedeln kann. Durch die Oberflächenproteine verkleben die Bakterien und blockieren den Verdauungstrakt des Flohs, was ihn wiederum zu einer verstärkten Nahrungssuche drängt. Bei jedem Biss würgt der Floh einige Bakterien aus dem Vormagen heraus, die dann in den Körper des Säugetiers – sei es Nager oder Mensch – gelangen. Die Bezeichnung „Yersinia murine toxin“ erhielt die PhospholipaseD aufgrund der Beobachtung, dass das Protein bei Mäusen („murin“) und Ratten als Betablocker wirkt und zu einem extremen Blutdruckabfall führt. Allerdings findet die Expression temperaturabhängig hauptsächlich im Floh und kaum noch bei 37 °C Körpertemperatur im Säugetier statt.
Auf dem Plasmid pMT1 ist außerdem das Gen für das Kapsel-Antigen Fraktion 1 (CaF1) lokalisiert. Dieses Protein wird erst bei 37 °C Umgebungstemperatur auf der Bakterienoberfläche exponiert, bildet dort ein fibrilläres, gelartiges Polymer aus und wirkt als Schutzfaktor, der eine Adhäsion an Makrophagen und damit auch die Phagozytose durch die Fresszellen verhindert.
Typ-III-Sekretionssystem
Ein zweites, für die Pathogenität von Y.pestis extrem wichtiges Plasmid ist pYV (= pCD1), das die Gene für das Typ-III-Sekretionssystem (T3SS) trägt. Auch diese Proteine werden temperaturabhängig nur im warmblütigen Wirt exprimiert. Zunächst bilden über 20 Proteine den sehr aufwendigen Komplex T3SA, der sich in der gesamten Zellwand des Bakteriums mit Zytoplasmamembran, Mureinschicht und äußerer Membran erstreckt und auch eine nadelförmige Struktur zur Injektion von Virulenzfaktoren in die Zielzelle ausbildet. Sobald T3SA in Kontakt mit einer eukaryontischen Zelle des Wirts kommt, werden die äußeren Yersinia-Proteine (Yersinia outer proteins, Yop) exprimiert und durch T3SA in die Zielzelle injiziert. Dort interagieren diese Exotoxine mit den Wirtszellproteinen auf verschiedene Weise: Das Aktin-Zytoskelett wird destabilisiert, die Zytokinproduktion inhibiert und die Apoptose der phagozytierenden Zellen induziert.
Plasminogen-Aktivator
Das dritte Plasmid, pPst (= pPCP1 = pPla), kommt üblicherweise in mehreren Kopien im Bakterium vor und trägt das Gen für den Plasminogen-Aktivator Pla. Diese Protease aktiviert Plasminogen im Säugerwirt, wodurch Fibrin-Polymere geschnitten werden. Pla bindet außerdem an extrazelluläre Matrixproteine wie Laminin und führt zur Inaktivierung der Komplementfaktoren des angeborenen Immunsystems. Insgesamt erleichtert Pla die Verbreitung von Y.pestis im Gewebe und trägt erheblich zur Virulenz des Bakteriums bei.
Zusätzlich zu Pla befinden sich auf der Oberfläche von Y.pestis noch weitere Proteine (z.B. Ail), die eine wichtige Rolle bei der ersten Adhäsion an Wirtszellen spielen: Interessanterweise können Pestbakterien aktiv in Makrophagen oder Epithelzellen eindringen, dort unbehelligt existieren und sich auf ihr Leben außerhalb von Zellen vorbereiten.
Die Infektion
Beim Biss eines infizierten Flohs gelangen Yersinia-Bakterien in einen warmblütigen Wirt und damit in eine wesentlich wärmere Umgebung; dies verändert seine Genexpression völlig. Eine weitere Anpassung an den Wirt liegt in einer Veränderung der Lipopolysaccharid (LPS)-Struktur in der äußeren Membran. Normalerweise sind LPS wichtige Erkennungsmerkmale für das angeborene Immunsystem, um das Pathogen möglichst effektiv zu bekämpfen. Durch die aktive Veränderung der LPS-Struktur wird jedoch das Bakterium nicht mehr so gut erkannt und eine proinflammatorische Reaktion des Wirts unterdrückt. Als fakultativ intrazelluläres Bakterium kann Y.pestis zwar in Makrophagen, nicht jedoch in Neutrophilen Granulozyten persistieren; Neutrophile spielen deshalb eine wichtige Rolle bei der ersten Bekämpfung der Pestbakterien nach der Infektion. Mit den Makrophagen, in denen sich die Bakterien vermehren, werden sie in den nächstgelegenen Lymphknoten transportiert und beginnen mit der Expression des Proteins CaF1 sowie der Proteine des T3S-Komplexes. Nun sind die Bakterien gut gerüstet, um auch extrazellulär zu persistieren und den Angriffen der Immunzellen und des Komplementsystems zu widerstehen.
Nach einer Inkubationszeit von zwei bis sechs Tagen schwillt der befallene Lymphknoten stark an; die bis zu Ei-großen „Beulen“ stellen das charakteristische Bild der Beulenpest dar. Diese ist weltweit mit 80 bis 95 Prozent der Fälle die häufigste Form der Pest und weist eine Mortalitätsrate von 10 bis 20 Prozent auf; unbehandelt versterben jedoch 50 bis 90 Prozent der Patienten. Bei nur 10 bis 20 Prozent der Pest-Infektionen kommt es zur septikämischen Verlaufsform, die entweder nach der „Beule“ oder auch direkt nach dem Biss auftreten kann. Hier ist die Sterblichkeit unter Therapie mit 22 Prozent etwas höher, unbehandelt verläuft sie jedoch – wie die Lungenpest – zu 100 Prozent tödlich.
Ist ein Mensch an Lungenpest erkrankt, kann die Erkrankung auch über Tröpfcheninfektion weitergegeben werden. Dieser Verbreitungsweg in Kombination mit dem fatalen Verlauf der Lungenpest birgt die Gefahr, dass Y.pestis als effiziente Biowaffe eingesetzt werden kann. Während des 2. Weltkriegs führte die Japanische Armee Biowaffen-Tests durch und verwendete unter anderem auch Bomben mit Pest-infizierten Flöhen. Später wurde von verschiedenen Regierungen vor allem der direkte Einsatz von Pestbakterien in Aerosolen getestet.
Prophylaxe
Ein recht effizienter Weg, um die Pest in Schach zu halten, ist die Kontrolle der Wirte des Pestbakteriums, also gegebenenfalls ihre gezielte Dezimierung. Wo immer sich Ratten und ihre Flöhe munter tummeln, muss im Prinzip damit gerechnet werden, dass die Pest ausbricht; zumal Y. pestis weltweit verbreitet ist.
Bereits im späteren 19. Jh. waren erste Impfstoffe gegen die Pest verfügbar, wobei sowohl attenuierte als auch abgetötete Bakterien zum Einsatz kamen. Anfang des 20. Jh. wurde in Osteuropa und Teilen der früheren Sowjetunion der lebend-attenuierte Stamm EV76 verimpft. Aufgrund der recht starken Nebenwirkungen ging die Anwendung dieses Impfstoffes in den 1960er Jahren deutlich zurück. Danach wurden über gezielte Mutagenese andere attenuierte Yersinia-Stämme entwickelt, allerdings schaffte es keiner in eine klinische Studie. Alternativ lässt sich ein genetisch modifiziertes Salmonella-Bakterium, das einige Yersinia-Gene exprimiert, als Lebendvakzine einsetzen.
Bereits 1897 wurde in einer großangelegten Impfkampagne in Bombay eine Vakzine mit inaktivierten Bakterien, die sogenannte Haffkine KWCV (killed whole-cell vaccine) verwendet. In der Folge kamen noch andere Impfstoffe mit abgetöteten Bakterien zum Einsatz; relativ bekannt war der Pest-Impfstoff der United States Pharmacopeia (USP), der bis 1999 hergestellt wurde. Bisher brachten allerdings die Impfstoffe mit abgetöteten Bakterien nur einen sehr schlechten Immunschutz. Neuere Ansätze gehen deshalb in Richtung Subunit-Vakzine, wobei entweder das Antigen CaF1 oder/und das V-Protein aus dem Injektionsapparat des T3S-Komplexes von Y. pestis verwendet werden.
Therapie mit Antibiotika
Unbehandelt verläuft die Beulenpest bei über 50 Prozent der Patienten tödlich. Wichtig ist bei einem Verdacht auf eine Infektion mit Y.pestis, möglichst umgehend mit einer Antibiotika-Therapie zu beginnen, durchaus auch bevor eine mikrobiologische Bestätigung vorliegt. Mittel der Wahl war lange Zeit täglich 2 g Streptomycin, intramuskulär für zehn Tage verabreicht. Da Streptomycin bakteriolytisch wirkt, besteht dabei jedoch die Gefahr eines Endotoxin-Schocks. Dem lässt sich vorbeugen, indem drei Tage, nachdem die Körpertemperatur sich wieder normalisiert hat, auf ein anderes Antibiotikum – meistens Tetracyclin – umgestellt wird. Als Alternative kann auch alle zwölf Stunden Gentamicin in einer Dosierung von 2,5 mg/kg Körpergewicht intramuskulär verabreicht werden. Das Fluorchinolon Ciprofloxacin kann ebenfalls eingesetzt werden: zweimal täglich 400 mg i.v. oder 500 mg peroral. Im Falle einer Pest-Meningitis ist Chloramphenicol das Mittel der Wahl: 50 mg/kg Körpergewicht parenteral oder oral für bis zu zehn Tage.
Penicilline, Cephalosporine und Makrolide sind bei einer Pest-Infektion unwirksam.
Fazit
Die Pest ist eine an und für sich ubiquitäre Bedrohung, die allerdings in den Köpfen der westlichen Bevölkerung kaum präsent ist. Wie schnell eine derartige Ignoranz sich zu einem dramatischen Problem ausweiten kann, sieht man derzeit an der Ebola-Epidemie in Westafrika. Bei der Bekämpfung der Pest auf Madagaskar gibt es einige Probleme: Die Rattenflöhe sind zum Teil bereits resistent gegen die üblichen Insektizide. Die Insel gehört zu den ärmsten Ländern der Welt, sodass die rechtzeitige Versorgung mit geeigneten Antibiotika nicht unbedingt gewährleistet ist. Ferner sind auch schon erste Antibiotika-resistente Yersinien auf Madagaskar identifiziert worden – ein Faktum, das auch hierzulande sorgfältig wahrgenommen und beobachtet werden sollte.
Literatur
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Autoren
Prof. Dr. Theo Dingermann ist Seniorprofessor am Institut für Pharmazeutische Biologie an der Goethe-Universität Frankfurt.
Dr. Ilse Zündorf ist dort als akademische Oberrätin tätig.
Institut für Pharmazeutische Biologie
Biozentrum
Max-von-Laue-Straße 9
60438 Frankfurt/Main
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